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1.5Interaktion mit dem Publikum

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Improvisationstheater ist heute fast immer interaktiv. Offensichtlich wird dies, wenn die Schauspieler das Publikum nach Vorschlägen oder Vorgaben für eine Szene fragen: Die „vierte Wand“ wird gebrochen. In dieser Situation spielen die Schauspieler keine Rolle, sie sind einfach nur die Schauspieler, die sich mit dem Publikum auf die Improvisation vorbereiten. Der Kunst wird hier der Heiligenschein genommen, die Schauspieler rücken den Zuschauern näher. Sie sind diejenigen, die (stellvertretend für die Zuschauer) das Wagnis der Improvisation eingehen.

Das Publikum wird durch die Vorschläge auch konditioniert, genauer gesagt, das Zuschauen des Publikums wird konditioniert. Als Zuschauer fragen wir uns, ob es den Schauspielern gelingen wird, die Eifersuchts-Szene, wie vorgegeben, komplett gereimt vorzutragen, und dann auch noch an einem Königshof. Umso größer die Freude, wenn es tatsächlich funktioniert. Die Freude verdoppelt sich zudem für diejenigen Zuschauer, die die Vorschläge abgegeben haben, denn ihnen wird ein persönlicher Wunsch erfüllt. Alle Zuschauer sind mit der vorschlagenden Person verbunden. Man wünscht auch diesem einzelnen Zuschauer, dass die Szene gelingen möge. Und wenn die Szene schließlich vorbei ist, gibt es ein kollektives Gefühl, dass sich etwas erfüllt hat, der Kreis hat sich geschlossen.

Nun gibt es aber durchaus Improvisations-Formate, die ganz ohne Publikums-Vorschläge auskommen oder in denen die Interaktion nur eine sehr geringe Rolle spielt: Stell dir vor, du kommst in eine Theatervorstellung und bist eine halbe Minute zu spät. Das Stück ist großartig. Ist es nun am Ende für dich von Bedeutung, ob es improvisiert war oder nicht? Diese Frage, der man manchmal als in Diskussionen über Improvisation begegnet, führt in die Sackgasse, denn entscheidend im Improtheater (wie auch in anderen improvisierten Künsten) betrachten wir nicht das Produkt vom Ende her, sondern immer als Prozess. Insofern spielt das Wissen, dass dieses Stück improvisiert ist ganz sicher während der Performance eine Rolle. Denn das Improvisieren selbst schafft die bereits erwähnte Doppelbindung, die dem gescripteten Theater nur in Ausnahmefällen gelingt. In einem geschriebenen Stück sind wir viel tiefer in die Handlung involviert, die Schauspieler verschwinden hinter ihren Rollen. Und da, wo die Regie das zu konterkarieren versucht, etwa durch den Brechtschen Verfremdungseffekt, sehen wir dann eben den Regisseur oder den Autor hervortreten. Im Improvisationstheater hingegen sind wir sowohl an die Figur und die Handlung als auch an die Improvisierer und den Improvisationsprozess gebunden. Wir fragen uns als Zuschauer nicht nur: „Wird der Kleptomane seiner Frau die Wahrheit sagen?“, sondern wir wollen auch wissen: „Welche Entscheidungen treffen die Improvisierer jetzt?“ Diese zusätzliche Denkspur läuft (mal mehr, mal weniger bewusst) immer mit. Man ist daher als Zuschauer in einem improvisierten Stück oder einer improvisierten Szene nicht nur am Fortgang der Handlung oder der Dichte der Dialoge interessiert, sondern man genießt obendrein den Flow, in dem das Spiel improvisiert wird. Insofern ist Improtheater selbst ohne Publikumsvorgaben deutlich interaktiver als das konventionelle Regie-Theater.

1 Bertolt Brecht kritisierte das Theater seiner Zeit als zu rauschhaft, es wolle die Zuschauer nur in ein emotionales Auf und Ab stürzen; der Zuschauer würde zu sentimental in die Erlebniswelt der Charaktere eingesogen. Bei Brecht sollten die Zuschauer nie vergessen, im Theater zu sein. In gewisser Weise hat Improtheater diesen Ansatz radikalisiert. Der Zuschauer ist hier in einer permanenten Doppelbindung: Man geht mit den Figuren und der Story mit, und auf der anderen Seite beobachtet man gleichzeitig den Prozess des Erschaffens dieser Figuren und der Story.

2 Zum Thema Improtheater als Therapie siehe Improvisationstheater. Band 11: Impro überall

3 Man denke nur daran, wie lange heutzutage im Abspann eines Kinofilms über nahezu sämtliche Berufszweige des Film-Business informiert wird. Die wichtigsten kreativen Künstler – der Drehbuch-Autor, der Regisseur und die Schauspieler arbeiten nicht gleichberechtigt und nicht synchron an dem Werk. Manchmal ist für den Schauspieler nicht einmal die Anwesenheit des Dialogpartners nötig.

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