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1.1Der Genuss des Publikums

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Impro-Spieler machen sich oft Gedanken darüber, was „das“ Publikum sehen will, was es braucht oder was es fordert. Vielleicht ist hier mal ein Perspektivwechsel fällig: Was bereitet denn uns Impro-Spielern Freude, wenn wir im Publikum sitzen? Was hat uns begeistert, als wir das erste Mal Improtheater gesehen haben, als wir noch nichts von den Impro-Techniken wussten, die dahinter stecken, nichts vom feinen Miteinander, das das lockere Impro-Spielen erfordert?

Wenn wir Zuschauern, die zum ersten Mal Improtheater sehen, nach der Show zuhören, werden wir erkennen, dass die primäre Begeisterung immer wieder die Faszination des Spontanen ist:

„Ihr wart so unglaublich schnell!“

„Wo nehmt ihr nur so rasch die Ideen her?“

„Ihr geht so unglaublich gut aufeinander ein.“

„Man hat gesehen, dass ihr euch selber amüsiert habt, wenn ihr von der Antwort eurer Mitspieler überrascht wart.“

Obwohl Improtheater nicht unbedingt komisch sein muss, hat es doch einen Hang zum Komischen, der nicht unbedingt durch die Inhalte des Gesagten zu erklären ist, sondern durch das Spontane selbst. Diese impro-immanente Komik wirkt vor allem dann, wenn der Mechanismus offengelegt wird, das heißt wenn für die Zuschauer die Spielregel sichtbar ist. Aber auch in freien Szenen ist dieser Effekt noch zu beobachten: Ich liefere dir einen Satz, und du musst etwas Sinnvolles darauf erwidern. So entfaltet sich Situations-Komik. Dem Zuschauer wird rasch klar, dass das, was auf der Bühne entsteht, keiner der einzelnen Spieler alleine hätte erfinden können.

Doch auch unabhängig von der impro-spezifischen Komik ist Improtheater für den Zuschauer interessant. Man empfindet Freude, anderen beim Kreativsein zuschauen zu können. Als Zuschauer tauchen wir in den Prozess mit ein, und das können uns nicht-improvisierte Künste nur selten bieten. Bildende Künstler lassen sich in der Regel ungern über die Schulter schauen. Und Schriftsteller reagieren pikiert, wenn man ihnen beim Schreiben auf das Blatt Papier oder auf den Monitor starrt.

Wenn wir ins Kino gehen, ist der Film komplett, das Drehbuch wurde vor Jahren geschrieben, die Darsteller haben ihre Szenen zum Teil zig Mal gespielt. Ganze Szenen sind der Schere zum Opfer gefallen. Das ist alles wunderbar, und wir lieben die großen Filmkunstwerke. Aber Theater oder auch Live-Musik entfalten dann eben doch noch eine andere Art von Magie. Man ist direkt dabei, wie die Schauspieler oder Musiker die Werke des Dramatikers oder Komponisten umsetzen. Rock-Konzerte lösen eine so stark sichtbare und regelrecht spürbare Begeisterung aus, weil es hier weniger um die saubere Performance der Lieder geht, sondern um die gemeinsame Erfahrung.

Auch Regie-Theater lebt von einem gewissen Maß an Improvisation. Gute Schauspieler sind nie allein Text-Aufsager, die ihren Körper dem Regisseur zur Verfügung stellen. Vielmehr müssen sie in der Lage sein, zuzuhören und die Empfindungen der Figur unmittelbar aufleben zu lassen, was dann bedeutet: Sie müssen sie spontan in sich selbst zum Leben erwecken. Dem lebendigen Entstehen des Stücks auf der Bühne als Zuschauer beizuwohnen, kann ein großartiges ästhetisches Erlebnis sein. Schauspiel ist also, trotz allen Probens, auch im Regie-Theater immer wieder ein Stück weit improvisiert. Aber an dem Stück hat der Autor oft monatelang gefeilt. Der Regisseur des Stücks bestimmt letztlich seinen Charakter, er gibt dem Stück den Dreh und legt fest, wie die Schauspieler ihre Rollen aufzufassen haben. Vielleicht hat er den Schauspielern in den Proben Raum zum Improvisieren gegeben oder improvisatorische Elemente genutzt, aber zum Zeitpunkt der Premiere steht das Stück und wird kaum noch mehr verändert. Die Aufgaben des Dramaturgen, des Lichttechnikers, des Bühnenbildners, der Musiker – all das ist festgelegt, und am Tag der Aufführung wird nicht mehr daran gerüttelt.

Im Improtheater entstehen alle diese Parts im Moment. Der Entstehung einer Szene zuzuschauen, kann ungeheure Freude bereiten, denn sie wird nicht von einem Spieler allein, sondern vom Team „geschrieben“, ohne dass ein Schreibprozess überhaupt stattfindet. Vielmehr hätte das Stück kein einzelner Spieler so schreiben können, wie wir es am Ende erlebt haben. Ich reagiere auf dein Angebot, du auf mein Angebot, ein dritter Spieler etabliert eine neue Sequenz, und so fort. Im Idealfall, wenn die Spieler formsicher und sensibel aufeinander eingehen, hat man einerseits fast den Eindruck, die Spieler hätten ein bereits existierendes Stück aufgeführt, andererseits bestaunt man während des Spiels das Geben und Nehmen, das Entstehen einer neuen Form.

Der wesentliche Genuss des Zuschauers besteht also in der Gleichzeitigkeit zweier Genüsse: Erstens dem Genuss von Inhalt und Form einerseits und zweitens dem Genuss, Zuschauer des komplexen Schaffensprozesses zu sein.1

Improvisationstheater

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