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Der Silberhain

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In den nächsten drei Tagen durchquerten die beiden Freunde weite Teile des Waldes. Sie hätten sicherlich noch schneller vorankommen können, wenn sie noch Dwalins Fläschchen mit dem Mimirswasser gehabt hätten. So aber mussten sie einige Umwege in Kauf nehmen, um hier und dort etwas Essen und vor allen Dingen gutes, sauberes Wasser zu bekommen. Jens hatte sich längst in sein Schicksal ergeben und war nur froh, dass er seinen lieben Begleiter hatte, der sich bestens im Wald auszukennen schien. Die Beeren und Blätter allerdings, die Dwalin ihm immer wieder als Nahrung anbot, waren nun gar nicht seine Sache. Von den ekelhaft bitter schmeckenden Wurzeln ganz zu schweigen. So war Jens auch sehr glücklich, als sie gegen Ende des dritten Tages ihrer Reise endlich ein richtiges Abendessen bekommen sollten. Sie erreichten gerade die Landschaft, die man den Silberhain nennt. Die Bäume hier waren nämlich alle aus reinem Silber und sich in ihrer Gestalt sehr ähnlich. Sie waren nicht sehr hoch und hatten einen glatten astlosen Stamm. Da, wo sie endeten, etwa in drei Meter Höhe, wuchsen ihnen dünne gebogene Zweige aus der Krone, an deren Enden jeweils ein kleines silbernes Glockenspiel hing. Die Form der Bäume erinnerte Jens an die alte Wohnzimmerstehlampe von Oma Ilse. Wirr, aber schön klangen die vielen Millionen Glöckchen in der leichten Bewegung des Windes. Da die Silberbäume weder Blätter noch Samen hatten, war auch der Boden des Haines völlig kahl und unbewachsen. Alles sah so gleich aus, dass sich nicht nur ein Fremder unweigerlich hätte verirren müssen. Auch war kein Elbpfad mehr zu sehen, weil es ja keine scharfen Blätter gab, an denen die Elben ihr Licht hätten verlieren können. Der Himmel über dem Silberhain war immer bewölkt, da aus den Baumkronen der Silberbäume wie aus Schornsteinen ständig kleine weiße Wölkchen emporstiegen.

„Wir müssen uns einen Führer rufen“, sagte Dwalin, indem er stehen blieb und sein Geweih am Stamm eines Silberbaumes rieb. „Stell dich auf meinen Rücken und sieh zu, dass du kräftig an einem der Glockenspiele rüttelst!“

Jens versuchte es. Zwei-, dreimal. Es war gar nicht so einfach, auf dem Rücken des Tieres zu balancieren! Jeder weiß das, der schon einmal versucht hat, sich auf den Rücken eines Pferdes zu stellen. Aber bei einem Hirsch hatte man wenigstens noch das Geweih, an dem man sich festhalten konnte und Dwalin gab sich wirklich alle Mühe ganz ruhig zu stehen. Endlich stand Jens sicher und rüttelte mit Kraft an dem nächst erreichbarem Glockenspiel. Nach einer Zeit hörte er aus dem Innern des Baumes eine Stimme: „Ja, ja, ja - ich komme ja!“

Jens hörte auf zu schütteln und blickte zur Baumkrone hinauf. Da erschien, aus dem Inneren des Baumes hinaufgeklettert, auf einmal ein kleines Silbermännchen in der Mitte der Glockenspiele. Der kleine Kerl bestand wirklich ganz und gar aus Silber. Selbst die Haare auf dem winzigen Kopf waren feinst gesponnene Silberfäden, die drahtig in alle Richtungen abstanden. Das Silbermännchen schaute zu Jens hinab. „Was willst du?“, giftete es ihn an, „es ist Mittagszeit, da stört man keine Leute.“

„Ich will durch den Wald“, entgegnete Jens.

„Bitte, bitte geh nur, dazu brauchst du meine Erlaubnis nicht“, erwiderte das Männchen spöttisch und wollte wieder in seinem Baum verschwinden.

„Warte, nicht so hastig“, röhrte Dwalin von unten hinauf. „Wir wollen uns nicht verirren. Wir müssen Richtung Norden!“ Das Männchen stutze und blickte auf den Hirsch hinab. Es kratzte sich fragend den Kopf. Dann schaute es Jens an und lachte: „Respekt, Teufel auch, wie hast du das geschafft? Du reitest einen verzauberten Gnom. Ts, ts, ts, ist ja nicht zu glauben.“ Das Männchen neigte sich Jens zu und flüsterte: „Wie hast du das geschafft? Gnome lassen sich gerne tragen, sie sind ein faules Geschlecht. Sie rauben die Wälder aus und verfertigen in der Erde allerlei nutzloses Geschirr. Aber, dass einmal ein Gnom jemanden trägt, ist mir noch nicht untergekommen. Wie hast du das nur gemacht?“

„Er ist mein Freund.“

Das Silbermännchen bog sich ungläubig zurück und sagte mit einer verächtlichen Bewegung: „Freund? Hahaha, wüsste nicht, dass Gnome Freunde haben. Aber mir kann’s ja egal sein. Ihr wollt nach Norden? Gut? Wie viel Silber habt ihr dabei?“

„Wir haben kein Silber“, entgegnete Jens.

„Und warum belästigt ihr mich dann“, schrie das Silbermännchen, „dein Gnom hätte wissen müssen, dass man uns nur mit Silber bezahlen kann!“

So war es. Das Volk der Silberleute lebte davon, dass sie eine Art Silberzoll verlangten und im Gegenzug Reisende mehr oder weniger sicher durch den Hain führten. Sie benötigten das Silber, um ihre Bäume instand zu halten, denn in jedem Baum lebte eine Silbermannfamilie. Aber auch, wenn man die Silbermännchen bezahlte, konnte man sich nie ganz sicher sein, ob man auch zu dem Punkt am anderen Ende des Haines geführt wurde, zu dem man wollte. Der Kurs, den die Führer wählten, war immer ein anderer und führte erst einmal kreuz und quer durch große Teile des Haines, damit sich niemand den Weg hindurch merken konnte. Der Lotsendienst war nämlich die einzige Einnahmequelle des Silbervolkes und darauf wollten und konnten sie nicht verzichten. Das Silbermännchen machte sich gerade wieder auf den Weg ins Innere seines Baumes als Jens rief: „Warte, warte! Wir haben Kupfer.“ Er schnürte das Bündel auf seinem Rücken auf, in welchem sich Dwalins Hausrat befand. „Hier Kupferlöffel, -teller, -schalen, alles was du willst“, pries er an. „Hm, Kupfer“, überlegte das Männchen und kratze sich dabei erneut den Kopf. „Kupfer - ich mache mich ja zu Gespött des ganzen Volkes. Aber du hast Glück, ich habe im Innern des Baumes eine undichte Stelle und Kupfer wird es wohl erst mal tun. Da sieht es ja keiner!“

„Ja ja genau. Welches Teil willst du?“

„Gib schon her. Gib alles her, das ist ja wohl das Mindeste!“

Jens blickt zu Dwalin. Der Hirsch nickte: „Gib’s ihm nur. Belasten wir uns nicht mit dem Zeug.“ Jens tat es ungern. All dieses kunstvoll geschmiedete Geschirr. Aber sie mussten hindurch, sie mussten weiter. Das Silbermännchen nahm alles an sich und warf es scheppernd in den Baum hinein.

„Jetzt passt gut auf! Ihr hört gleich eins meiner Glockenspiele. Merkt euch den Ton gut! Ihr müsst ihm folgen. Wo immer er im Hain erklingt, dahin reitet ihr!“ Jetzt zählte das Männchen willkürlich mit einer Art Kinderreim die Glockenspiele ab:

„Kling klang, du bist dran,

zähle kleiner Silbermann.

Glöckchen mein, Glöckchen dein,

führt dich durch den Silberhain.“

Als er geendet hatte, griff er das Glockenspiel, auf welches sein Finger zeigte, und schüttelte es lange und kräftig. Dwalin und Jens schlossen die Augen, um sich den Ton besser zu merken. Als es vorbei war, öffneten sie die Augen wieder und blickten das Silbermännchen an. Dieses zeigte nur stumm auf sein Ohr und deutete mit einer großen Geste in die Tiefe des Haines. Dann verschwand es völlig geräuschlos in seinem Baum.

Eine ganze Weile standen die beiden Freunde nun da und hörten auf das Klingen des Haines. Schließlich ritten sie hinein. In einiger Entfernung meinte Jens den bestimmten Ton aus dem Gewirr von Klängen herauszuhören. Sie gelangten näher heran und als sie den Baum, woher das Geräusch kam, erreichten, sahen sie noch, wie ein Silbermännchen gerade im Inneren verschwand und der Ton verstummte. Jetzt meinte Dwalin, den Ton zu hören und er preschte in eine völlig andere Richtung. Und wieder, als sie den betreffenden Baum erreichten, sahen sie gerade noch das Silbermännchen verschwinden und der Ton verstummte. So ging es nun eine lange Zeit von einem Ton zum anderen, von diesem Baum zu jenem und immer, wenn sie ihr Ziel erreichten, verschwand das Silbermännchen und verstummte der Ton. Als sie schon verzweifelt aufgeben wollten, bemerkte Jens, als er in die Richtung schaute, aus der der Ton diesmal kam, etwas Grünes zwischen dem silbrigen Schein. „Da, da“, rief Jens, „das muss der Ausgang sein.“ Und tatsächlich, als sie näher kamen, gelangten sie völlig erschöpft aus dem Irrwald hinaus.

Wo sie jetzt waren, kannte auch Dwalin sich nicht mehr aus. Er konnte nicht sagen, ob sie den Hain Richtung Norden oder in eine andere Richtung verlassen hatten. Es war auch kein Elbpfad zu sehen und vor ihnen lag grüner, stockfinsterer Wald, in den ein schmaler Weg hineinführte. Egal. Sie nahmen den Weg und schlichen müde noch ein, zwei Stunden in den Wald hinein. Dwalin hatte Jens gebeten, abzusteigen, als er merkte, dass der Runenzauber seine Kraft langsam verlor.

Der Hirsch entdeckte in einiger Entfernung ein beleuchtetes Haus und eben, als er Jens darauf aufmerksam machen wollte, gab es einen lauten Knall und das schöne Tier löste sich in weißen Nebel auf. „Hast du mich erschreckt!“, sagte Jens und hob seinen kleinen zurückverwandelten Freund liebevoll auf. „Es tut mir Leid“, sprach der Gnom „ich weiß nie genau, wann es passiert! Da - hast du das Haus dort gesehen? Lass uns dort anklopfen. Ich spüre, dass die Nacht sehr kalt werden wird.“

Als sie näher herankamen, bemerkte Jens, dass das Haus von außen eine ungeheure Ähnlichkeit mit dem alten Forsthaus im Grechmer Busch hatte. Gleichwohl wusste er aber, dass es sich um ein völlig anderes Haus handeln musste. Sein Magen knurrte nervös und eine leichte Übelkeit machte sich breit, als er anklopfte. Die Tür öffnete sich und eine alte Frau, die ein wenig so aussah wie Oma Ilse, bat die beiden Wanderer freundlich hinein.

Alles Unbehagen war bei Jens sofort zerstreut. Von dieser Frau konnte nur Gutes ausgehen. „Setzt euch“, bat die Alte, „ihr habt bestimmt Hunger.“

Zur Antwort kamen sie nicht mehr, denn die Gastgeberin hatte schon aufgedeckt, und, als hätte sie die beiden erwartet, füllte sie dampfende köstlich riechende Speisen auf die Teller.

„Esst und trinkt“, sprach sie und setzte sich lächelnd hinzu. So gut hatte Jens wohl noch kein Essen geschmeckt. Es gab nur die köstlichsten Dinge: Kartoffelklöße mit Bratwurst, Rotkohl und Apfelmus. Woher kannte die Frau seine Lieblingsspeisen und warum war alles bereits zubereitet?

Auch Dwalin labte sich an seinem Leibgericht, eine etwas unansehnliche Wurzelsuppe mit verschiedenen Pilzen.

„Ihr wollt nach Norden? Zum Baum des Wissens? Seid unbesorgt. Ihr seid auf dem richtigen Weg“, sagte die Alte, „wenn ihr morgen ausgeschlafen habt, folgt einfach den Farben der Blätter: Wo sie mehr blau als grün schimmern, da geht es nach Norden!“

Die Alte sah, wie Jens verwundert fragen wollte, woher sie denn das alles wisse, und bevor er dazu kam, seine Frage zu stellen, sagte sie, indem sie ihren Zeigefinger auf seinen Mund legte: „Frage nicht! Schlafe! - Ich habe dir und deinem Freund ein Zimmer bereitet, warme weiche Decken behüten euren Schlaf.“

Erst als sie so satt waren, dass sie wirklich nichts mehr essen konnten, nahm die Alte beide an die Hand und führte sie in die Kammer. Für jeden war dort ein Bett in der passenden Größe bereitet und liebevoll sprach die Gastgeberin: „Wenn ihr baden wollt, im nächsten Zimmer ist eine Wanne mit heißem Wasser und Seife. Schlaft gut und kommt zu Kräften.“ Mit diesen Worten war sie auch schon aus dem Zimmer verschwunden. Jens nutzte noch die Gelegenheit für ein Bad, und als er wieder in das Schlafzimmer zurückkam, hörte er auch schon, wie Dwalin zufrieden schnarchte. Jens war so müde, dass ihn die lustigen, fast wie hohes Pfeifen klingenden Geräusche, die der Gnom verursachte, nicht am sofortigen Einschlafen hindern konnten.

Am nächsten Morgen wunderten sie sich nicht schlecht, als sie am Fuße einer großen Eiche aufwachten. Ihre Körper waren mit herbstlichem Laub bedeckt. Da war nichts mehr zu sehen von einem Haus und einer lieben alten Frau. Jens blickte Dwalin ungläubig an. „Haben wir das nur geträumt?“

„Ja und nein“, antwortete dieser, „ich habe früher oftmals die Geschichte von der „Fata der Gastlichkeit“ gehört. Dachte aber bisher immer, es sei ein Märchen. Gutgut, jaja stimmt also. Mal seh’n.“

Er kramte in seinem Gedächtnis.

„Nachts, heißt es, sehen müde Wanderer ihr Haus und finden dort alles, was sie sich wünschen: zu essen, zu trinken, warme Betten und die Mutterliebe, die dem Reisenden das Heimweh stillt. Jaja, genau so hat es meine Mutter mir stets erzählt. Es schläft der Gast im wohligsten Gefühl und schöpft Kraft für seinen weiten Weg. Wenn er aber morgens aufwacht, sieht er sich getäuscht. Es ist nichts mehr da, nur die Kraft der schönen Illusion ist ihm geblieben, so dass es gar keinen Unterschied macht, ob es wirklich passiert ist oder nur geträumt war.“

Jens und Dwalin standen auf und klopften sich die Blätter vom Leib. Erfrischt blickten sie umher und erkannten bald, dass in der einen Richtung des Weges die Blätter einen bläulichen Schimmer bekamen, wenn die Morgensonne auf das Laubdach fiel. In diese Richtung also gingen sie sich reckend und gähnend ihrem Ziel entgegen.

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