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Die Verwandlung

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Nach etwa einer Stunde wurde Jens immer mulmiger zumute. Er schaute auf seine Uhr. Es wurde immer dunkler, dabei hätte schon längst der Tag anbrechen müssen. Es kam ihm auch überhaupt nichts bekannt vor, und so groß war der Grechmer Wald ja nun wahrlich nicht. Weit und breit waren weder das Forsthaus noch der Hauptweg zu sehen. Doch noch war Jens nicht bereit zuzugeben, dass ihn das Schicksal an einen ganz anderen, ihm unbekannten Ort verschlagen hatte, dass das Geheimnis des Waldes Besitz von ihm ergriffen hatte.

Er wunderte sich, dass sein Führer immer ganz bestimmt die Richtung angab, obwohl da keinerlei Anhaltspunkte für ihn zu erkennen waren; denn sie gingen einfach mitten durchs Gestrüpp. „Wie kommt es“, fragte er schließlich, „dass du weißt, wo Norden ist, wenn du nicht weißt, wo der Wald endet?“

„Ich kenne den Mittelpunkt des Waldes, aber seine Enden nicht“, antwortete das Wesen in seinem Nacken, „und von der Mitte aus weisen die Äste eines Baums in alle vier Richtungen des Waldes. Außerdem führen ja alle Elbpfade nach Norden.“

„Was sind Elbpfade?“

„Wir gehen gerade auf einem“, belehrte ihn Dwalin, „Elbpfade sind die Wege, die Lichtelben auf ihrem Zug nach Norden nehmen, dabei verletzen sich die zarten Wesen oftmals an den scharfen Blättern der Bäume und etwas von ihrem Licht bleibt daran hängen oder tropft auf den Boden. Siehst du hier: Die Spitze des Tropfens weist in unsere Richtung.“

Der Gnom griff sich einen Ast und riss ein Blatt ab, an dem tatsächlich ein winziges Tröpfchen Licht wie ein Wassertropfen hing. So etwas hatte Jens noch nicht gesehen. Er war begeistert und nun, da er dieses Geheimnis kannte, sah er überall die winzigen Lichttröpfchen, die wie mikroskopische Perlenschnüre in die Richtung wiesen, in die er lief. Für einen Moment schien die schreckliche Situation, in die ihn der alte Förster gebracht hatte, vergessen. Ja, Jens genoss sogar kurz den Zauber des Waldes, bis ihn die Ängstlichkeit seines eigenen Verstandes plötzlich zurückrief. Die Begeisterung schlug um in Furcht. Was, wenn der Wald ihn bereits verschlungen hatte, wie viele Menschen vor ihm. Wenn alles stimmte, was die Leute sagen? Was, wenn der Wald ihn nie mehr freigeben wollte?

„Nach Hause!“, dröhnte es bald in seinem Kopf, „nach Hause!“ Er lief schneller. Minute für Minute immer dasselbe Bild. Ihm war, als käme er nicht von der Stelle. Er schloss die Augen und fing an zu rennen, als wolle er einem bösen Traum entkommen. „Nach Hause!!“, flüsterte er dabei immer wieder, „nach Hause!“, und rannte und rannte. Ein plötzlicher Aufschrei riss ihn aus seinem Zustand. Erschrocken blieb er stehen.

Er öffnete die Augen. Hinter ihm fluchte und schimpfte es gewaltig: „Pass doch auf, du klobiger halbierter Jote, du dämlicher!“

Jens drehte sich um. Er war beim Rennen knapp unter einem mächtigen Eichenast gesaust und dieser hatte den Gnom mit voller Wucht von seinen Schultern gerissen. Da saß die kleine Gestalt nun im Laub, neben ihm das zerbrochene grüne Fläschchen, und ließ sich in den wüstesten Beschimpfungen über die Ungeschicklichkeit seines Trägers aus.

Jens fühlte eine starke Beklemmung im Herzen. Er musste sich hinsetzen. Jetzt hatte er Gewissheit. Er würde nicht aufwachen. Er war gefangen, gefangen in einer völlig fremden Welt. Es war also kein Traum. Seinen Garten, Grechem, Oma Ilse, Monika ... vielleicht würde er alles, was ihm lieb war, niemals wiedersehen. Er schnappte nach Luft. Mit Gewalt presste eine unsichtbare Kraft seinen Brustkorb zusammen. Die Schmerzen wurden unerträglich. Er fing leise an zu weinen. „Nach Hause“, schluchzte er, „nur nach Hause.“

Dwalin hatte seine Beschimpfungen eingestellt. Mitleid überkam ihn, als er den großen Jens so fürchterlich weinen hörte. Er sprang auf und klopfte sich das Laub aus dem Fell. Dann griff er seinen Runenstab und schmiegte sich tröstend an Jens’ Wange, indem er geschickt an dessen Bein heraufgeklettert war. „Weine nicht“, sprach er jetzt mit einer warmen, ganz anderen Stimme, „ich werde dir helfen nach Hause zu kommen und wenn ich den Wald dafür verlassen müsste - Du bist nicht allein.“

Jens schaute zu Dwalin. Die großen gelben Augen blickten ihn liebevoll an. „Weine nicht. Du hast mich getragen, nun werde ich dich tragen.“ Da musste Jens sein Schluchzen durch ein kurzes dankbares Lachen unterbrechen. Wie sollte das wohl gehen, ein so kleines Wesen könnte ihn doch nicht tragen. Mit seinen langen fünfgliedrigen Fingern wischte der Gnom die letzten Tränen aus Jens’ Augen. „Da, nimm das!“, sagte er und reichte ihm seinen Runenstab. Jens nahm den Stab und beobachtete, wie Dwalin sogleich von ihm herunterkletterte und zu seiner Unglücksstelle huschte. Dort griff er sich eine Scherbe des grünen Fläschchens und eilte wieder zurück.

„Nimm sie“, sprach er, „und ritze deine Runen in den Stab!“

„Was soll ich tun?“

„Du musst deine Runen hineinritzen. Es muss doch Jensrunen geben.“ Jens hatte begriffen. Seinen Namen sollte er mit der Scherbe in das Holz schreiben.

„Wo?“

„Da, da unter den letzten.“

Er betrachtete den schwarzen Stab genauer. Es war ganz glattes Holz, das zum einen Ende hin minimal schmaler wurde. Er sah auf die Enden des Stockes und erkannte, dass an der etwas breiteren Seite bereits lauter merkwürdige Zeichen eingeritzt waren. Da, wo die Runen aufhörten, begann nun Jens seinen Namen einzuschneiden. Das war gar nicht so einfach und er brauchte seine Zeit dafür. Skeptisch begutachtete Dwalin schließlich die fertige Arbeit. „Na ja, gut gut, mag sein, deine Runen also, gut gut. - Jetzt ritze eine Linie unter deine Runen und ich will meine darunter setzen.“

Gesagt getan. Jens bewunderte die Geschicklichkeit, mit welcher Dwalin die wunderschönen Zeichen in den Stab schnitt. Als der Gnom fertig war, nahm Jens den Stab wieder in Empfang. Er versuchte Dwalins Namen zu erkennen. Es waren drei kunstvoll gefertigte Ornamente, von denen das erste etwa aussah wie ein Tannenzapfen, der einen Kreis auf der Spitze trägt, das zweite waren zwei Wellenlinien, auf denen ein Dreieck schwamm, und das dritte Zeichen sah aus wie der Buchstabe Ypsilon zweimal ineinander verschoben. Sein eigener Name sah dagegen langweilig und simpel aus.

„Wie spricht man es aus?“, fragte Jens und der Gnom antwortete gedehnt: „Dwaaalin.“

Dwalin befeuchtete nun die Spitze des Stabes mit den Tropfen, die von Jens Tränen noch an seinen Fingern waren. „Jetzt halte den Stab auf meine Stirn und pass gut auf!“, wies ihn der Gnom an. Jens tat, wie ihm gesagt wurde, und als er Dwalins Stirn berührte, begann dieser beschwörend zu murmeln:

„Klein ist das Kind,

Mächtig der Mann,

Friedlich die Frau,

Träne wird Tau,

Dwalin wird dann

Schnell wie der Wind!“

Der Tropfen auf dem Stab begann zu dampfen wie kochendes Wasser. Immer mehr Rauch entwickelte sich am Ende des Stabes. Wie gebannt stand Jens da und stierte regungslos auf das Geschehen. Da begann sich der weiße Dampf vom Holz zu lösen und umhüllte die Gestalt des Gnoms wie eine zweite Haut. Nun zerrte die Nebelhaut an Dwalin, als wäre er aus knetbarer Masse. In Sekundenschnelle dehnte sich der kleine Körper in hundert undefinierbare Formen und wuchs dabei immer weiter, bis er schließlich in Form und Größe ganz der Gestalt des Waldwildes glich. In diesem Moment verpuffte der Nebel und tatsächlich: vor Jens stand jetzt ein prächtiger goldbrauner Hirsch: Ein Zwölfender. Jens war sprachlos. Mit offenem Mund stand er vor der Erscheinung. Der Hirsch neigte sein Haupt zu ihm herunter und sprach: „Staune nicht, mein Jens, jaja ich bin es noch, Dwalin. Komm! Schwing dich auf meinen Rücken. Ich will Dich so schnell es geht zum Baum des Wissens bringen, denn dein Herz ist gut und du hast mich getragen.“

Der Hirsch legte sich auf den Boden, so dass Jens besser hinaufgelangen konnte. Wie weich und angenehm fühlte sich das glänzende Fell an.

„Nimm den Runenstab und halte dich gut fest. Am besten, Du ergreifst mein Geweih.“ Jens tat es und mit einem Schwung stand Dwalin auch schon auf allen Vieren und brauste wie der Sturmwind los den Elbpfad entlang Richtung Norden.

Der magische Met

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