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Harte und weiche Trends

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Die meisten Leute halten Vorhersagen für zweifelhaft, weil sie auf der Grundlage von Trends erstellt werden, auf die man sich besser nicht verlassen sollte. Gemeinhin werden Trends mit Modeerscheinungen gleichgesetzt: Heute ist etwas schwer angesagt und schon morgen spricht kein Mensch mehr darüber. Wenn etwas »trendy« ist, ist es eben gerade in Mode, und wie jeder weiß, ändert sich die Mode ständig. »Das ist wieder so ein neuer Trend«, heißt es oft. »Auf ihn zu setzen ist ein Glücksspiel. Vielleicht setzt er sich durch, vielleicht auch nicht.«

In der Wissenschaft, Technik und Wirtschaft bezeichnet der Begriff »Trend« aber keine Modeerscheinung, sondern die »Grundrichtung einer Entwicklung oder Veränderung, von der angenommen wird, dass sie längerfristig und nachhaltig wirkt« (Gabler Online-Wirtschaftslexikon: www.wirtschaftslexikon.gabler.de). Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die ich in 25 Jahren Forschungsarbeit gewonnen habe, ist, dass es zwei unbedingt zu unterscheidende Arten von Trends gibt. Ich bezeichne sie als weiche und harte Trends. Weiche Trends verleiten zu Vorhersagen, die ebenso unwahrscheinlich sind wie meine Elvis-Imitatoren-Hochrechnung und die Billionen-Überschuss-Prognose.

Ein harter Trend dagegen ist eine Hochrechnung auf der Basis messbarer, konkreter und kalkulierbarer Fakten, Ereignisse oder Objekte. Ein weicher Trend ist eine Hochrechung auf der Basis statistischer Werte, die den Anschein erwecken, konkret und kalkulierbar zu sein. Ein harter Trend lässt heute erkennen, was in der Zukunft sicher geschehen wird, während ein weicher Trend nur zeigt, was geschehen könnte. Das ist der Unterschied zwischen Fakt und Fiktion.

Diese Unterscheidung verändert den Blick in die Zukunft radikal. Wenn Sie wissen, wie Sie harte und weiche Trends voneinander unterscheiden können, wissen Sie auch, welche zukünftigen Entwicklungen Sie treffsicher vorhersehen können und welche nicht. Durch diese Unterscheidung sind Sie in der Lage, von sicheren Fakten auszugehen, weil sie Ihnen klar und deutlich offenbart, was in Zukunft sicher und was eventuell geschehen wird. Der Grund, weshalb Trends gemeinhin als unzuverlässiges Prognoseinstrument gelten, ist, dass die wenigsten gelernt haben, harte von weichen Trends zu unterscheiden. Ein »Elvis-Trugschluss« ist nur möglich, wenn ein weicher mit einem harten Trend gleichgesetzt wird. Weiß man, wie sich der eine vom anderen unterscheiden lässt, weiß man auch, wann man sich auf sicherem Boden befindet. Und von diesem aus lässt sich ziemlich deutlich erkennen, was die Zukunft bringt.

Der Ende der 1990er Jahre von der US-Regierung prognostizierte Billionen-Überschuss beruhte ebenfalls auf einem weichen Trend, der irrtümlicherweise als zuverlässig und nachhaltig betrachtet wurde. Man rechnete nicht nur fest mit dem Geldsegen, sondern nahm ihn sogar vorweg und belastete den Etat mit Investitionen auf Pump. 1999 war ein finanziell so hervorragendes Jahr für Amerika, dass uns die Begeisterung vom Boden der Tatsachen abheben ließ. Wir waren hypnotisiert von dem weichen Trend wie ein Kaninchen, das regungslos vor einer Schlange sitzt. Ein typischer Elvis-Trugschluss!

»Harte Zahlen« allein sind keine Garantie für einen harten Trend. Meine Elvis-Hochrechnung beruhte ausschließlich auf harten Zahlen, die ich absolut korrekten Statistiken entnahm, einen harten Trend stellten sie jedoch ganz offensichtlich nicht dar. Warum nicht? Weil der Trend auf veränderbaren Werten beruhte. Die Entscheidung, sich als Elvis-Imitator seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist eben genau das: eine persönliche Entscheidung für einen Beruf, und wie das mit der freien Berufswahl nun einmal so ist, können sich die Interessen und Perspektiven jederzeit ändern. Eine Zukunftsprognose auf der Basis der Zuwachsrate von Elvis-Imitatoren zu erstellen, ist ebenso zweifelhaft wie die Vorhersage, dass es nach einer regnerischen Woche bis in alle Ewigkeit regnen wird oder sich die im Vorjahr erzielte Verdoppelung des Umsatzes für Hula-Hoop-Reifen oder Teddybären in den kommenden Jahren fortsetzen wird. Das sind Trends, die vom aktuellen Zeitgeist, klimatischen Bedingungen oder der Mode diktiert werden, und keine Trends, denen unumstößliche, nachhaltige und langfristig wirkende Triebkräfte zugrunde liegen.

Die Unterscheidung zwischen harten und weichen Trends ist allerdings nicht immer so einfach zu treffen. Die Billionen-Überschuss-Prognose klang für viele Beobachter durchaus realistisch. Das ist das Problem mit weichen Trends. Manche sind eindeutig als solche erkennbar – wie meine Elvis-Prognose –, andere scheinen bei oberflächlicher Betrachtung durchaus glaubwürdig zu sein. Doch auch der schönste Schein ist trügerisch, und sofern der Trend nicht auf einer Entwicklung beruht, die unumstößlich ist und auf ein klar erkennbares Ergebnis hinausläuft, darf man ihm nicht trauen. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob Sie Spekulationen darüber anstellen, was sein könnte, oder ob Sie wissen, was sein wird. Wenn Sie diese Unterscheidung treffen, sind Sie Ihren Mitbewerbern tatsächlich um Nasenlängen voraus.

Harten Trends können sowohl zyklische als auch lineare Prozesse zugrunde liegen, weshalb auch die Trendlinien zyklisch oder linear verlaufen. Wenn beispielsweise der Aktienmarkt heute einbricht, lässt sich mit Sicherheit vorhersagen, dass die Werte auch wieder nach oben klettern. Das Auf und Ab an der Börse ist ein zyklischer Prozess und zugleich ein harter Trend.

Wann genau die Werte wieder nach oben klettern und wie hoch, lässt sich dagegen nicht vorhersagen. Zu welchem Zeitpunkt und in welchem Ausmaß sich das Börsenklima ändert, hängt vom Verhalten und den Entscheidungen der Investoren ab und ist somit ein weicher Trend. Sicher ist nur, dass die Kurse nach einer Talfahrt wieder steigen und nach einem Höhenflug wieder fallen. Das mag nun nach einer extrem vereinfachten Darstellung der Finanzmärkte klingen, aber es ist ein harter Trend, der sich für Warren Buffett als absolut zuverlässig und höchst lukrativ erwiesen hat.

In Anbetracht der rasanten Geschwindigkeit, mit der in den letzten Jahren immer schnellere und bessere Laptops auf den Markt kamen, lässt sich problemlos die Vorhersage treffen, dass sie in Zukunft noch schneller und noch besser werden. Die zunehmende Rechengeschwindigkeit und Speicherkapazität von Computern ist ein eindeutig linearer Prozess und ein harter Trend.

Welcher Hersteller in fünf Jahren das beste, leistungsfähigste Spitzenmodell auf den Markt bringen wird, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorhersagen. Dass sich die Computertechnik ständig weiterentwickelt, ist ein harter Trend. Wer sich die technologischen Fortschritte zunutze machen und als Erster vermarkten wird, ist ein weicher Trend.

Um den Blick für harte Trends zu schärfen, möchte ich ein Beispiel aus der Mitte des 20. Jahrhunderts aufführen, als GM noch ungeschlagen an der Spitze stand und die suburbanen Wohngebiete in den USA aus allen Nähten zu platzen drohten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kehrten die siegreichen amerikanischen Soldaten aus der Schlacht zurück und feierten das Wiedersehen mit ihren Liebsten. Neun Monate später geschah etwas, das zu hundert Prozent absehbar war: Es wurden sehr, sehr viele Babys geboren. 78 Millionen Amerikaner kamen in der Babyboom-Phase zwischen 1946 und 1964 auf die Welt. Auch in Japan, Europa und vielen anderen Industrienationen stellen die Nachkriegsjahre die besonders geburtenstarken Jahrgänge dar.

Bevölkerungsstatistiken sind eine der Hauptquellen für konkrete, messbare Daten, die harte Trends erkennen lassen, und der Babyboom nach dem Zweiten Weltkrieg ist eines der eindeutigsten und dramatischsten Beispiele. Der sprunghafte Bevölkerungszuwachs ist eine im wahrsten Sinne des Wortes greifbare und nicht umkehrbare Tatsache: Die vielen Millionen Menschen, die während dieser Zeitspanne geboren wurden, lösen sich ja nicht einfach wieder in Luft auf. Und während die vielen Millionen Babyboomer altern, ergeben sich eine ganze Reihe von Konsequenzen, die ebenso zu hundert Prozent absehbar sind.

»Alles nichts Neues«, mag sich jetzt so mancher Leser denken. Die mit dem Babyboom einhergehenden Probleme sind doch bekannt. Davon hat jeder schon mal gehört. Stimmt! Und genau deshalb ist es ein so aufschlussreiches Beispiel. Obwohl angeblich alle wissen, was auf uns zukommt, werden keine geeigneten Maßnahmen ergriffen. Es ist doch höchst erstaunlich, dass ein harter Trend, der seit 50 Jahren klar ersichtlich ist, uns in jeder entscheidenden Phase seines Verlaufs mit Problemen konfrontiert, auf die wir nicht vorbereitet sind.

Schon als die amerikanischen Streitkräfte 1945 mehr oder weniger zeitgleich aus dem Krieg zurückkehrten, war absehbar, dass dies nicht ohne Folgen bleiben würde. Es wurde aber nicht berücksichtigt, und so gab es 1946 nicht genügend Krankenhausbetten für die zahlreichen Schwangeren, die kurz vor der Niederkunft standen.

Gut, das mit den Krankenhäusern haben wir glatt vergessen, könnte man sagen. Fehler sind schließlich dazu da, um aus ihnen zu lernen. Nach der ersten massiven Geburtenwelle hatten wir ja reichlich Zeit, um uns darauf vorzubereiten, dass die vielen Neugeborenen nach vier, fünf Jahren ins Kindergartenalter kommen. Kein Problem, oder? Doch! Obwohl der skandalöse Mangel an Geburtskliniken über Jahre in den Medien angeprangert wurde, fehlte es nach fünf Jahren plötzlich an Kindergärten. Und – kaum zu glauben, aber wahr – nach sieben Jahren stellte man fest, dass es nicht genug Grundschulen gab, einige Jahre später fehlte es an weiterführenden Schulen und – wer hätte es gedacht – wieder einige Jahre darauf an Hochschulen und Universitäten.

War das wirklich alles vorhersehbar? Ja. Man hätte sich nur ernsthaft und intensiv mit diesen harten Trends befassen müssen.

Kürzlich waren einige meiner Mitarbeiter und ich als Berater bei einer großen Versicherungsgesellschaft. Ich sprach gerade über harte und weiche Trends, sichere Fakten und demografische Daten als Trendindikatoren, als mich einer der Herren unterbrach: »Ja, ja, das mit den demografischen Daten und der Babyboom-Problematik ist uns bekannt, wir wissen Bescheid.«

»Großartig«, entgegnete ich, »dann muss ich das Thema ja nicht weiter vertiefen. Vielleicht beantworten Sie mir nur kurz zwei Fragen: Erstens, wie viele Topvertriebsleute beschäftigen Sie weltweit in etwa?«

Prompt wurde mir die Zahl genannt. Sie war erstaunlich hoch!

»Gut, mal sehen, ob Sie mir die zweite Frage auch so prompt beantworten können«, fuhr ich fort. »Wie viele dieser Topvertriebsleute, die 80 Prozent oder mehr Ihrer globalen Umsätze erwirtschaften, gehen in den nächsten drei Jahren in Rente?«

Betretenes Schweigen. Sie hatten keine Ahnung. Keine der Führungskräfte war je auch nur auf die Idee gekommen, sich diese Frage zu stellen.

Einer der Anwesenden klappte sein Laptop auf. Da die Daten der Vertriebsmitarbeiter in der Datenbank abgespeichert waren, war es nicht weiter schwierig, die Antwort herauszufinden. Als sie vorlag, wurde aus dem betretenen Schweigen eine Schockstarre. 60 Prozent! Im Lauf der nächsten drei Jahre würden 60 Prozent der Topvertriebsleute in den Ruhestand gehen und ihr Wissens- und Erfahrungsschatz mit ihnen. Diese wichtige neue Erkenntnis traf die Führungskräfte wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Weshalb hatten sie diese Entwicklung nicht vorausgesehen? Weil sie blind waren für das, was vor ihrer Nase lag. Sie hatten es sich nicht zur Gewohnheit gemacht, von sicheren Fakten auszugehen.

Etwa zur selben Zeit beriet ich auch führende Vertreter des USamerikanischen Sozialversicherungswesens – der Social Security Administration. Mein Ansprechpartner, der mich eingeladen hatte, stellte mich zu Beginn der Sitzung dem Leiter der Schulungsabteilung vor, und wir unterhielten uns darüber, was auf diesen Sektor zukommen würde.

Am 1. Januar 2008 um 00:01 Uhr wurde die Amerikanerin, die den Beginn der Babyboom-Phase markierte, 62 Jahre alt und hatte somit Anspruch auf ein vorgezogenes Altersruhegeld.1 Im selben Jahr erreichten weitere 3,2 Millionen US-Bürger ihr 62. Lebensjahr – also etwa 365 pro Stunde. Aktuell beziehen 50 Millionen Amerikaner Sozialleistungen, bis 2030 werden es 84 Millionen sein. Aus den heute rund 44 Millionen Medicare-Leistungsempfängern – Medicare ist die sozialstaatliche Krankenversicherung für behinderte und über 65-jährige US-Bürger – werden 79 Millionen. Dann sind wir an einem Punkt angelangt, an dem zwei Arbeitnehmer mit ihren Sozialversicherungsbeiträgen die Leistungen für einen Pensionär finanzieren. 1945 lag dieses Verhältnis noch bei 42 zu 1.2

Ich fragte auch in dieser Runde, ob sich meine Gesprächspartner der Konsequenzen bewusst wären, die die demografische Entwicklung für ihre Organisation hätte: »Wie viele aus diesem Kreis gehen zum Beispiel in den nächsten Jahren in den Ruhestand?« Die Runde bestand aus relativ vielen hochrangigen Führungskräften, von denen nicht wenige die Hand hoben. Der Schreck stand allen ins Gesicht geschrieben. Ein beträchtlicher Anteil derjenigen, die Schlüsselpositionen innehatten und über den größten Erfahrungs- und Wissensstand verfügten, würde sich demnächst verabschieden.

»Wenn wir nur wüssten, was wir alles wissen«, hörte ich den CEO von Sony einmal sagen. Er bezog sich damals auf Daten, die irgendwo auf Sony-Computern abgespeichert waren, aber meiner Ansicht passt sein Spruch auch in diesem Kontext: Wir glauben zu wissen, dass die Babyboom-Generation nun ins Rentenalter kommt – aber wissen wir denn wirklich, was das bedeutet?

Bereits zwei Monate nach dem ersten Beratungsgespräch machte sich besagter Trend empfindlich bemerkbar. Zuerst ging mein Ansprechpartner bei der Behörde in den Ruhestand, vier Wochen später folgte ihm der Schulungsleiter. Der Exodus der in die Jahre gekommenen Babyboomer hatte begonnen. Genau genommen verlassen sie zwar die Behörde, bleiben dem Sozialversicherungswesen aber nach ihrem Abgang erhalten – als Leistungsempfänger.

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