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Warum wir immer wieder auf den Elvis-Trugschluss hereinfallen
ОглавлениеTrotz anhaltender Diskussionen und ausführlicher Berichterstattung über die Konsequenzen der demografischen Entwicklung verschließen wir weiterhin die Augen vor dem, was auf uns zukommt. Die Welle der 78 Millionen Babyboomer bricht heute über das amerikanische Gesundheitssystem herein, das sich auf diese Flut ebenso wenig vorbereitet hat wie das Kleinkinder-Betreuungssystem in den 1950er und das Schulsystem in den 1960er Jahren. Hält die Blindheit für den Trend weiterhin an, wird es in rund zehn Jahren an allen Ecken und Enden an Ärzten und medizinischem Pflegepersonal für die alternden Babyboomer fehlen. Gleichzeitig herrscht in den Kassen der Sozialversicherungen und Krankenkassen bereits jetzt schon chronische Ebbe. Wie soll das also finanziert werden?
Allein in den Vereinigten Staaten werden knapp 80 Millionen Babyboomer schon bald verstärkt auf medizinische Versorgung angewiesen sein, von den Zigmillionen Senioren in anderen Ländern einmal ganz zu schweigen. Das ist ein harter Trend. Können wir diese Versorgung gewährleisten oder nicht? Und wenn ja, wer erbringt diese Leistungen? Die Antworten darauf sind wiederum weiche Trends.
Wieder kommt es darauf an, zwischen hartem und weichem Trend zu unterscheiden: Dass die vielen Millionen Babyboomer mit zunehmendem Alter auch in zunehmendem Maße pflegebedürftig werden, ist ein harter Trend, da er auf harten Zahlen und Fakten beruht, an denen definitiv nichts zu ändern ist. Der absehbare Mangel an medizinischem Pflegepersonal hingegen ist ein weicher Trend, da wir Abhilfe schaffen können, sofern wir ihm Beachtung schenken und uns dazu entschließen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Zur Verdeutlichung noch ein simples Beispiel: Wenn Sie heute in zehn Jahren noch leben – und davon gehen wir natürlich aus –, sind Sie zehn Jahre älter, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Weder Sie noch irgendjemand sonst kann daran etwas ändern und daher ist Ihr Älterwerden definitiv ein harter Trend.
Wie wird es in zehn Jahren um Ihre Gesundheit bestellt sein? Nicht anders als heute, schlechter oder vielleicht besser? Das wissen weder Sie noch ich noch sonst jemand. Niemand kann das mit Bestimmtheit sagen, weil Ihr zukünftiger Gesundheitszustand ein weicher Trend ist, der von Ihrem Lebensstil abhängt, auf den Sie jederzeit Einfluss nehmen können.
Da wir gerade bei dem Thema »Gesundheit« sind, möchte ich noch auf einen sehr wichtigen Punkt hinweisen, der uns alle betrifft: Ganz gleich, wie eindeutig und endgültig eine medizinische Prognose klingen mag: Sie ist niemals als harter Trend zu verstehen. So niederschmetternd es ist, wenn der Halbgott in Weiß verkündet, man hätte leider nur noch sechs Monate zu leben, gibt es doch genügend Menschen, die ihre vom Arzt prognostizierte Restlebenszeit um viele Monate oder gar Jahre überleben.
Wie ist das möglich? Durch eine Änderung der Lebensgewohnheiten. Ob durch Nahrungsumstellung oder die Aufnahme sportlicher Aktivitäten, ob durch eine andere Atemtechnik, äußere Haltung oder innere Einstellung, ob durch Nahrungsergänzungsmittel oder alternative Therapien, jeder Mensch hat zahlreiche Möglichkeiten, um auf seinen Gesundheitszustand einzuwirken und ihn zu verbessern. Er ist veränderbar und somit prinzipiell immer ein weicher Trend.
Kurz gesagt: Harte Trends ermöglichen es Ihnen, in die Zukunft zu sehen, und weiche Trends ermöglichen es Ihnen, die Zukunft zu gestalten. Beides zusammen bildet die Grundlage, auf der sich das erstaunliche Potenzial eines Zukunftsflashs voll entfaltet.
Neulich erzählte mir ein Kollege aus Washington, D.C., dass in seiner Straße nachts Autos mutwillig beschädigt wurden. Zuerst traf es einen Nachbarn, der am anderen Ende der Straße wohnte, dann einen, der nur wenige Häuser entfernt wohnte, und dann seinen direkten Nachbarn.
»Tja, dann dürfte dein Auto wohl als nächstes drankommen«, sagte ich zu ihm.
War das ein harter Trend? Nein, definitiv nicht, denn er konnte ja etwas dagegen unternehmen. Was er dann auch tat und sein Auto nicht in der Einfahrt, sondern in der Garage parkte.
Natürlich können auch Ereignisse, die auf weichen Trends beruhen, eintreten. Doch trotz ihrer vielleicht sogar hohen Eintrittswahrscheinlichkeit treten sie nicht zwangsläufig ein. Bei weichen Trends besteht immer die Möglichkeit, ihren Verlauf aktiv zu verändern. Schon vor Jahren schien sich jeder damit abgefunden zu haben, dass GM im Vergleich mit Toyota irgendwann den Kürzeren ziehen würde. Seit die amerikanischen Automobilhersteller in den Siebzigern und Achtzigern ihren Qualitätsvorsprung vor der japanischen Konkurrenz verloren haben, kämpft die gesamte Branche darum, wieder aufzuholen, übersieht dabei aber seit Jahrzehnten die harten Trends.
Zum Beispiel die wachsende Bedeutung von Indien und China als Wirtschaftsmächte sowie die Preisentwicklung für Rohöl.
Seltsam genug, dass wir die zyklischen Schwankungen auf den Immobilien- und Finanzmärkten fälschlicherweise als lineare Prozesse interpretieren und von kontinuierlich steigenden Werten ausgehen. Noch seltsamer aber ist, dass wir auch lineare Prozesse mit zyklischen verwechseln. Seit Jahrzehnten bringen die »Big Three« – GM, Ford und Chrysler – Benzinschleudern auf den Markt, als könne man davon ausgehen, dass die in Amerika vergleichsweise niedrigen Kraftstoffpreise auch in Zukunft niedrig bleiben. Dem wird nicht so sein!.
Tatsächlich ist der Kraftstoffpreis – wie so vieles – zyklischen und linearen Prozessen unterworfen, die strikt zu unterscheiden und getrennt voneinander zu bewerten sind. Von besonderer Bedeutung sind die linearen Muster, da sie den Status quo nachhaltig verändern und somit im wahrsten Sinne des Wortes zukunftsweisend sind. Saisonal bedingte Schwankungen im Kraftstoffverbrauch, wirtschaftliche Auf- und Abschwünge, geopolitische Ereignisse und andere zyklische Einflussfaktoren lassen Benzin mal etwas teuerer, mal etwas günstiger werden. Diese zyklischen Faktoren sind jedoch bedeutungslos, wenn man sich den langfristigen harten Trend vor Augen hält, der den Ölpreis zwangsläufig und unumkehrbar immer weiter in die Höhe treiben wird: der weltweit kontinuierlich steigende Bedarf, der sich aus dem explosionsartigen Wirtschaftswachstum der Schwellenländer und dem damit einhergehenden Wohlstand ihrer Bürger bedingt. Die Hauptakteure in diesen Zusammenhang sind nicht so sehr Saudi-Arabien, der Irak oder Venezuela, sondern China und Indien. Bis Sie dieses Buch zu lesen bekommen, wird sich China vermutlich als das Land etabliert haben, in dem die meisten Autos hergestellt werden, und die Massen frischgebackener Autobesitzer werden eines ganz sicherlich nicht tun: statt aufs Gaspedal wieder in die Fahrradpedale treten.
Halten wir also fest: Ja, die Kraftstoffpreise schwanken abhängig von Ferien- und Jahreszeiten, und in Zeiten der weltweiten Rezession geht die Nachfrage zurück, was das Benzin vorübergehend auch um ein paar Cent billiger werden lässt. Aber jeder Rezession folgt auch wieder der Aufschwung und dann steigen auch die Nachfrage und der Preis. Diesen Schwankungen übergeordnet ist ein starker, linear und definitiv steigender Preistrend.
Seit Jahren zeichnet sich überdeutlich ab, dass die Zukunft der Automobilbranche in der Entwicklung kleiner, umweltfreundlicher Fahrzeuge mit niedrigem Kraftstoffverbrauch liegt beziehungsweise in der Entwicklung alternativer Antriebe. Nur halbherzige Bemühungen in diese Richtung zu unternehmen und in der Hoffnung darauf, dass der Benzinpreis schon irgendwann wieder auf ein verbraucherfreundliches Niveau fällt, weiterhin große Luxuskarossen mit hohem Kraftstoffverbrauch zu produzieren, hat sich als absolut unsinnige Strategie erwiesen. Und doch investierten die amerikanischen Automobilhersteller lieber Millionen in den Kampf gegen neue Emissionsstandards und Milliarden in die Produktion der Benzinschleudern samt aufwändigen Marketingkampagnen.
Kein Autofahrer käme je auf die Idee, sich bei voller Fahrt nur an dem Bild im Rückspiegel zu orientieren. Doch genau das taten die Automobilhersteller, und sie waren nicht die Einzigen, die nicht nach vorne blickten. Die US-Regierung unterstützte die Branche durch großzügige Subventionen, sodass sich die Produktion der Benzin fressenden Monster als lukratives Geschäft erwies.
Als ich 2004 mit Rick Wagoner zu Abend aß, hatte GM den Produktionsschwerpunkt gerade von herkömmlichen Limousinen auf Sport Utility Vehicles (SUV), d. h. auf Geländelimousinen, umgestellt. Die geräumigen, bequemen und gleichzeitig geländegängigen Autos waren damals der Renner, und alles deutete auf eine stetig steigende Nachfrage hin. Es war eine strategische Entscheidung, die damals durchaus vernünftig erschien. Doch der Schein trog, denn es handelte sich um einen klassischen Elvis-Trugschluss.
Für Rick war es damals sicherlich unvorstellbar, dass seine Karriere bei GM nur fünf Jahre später beendet sein würde – genauso wenig schwante es ihm, dass das Unternehmen seinen dicksten Brummer und den ultimativen Schluckspecht, den legendären Hummer, an einen chinesischen Hersteller ohne jegliche Branchenerfahrung verkaufen würde. Unvorstellbar oder nicht, aber so kam es.
Die steigende Nachfrage nach umweltfreundlichen, sparsamen Fahrzeugen war schon damals ein harter Trend. Die drohende Übernahme der Marktführerrolle durch Toyota war jedoch kein harter Trend, da GM diese Entwicklung durchaus hätte verhindern können. Was nicht geschah.
»In der Entwicklung von GM spiegelt sich die Entwicklung der Nation wider.« Das mag in den vergangenen fünf Jahrzehnten gegolten haben, muss aber nicht so bleiben. Es ist kein harter, sondern ein weicher Trend. Dass sich bisher etwas bewahrheitet oder in eine bestimmte Richtung entwickelt hat, heißt noch lange nicht, dass sich die Entwicklung zwangsläufig fortsetzt – es sei denn, ihr liegen unveränderliche, eindeutig messbare Trenddaten zugrunde. Das Einzige, worauf Sie sich tatsächlich verlassen können, ist, dass sich alles, was nicht eindeutig und kausal an harte Trends gekoppelt ist, mit Sicherheit ändern wird. Die Frage ist nur, in welche Richtung die Entwicklung gehen wird.
Zur Verdeutlichung möchte ich kurz auf zwei andere Automobilhersteller zu sprechen kommen: Toyota und Hyundai. Als bei GM die Absatzzahlen immer weiter einbrachen, während Toyota ein stetiges Umsatzplus erwirtschaftete, war allen klar, dass Toyota die Rolle des globalen Marktführers übernehmen würde. Doch Anfang 2010 brachten klemmende Pedale den japanischen Vorzeigekonzern selbst in die Klemme und anstelle des GM-Chefs geriet nun der CEO von Toyota unter Beschuss. Das ist das Schöne daran, wenn man harte und weiche Trends erkennen und unterscheiden kann: Anhand harter Trends lassen sich beispielsweise die Richtung des technologischen Fortschritts sowie die damit einhergehenden neuen Möglichkeiten erkennen. Weiche Trends dagegen weisen auf zukünftige Chancen und Geschäftsoptionen hin. Wäre Toyotas Marktführerschaft ein harter Trend, könnte die Konkurrenz einpacken, doch das ist nicht der Fall. Der unaufhaltsame technologische Fortschritt ist ein sicherer Fakt, die Frage, wer ihn sich zunutze macht und implementiert, ist noch offen.
Das vielleicht beste Beispiel liefert uns Hyundai. Jahrelang war die Marke Hyundai der Inbegriff des Billigautos und das Unternehmen galt bei vielen Großen der Branche als nicht ernst zu nehmender Konkurrent. Doch als 2009 die Finanzkrise in vollem Gange war, brachte Hyundai in Amerika einen sehr kreativen Werbespot an den Start, in dem Käufern die sofortige Rücknahme des Fahrzeugs zugesichert wurde, sollten sie in die Arbeitslosigkeit schlittern. Hyundais Absatzzahlen schossen in die Höhe, und schon 2010 versicherte der Autobauer durchaus glaubwürdig, dass man sich nun auch im lukrativen Luxus-Segment etablieren und mit eigenen Premium-Marken mit BMW, Lexus und Mercedes gleichziehen wollte.
Mit welchen Fahrzeugen die Automobilindustrie in fünf Jahren Verkaufserfolge erzielen kann, steht zumindest teilweise schon heute fest. Sicher ist zum Beispiel, dass nach wie vor große und kleinere Lastkraftwagen zum Transport von Waren und geräumige Familienautos gefragt sein werden. Wir werden also nicht alle nur noch kleine Miniflitzer kaufen. Sicher ist aber auch, dass sich zukünftige Modelle durch niedrigere Emissionswerte und einen geringeren Kraftstoffverbrauch auszeichnen müssen und werden. Gründe dafür sind die harten demografischen Trends in China und Indien sowie der nicht von der Hand zu weisende Treibhauseffekt. Das sind die Dinge, die wir jetzt schon mit Sicherheit sagen können. Was wir nicht sagen können, ist, von welchen Herstellern wir in Zukunft unsere Autos kaufen – das hängt davon ab, welche Automobilbauer die Zeichen der Zeit zu deuten und zu ihrem Vorteil zu nutzen wissen.
Vor einiger Zeit war ich bei einem großen Immobilienunternehmen in Detroit und hielt einer Gruppe von Maklern einen Vortrag über harte und weiche Trends. Wir hatten gerade die Definition eines harten Trends besprochen, als sich einer der Teilnehmer zu Wort meldete:
»Ich glaube, dazu fällt mir ein gutes Beispiel ein. Die Automobilindustrie in Detroit liegt am Boden, es gibt keine Arbeitsplätze mehr, und die Leute ziehen in Scharen weg. Eigentlich geht das schon seit über zehn Jahren so. Und nachdem nicht abzusehen ist, dass sich die Automobilindustrie demnächst erholt, wird sich auch der Bevölkerungsschwund in den nächsten Jahren fortsetzen. Das ist ein harter Trend, richtig?«
Falsch. Das ist ein weicher Trend, auch wenn viele gute Gründe für diese Entwicklung sprechen und sie sehr wahrscheinlich ist. Wahrscheinlich ist dennoch nicht dasselbe wie sicher. Was wäre denn, wenn Toyota (oder Hyundai) GM übernimmt?
Der Schlüssel, mit dem sich das Fenster zur Zukunft öffnen lässt, ist die Fähigkeit, klar zwischen harten und weichen Trends – zwischen Fakt und Fiktion, zwischen scheinbarer Sicherheit und absoluter Gewissheit – unterscheiden zu können. Die Fähigkeit, den Elvis-Trugschluss zu vermeiden.