Читать книгу Zukunftsflashs - Daniel Burrus - Страница 7

Einleitung

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Irgendetwas brachte Dale Morgen auf eine geniale Idee.

Wie die meisten Menschen machte sich auch Dale Sorgen über die steigenden Energiekosten, die Umweltverschmutzung, den Klimawandel und die globale Erdölpolitik. Wie den meisten Menschen war auch Dale klar, dass die Erzeugung von Kernenergie mit erheblichen Problemen und Risiken verbunden ist, zu denen unter anderem die Lagerung radioaktiver Abfälle sowie die permanente Gefahr katastrophaler Atomunfälle gehören, ganz zu schweigen von dem Risiko, dass nukleares Material gestohlen und in die Hände von Terroristen gelangen könnte.

Anders als die meisten Menschen ist Dale jedoch ein renommierter Erfinder, der bereits mehr als 30 überaus erfolgreiche Patente angemeldet hat.1 Im Zuge seiner Tätigkeit verfeinerte Dale eine ganz bestimmte Begabung – das gewisse Etwas, das ihn auf die geniale Idee brachte, um die es hier geht. Ich bezeichne dieses Etwas als Zukunftsflash und möchte Ihnen in diesem Buch erklären, was es ist und wie es funktioniert, sodass auch Sie einen Blick vorauswerfen und Ihre berufliche und private Zukunft entsprechend gestalten können.

Sie haben bereits alles, was Sie hierfür benötigen: Ihre fünf Sinne, die Ihnen die »Daten« liefern, und Ihre Intuition – den sechsten Sinn, über den jeder Mensch verfügt, auch wenn ihn viele vielleicht lieber als Bauchgefühl bezeichnen. In diesem Buch geht es nun darum, wie diese sensorischen und intuitiven Fähigkeiten aufeinander abgestimmt und die gewonnenen Einsichten in die Zukunft projiziert werden können. Ein Zukunftsflash ist ein Augenblick der Erleuchtung, in dem Sie künftige Entwicklungen klar und deutlich erkennen können. Die intuitive Erkenntnis dessen, was kommt, ermöglicht es Ihnen, verborgene Chancen zu erkennen und Ihre größten Probleme zu lösen, bevor sie auftreten. Jeder Mensch ist in der Lage, einen Blick in die Zukunft zu werfen und sie nach seinen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten.

Ich bin mir sicher, Sie wissen, wovon die Rede ist. Wir alle erleben hin und wieder diese Momente der intuitiven Vorahnung, in denen wir erkennen, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln. Haben Sie sich auch schon des Öfteren gedacht: »Ich wusste, dass es darauf hinausläuft; hätte ich doch nur dieses oder jenes getan«? Im Nachhinein zeigt sich, dass das eigene Bauchgefühl richtig war, dem man aber oft nicht vertraut, weil man natürlich nicht wissen kann, wie gut man sich auf die eigene Intuition verlassen kann. Um genau diese Einschätzung – woher kommt die Eingebung und wie zuverlässig ist sie? – geht es in diesem Buch. Zu erkennen was kommt, ist eine Fähigkeit, die jeder entwickeln, verfeinern und stärken kann. Ich werde Ihnen erklären, wie es geht und wie Sie sich diese in Ihnen schlummernde Fähigkeit zunutze machen können.

Die in diesem Buch enthaltenen Beispiele von Zukunftsflashs beziehen sich auf reale Probleme und ebenso reale Problemlösungen. Sie werden zum Beispiel erfahren, wie es Hunderten von überarbeiteten Mitarbeitern in der medizinischen Intensivpflege gelang, ihre langen, anstrengenden Arbeitstage um drei Stunden zu verkürzen, wie ein städtischer Schulbezirk das Geld für seine Bildungsinitiativen auftrieb, ohne dafür selbst in die Tasche greifen zu müssen, und wie eine Telefongesellschaft Afrika den sozialen und wirtschaftlichen Wandel bringt, indem sie etwas tut, auf das ihre US-amerikanischen Mitbewerber nie gekommen wären. Wir werden an Dutzenden von Beispielen untersuchen, wie die auf Fakten beruhende intuitive Erkenntnis es ganz normalen Menschen ermöglicht, das Unsichtbare zu sehen und das Unmögliche zu tun.

Sehen wir uns als Erstes den Erfinder Dale an, um herauszufinden, wie er sich dieses Prinzip zunutze gemacht hat, um auf seine geniale Idee zu kommen. Dale wusste, dass zur Lösung der sich zuspitzenden Energiekrise schon seit Längerem an einer Alternative geforscht wird, die ohne fossile Brennstoffe auskommt, weder Treibhausgase noch radioaktive Abfälle produziert und die Umwelt nicht belastet. Diese Methode der Energieerzeugung, die sich nach Meinung vieler Wissenschaftler zur wichtigsten Energiequelle des 21. Jahrhunderts und darüber hinaus entwickeln wird, ist die Kernfusion.

»Die derzeit modernste und effizienteste Brennstoffzelle liefert bei der Verbrennung einer bestimmten Menge Wasserstoff und Sauerstoff eine Energieausbeute von zehn Elektronenvolt«, erklärt Morgen. »Die Fusion zweier Wasserstoffisotope liefert dagegen eine Energieausbeute von 16,7 Millionen Elektronenvolt. Für die Energie, die durch die Fusion der Wasserstoffisotope in einer vollen Badewanne gewonnen werden kann, müsste man 40 Zugladungen Kohle verbrennen. Aus einer relativ geringen Menge an Meerwasser könnte man mehr als genug Energie gewinnen, um den Energiebedarf der nächsten 50 000 Jahre zu decken. Und das einzige Nebenprodukt, das bei der Kernfusion entsteht, ist unschädliches, nicht radioaktives Helium.«

Verständlicherweise weckt diese Perspektive immenses Interesse bei zahlreichen internationalen Investoren und Verbänden aus Forschung und Wissenschaft. So haben sich beispielsweise 20 Länder – unter anderem die USA, China, Japan, Korea, Russland und sechs EU-Länder – zu einem Konsortium zusammengeschlossen, um den mehrere Milliarden US-Dollar teuren Bau des weltweit ersten Kernfusions-Versuchsreaktors zu finanzieren, der derzeit in Südfrankreich entsteht. Das Projekt ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) ist das größte und teuerste wissenschaftliche Forschungsvorhaben, das jemals für die Suche nach diesem Heiligen Gral ins Leben gerufen wurde. Auch in dem renommierten Lawrence Livermore Laboratory in Kalifornien wurde eine Versuchsanlage gebaut, in der auf einer Länge von drei Fußballfeldern zwei Millimeter kleine Kügelchen aus gefrorenem Wasserstoffisotopen-Gemisch mit Laserstrahlen beschossen werden.

Leider hat das Ganze aber einen Haken. Trotz der astronomischen Summen, die in diese hochmodernen, fortschrittlichen Versuchsanlagen investiert werden, übersteigt ihr Energieverbrauch noch immer die Energieausbeute. Vergleichbar mit einer Investition, bei der der Anleger ständig Kapital verliert statt Gewinne einzustreichen, wird in den heutigen Kernfusionsreaktoren weniger nutzbare Energie erzeugt als verbraucht. Der zurzeit größte in Betrieb befindliche Kernfusionsreaktor ist der britische Joint European Torus (JET); doch selbst hier beträgt die Energieausbeute maximal zwei Drittel des Energieverbrauchs – was einer schlechten Geldanlage entspricht, bei der Sie 100 Dollar investieren und weniger als 65 Dollar zurückbekommen.

Und genau an diesem Punkt kommt Dales Geistesblitz ins Spiel: Was wäre, wenn man diese Anlagen radikal verkleinern würde, anstatt immer größere zu errichten? Ja, warum sollte man den Fusionsreaktor eigentlich nicht sogar so radikal verkleinern, dass man ihn mit bloßem Auge nicht einmal mehr erkennen kann? Auf die Größe eines einzigen Moleküls, zum Beispiel. Mit anderen Worten: Nano-Kernfusion.

Nicht nur Dale kam auf diese Idee. Außer ihm ist noch eine Handvoll anderer Visionäre auf diesem neuen Forschungsfeld tätig. Vom Konzept her ähnelt Dales Modell dem des Lawrence Livermore Laboratory. Doch anstatt wie dort mit dem stärksten Laser der Welt über große Entfernungen auf winzige Kügelchen zu schießen, würde in seinem Reaktor mit einem Nanolaser aus einem einzigen Kohlenstoffmolekül – eine sogenannte Kohlenstoff-Nanoröhre – auf Wasserstoffisotope in einem als »Fulleren«, »Fußballmolekül« oder »Buckyball« bezeichneten Kohlenstoffmolekül geschossen. Und siehe da: Aufgrund der höheren Reinheit und Dichte bietet dieses Material eine positive Energieausbeute. Es wird mehr Energie erzeugt, als für die Reaktion benötigt wird. Potenziell extrem viel mehr, so Dale.

Eine solche Technologie würde unser aller Leben von Grund auf verändern. Die Energiekrise wäre praktisch mit einem Schlag beendet. Den Öl produzierenden Ländern käme keine Sonderstellung mehr zu. Sie produzierten nach wie vor Öl, doch kein anderes Land wäre mehr davon abhängig, den Großteil seines Erdölbedarfs über sie decken zu müssen. Der Menschheit stünde über Jahrhunderte – wahrscheinlich für alle Zeiten – genügend Energie zur Verfügung, um Wirtschaft und Handel global voranzutreiben. Und all das, ohne Treibhausgase in die Atmosphäre zu blasen und radioaktiven Müll zu produzieren.

»Viele Kernfusions-Experten winkten erst einmal ab, als ich ihnen von meiner Idee erzählte«, berichtet Dale. »Sie hielten sie für völlig verrückt – aber das behaupteten sie ja auch von meinen anderen Erfindungen.« Zu den »völlig verrückten« Erfindungen, die Dale im Lauf der Zeit dank seines sicheren Gespürs für zukünftige Entwicklungen patentieren ließ, gehören unter anderem der kompakte, tragbare Kleincomputer, der als PDA (Personal Digital Assistant) bekannt wurde, sowie die Matrixsteuerung für LCD- und Plasmafernseher.

»Die meisten Wissenschaftler glauben, die kommerzielle Nutzung der Kernfusion sei erst in 50 bis 100 Jahren möglich«, ergänzt Dale. »Wir sind davon überzeugt, dass es nicht mehr so lange dauert.«

Der Umsetzung von Dales radikaler Idee stehen allerdings noch beträchtliche technologische Hürden im Weg. Zum einen fehlt es den Pionieren noch an einem für die Nanotechnologie geeigneten Supraleiter. Darin erkennt Dale eine »immense Herausforderung«. Auf die Frage, wie lange es nach Dales Ansicht dauert, bis die diversen Hürden überwunden sind und erste Versuche an einem funktionierenden Modell erfolgen können, antwortet er: »Ich schätze mal, zehn bis 15 Jahre. Höchstens!«

Es geht in diesem Buch aber nicht um die Nano-Kernfusion und ihr Für und Wider und auch nicht darum, wie sich die Energiekrise ein für alle Mal lösen lässt. Wir wollen uns mit diesem Etwas befassen, das Dale auf seine Idee brachte. War es eine Eingebung, ein Bauchgefühl, eine Ahnung, Intuition? Nein, es war noch viel mehr als das: Es war ein Zukunftsflash.

Dales Geistesblitz war ein klassisches Aha-Erlebnis – einer dieser erleuchtenden Momente, in dem Intuition und vorhandenes Wissen Zusammenhänge erkennen lassen, die einen Quantensprung ermöglichen. So einen Moment erlebte Newton, als er einen vom Baum fallenden Apfel beobachtete und daraufhin das Gesetz der Schwerkraft formulierte. Und Kekulé wurde sozusagen im Schlaf erleuchtet: Sein Traum von der Schlange, die sich in den eigenen Schwanz biss, ließ ihn den Kohlenstoffring entdecken, und mit dieser Entdeckung legte er den Grundstein für die organische Chemie. Solche Geistesblitze werden gemeinhin als Zeichen außergewöhnlicher Genialität betrachtet – als eine Art göttliche Eingebung, die sich jeder logischen Erklärung entzieht. Doch es war ein sehr simples Prinzip, das Dale zu seinem intuitiven Quantensprung befähigte.

Bevor wir das Geheimnis um dieses simple Prinzip lüften, möchte ich es an einem weiteren Beispiel verdeutlichen, bei dem es auch um Energie, aber um eine andere Quelle und ein anderes Verfahren geht.

Anfang 2006 nahm ich als Gastredner an einer Konferenz internationaler Versicherer teil. Ein Thema, das die Führungskräfte der Mineralölkonzerne immer wieder aufgriffen, war das Ausmaß der Schäden, die die Wirbelstürme der letzten Hurrikansaison an den Förderanlagen im Golf von Mexiko angerichtet hatten. Im Golf von Mexiko werden nahezu ein Drittel des Erdöls sowie ein Viertel des Erdgases für den US-amerikanischen Markt gefördert. Dummerweise wird ausgerechnet der Golf von Mexiko weltweit am häufigsten von tropischen Wirbelstürmen heimgesucht, was die mit der Ölförderung einhergehenden Risiken für die Umwelt weiter verschärft.

Wie die meisten Menschen machten sich auch diese Führungskräfte Sorgen um die steigenden Energiekosten – in Anbetracht der Höhe ihrer Investitionen sogar sehr große Sorgen. Offshore-Ölbohrplattformen zählen zu den größten mobilen Bauwerken der Welt. Es kostet zum Beispiel fünf Milliarden US-Dollar, eine Bohrplattform wie die Thunder Horse zu bauen, an das Zielgebiet zu schleppen und sie auf dem Meeresboden zu verankern. Allein der Bohrturm der Bohrplattform Mars wiegt gut 1000 Tonnen. Eigentlich ist so eine Plattform (die auch als »Flotel« – also als »schwimmendes Hotel« – bezeichnet wird) eine kleine Stadt mitten im Meer, in der Tausende von Menschen leben und arbeiten.

Bohrplattformen sind bautechnisch darauf ausgelegt, einem »Jahrhundertsturm« standzuhalten, das heißt, Naturgewalten eines Ausmaßes, mit dem im Schnitt nur einmal in hundert Jahren gerechnet werden muss. Unglücklicherweise gab es in den vergangenen Jahren gleich mehrere dieser Jahrhundertstürme. Hurrikan Ivan tobte sich im Herbst 2004 im Golf von Mexiko aus und löste die höchsten bis dahin verzeichneten Wellen aus. Mit einem derart verheerenden Hurrikan, der an sieben Bohrplattformen so große Schäden anrichtete, dass die Produktion für sechs Monate ausgesetzt werden musste, war nach Expertenmeinung nur alle 2500 Jahre zu rechnen.

Im nächsten Jahr kam Katrina. Im Golf von Mexiko gibt es insgesamt rund 800 bemannte Bohrplattformen von US-amerikanischen Konzernen, auf denen mehr als 50 000 Menschen arbeiten. Den Großteil des Öls fördern ungefähr zwei Dutzend der Anlagen, für deren Inbetriebnahme jeweils ein bis zwei Milliarden US-Dollar oder mehr investiert wurden. Die Bilanz nach Katrina lautete: 50 zerstörte oder versenkte Plattformen und ein Produktionsausfall von 95 Prozent.

Wie die Vortragsredner auf der Konferenz erklärten, sahen sich die Ingenieure nun mit der schwierigen Frage konfrontiert, wie die »Hurrikansicherheit« der milliardenschweren Giganten um das 25-fache erhöht werden könnte.

»Und das ist noch nicht einmal das größte Problem«, flüsterte mir mein Sitznachbar zu, der eine leitende Funktion bei einem Ölkonzern bekleidete. »Hurrikans sind furchtbar, das stimmt, aber sie sind nicht unbedingt unsere größte Sorge. Noch ist nichts dergleichen passiert, aber wir müssen die Möglichkeit in Betracht ziehen, Ziel eines Terroranschlags zu werden. Darauf sollten wir uns vorbereiten, die Frage ist nur, wie? Es ist ja schon schwierig genug, unsere Leute dort draußen vor den Naturgewalten zu schützen. Doch wie soll man sich auf offener See gegen gezielte Anschläge schützen?«

Eine heikle Frage, die bis zu diesem Zeitpunkt der Konferenz unausgesprochen im Raum stand. Der nächste Redner müsste dieses Thema endlich einmal auf den Tisch bringen. Wie der Zufall so spielte, war ich der nächste Redner, und meine Aufgabe bestand darin, den Leitvortrag der Konferenz zu halten. Ich beschäftige mich seit über 25 Jahren intensiv mit der strategischen Analyse und Nachverfolgung von wissenschaftlichen und technologischen Innovationen, um Trends zuverlässig zu prognostizieren und Unternehmen und andere Organisationen weltweit bei der Entwicklung kreativer, produktiver und zukunftsorientierte Strategien zu unterstützen.

Ich betrat die Bühne, ließ meinen Blick über das Publikum schweifen und verkündete: »Es gibt hier eindeutig ein Problem und ich möchte Ihnen eine Lösung vorschlagen: Senken wir die Bohrplattformen auf den Meeresgrund ab.«

Es war nicht weiter schwer, die Gedanken meiner Zuhörer zu erraten: Das Unmöglich! stand ihnen auf die Stirn geschrieben. Und ich konnte es ihnen nicht verübeln. Es klingt wirklich utopisch und vor zehn Jahren wäre es genau das gewesen. Der technologische Fortschritt macht jedoch möglich, was noch vor wenigen Jahren unmöglich war. Wir setzen heute Roboter ein, um im Weltall Reparaturen an Raumschiffen und im menschlichen Körper komplizierte, operative Eingriffe vorzunehmen. Auch auf dem Meeresboden werden Tiefseeroboter bereits für Forschungs- und Reparaturzwecke und verschiedene andere Arbeiten eingesetzt. Roboterbetriebene Unterwasser-Bohranlagen sind heute durchaus machbar – und wären effizienter, sicherer und unweltfreundlicher als die konventionellen Bohrplattformen.

Der grobe Plan, den ich mehr oder weniger spontan auf der Konferenz vorstellte, lautete wie folgt:

»Wie bisher wird die Bohrinsel oberhalb des Wasserspiegels errichtet und am Meeresgrund verankert. Im Unterschied zu jetzt könnte die Gesamtstruktur, vergleichbar mit einem Raketenträger, jedoch aus lösbaren Segmenten bestehen, sodass die Bohrvorrichtung mobil bleibt und von der Insel gelöst werden kann. Ist das Ölfeld erst einmal erschlossen, kann die mobile Bohrvorrichtung abgekoppelt und die Anlage auf den Meeresgrund abgesenkt werden. Die Mannschaft wird mitsamt der Bohrvorrichtung zum nächsten Ölfeld oder in den Hafen gebracht, zurück bleibt eine automatisierte, von Robotern betriebene und gewartete Förderanlage auf dem Meeresgrund.

Bekanntlich muss man aber erst Laufen lernen, bevor man größere Sprünge unternehmen kann. Daher wäre es natürlich sinnvoll, dies zuerst in flacheren Gewässern auszuprobieren, aber die meisten Ölfelder befinden sich ja sowieso in vergleichsweise geringer Tiefe. Und wenn der Prozess sicher und ausgereift ist, ließe er sich auch in der Tiefsee realisieren, sofern das dann überhaupt noch notwendig ist.

Die Belegschaft einer Bohrplattform besteht heutzutage größtenteils aus Hilfskräften, die zur Unterstützung der produktiv arbeitenden Minderheit angeheuert werden und dafür die monatelange Trennung von ihren Familien sowie unglaublich harte Arbeitsbedingungen auf sich nehmen. Im Lauf der Jahre haben Naturgewalten und Unfälle Hunderten von Arbeitern das Leben gekostet. Ein solches Flotel zu unterhalten ist mit astronomischen Summen und immensen persönlichen Opfern verbunden. Mit Robotern ließe sich die Belegschaft innerhalb kürzester Zeit auf ein absolutes Minimum beschränken, wodurch sich nicht nur die finanziellen Ausgaben, sondern auch das Risiko tödlicher Unfälle drastisch reduzierten.

Außerdem wäre es wesentlich sicherer für die Umwelt. Im Zuge des Hurrikans Katrina liefen etwa 30 bis 35 Tausend Tonnen Roh-öl ins Meer, fast ebenso viel wie aus der havarierten Exxon Valdez. So katastrophal die Umweltschäden eines solchen sichtbaren Ölteppichs natürlich sind, darf man nicht vergessen, dass auch unter Wasser Pipelines verlegt sind, die zusammengenommen eine Länge von 50 000 Kilometer ergeben, und dieses weitläufige Netz ist ebenfalls ein kritischer wunder Punkt. Durch die beträchtlichen Schäden, die Hurrikan Ivan 2004 an den Unterwasser-Pipelines anrichtete, liefen ungeheure Mengen an Öl ins Meer, die nicht an die Oberfläche gelangten. Mit unseren heutigen Mitteln sind Reparaturarbeiten an Unterwasser-Pipelines schwierig und kostspielig. Doch wenn wir in fortschrittliche Robotertechnik und tiefseetaugliche Elektronik investieren, um Ölbohranlagen auf dem Meeresboden zu betreiben, ist es nur noch ein kleiner Schritt, um auch die Unterwasser-Pipelines besser zu warten und somit sicherer zu machen.«

Das Interesse an dieser Idee nahm schlagartig zu, als es vier Jahre nach dieser Konferenz erneut zu einer verheerenden Katastrophe im Golf von Mexiko kam. Ausgelöst wurde sie weder von einem Hurrikan noch von Terroristen, sondern von der schlimmsten aller möglichen Ursachen: menschliches Versagen. Am 20. April 2010 kam es auf der Ölbohrplattform Deepwater Horizon zu einem sogenannten »Blowout« – dem unkontrollierten Austritt von Erdöl – und infolge dessen zu einer gewaltigen Explosion. Die Plattform geriet in Brand und da das Feuer nicht unter Kontrolle gebracht werden konnte, versank sie nach zwei Tagen in einem Gewirr aus Leitungen, gebrochenen Rohren und Ventilen. Die durch den Untergang der Deepwater Horizon verursachte Ölpest gilt als die schwerste Umweltkatastrophe dieser Art und übertraf die Schäden der Exxon Valdez um ein Vielfaches.

Die Betreiber und Ingenieure suchten verzweifelt nach einer Lösung, um in 1500 Metern Tiefe das Hauptleck im abgeknickten Steigrohr abzudichten, aus dem das Rohöl austrat. Die tragische Katastrophe ist einer dieser klassischen Fälle, in denen man den mangelnden Weitblick im Nachhinein bitter bereut: Man hat es zugelassen, im Angesicht einer sich zuspitzenden Krise immer stärker in Zugzwang zu geraten, anstatt vorausschauend Maßnahmen zu ergreifen, mit denen sie sich verhindern oder doch zumindest unter Kontrolle hätte bringen lassen.

Im Zuge der späteren Untersuchungen wurden dem Mineralölkonzern BP, dem Betreiber der Deepwater Horizon, grobe Fahrlässigkeiten vorgeworfen. Zudem stellte sich heraus, dass die Nationale Aufsichtsbehörde auf die Ausarbeitung eines Notfallplans seitens BP verzichtet hatte, weil der Konzern angegeben hatte, ein »katastrophaler Blowout sei unmöglich«. Aber: Nichts ist unmöglich. Wie rückblickend klar wird, führte die Entscheidung, an allen Ecken und Enden Kosten einzusparen, zu einer Reihe folgenschwerer Fehler. Welche Faktoren spielten zusammen, dass sich dieses Unglück ereignen konnte?

Die Explosion und der anschließende Brand auf der Deepwater Horizon konnten sich nur oberhalb des Meeresspiegels ereignen; unter Wasser, auf dem Meeresgrund, wäre es nie dazu gekommen. Fakt ist, dass nahezu jede Ölpest auf Unfälle zurückzuführen ist, die sich über Wasser ereignen. Stellen wir uns einmal vor, die Deepwater Horizon wäre für den Unterwasserbetrieb auf dem Meeresgrund konzipiert gewesen. In diesem Fall wäre es sehr wahrscheinlich weder zu einer Explosion noch zu gebrochenen Rohren gekommen. Hätte man zudem rechtzeitig in wirkungsvolle Eindämmungs- und Säuberungsmethoden zur Bekämpfung von Ölteppichen sowie in geeignete Robotertechnik investiert (wie es beispielsweise in der Chirurgie und der Raumfahrttechnik der Fall ist), könnten die technischen Gerätsschaften zur Abdichtung eines Lecks – sollte sich ein derartiger Unfall tatsächlich ereignen – innerhalb weniger Tage vor Ort sein, bevor es zu einer Umweltkatastrophe gewaltigen Ausmaßes kommt. So aber dauerte es Monate, bis den Ingenieuren die Abdichtung gelang.

Ob diese Idee die Zukunft der Offshore-Ölförderung darstellt, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, aber sie eröffnet auf alle Fälle eine interessante Perspektive. Die tragischen Ereignisse auf der Deepwater Horizon lassen sich nicht mehr rückgängig machen, doch der Ausblick, den ich 2006 den Teilnehmern der Konferenz bot, trägt mittlerweile Früchte. Einige Konzerne haben das Konzept aufgegriffen und treiben es ernsthaft voran. Meiner Einschätzung nach wird die Ölförderung in absehbarer Zukunft wesentlich sicherer, wirtschaftlicher und umweltfreundlicher werden.

Ahnen Sie schon, woraus der Impuls besteht, der Dale Morgen auf die Idee der Nano-Kernfusion und mich auf die Idee der roboterbetriebenen Bohrplattformen brachte? Ich verrate es Ihnen: aus einer Richtungsumkehr. Während der allgemeine Trend in der Kernfusion zu gigantischen Reaktoranlagen ging, die eine Fläche von mehreren Fußballfeldern einnahmen, vollzogen Dale und seine Mitstreiter eine Kehrtwende und entwickelten ein winziges Modell, das auf der Spitze einer Nähnadel Platz hätte.

Offshore-Förderanlagen werden üblicherweise als Bohrinseln konzipiert, das heißt, die Anlage befindet sich über Wasser. Wir schlugen vor, in die entgegengesetzte Richtung zu denken und sie stattdessen auf den Meeresgrund abzusenken.

Ebenso simpel wie das Prinzip selbst ist der Grund, weshalb es funktioniert: Wer in die der allgemeinen Blickrichtung entgegengesetzte Richtung blickt, kann Dinge sehen, die anderen verborgen bleiben. So zeigen sich Chancen, Ressourcen und Möglichkeiten, die bislang schlichtweg übersehen wurden, und diese können der Funke für eine zündende Idee – für einen Zukunftsflash – sein. Eine Richtungsumkehr öffnet Ihnen die Augen für Dinge, die bis zu diesem Augenblick nicht im Blickfeld waren und den meisten anderen aus diesem Grund unmöglich erscheinen.

In meinem Unternehmen verfolgen wir seit über 25 Jahren aufmerksam die neuesten technologischen und wissenschaftlichen Entwicklungen weltweit in allen nur erdenklichen Fachrichtungen – ob Laser-, Roboter-, Gentechnik oder faseroptische Systeme, wir interessieren uns für alles. Ich habe in all diesen Jahren vor allem versucht, in die nahe Zukunft zu blicken, und dabei bestätigte sich immer wieder: Je genauer man hinsieht, umso klarer wird das Bild. Die Frage ist nur, wohin man den Blick richten soll. Die Antwort ist: in eine völlig andere Richtung als alle anderen. Wenn Sie lange genug hinsehen, zeichnen sich Möglichkeiten ab, die nur Sie allein sehen und nutzen können. Und dann sind Sie in der Lage, etwas völlig Neues und Andersartiges zu vollbringen.

Nachfolgend einige Beispiele erfolgreicher Unternehmen, die bewusst oder intuitiv dem Impuls der Richtungsumkehr nachgaben und auf diese Weise auf verschiedenen Gebieten eine zündende, zukunftsorientierte Geschäftsidee entwickelten (mit denen wir uns in Kapitel 5 ausführlich befassen werden, um den Beweis zweifelsfrei anzutreten):

Amazon.com

➤ Crocs

➤ Dell

➤ JetBlue und Southwest Airlines

➤ Kiva

➤ Netflix

➤ Starbucks

➤ Volkswagen

➤ Zappos

Auf die Frage, wie er sein schon fast unheimliches Gespür für lukrative Geldanlagen erklärt, meinte der weltberühmte Investor Warren Buffett, er hielte sich an folgende Regel: »Sei gierig, wenn andere ängstlich sind, sei ängstlich, wenn andere gierig sind.« Einfacher kann man das Prinzip der Richtungsumkehr kaum ausdrücken – und wohl auch nicht überzeugender, denn immerhin ist Buffet Multimilliardär.

Kann es denn wirklich so einfach sein? Offenbart sich die Lösung unlösbar erscheinender Probleme tatsächlich, wenn man sich um 180 Grad dreht? Nein, ganz so einfach ist es natürlich nicht. Aber fast. Die Richtungsumkehr ist nur einer der Impulse, die einen Zukunftsflash auslösen können. In den 25 Jahren, in denen ich mich theoretisch, praktisch und systematisch mit Zukunftsprognosen beschäftigt habe, entdeckte ich sieben dieser Auslöser.

1. Von sicheren Fakten ausgehen (mithilfe harter Trends wissen Sie, was auf Sie zukommt)

2. Antizipieren (entwickeln Sie Ihre Strategie auf der Basis dessen, was Sie vorhersehen können)

3. Transformieren (nutzen Sie den technologiegetriebenen Wandel zu Ihrem Vorteil)

4. Das größte Problem überspringen (in der Regel hakt es sowieso an etwas anderem)

5. Die Richtung umkehren (damit Sie sehen können, was sonst niemand sieht und etwas tun können, was außer Ihnen niemand kann)

6. Umdefinieren und neu erfinden (stellen Sie Ihr Alleinstellungsmerkmal auf immer wieder neue und innovative Weise heraus)

7. Regisseur der eigenen Zukunft werden (schreiben Sie das Drehbuch für Ihre Zukunft selbst, sonst tut es ein anderer für Sie).

Für einen Zukunftsflash sind nicht immer alle sieben Impulse, aber doch zumindest ein paar erforderlich. Stellen Sie sich diese Impulse als die sieben Noten der Tonleiter vor. Nicht in jeder Melodie kommen alle sieben Noten zum Einsatz, aber wer ein Musikstück komponieren möchte, sollte sie alle kennen, denn irgendwann braucht er sie bestimmt.

Könnte man Dale Morgens Gedankengänge als Standbilder festhalten, um zu untersuchen, welche Überlegungen zu welchen Ergebnissen führten, sähe man sicherlich das Zusammenspiel der Impulse, die den Funken seines Zukunftsflashs zündeten. Das Gleiche gilt auch für die Idee der Unterwasser-Bohrplattformen. Eigentlich ist es nicht weiter schwierig, diese Impulse nachzuverfolgen. Auch wenn Dale als Erfinder und ich als Technologieprophet einen kleinen Vorteil genießen, werden Sie feststellen, dass es sich um nachvollziehbare Vorgänge handelt, die auch Sie problemlos umsetzen können.

➤ Wie schon gesagt, verfolgt mein Unternehmen seit über 25 Jahren aufmerksam die aktuellen Entwicklungen und Trends in den unterschiedlichsten Branchen. Die Besonderheiten und Herausforderungen der Ölförderung waren uns daher bekannt (Chevron, ExxonMobile und Shell gehören zu unseren Kunden), ebenso der aktuelle Stand der Roboter- und Automatisierungstechnik und so weiter. Den ersten Funken zu der zündenden Idee lieferte in diesem Fall Impuls 1: Von sicheren Fakten ausgehen.

➤ Da ich mit den Trends bestens vertraut bin, weiß ich, was technisch heute möglich ist, welche Veränderungen im Gange sind und – was das Wichtigste ist – was in naher Zukunft möglich sein wird. Mit anderen Worten: Ich kann antizipieren – Impuls 2.

➤ Da ich weiß, dass innerhalb weniger Jahre mit radikalen Innovationen zu rechnen ist, kann ich nach völlig andersartigen Lösungen und Methoden Ausschau halten, die momentan noch undenkbar erscheinen, anstatt in gewohnten Bahnen zu denken und mich mit kleinen, schrittweisen Veränderungen zu begnügen: Impuls 3, Transformieren.

➤ Das große Problem der Mineralölkonzerne war, dass die Bohranlagen über Wasser exponiert und den Naturgewalten oder gezielten Angriffen relativ schutzlos ausgeliefert waren. Anstatt zu versuchen, dieses Problem zu lösen, haben wir uns dafür entschieden, das größte Problem zu überspringen – Impuls 4 – und die Anlagen von der Bild-, beziehungsweise der Oberfläche verschwinden zu lassen.

➤ Und wohin? Die Richtungsumkehr weist nach unten, auf den Meeresgrund: Impuls 5.

➤ Wie kann das realisiert werden? Mithilfe von Impuls 6, Umdefinieren und neu erfinden. Man mache sich die Robotertechnik zunutze, die sich bei operativen Eingriffen in der Medizin sowie bei Außenbordarbeiten in der Raumfahrt bereits bewährt hat, um die Offshore-Ölförderung komplett neu zu erfinden.

In nur wenigen Zeilen haben Sie soeben das Ineinandergreifen von sechs der sieben Impulse nachvollziehen können. Wenn man die Idee nachträglich in die einzelnen Gedankengänge zerlegt, scheint sie das Ergebnis methodischer und folgerichtiger Überlegungen zu sein. Doch in den wenigen Minuten vor meinem Auftritt am Rednerpult hatte ich die Erkenntnis innerhalb von Sekunden, intuitiv und blitzartig. Aber das ist einfach eine Sache der Übung und Gewohnheit.

Zu lernen, sich für diese Impulse zu öffnen, ist nicht schwieriger als Laufen zu lernen. Wenn Sie den Vorgang des Laufens in seine Einzelteile zerlegen, klingt er auch kompliziert: Man muss das Körpergewicht in einer Abrollbewegung vom Fußballen zu den Zehen und abwechselnd von rechts nach links verlagern und dabei koordiniert mit den Armen schwingen, um die Gewichtsverlagerung auszugleichen. Wenn Sie vor jedem Schritt erst einmal darüber nachdenken müssten, wie Ihr Bewegungsapparat funktioniert, wären Sie völlig überfordert. Als Sie als Kleinkind das Laufen lernten, waren Sie das auch, doch mit etwas Übung klappte es doch schon bald von ganz allein, nicht wahr?

Dasselbe trifft auf die sieben Impulse zu. Die mentalen Abläufe müssen auch zuerst einmal geübt werden – bewusst, konzentriert und jeder für sich. Zu Beginn werden Sie vielleicht nur langsam vorankommen, doch mit etwas Übung und Geduld richten sich Ihre Antennen für Geistesblitze wie von selbst aus, damit der Funke zu zündenden Ideen überspringt, ohne dass Sie bewusst darüber nachdenken müssen.

Manchmal geht es bei einem Zukunftsflash darum, ungeahnte Anwendungsmöglichkeiten innovativer Technologien zu nutzen. Oft genügt es aber auch, den eigenen Augen zu vertrauen, um Dinge in einem völlig neuen Licht zu sehen.

Vor einigen Jahren eröffnete eine Freundin von mir in Chicago eine Zahnarztpraxis speziell für Kinder. Kurz nach der Eröffnung trafen wir uns zum Mittagessen, und ich erkundigte mich bei ihr, wie es lief.

»Nicht so gut, wie ich gehofft hatte«, gestand sie ein. Sie hatte zwar einen kleinen Patientenstamm, doch der erwartete Zulauf, mit dem sie durch Empfehlungen gerechnet hatte, blieb aus. Sie war auf Mundpropaganda angewiesen, die jedoch nicht in Schwung kommen wollte. Sie fragte mich, ob ich mir ihre Praxis einmal ansehen würde, vielleicht hätte ich ja eine Idee, woran es hapern könnte. Nach dem Mittagessen begleitete ich sie in ihre Praxis und sah mich um. Nach etwa zehn Minuten hatte ich genug gesehen, bat sie, mit mir vor die Tür zu gehen und sagte:

»Dies ist eine Kinderzahnarztpraxis, oder? Ich schlage vor, wir betrachten sie jetzt einmal gemeinsam aus den Augen eines Kindes.«

Und genau das taten wir dann auch. Auf allen vieren krabbelten wir ins Wartezimmer und sahen uns um. »Was siehst du?«, fragte ich meine Freundin. Erstaunt blickte sie mich an und meinte dann, »Hm, wenig bis gar nichts.«

Und wirklich: Alles befand sich auf Augenhöhe eines Erwachsenen. Die Dame am Empfang war überaus liebenswert und freundlich, aber hinter dem hohen Empfangstresen für Kinder praktisch unsichtbar.

»Was hältst du davon, den Empfangstresen niedriger zu machen, damit deine kleinen Patienten sehen, dass dahinter eine sehr nette Frau sitzt? Als nächstes achte einmal darauf, was du gerade hörst. Wie klingt das für dich?«

Wir lauschten. Es klang, als ob irgendein bösartiger Mensch im Behandlungszimmer hilflose Mäuse folterte. Solche Hintergrundgeräusche will kein Kind hören, das zum Zahnarzt muss. Ich schlug meiner Freundin vor, über Lautsprecher eine entspannende Hintergrundmusik laufen zu lassen, deren Takt in etwa dem menschlichen Herzschlag entsprach. Das hätte zum einen eine beruhigende Wirkung auf die Patienten und würde zum anderen die Geräusche aus den Behandlungszimmern übertönen. Ein bisschen schalldämpfendes Material in den Räumen wäre sicherlich auch nicht verkehrt.

Als ich meine Freundin fragte, wie sie den Praxisgeruch empfand, rümpfte sie spontan die Nase. Kein Wunder, denn es roch, wie es in einer Arztpraxis nun eben einmal so riecht. Bei einem Kind löst dieser Geruch panische Angst aus. Sobald es über die Schwelle tritt und ihn riecht, denkt es sofort an die letzte Spritze, die es bekommen hat, und bekommt Angst.

Meine Freundin sah mich nachdenklich an. »Wir sollten das Ganze komplett anders aufziehen, oder?«, fragte sie mich.

»Das sehe ich auch so«, stimmte ich ihr zu.

Das Problem war, dass meine Freundin ihre Praxis aus Zahnarztsicht statt aus Kindersicht gestaltet hatte. Die Lösung war, eine andere Perspektive einzunehmen, die sich durch die Richtungsumkehr eröffnete, sich als Erwachsener in die Wahrnehmung und Gedankenwelt eines Kindes zu versetzen. Als ich sie das nächste Mal in ihrer Praxis besuchte, bot sich mir ein vollkommen anderes Bild. Sie hatte tatsächlich jeden meiner Vorschläge umgesetzt und seitdem kann sie sich nicht mehr über mangelnden Zulauf beschweren.

Zündende Ideen lassen selten lange auf sich warten, wenn Sie bereit sind, notfalls auch auf Händen und Knien herumzukrabbeln, um die Dinge aus einer völlig neuen Perspektive zu betrachten und sich vorstellen können, wohin die aktuellen Trends uns in Zukunft treiben könnten. Der ganze Trick besteht darin, mit dem Blick auf das gegenwärtig Machbare schon heute zu vollbringen, was noch als unmöglich erscheint.

Dass Sie sich Gedanken über Sicherheitsverbesserungen an Bohrplattformen machen oder sich dazu berufen fühlen, die Lösung für die Energiekrise aus dem Ärmel zu schütteln, halte ich für eher unwahrscheinlich. Sie haben sicherlich genug damit zu tun, die Herausforderungen zu meistern, die Ihr Leben für Sie bereithält. Vielleicht sind Sie in einer ähnlichen Situation wie meine Freundin, die Kinderzahnärztin, und möchten Ihr Geschäft ankurbeln. Möglicherweise brauchen Sie dringend eine zündende Idee, um Ihre Firma vor dem Untergang zu bewahren, oder Sie fragen sich, wie Sie trotz der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt Ihrer Karriere auf die Sprünge helfen können. Auch wenn Ihre Probleme vermutlich weniger weltbewegend sind wie Ölteppiche und Umweltkatastrophen, ist ihre Lösung für Sie persönlich sicherlich eine dringliche und vielleicht ebenso unmöglich erscheinende Aufgabe. Die gute Nachricht ist: Egal, ob Sie permanent unter immensem Zeitdruck stehen, die Finanzen knapp werden, Ihr Absatzmarkt schrumpft, Sie sich vor Arbeit kaum retten können oder vor einem scheinbar unüberwindbaren Hindernis stehen, es gibt für jedes Problem die perfekte Lösung – man muss sie lediglich sichtbar werden lassen.

In die Zukunft zu blicken, war schon immer praktisch, aber noch nie so essenziell wichtig wie heute. Der Wandel vollzog sich früher viel langsamer und in so kleinen Schritten, dass wir relativ mühelos mit ihm mithalten konnten. Bei dem Schwindel erregenden Tempo, mit dem sich der technologische Fortschritt mittlerweile vollzieht, ist es jedoch überlebenswichtig, schon heute zu wissen, was morgen möglich und machbar ist.

Es gab einmal eine Zeit, in der nur einige Auserwählte – Geistliche, Gelehrte und Kaufleute – lesen und schreiben konnten. Es gab einmal eine Zeit, in der kaum ein Mensch Autofahren konnte oder wollte. Es gab auch einmal eine Zeit, in der nur eine Handvoll Wissenschaftler und Militärstrategen wussten, was das Internet ist und was man damit machen kann. Und bis heute gibt es nur eine Handvoll Menschen, die ganz ohne Kristallkugel in die Zukunft blicken und treffsichere Prognosen erstellen können. Es ist höchste Zeit, dass jeder erfährt, wie das geht.

Zukunftsflashs

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