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Artensterben in Amerika

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Vom ökologischen Standpunkt aus interessant sind die Veränderungen der natürlichen Umwelt, die parallel zur Vermehrung der Menschen in Amerika stattfanden. Um die Zeit ihrer Ankunft verschwanden 73 Prozent aller Säugetierarten über 44 Kilo und alle über 1000 Kilo vom Kontinent. Dazu gehörten Mammut, Mastodon, Eremotherium (Riesenfaultier, bis zu 6 Meter groß und mindestens 3 Tonnen schwer), Smilodon (Säbelzahnkatze von der Größe eines Löwen), Castoroid (Riesenbiber von der Größe eines Schwarzbärs), Glyptodon (Riesengürteltier), Bison antiquus (mit geraden Hörnern), dazu fünf Pferdearten, Kurznasenbär, Canis dirus (eine Wolfsart) und viele andere.72 Durch ihr Aussterben verarmte die Fauna Nord- und Südamerikas drastisch.

Dieses Aussterben geschah nicht über Nacht. Analysen von Seesedimenten in Indiana zeigen, dass Riesentiere schon vor 14 800–13 700 Jahren zu verschwinden begannen, lange vor den ersten Clovis-Speerspitzen. Andere starben vor 13 800–11 400 Jahren aus, parallel zur Clovis-Periode, und in Alaska überlebten Mammuts und Pferde bis vor wenigstens 10 500 Jahren. Das Artensterben zog sich also über lange Zeit hin.73

Was konnte es verursacht haben? Eine Antwort darauf könnten klimatische Veränderungen sein. Vor 18 000 Jahren wurde das Klima allmählich wärmer. Dann kühlte es vor 12 800 Jahren abrupt ab, möglicherweise durch die Einwirkung eines außerirdischen Objekts.74 1300 Jahre später begann es sich dann wieder zu erwärmen. Obwohl solche Klimaveränderungen auf einige Tiere vielleicht großen Druck ausübten, hatte die einheimische amerikanische Megafauna zuvor schon viele Schocks überlebt. Innerhalb weniger Tausend Jahre verloren Nord- und Südamerika mehr Arten von großen Landsäugetieren als in den zurückliegenden 1,8 Millionen Jahren. In den 2 Millionen Jahren vor der Ankunft des Menschen waren in Amerika 50 große Landsäugetiere ausgestorben. In den nur 2000 Jahren, nachdem die Menschen kamen, waren es 57 Arten. Wenn der Klimawandel zum Aussterben geführt hätte, hätte er auch kleinere Tiere betroffen, aber das war bei kleineren Land- oder Meeressäugetieren kaum der Fall.75 Außerdem gibt es Hinweise, dass der Rückgang der Megafauna 1000 Jahre vor der Abkühlungsphase begann und danach weiterging. Die Klimahypothese ist also nicht überzeugend.76

Damit bleibt der Mensch übrig. 1967 stellten die Anthropologen Paul Martin und H. E. Wright Jr. die sogenannte Blitzkrieg- oder Overkill-Hypothese auf, nach der die Menschen beim Betreten Amerikas wie eine Welle 16 Kilometer pro Jahr vorgedrungen seien und jedes große Tier auf ihrem Weg getötet hätten.77 Man muss kein derart dramatisches Szenario akzeptieren, um die Rolle des Menschen beim Aussterben großer Tiere zu sehen. Statt der Blitzkrieg-Analogie entsteht inzwischen ein komplexeres Bild.

Die Tiere in Nord- und Südamerika hatten noch nie Menschen gesehen und besaßen keinen Fluchtinstinkt. Wie in Australien pflanzten sich die größeren Tiere so langsam fort, dass das Töten weniger fruchtbarer Weibchen ihren Bestand unwiderruflich senken konnte. Der Biologe Edward Wilson schreibt dazu: „In der Regel beginnt Inzucht das Bevölkerungswachstum zu bremsen, wenn die Zahl der fortpflanzungsfähigen Erwachsenen unter 500 fällt. Sinkt die Zahl unter 50 wird die Inzucht extrem, und sie kann eine Art völlig auslöschen, wenn die Zahl zehn erreicht ist.“78 Die Menschen brauchten keinen Blitzkrieg, um die amerikanische Megafauna auszulöschen.

Die Megafauna verschwand nicht kampflos. Die kleine Zahl menschlicher Siedlungsplätze vor der Clovis-„Explosion“ ist wahrscheinlich ein Anzeichen, dass nur wenige der frühen eingewanderten Menschen überlebten. Der Naturforscher und Grizzlybärenexperte Doug Peacock bietet einen faszinierenden Erklärungsansatz für das Scheitern der frühen Einwanderer, sich zu vermehren, nämlich die Kurznasenbären (Arctodus pristinus und Arctodus simus). Sie wogen fast eine Tonne, waren aufgerichtet bis zu 3,70 Meter groß und damit die größten fleischfressenden Landsäugetiere. Sie hätten die Zahl der Menschen recht niedrig halten können, bis die Einführung der Clovis-Spitzen zum Aussterben ihrer Beutetiere, der großen Pflanzenfresser führte.79

Natürlich starben nicht alle großen Tiere aus. Bison, Rothirsch, Elch und Grizzlybär existieren noch heute, weil sie erst kurz zuvor über die Landbrücke von Beringia aus Sibirien gekommen waren. Da sie Jahrtausende der Begegnung mit Menschen in der Alten Welt überlebt hatten, blieben sie instinktiv auf Distanz. So löste der vom europäischen Braunbären abstammende Grizzly den amerikanischen Kurznasenbären ab, der Elch den amerikanischen Hirschelch und der graue Wolf den Canis dirus. Der ursprüngliche, mit dem Wisent verwandte Bison lebte 3 Millionen Jahre in Amerika; sein Nachkomme, ein langhorniger großer Pflanzenfresser, entwickelte sich unter dem Druck menschlicher Jagd zum bekannten amerikanischen Bison oder Büffel, einem kleineren Tier mit kurzen Hörnern, das sich im Schutz von Herden bewegt. Von den größeren einheimischen Tieren Amerikas überdauerten nur Schwarzbär und Maultierhirsch die Ankunft des Homo sapiens.80

Im Gegensatz zu den Neandertalern waren die Paläo-Indianer nicht ausschließlich Jäger. Sie jagten und sammelten alle Arten von Nahrung – Fisch, Weichtiere, Kleintiere, Samenkörner und Nüsse –, noch bevor das leichte Jagen vorüber war. Sie brannten Wälder ab, um Pflanzenfresser zur Vermehrung zu ermuntern.81 Etwa vor 11 000 Jahren lernten sie, Bisonherden in schmale Canyons oder über Felskanten zu treiben, wahrscheinlich mithilfe von Feuer.82 Unter den stark variierenden Umweltbedingungen der Neuen Welt traten an die Stelle der einfachen Clovis-Jagdkultur sehr unterschiedliche Kulturen, von denen manche Nahrung anbauten und komplexe Gesellschaften schufen.

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