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Einleitung Globale Umweltgeschichte

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1928 schrieb John Widtsoe, der Direktor des United States Bureau of Reclamation (Amt für Bewässerung und Wasserkraft): „Es ist das Schicksal des Menschen, die ganze Erde zu besitzen, und es ist das Schicksal der Erde, dem Menschen untertan zu sein. Es kann keine vollständige Eroberung der Erde und keine wahre Befriedigung für die Menschheit geben, solange sich große Teile der Erde ihrer völligen Kontrolle entziehen.“1

Seit Widtsoe das schrieb, ist die Eroberung der Erde rasant fortgeschritten. Die Weltbevölkerung hat sich mehr als verdreifacht. Konsumgüter sind reichlicher vorhanden, der Lebensstandard ist gestiegen, und neue Technologien haben das Leben von Millionen Menschen verändert. Straßen, Bahnstrecken, Flugplätze, Städte und Bergbau bedecken eine viel größere Fläche des Planeten. Ehemals bewaldetes Land ist in Weide- und Ackerland umgewandelt worden. Große Teile der Ozeane sind leer gefischt und mit Müll und Öl verschmutzt. Die Atmosphäre enthält mehr Methan und Kohlendioxid. Viele Tier- und Pflanzenarten sind ausgestorben oder existieren nur noch in wenigen Exemplaren. Die Veränderungen auf der Erde seit 1928 sind weitgehend menschengemacht und gehen auf Kosten wilder Pflanzen und Tiere und Naturlandschaften.

Bis vor Kurzem waren die meisten Menschen im Westen damit ganz einverstanden. War es so nicht von Gott gewollt? Schließlich hieß es schon am Anfang der Bibel: „Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und macht sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“2

In den letzten Jahrzehnten haben jedoch immer mehr Stimmen den „Besitz der Erde“ als Umweltkrise kritisiert, die sich in Umweltverschmutzung, Ressourcenerschöpfung, Entwaldung und Artenvernichtung zeigt. Damit stellt sich die Frage: Wann begannen Menschen die Erde zu schädigen, anders gefragt: Wann begann die „Krise“? Historiker und Naturwissenschaftler haben diese Frage unterschiedlich beantwortet.

Im Jahr 2000 prägten der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Atmosphärenchemiker Paul Crutzen und der Ökologe Eugene Stoermer den Begriff „Anthropozän“, um die Epoche zu definieren, in der der Mensch einen bestimmenden Einfluss auf seine Umwelt auszuüben begann.3 Nach ihrer Auffassung begann diese Epoche mit der industriellen Revolution des späten 18. Jahrhunderts, „für die Analysen von im Polareis gefangener Luft den Beginn der steigenden globalen Kohlendioxid- und Methankonzentrationen zeigen“. Sie gaben sogar ein genaues Jahr an – 1784 –, das mit James Watts Entwurf der Dampfmaschine zusammenfiel.

Der Historiker Stephen Mosely hat argumentiert, dass die Ursprünge der heutigen Krise bis ins 16. Jahrhundert zurückgehen, als „das Konzept der Natur als einer Art Maschine entstand. … Dieses neue wissenschaftliche Weltbild fasste die Natur als totes Material für den menschlichen Gebrauch auf “.4

Weiter zurück ging der Mediävist Lynn White Jr. in seinem berühmten Artikel „The Historical Roots of Our Ecological Crisis“. Er sah den Ursprung der Gleichgültigkeit gegenüber der Natur im Europa des frühen Mittelalters, als „die Verteilung von Land nicht mehr den Bedürfnissen einer Familie entsprach, sondern der Kapazität einer Antriebsmaschine [des Acht Ochsen-Pflugs], den Boden zu pflügen. Das Verhältnis des Menschen zum Boden veränderte sich tiefgreifend. Früher war der Mensch Teil der Natur gewesen; nun beutete er die Natur aus“. Hinter der Maschine stand für White ein neues religiöses Weltbild: „Durch seine Zerstörung des heidnischen Animismus ermöglichte es das Christentum, die Natur gleichgültig gegenüber den Gefühlen natürlicher Objekte auszubeuten.“5

Doch laut dem Umweltforscher Erle Ellis und seinen Kollegen verursachten schon lange vor dem Mittelalter „relativ kleine menschliche Bevölkerungsgruppen ausgedehnte und tiefgreifende Umweltveränderungen vor über 3000 Jahren“.6

Einen noch größeren Zeitrahmen wählt der Umwelthistoriker Sing Chew, wenn er schreibt: „Die Geschichte von Zivilisationen, Königreichen, Imperien und Staaten ist auch die Geschichte von Umweltzerstörung und -krise. Ein solcher historischer Verlauf von menschlicher ‚makro-parasitischer‘ Aktivität umfasst auf der systemweiten strukturellen Ebene mindestens die letzten 5000 Jahre.“7

Und schließlich verfolgte der Klimatologe William Ruddiman den Beginn der menschlichen Beeinflussung des Planeten zu den ersten Ackerbauern und Viehzüchtern der Jungsteinzeit vor rund 10 000 Jahren zurück.8

Diese Debatte zeigt die sehr menschliche, aber sinnlose Gewohnheit, einem langfristigen Prozess Daten anzuheften. Der menschliche Einfluss auf die Umwelt begann vor sehr langer Zeit in ganz geringem Maße, wuchs aber schrittweise – wenn auch nicht kontinuierlich – bis zum 18. Jahrhundert an und beschleunigte sich dann bis heute. Was sich im Lauf der Zeit verändert hat, war nicht der Wunsch der Menschen, ihre jeweilige Umwelt auszubeuten, sondern die technologischen und organisatorischen Mittel, die sie gegen die übrige Natur entwickelten und anwandten – und deren Folgen.

Macht euch die Erde untertan

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