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Hinwendung zum Körper als Perspektivenwechsel

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Im Alltag sind wir unserem Körper wenig nahe. Wir benutzen ihn und spüren – mehr oder weniger feinfühlig – Störungen in seinem Funktionieren. Wir verfolgen Ziele, die unsere soziale, berufliche und finanzielle Existenz betreffen. Die Benutzung des Körpers zur Erreichung dieser Ziele erfolgt unter der Annahme, dass er leistungsfähig ist und uns selbstverständlich als Werkzeug zur Verfügung steht. Er wird den angestrebten Zielen untergeordnet. Erst wenn seine Leistungsfähigkeit so ernsthaft eingeschränkt ist, dass wir nicht nur registrieren, dass wir es zu weit getrieben haben, sondern sogar die angestrebten Ziele infrage stellen, beginnen wir, unseren Umgang mit dem Körper zu hinterfragen.

Indem man eine bessere Beziehung zum Körper aufbaut und versteht, dass er es ist, der uns in der Welt repräsentiert, und dass es ohne ihn gar keine Ziele geben wird, eröffnet man sich den Zugang zu ihm, der es ermöglicht, ihn zu schützen und durch ihn umfassend in der physischen Welt zu sein. Die Hinwendung zum Körper verfeinert die Wahrnehmung und führt nach einiger Zeit zu differenzierteren und auch neuen Sichtweisen, die unsere Welt durch unsere erweiterte Wahrnehmung bereichern.

Die Wahrnehmung des Körpers an sich kann uns schließlich zu Lebenszielen führen, durch die wir mehr Zufriedenheit im körperlichen und seelischen Bereich erlangen, weil der Ausgangspunkt – die eigene Wahrnehmungs- und Leistungsfähigkeit – die Ziele realistischer bestimmen hilft. Die Sicht der Welt wird verankert im Sein des Körpers. Alles Betrachten und Wollen hat seinen Ausgangs- und Endpunkt im Körper.

Das, was wir von der Welt bewusst wahrnehmen, stellt sich uns gern als die ausschließliche Wirklichkeit dar. Tatsächlich wird es aber stark von unseren bisherigen Erfahrungen und den dazugehörigen Gefühlen beeinflusst, die mit dem Wahrgenommenen und den vergangenen Erlebnissen verbunden sind. Das ist leicht ersichtlich aus der selektiven Wahrnehmung: Wenn man sich für den Kauf eines bestimmten Autos entschlossen hat, gibt es plötzlich viel mehr von dieser Sorte auf den Straßen – jedenfalls für die bewusste Wahrnehmung. Wer in der Vergangenheit beängstigende Erfahrungen mit Hunden gemacht hat, wird in der Nähe von Hunden leichter Angst haben, als wenn ihm die unangenehmen Erfahrungen erspart geblieben wären. Lernt man nun einen Hund als lieben Hund kennen, ändert sich das eigene Erleben wiederum entsprechend.

Wenn man diesen Gedanken tiefer verfolgt, wird ersichtlich, dass das Bewusstsein zwar die Bühne der subjektiven Welt ist, was sich dort abspielt, wird aber immer auch aus dem Verborgenen, dem Unbewussten mitbestimmt. Hinter der Bühne gibt es bekannte und unbekannte Bereiche. Unbekannt ist auf jeden Fall die Zahl der Zimmer und der Schauspieler, auch wenn einzelne bekannt sind.

Unser Erleben und Handeln wird also nicht nur durch unseren Verstand bestimmt, sondern in unterschiedlichem Ausmaß auch durch unbewusste Erfahrungen und Bedürfnisse.

In tiefen Entspannungen kann auf diese unbewussten Inhalte Einfluss genommen werden. Ein entspanntes Bewusstsein verengt sich zunächst, erweitert sich als Folge häufiger Entspannungen jedoch aus sich selbst heraus. Es öffnet sich für zuvor unbewusste Inhalte und setzt sie neu in Bezug zueinander. Das wird gelingen, weil in der tiefen Entspannung zuvor unverarbeitete Erlebnisse ganz natürlich integriert werden. Sie werden durch unbewusste Mechanismen in ein gutes Verhältnis zueinander gebracht. In der Folge werden sie auch konstruktiv genutzt – zumindest in dem Sinne, dass sie vor ähnlichen unangenehmen Erlebnissen schützen.

Als Beispiel kann man sich vorstellen, dass ein Nichtschwimmer, der im Strandbereich des Meeres fast ertrunken wäre, weil er sich zu weit hinausgewagt hat, diese Erfahrung zunächst verdrängt. Wird diese Erfahrung nicht verarbeitet, meidet er zunächst die Erinnerung daran, die ihn jedes Mal aufregt. Das Meer wird er auch nicht mehr betreten wollen. Möglicherweise empfindet er bei jedem Anblick einer größeren Wassermenge starkes Herzklopfen und eine unangenehme Angst, die generalisiert wird. In tiefer Entspannung dagegen mag es ihm möglich sein, in der Vorstellung im Wasser zu schwimmen und die damit verbundenen schönen Gefühle zu genießen. Möglicherweise kommt er zu dem konstruktiven Entschluss, in einem sicheren Rahmen schwimmen zu lernen, um den fantasierten Genuss tatsächlich erleben zu können.

Zuvor verdrängte Gefühle und Erfahrungen werden bewusst zugelassen, sobald sie auf eine gute Weise in uns integriert werden.

Mit unserem bewussten Verstand halten wir unterschiedlich stark an vorgefassten Meinungen über die (Un-)Veränderbarkeit unserer Lebensbedingungen fest. Das hat den Vorteil, dass es uns die (manchmal trügerische) Sicherheit gibt, dass unsere Welt von uns kontrolliert werden kann und sie bis zu einem bestimmt Ausmaß unveränderbar scheint. Allerdings ist das eine Illusion, denn alles verändert sich permanent. Tatsächliche Sicherheit ergibt sich nur aus der Anpassung an die Veränderung, an den »Fluss der Dinge«, wie die fehlende Konstanz gerne genannt wird.

Indem wir annehmen, es gebe eine konstante Wirklichkeit, schaffen wir scheinbare Beständigkeit, die uns beruhigt. Andererseits bleiben uns Lösungen für Probleme leichter verborgen. In der Entspannung spielt der Verstand eine wesentlich geringere Rolle für unser Befinden in der Welt. Dadurch werden die bewussten Einstellungen flexibler. Indem in den Geschichten dieses Buches alternative Perspektiven auf diesem (unbewussten) Boden beispielhaft dargestellt werden, können sich neue Lösungswege eröffnen.

Die Melodie der Ruhe

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