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IV. Der relevante Wohlfahrtsstandard

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Diese Überlegungen stehen in direktem Zusammenhang mit der Diskussion über den in der Wettbewerbspolitik zu verwendenden Wohlfahrtsstandard, wie z.B. bei der Beurteilung von Effizienzgewinnen in der Fusionskontrolle. Dabei werden zumeist zwei alternative Beurteilungsmaßstäbe diskutiert: Der Gesamtwohlfahrtsstandard (Total Welfare Standard) und der Konsumentenwohlfahrtsstandard (Consumer Welfare Standard). Der erste entspricht der Vorstellung, die Wettbewerbspolitik sollte darauf hinwirken, die Gesamtwohlfahrt als Summe von Konsumenten- und Produzentenrente zu maximieren. Die Aufteilung der volkswirtschaftlichen Rente auf Konsumenten- und Produzentenrente ist unerheblich, es kommt lediglich darauf an, sie so groß wie möglich zu machen. Aus ökonomischer Sicht ist der Gesamtwohlfahrtsstandard gleichbedeutend mit der Realisierung einer effizienten Allokation und wird daher von vielen Ökonomen präferiert.9 Der Konsumentenwohlfahrtsstandard hingegen orientiert sich ausschließlich an der Konsumentenrente.10 Wettbewerbspolitische Maßnahmen sollten hiernach darauf abzielen, sie zu erhöhen oder zumindest eine Verringerung zu verhindern.11 Änderungen der Produzentenrente sind dabei unbeachtlich. Beim Konsumentenwohlfahrtsstandard ist entscheidend, wie sich die Konsumentenrente verändert. Bei gleichbleibenden Leistungen steigt die Konsumentenrente genau dann, wenn die Preise fallen. Der Unterschied zwischen den beiden Wohlfahrtsstandards kann an folgendem Beispiel verdeutlicht werden: Falls eine Fusion zum einen zu mehr Marktmacht und damit zu höheren Preisen führt, zum anderen aber auch mit Kosteneinsparungen verbunden ist (produktive Effizienz), so würde beim Gesamtwohlfahrtsstandard nur berücksichtigt, ob die allokativen Effizienzverluste, die aufgrund der Marktmacht entstehen, größer oder kleiner sind als die aufgrund der fusionsbedingten Kosteneinsparungen erzielten Gewinne an produktiver Effizienz. Je nachdem, welcher Effekt überwiegt, sollte die Fusion genehmigt oder untersagt werden. Hierbei handelt es sich um den bekannten Williamson-Trade-off zwischen den negativen Auswirkungen einer Fusion aufgrund steigender Marktmacht auf die allokative Effizienz und deren positive Auswirkungen auf die produktive Effizienz.12 Die gleichzeitig stattfindende Umverteilung der volkswirtschaftlichen Rente von den Nachfragern zu den Anbietern infolge des höheren Preises aufgrund zusätzlicher Marktmacht würde nicht in die Beurteilung eingehen. Beim Konsumentenwohlfahrtsstandard würde diese Umverteilung hingegen berücksichtigt, weil es hier nur auf die Auswirkungen auf die Konsumentenrente ankommt. Wären hierbei die Effizienzvorteile durch die Fusion so groß, dass es trotz erhöhter Marktmacht zu fallenden Preisen und damit zu einer erhöhten Konsumentenrente kommt, dann würde einer Genehmigung dieser Fusion nichts im Wege stehen. Beim Konsumentenwohlfahrtsstandard ist folglich keine Saldierung der Wohlfahrtsverluste für die Konsumenten mit den Wohlfahrtsgewinnen für die Produzenten möglich, wie dies beim Gesamtwohlfahrtsstandard der Fall ist. Wohlfahrtsökonomisch entspricht damit der Gesamtwohlfahrtsstandard dem so genannten Kaldor-Hicks-Kriterium, das – aufgrund der theoretisch möglichen Kompensationsmöglichkeit der Konsumenten durch die Produzenten – eine Saldierung erlaubt, während der Konsumentenwohlfahrtsstandard darauf beharrt, dass wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen sich nie so auswirken dürfen, dass die Konsumenten schlechter gestellt werden.13

Zumeist werden für den Gesamtwohlfahrtsstandard die folgenden Argumente angeführt: Die Berücksichtigung sowohl der Konsumenten- als auch der Produzentenrente sorge dafür, dass eine größere Zahl effizienzerhöhender Entwicklungen ermöglicht werde als bei einer Beschränkung auf die Betrachtung der Konsumentenrente. Viele Unternehmen gehörten Aktionären, die gleichzeitig Konsumenten seien, sodass eine Erhöhung der Produzentenrente letztlich auch den Konsumenten zugute komme. Weiterhin wird argumentiert, dass eine Erhöhung der Produzentenrente die Unternehmen in die Lage versetze, einen größeren Betrag in Forschung und Entwicklung zu investieren, von der mittel- und langfristig auch wieder die Konsumenten profitierten.14

Für die Konzentration auf die Konsumentenrente als Beurteilungskriterium hingegen spreche die Tatsache, dass es im Unterschied zu den Unternehmen den Konsumenten im Allgemeinen nicht möglich sei, ihre Interessen zu bündeln, um im politischen Prozess hinreichend Berücksichtigung zu finden. Daher müssten die Interessen der Konsumenten bereits institutionell, im Rahmen des Wettbewerbsrechts bzw. der Wettbewerbspolitik Beachtung finden, was durch den Konsumentenwohlfahrtsstandard gewährleistet sei. Auch können bei Anwendung dieses Standards Unternehmen mögliche Informationsvorteile gegenüber den Wettbewerbsbehörden nicht mehr ausnutzen. Ein weiteres, pragmatisches Argument für diesen Standard ist, dass er einfacher anzuwenden sei, da wettbewerbsrechtliche bzw. -politische Maßnahmen bereits anhand einer zu erwartenden Preisänderung beurteilt werden könnten und Änderungen der Produzentenrente nicht berücksichtigt werden müssten. Ein weiteres Argument, das für den Konsumentenwohlfahrtsstandard angeführt wird, ist, dass das Ziel der Gesamtwohlfahrt besser erreicht wird, wenn die Wettbewerbsbehörden sich am Konsumentenwohlfahrtsstandard orientieren. So wurde gezeigt, dass eine Ankündigung der Wettbewerbsbehörden, sich am Konsumentenwohlfahrtsstandard zu orientieren, dazu führt, dass vor allem solche Zusammenschlüsse stattfinden werden, die die Gesamtwohlfahrt erhöhen.15 Wenn Unternehmen durch Lobbying das Ergebnis eine Fusionsentscheidung beeinflussen können, dann führt ein gewichteter Durchschnitt von Produzenten- und Konsumentenrente mit einem größeren Gewicht für letztere zu einem Ausgleich des Einflusses der Unternehmen auf die Wettbewerbsbehörden.16

Die Entscheidung über den Standard zur Beurteilung wettbewerbsrechtlicher bzw. -politischer Maßnahmen ist letztlich normativer Natur.17 Die meisten Wirtschaftswissenschaftler neigen dem Gesamtwohlfahrtsstandard zu, da sie sich in aller Regel an der gesamten Wohlfahrt orientieren und Verteilungsfragen anderen Politikbereichen zuweisen.18 Der Gesamtwohlfahrtsstandard lässt die Verteilung der volkswirtschaftlichen Rente zwischen Produzenten- und Konsumentenrente bewusst unberücksichtigt, entscheidend ist nur ihre absolute Höhe. Die Aufteilung auf Konsumenten und Unternehmen könnte durch eine entsprechende Verteilungs- oder Steuerpolitik geregelt werden. Verteilungsfragen werden also anderen Politikbereichen als der Wettbewerbspolitik zugeordnet.19 Verwendet man hingegen den Konsumentenwohlfahrtsstandard, dann wird über die Verteilung der volkswirtschaftlichen Rente bereits im Rahmen der Wettbewerbspolitik bzw. des Wettbewerbsrechts mitentschieden: Nur solche Maßnahmen und Entwicklungen sind unproblematisch, die die Konsumenten an den Vorteilen teilhaben lassen. Die normative Frage, welcher Wohlfahrtsstandard anzuwenden sei, wird in verschiedenen Jurisdiktionen unterschiedlich beantwortet. So wird in Europa und in den USA tendenziell der Standard der Konsumentenwohlfahrt herangezogen, während in Ländern wie z.B. Kanada, Australien und Neuseeland auch die Produzentenrente mitberücksichtigt wird.20

1 Benannt nach dem italienischen Ökonomen und Soziologen Vilfredo Pareto (1848–1923). 2 Es kann theoretisch auch der Fall eintreten, dass die Nachfragefunktion in bestimmten Bereichen auch einen steigenden Verlauf hat. Derartige so genannte Giffen-Güter konnten jedoch empirisch bisher noch nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. 3 Das in der Wirtschaftstheorie verwendete Kostenkonzept entspricht zumeist nicht den buchhalterischen Kosten, sondern es handelt sich um sogenannte Opportunitätskosten. Diese enthalten z.B. auch den kalkulatorischen Unternehmerlohn und die marktübliche Kapitalverzinsung. 4 Allerdings kann auch der Fall abnehmender Grenzkosten auftreten. In diesem Fall liegt ein sogenanntes natürliches Monopol vor, denn in einer solchen Situation wäre es am kostengünstigsten, die gesamte Produktionsmenge nur in einem einzigen Unternehmen herzustellen. 5 Bei langfristiger Betrachtung ist die Produzentenrente gleich dem Gewinn des Unternehmens, in kurzfristiger Betrachtung differieren Produzentenrente und Gewinn um den Betrag der Fixkosten, die ja in diesem Fall nicht in die Grenzkosten eingehen. 6 Vgl. S. 20–22. Der Begriff der „dynamischen Effizienz“ hat deshalb in der ökonomischen Theorie nicht den gleichen theoretischen Status wie die Konzepte der Allokations- und Produktionseffizienz. 7 Allerdings gibt es theoretische Modelle, die zeigen, dass in bestimmten Situationen zuviel in Forschung und Entwicklung investiert wird, als für die Gesellschaft optimal wäre. 8 Auf dieses Problem haben bereits Hayek und Hoppmann in ihrer Diskussion von Wettbewerb als ergebnisoffenem Prozess aufmerksam gemacht. Vgl. Hayek (1968) sowie Hoppmann (1988). 9 Vgl. Farrell/Katz (2006), Heyer (2006). 10 Zum Konsumentenwohlfahrtsstandard vgl. Cseres (2006). 11 Dabei ist zu berücksichtigen, dass „Konsument“ nicht nur den Endverbraucher bezeichnet, sondern Nachfrager allgemein. Vgl. hierzu Akman (2008). 12 Vgl. Williamson (1968) sowie Farrell/Shapiro (1990). Vgl. auch S. 620–623. 13 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass bei Anwendung des Gesamtwohlfahrtsstandards unterstellt ist, dass eine Umverteilung, d.h. eine Änderung der Einkommensverteilung, selbst keine Wohlfahrtseffekte bewirkt. Dies gilt jedoch nur unter sehr spezifischen Voraussetzungen. 14 Vgl. hierzu S. 9–11. 15 Vgl. Friedolfsson (2007); Lyons (2002). 16 Vgl. Neven/Röller (2005). 17 Die Frage nach dem anzuwendenden Wohlfahrtsstandard ist im Kontext des „New Brandeis Movements“ in der US-amerikanischen Wettbewerbspolitik in jüngerer Zeit wieder thematisiert worden. Vgl. hierzu S. 638f. und die dort angegebene Literatur. 18 Vgl. z.B. Farrell/Katz (2006). 19 Dieses Argument setzt jedoch implizit voraus, dass die Höhe der volkswirtschaftlichen Rente unabhängig von einer möglicherweise später erfolgenden Umverteilung ist. Vgl. auch Fn. 9. Die Frage der Umverteilung von volkswirtschaftlicher Rente von den Konsumenten auf die Produzenten gehörte zu den traditionellen Argumenten der Wettbewerbspolitik. Dieser Aspekt wurde von Pittman (2007) wieder aufgegriffen. 20Lyons (2002) sowie Motta (2004), 20.

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