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λ) Marktabgrenzung bei bestehender Marktmacht – Die Cellophane fallacy
ОглавлениеEin weiterer wichtiger Aspekt, der bei einer Marktabgrenzung beachtet werden muss, ist die Art des wettbewerblichen Problems, das mithilfe einer indirekten Erfassung von Marktmacht analysiert werden soll. So ist z.B. im Rahmen eines Fusionsproblems zu untersuchen, ob durch den Zusammenschluss Marktmacht entsteht oder vergrößert wird. Diese Untersuchung ist also prospektiv und der Ausgangspunkt der Marktabgrenzung ist im Allgemeinen der herrschende Preis. Dabei wird die Frage gestellt, ob ein gewinnmaximierender hypothetischer Monopolist den Preis seines Produktes im Vergleich zum herrschenden Preis um einen kleinen, aber signifikanten Betrag anheben wird. Durch diesen Test wird festgestellt, welche Produkte und Gebiete beim herrschenden Preis der Marktmacht des hypothetischen Monopolisten Schranken setzen. Ein anderes Problem stellt sich jedoch, wenn geklärt werden soll, ob ein Unternehmen bereits über signifikante Marktmacht verfügt, wie z.B. bei der Frage, ob ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorliegt. In einem derartigen Fall geht es nicht darum, ob Marktmacht entsteht oder verstärkt wird, d.h. wie die künftigen Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt aussehen werden, sondern ob Marktmacht bereits existiert, d.h. es geht um die gegenwärtigen Wettbewerbsbedingungen. Die Untersuchung ist in diesem Fällen also retrospektiv. Würde man in einer solchen Situation den hypothetischen Monopolistentest blindlings anwenden, dann bestünde die Gefahr, den relevanten Markt zu weit abzugrenzen und daher die Marktmacht eines Unternehmens zu unterschätzen.
Dieser Fehler wird in der Literatur als Cellophane fallacy bezeichnet und geht auf eine Entscheidung des US Supreme Court im Fall Du Pont zurück. Du Pont, als einziger Anbieter von Zellophan, vertrat die Meinung, dass Zellophan allein kein relevanter Markt sei, da andere flexible Verpackungsmaterialien, wie z.B. Aluminiumfolie oder Wachspapier, als enge Substitute für Zellophan zur Verfügung stünden. Der relevante Markt wurde daraufhin vom Gericht so weit abgegrenzt, dass er alle flexiblen Verpackungsmaterialien enthielt und es wurde befunden, dass Du Pont aufgrund seiner geringen Marktanteile in diesem Markt nicht über Marktmacht verfügt. Es hat sich jedoch die Ansicht durchgesetzt, dass durch diese weite Marktabgrenzung die tatsächliche Marktmacht von Du Pont in Bezug auf Zellophan nicht erfasst wurde.138 Es ist davon auszugehen, dass Du Pont, als monopolistischer Anbieter von Zellophan, den Preis für dieses Produkt bereits angehoben hat, denn jeder Monopolist wird den Preis seines Produktes immer im elastischen Bereich der Nachfragefunktion wählen. Bei einer weiteren Preiserhöhung würden die Konsumenten auf Substitute ausweichen und der Gewinn des Monopolisten würde zurückgehen, denn wenn der Monopolist den Preis noch hätte profitabel erhöhen können, dann hätte er dies wahrscheinlich bereits getan. Durch diesen überhöhten Preis hat sich der Monopolist selbst Wettbewerb durch Substitute geschaffen, denn bei einem hohen Preis kommen für die Konsumenten auch solche Substitute in Frage, die sie bei einem niedrigeren Preis nicht berücksichtigen würden: Wenn Zellophan sehr teuer ist, dann wird auch Aluminiumfolie zu einer interessanten Alternative. Die Produkte, die beim Monopolpreis Substitute sind, müssen also nicht notwendig auch als Substitute beim Wettbewerbspreis in Frage kommen.
Wenn aber zu untersuchen ist, ob Marktmacht vorliegt, d.h. ob ein Unternehmen den Preis bereits über den wettbewerbsanalogen Preis angehoben hat, dann darf der Ausgangspunkt einer Marktabgrenzung nicht der herrschende Preis sein, sondern Ausgangspunkt der Marktabgrenzung muss der Preis sein, der bei wirksamen Wettbewerb vorliegen würde.139 Hier wäre festzustellen, welche Substitutionsmöglichkeiten den Nachfragern bei diesem hypothetischen bzw. „but-for“ Preis offenstehen würden. In der Praxis erweist es sich jedoch häufig als schwierig, einen solchen „but-for“ Preis zu ermitteln.140
Es ist zu beachten, dass die Cellophane fallacy nicht, wie bisweilen unterstellt wird, nur ein Problem des hypothetischen Monopolistentests ist, sondern auch bei anderen Verfahren der Marktabgrenzung, die z.B. auf funktionelle Austauschbarkeit aus der Sicht eines verständigen Verbrauchers abstellen, dabei aber den herrschenden und nicht den wettbewerbsanalogen Preis heranziehen, auftreten kann. Durch ein ähnliches Verfahren ist es ja ursprünglich zur fehlerhaften Marktabgrenzung im Fall Du Pont gekommen. Im Allgemeinen wird der relevante Markt nicht unabhängig vom vorliegenden Wettbewerbsproblem abgegrenzt werden können. Handelt es sich um eine Frage nach der Entstehung oder Verstärkung von Marktmacht, so ist der herrschende Preis der Ausgangspunkt und alle Produkte, die bei diesem Preis Substitute sind, werden im relevanten Markt zusammengefasst.141 Im Fall der Untersuchung, ob bereits Marktmacht vorliegt, werden die Produkte im relevanten Markt zusammengefasst, die beim wettbewerbsanalogen Preis Substitute sind.
Eine methodisch richtige Anwendung des hypothetischen Monopolistentests bei bestehender Marktmacht ist gleichbedeutend mit der direkten Feststellung von Marktmacht. Denn könnte man den wettbewerbsanalogen Preis bestimmen, dann wäre Marktmacht unmittelbar nachweisbar und eine Marktabgrenzung wäre unnötig. Wenn aber nur eine indirekte Ermittlung der Marktmacht möglich ist, wovon in der Regel auszugehen ist, sollte aus ökonomischer Sicht dem grundlegenden Konzept des hypothetischen Monopolistentests weitestmöglich gefolgt werden.142 Hierzu ist die folgende Herangehensweise vorgeschlagen worden: Die vorgenommene Marktabgrenzung muss mit dem Prinzip der Nachfrage- und Angebotssubstitution vereinbar sein und die betreffenden Güter sollten zumindest beim herrschenden Preis Substitute sein, denn wenn sie das nicht sind, dann sind sie es auch nicht bei einem niedrigeren Preis. So könnte untersucht werden, ob die Nachfrager bei einer kleinen Preissenkung der in Rede stehenden Güter in signifikantem Umfang von anderen Produkten oder Gebieten zu den Gütern, deren Preis reduziert wurde, wechseln würden.143 Das Ausmaß der Nachfragesubstitution beim herrschenden Preis könnte dann als Indikator für die Nachfragesubstitution beim wettbewerbsanalogen Preis aufgefasst werden. Weiterhin könnten Kriterien herangezogen werden, wie z.B. die funktionelle Austauschbarkeit oder die physischen Eigenschaften der Güter, wobei allerdings die Auswirkungen von Unterschieden in diesen Eigenschaften auf das Substitutionsverhalten der Nachfrager, wenn möglich mittels empirischer Untersuchungen, berücksichtigt werden sollten.144 Ein wichtiges Verfahren in diesem Zusammenhang ist die Preiskonzentrationsanalyse.145 Diese Überlegungen können auch in Fusionskontrollfällen herangezogen werden, wenn davon auszugehen ist, dass die fusionierenden Unternehmen, z.B. durch eine Verhaltenskoordination, bereits über erhebliche Marktmacht verfügen.