Читать книгу Kartellrecht und Ökonomie - Dirk Uwer, Daniel Zimmer - Страница 64

b) Kritische Elastizitäten und kritischer Absatzrückgang

Оглавление

Als komplementär zur Nachfrageanalyse werden in der Wettbewerbspolitik die Konzepte des kritischen Absatzrückgangs (critical sales loss) und der kritischen Elastizität (critical elasticity) verwendet.152 Um festzustellen, ob ein hypothetischer, gewinnmaximierender Monopolist die Preise um 5–10 % erhöhen würde, ist zu berücksichtigen, dass eine solche Preiserhöhung zwei Effekte hat: So ist durch die Preiserhöhung die Gewinnmarge bei den Einheiten, die er nach der Preiserhöhung verkauft, gestiegen, aber die Menge, die er absetzt, ist geringer geworden. Eine Preiserhöhung ist daher nur dann gewinnbringend, wenn der zusätzliche Erlös aufgrund von Verkäufen mit einer höheren Gewinnmarge größer ist als der geringere Erlös aufgrund des Rückgangs der verkauften Menge. Dieses Verhältnis zwischen der Gewinnmarge und der Nachfragesubstitution aufgrund einer Preiserhöhung von s Prozent hat zum Konzept des kritischen Absatzrückgangs (critical sales loss) und der damit verknüpften kritischen Elastizität (critical elasticity) geführt. Der kritische Absatzrückgang ist der maximale Wert, um den sich die abgesetzte Menge eines gewinnmaximierenden hypothetischen Monopolisten verringern darf, damit er eine Preiserhöhung von z.B. 5 % durchführt. Überschreitet der Absatzrückgang diesen kritischen Wert, dann wäre eine Preiserhöhung von 5 % nicht gewinnmaximierend und der Markt müsste weiter abgegrenzt werden; liegt er darunter, dann wäre eine Preiserhöhung um mindestens 5 % gewinnmaximierend und der relevante Markt wäre gefunden.

Die kritische Elastizität der Nachfrage gibt an, welchen Wert die Preiselastizität der Nachfrage maximal annehmen darf, damit ein gewinnmaximierender hypothetischer Monopolist eine Preiserhöhung von z.B. mindestens 5 % durchführen wird. Überschreitet die tatsächliche Elastizität diesen kritischen Wert, dann wird keine solche Preiserhöhung zu erwarten sein und der relevante Markt muss weiter gefasst werden.

Der kritische Absatzrückgang muss also mit dem erwarteten tatsächlichen Absatzrückgang verglichen werden, den ein Unternehmen durch eine Preiserhöhung x erleiden würde. Dieser tatsächliche Rückgang der abgesetzten Menge ergibt sich näherungsweise aus der Preiserhöhung x multipliziert mit der Preiselastizität der Nachfrage ɛ. Ist der kritische Absatzrückgang kleiner als der tatsächliche, so wäre eine Preiserhöhung von 5 % unprofitabel, die nächstbesten Substitute müssten dem Kandidatenmarkt hinzugefügt und die Analyse des kritischen Absatzrückgangs muss mit dem erweiterten Kandidatenmarkt wiederholt werden.

Der kritische Absatzrückgang, d.h. der Absatzrückgang, bei dem der Monopolist gerade indifferent wäre, eine Preiserhöhung durchzuführen oder nicht, kann wie folgt ermittelt werden:153 Angenommen der Preis in der Ausgangssituation beträgt p0 und steigt nach einer Erhöhung auf p1. Die bei diesen nachgefragten Mengen seien mit X(p0) und X(p1) bezeichnet. Dabei ist unterstellt, dass die Nachfrage beim höheren Preis geringer ist als beim niedrigeren Preis. Der Gewinn des Monopolisten, der annahmegemäß mit konstanten Grenzkosten in Höhe von c produziert, hängt vom Preis ab und wird mit π(p0) bzw. π(p1) bezeichnet. Der Preisunterschied p1p0 wird durch Δp beschrieben, die Gewinndifferenz durch Δπ und die Nachfrageänderung X(p1) – X(p0) durch ΔX. Der Monopolist wäre indifferent bezüglich einer Preiserhöhung, wenn sein Gewinn dadurch unverändert bliebe, d.h. wenn gilt:


Der Ausdruck (p1p0)X(p1) gibt den zusätzlichen Gewinn an, den er durch den Verkauf der Menge X(p1) zum höheren Preis p1 erzielt und der Term (p0c) (X(p0) – X(p1)) bezeichnet die Gewinneinbuße aufgrund der geringeren abgesetzten Menge. Wenn beide Effekte gleich groß sind, dann würde eine Preiserhöhung den Gewinn unverändert lassen. Diese Bedingung kann geschrieben werden als


bzw.


Teilt man diesen Ausdruck durch X(p0) und p0 und ordnet die Terme, dann ergibt sich


Der Ausdruck auf der linken Seite der Gleichung ist der durch die Preiserhöhung bedingte prozentuale Rückgang der abgesetzten Menge, d.h. der kritische Absatzrückgang (critical loss (CL)), der Term (p1p0)/p0 = s bezeichnet die Preiserhöhung in Prozent und (p0c)/p0 = m gibt die Gewinnmarge in Prozent an.

Der kritische Absatzrückgang kann daher geschrieben werden als


Beträgt die Preiserhöhung beispielsweise 5 % und die Gewinnmarge 45 %, dann würde der kritische Verlust 10 % betragen, d.h. das Unternehmen müsste 10 % seiner Nachfrage verlieren, wenn der Preis um 5 % steigen würde, um eine Preiserhöhung unprofitabel zu machen. Der kritische Absatzrückgang ist dabei unabhängig von der spezifischen Form der Nachfragefunktion und hängt nur von der Preiserhöhung und der Gewinnmarge ab. Es ist zu beachten, dass diese Form des kritischen Absatzrückgangs lediglich untersucht, ob eine Preiserhöhung für einen hypothetischen Monopolisten profitabel wäre, nicht aber, ob ein gewinnmaximierender hypothetischer Monopolist eine solche Preiserhöhung auch durchführen würde.154 Man kann daher auch einen „gewinnmaximierenden“ kritischen Absatzrückgang definieren, der, wie man zeigen kann, immer kleiner ist als der „gewinnneutrale“ Absatzrückgang. Implementiert man den hypothetischen Monopolistentest also mit dem gewinnneutralen CL, so kann dies zu engeren relevanten Märkten führen, da der Monopolist mehr an Absatz verlieren kann, bevor der kritische Wert erreicht wird.

Anders als beim gewinnneutralen CL hängt der kritische Absatzrückgang für einen gewinnmaximierenden hypothetischen Monopolisten von der Form der Nachfragefunktion ab.155 So ist der kritische Absatzrückgang bei einer linearen Nachfragefunktion gegeben durch


wobei das Subskript l für „linear“ steht. Im Falle einer isoelastischen Nachfragefunktion beträgt er


wobei das Subskript i für isoelastisch steht.

Die kritische Elastizität bzw. der kritische Absatzrückgang ist dann in einem zweiten Schritt mit der tatsächlichen Elastizität der Nachfragefunktion bzw. mit dem tatsächlich zu erwartenden Absatzrückgang, dem Actual Loss, zu vergleichen.156 Zur Ermittlung der tatsächlichen Elastizität sind entweder ökonometrische Schätzungen heranzuziehen oder es können Näherungswerte, z.B. aus Befragungen von Konsumenten, ermittelt werden. Ist nun der tatsächliche Absatzrückgang geringer als der kritische, dann sollte der Kandidatenmarkt um die engsten Substitute erweitert werden. Eine Preiserhöhung ist unprofitabel (oder zumindest nicht gewinnmaximierend), wenn der tatsächliche Verlust den kritischen Verlust übersteigt. Wenn dies der Fall ist, so ist der relevante Markt gefunden.

Ein wichtiger Aspekt beim Konzept des kritischen Absatzrückgangs ist darin zu sehen, dass eine höhere Gewinnmarge einen geringeren Absatzrückgang impliziert, da bei einer höheren Marge schon ein vergleichsweise kleiner Absatzrückgang eine Preiserhöhung unprofitabel machen kann. Daher wird von Seiten der fusionierenden Unternehmen oft argumentiert, dass eine Preiserhöhung von 5 % zu einem Absatzrückgang führen wird, der deutlich größer ist als der kritische Wert. Eine solche Preiserhöhung wäre daher nicht profitabel und der Kandidatenmarkt müsste um zusätzliche Produkte erweitert werden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass eine bereits beim herrschenden Preis große Gewinnmarge darauf hindeutet, dass die Preiselastizität der Nachfrage bei diesem Preis gering ist, d.h. die Verbraucher reagieren nicht sonderlich preisempfindlich. Daher ist es nicht überraschend, dass eine geringe Preiserhöhung mit einem geringen Absatzrückgang einhergeht. Die große Gewinnmarge bei herrschenden Preisen und die durch eine Preiserhöhung verursachten Einbußen deuten vielmehr darauf hin, dass der Preis bereits über das Wettbewerbsniveau angehoben wurde. Wenn dies der Fall wäre, würde das Unternehmen bereits über Marktmacht verfügen und der relevante Markt sollte nicht erweitert werden.

Eine Reihe von Punkten ist bei der Verwendung kritischer Elastizitäten bzw. des kritischen Absatzrückgangs zu beachten. So wurde darauf hingewiesen, dass der hypothetische Monopolist gegebenenfalls mehrere Produkte herstellt, bei denen es sich aber um differenzierte Produkte handeln könnte. In solchen Fällen muss die Substitution zwischen den Produkten, die durch Kreuzpreiselastizitäten und Umlenkungskennziffern gekennzeichnet ist, bei der Berechnung des kritischen Verlustes berücksichtigt werden.157 Wenn z.B. ein hypothetischer Monopolist für die Produkte 1 und 2 den Preis von Produkt 1 erhöhen würde, dann würde ein Teil D der reduzierten Nachfrage auf Produkt 2 umgelenkt werden, und als tatsächlicher Verlust wäre nur der Absatzrückgang zu verbuchen, der nicht durch das Produkt 2 zurückgewonnen wird. Im Falle einer einheitlichen Preiserhöhung für beide Produkte (oder alle Produkte im Kandidatenmarkt) gibt die aggregierte Umlenkungskennziffer D den Anteil des Absatzrückgangs an, der von allen anderen Produkten des hypothetischen Monopolisten aufgefangen wird. Der tatsächliche Absatzrückgang ist daher gegeben durch (1 – D). Unter Verwendung des Lerner-Index kann dieser Ausdruck geschrieben werden als (1 – D)s/m.158 Dieser tatsächliche Absatzrückgang ist kleiner als der gewinnneutrale kritische Absatzrückgang, d.h. der relevante Markt ist definiert, wenn gilt:


Diese Bedingung ist umso eher erfüllt, je höher die Gewinnmarge ist und/oder wenn die aggregierte Umlenkungskennziffer groß ist, d.h. wenn der hypothetische Monopolist in der Lage ist, einen großen Teil der durch eine Preiserhöhung bei einem seiner Produkte eingebüßten Nachfrage bei seinen anderen Produkten zurückzugewinnen.

Wird statt des „gewinnneutralen“ kritischen Absatzrückgang der „gewinnmaximierende“ kritische Absatzrückgang verwendet, dann lautet, bei linearer Nachfrage, die entsprechende Bedingung


Das Konzept des kritischen Absatzrückgangs wurde in den letzten Jahren auf verschiedene Arten oligopolistischer Interaktion erweitert. Dabei wurden die Preisreaktionen anderer Unternehmen im Markt berücksichtigt, unterschiedliche Reaktionen bei Preiserhöhungen und -senkungen sowie andere Aspekte, die einen Einfluss auf den Gewinn eines Unternehmens haben.159 Der kritische Absatzrückgang wurde auch für die Abgrenzung des räumlich relevanten Marktes herangezogen.160 In zweiseitigen Märkten muss bei der Verwendung des kritischen Absatzrückgangs berücksichtigt werden, dass zwischen den verschiedenen Nachfragergruppen indirekte Netzwerkeffekte bestehen, d.h. der Absatzrückgang auf beiden Marktseiten ist zu beachten. Die Gleichung zur Abschätzung des kritischen Absatzrückgangs muss entsprechend modifiziert werden, ansonsten wird der Markt zu eng abgegrenzt.161

In der Praxis stellt sich bei der Umsetzung des hypothetischen Monopolistentests eine Reihe von Problemen.162 So muss zur Ermittlung der erforderlichen Werte die Gewinnspanne des hypothetischen Monopolisten festgestellt werden, was häufig zu Problemen führt.163 Die Gewinnspanne als Differenz zwischen Preis und Grenzkosten bzw. den stattdessen approximativ verwendeten variablen Stückkosten ist um so größer, je höher der Anteil der Fixkosten an den Gesamtkosten ist.164 Weitere Probleme bei der Verwendung kritischer Elastizitäten bzw. des kritischen Absatzrückgangs können z.B. dann auftreten, wenn unterschiedliche Konsumenten signifikant verschiedene Preiselastizitäten der Nachfrage haben, wenn die Grenzkosten bzw. variablen Stückkosten zwischen verschiedenen Produktionsstätten stark variieren oder wenn erhebliche vermeidbare Fixkosten vorliegen. Weiterhin wird bei der oben dargestellten Ermittlung des kritischen Absatzrückgangs implizit davon ausgegangen, dass die Grenzkosten des hypothetischen Monopolisten konstant bleiben und dass die Kosten- und Nachfragefunktion stetig sind. Wenn jedoch bei einer Verringerung der Absatzmenge, z.B. durch eine Werksschließung, Fixkosten in erheblichem Umfang eingespart werden, dann könnte eine mechanische Anwendung der Formeln zu übermäßig weit abgegrenzten Märkten führen.

Aber auch wenn die Bedingungen für die Anwendung des kritischen Absatzrückgangs und des tatsächlichen Absatzrückgangs erfüllt sind, ergeben sich in vielen Fällen Probleme die vor allem mit den zur Verfügung stehenden Daten zusammenhängen. So erfordert die Anwendung der CL-Analyse detaillierte Informationen über das Substitutionsverhalten der Konsumenten, d.h. eine Schätzung der Umlenkungskennziffern und der Gewinnmargen der Unternehmen. Insbesondere die Abschätzung des tatsächlichen Umsatzrückgangs ist für die Qualität einer Analyse des kritischen Absatzrückgangs von zentraler Bedeutung. Wenn jedoch die genannten Bedingungen erfüllt sind und die erforderlichen Daten zur Verfügung stehen, dann kann der hypothetische Monopolistentest mithilfe einer CL-Analyse implementiert werden.

Kartellrecht und Ökonomie

Подняться наверх