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3. Bei den Navajo
ОглавлениеEine Stunde später war ihnen allen wieder warm, sie waren trocken, in warme Decken eingewickelt, und saßen um das Feuer, über dem ein Eintopf in einem Kessel blubberte. „So, nun esst erst einmal!“, lächelte die Indianerin, die Gaagi ihnen als Shadi vorgestellt hatte. Ihr Englisch war beinahe akzentfrei. Sie gab jedem der Kinder eine Schale mit Eintopf und einen geschnitzten Löffel in die Hand. Die ließen sich das nicht zweimal sagen. Shadi hatte sich auch Jessicas Knöchel angesehen und neu geschient, er war wirklich nicht gebrochen. Gaagi hatte versprochen, sie nach dem Essen ins Waisenhaus zurückzubringen.
Kristina war ihm neugierig hinterhergelaufen, als er aus dem Zelt gegangen war, um Feuermaterial zu holen. Sie war sich nicht sicher, was sie bei ihm spürte, er schien ihr einerseits gefühlskalt zu sein, aber dennoch fühlte sie, dass er eine Wärme ausstrahlte, die sie selten erlebt hatte. Außerdem schien er sie immer ein wenig seltsam von der Seite anzusehen, wenn sie nicht direkt hinsah. Kurz, sie war fasziniert von dem unnahbar wirkenden Indianer. Als sie ihm nachgegangen war, hatte er ihr einen abschätzenden Blick zugeworfen, bei dem sie nicht genau wusste, ob er jetzt erfreut oder entsetzt war, dass sie ihm folgte, aber sie hatte sich nicht abhalten lassen und so hatte Gaagi es akzeptiert.
Die Achtjährige hatte immer noch das Messer des Mannes, dessen Alter sie nicht schätzen konnte. Körperlich wirkte er jung, nur wenig älter als Steven, aber seine Augen waren so anders, das hatte Kristina noch nie gesehen. Diese Augen hatten schon viel erlebt, das war dem Mädchen plötzlich bewusst. Sie wollte auf einmal nur, dass diesem Mann vor ihr ein paar seiner Lasten abgenommen wurden und legte ihm die kleine, weiße Hand auf den dunklen, sonnengebräunten Arm. Kein Wort fiel zwischen den beiden, und obwohl Gaagi im ersten Moment geschockt wirkte, ließ er die Berührung zu. Er starrte in ihre Augen, und war gefangen. Bei beiläufiger Betrachtung wirkten sie schwarz, aber wenn man genauer hinsah, dann waren sie von einem dunklen Blau und schimmerten manchmal sogar dunkelgrün. Und wenn man noch genauer hinsah, konnte man goldene Sprenkel darin erkennen. Dieses Mädchen, was war es nur mit ihr? Er konnte seine Augen nicht mehr abwenden, sie hielt seinen Blick einfach nur fest. Und obwohl sein Geist ‚Gefahr‘ schrie, waren seine Instinkte ganz ruhig. Von dem Mädchen ging keine Gefahr aus, sie würde schützen, beschützen.
Dann knackte es im Unterholz hinter ihnen und seine Augen rissen sich von Kristinas los, um die Gefahr zu erkennen. Es war nur ein Hase, den sie aufgeschreckt hatten, aber Gaagis Herzschlag hatte sich fast verdoppelt. Bei jedem Geräusch reagierte er so, seit sie auf der Flucht vor den Soldaten waren. Sie mussten jederzeit bereit zur Flucht sein, das machte sich bemerkbar. Alle waren unruhig und schreckhaft geworden. Kristina lächelte ihm beruhigend zu, ihr Blick ging in weite Ferne. „Du bist nicht in Gefahr, ich bin da. Ich spüre, dass die Gefahr noch nicht so nahe ist. Aber wenn der Lauf der Sonne unterbrochen wird, dann solltest du die Deinen in Sicherheit bringen. Wenn die Mooney Falls golden sich färben, dann schreiten wir in eine andere Welt.“
Staunend hatte Gaagi die Worte des Mädchens gehört. Sie schien in einer Art Trance zu sein, in einem anderen Geisteszustand, sie wirkte wie ihr Medizinmann, wenn er mit den Geistern der Vorfahren sprach. Was war es mit dem Mädchen? Konnte sie Prophezeiungen sprechen? Es klang wie eine.
Erst nach einer ganzen Weile konnte sich Gaagi von dem Anblick dieses Mädchens losreißen und er machte sich wieder auf den Weg zu seinem Holzvorrat. Sie lief weiter hinter ihm her, aber auf einmal fühlte er eine seltsam beruhigende Präsenz und war ruhig, weil sie bei ihm war. Er verstand es nicht, diese Ruhe und Gelassenheit versuchte er seit Jahren zu erlangen, seit… Aber er unterbrach seine Gedanken genau hier, wollte nicht über seine Vergangenheit nachdenken. Doch dieses junge Mädchen, das ihn so sehr verwirrte, brachte ihm eine gewisse innere Ruhe. Er würde darüber mit Ma’ee sprechen müssen, einem der Ältesten seines Stammes. Vielleicht konnte der ihm helfen. Jetzt brauchten sie Holz, um ein Feuer zu entzünden, damit Shadi den Kindern etwas zu Essen machen konnte.
„Yas, komm her. Hilf mir tragen.“, wandte er sich an das Mädchen.
„Yas?“, kam es fragend.
„Dein Name ist schwer für meine Zunge, ich nenne dich Yas, Schnee, weil deine Haut weiß wie Schnee ist.“, erklärte er ruhig. Kristina akzeptierte es mit einem Nicken und öffnete die Arme, um einen Teil des Holzes zu tragen. Er achtete darauf, ihr nicht zu viel aufzuladen, dann gingen sie zügig zum Lager zurück. Gaagi konnte Kristinas fragenden Blick spüren. Er wusste, sie würde irgendwann Antworten fordern, und er würde sie ihr geben. Nicht gleich, aber auf Dauer könnte er sie ihr wohl nicht verweigern, zu sehr erinnerte sie ihn an SIE.
Nach dem Essen saßen sie rund um das Feuer, Shadi hatte sich zurückgezogen. Gaagi wusste, dass sie den Wagen bereit machte und die Ponys anspannte, damit er die Kinder zurückbringen konnte. Laufen konnten sie diesen weiten Weg nicht alleine, da zwei von ihnen verletzt waren. Auch wenn einige seiner Männer dagegen waren, die Kinder zurück zu bringen, bevor sie nicht selbst abreisen konnten, sie sahen es als zu gefährlich an, wenn die Kinder wussten, wo sie gerade lebten. Dennoch saß er nun mit ihnen am Feuer und erkannte den fragenden und neugierigen Blick des schwarzhaarigen Mädchens.
„Yas, du wolltest Wissen. Ich werde dir nicht alles verraten, aber du sollst so viel erfahren, wie ich dir sagen kann. Mein Volk, die Navajo, wurden von den weißen Männern vertrieben und in Reservate gesperrt. Einige sind hier mit mir gelandet, wir wollten unsere Freiheit behalten. Wir brauchen nicht viel, aber unsere Freiheit ist uns absolut heilig. Shadi ist meine ältere Schwester, genau das bedeutet auch der Name. Außer uns beiden sind nur wenige hier, zusammen sind wir etwa zwanzig von meinem Volk. Wir ziehen oft weiter, damit wir nicht erwischt und eingesperrt werden. Wir sind keine Krieger in dem Sinn, dass wir den weißen Mann bekämpfen wollen, dafür sind wir zu Wenige, selbst wenn sich mein ganzes Volk einigen könnte, aber es gibt unter uns schon zu viel Uneinigkeit. Meine Schwester ist eine von nur zwei Frauen, die mit uns gezogen sind. Warum wir hier sind, das kann ich dir nicht beantworten, es ist eine lange Geschichte, die ich niemandem erzählen werde, aber es ist etwas Persönliches. Wir werden niemandem schaden, wir wollen nur in Freiheit leben, im Einklang mit der Natur, mit Mutter Erde.“
Kristina sah ihn nachdenklich an. Schließlich nickte sie, spürend, dass er eigentlich keine ihrer vielen Fragen wirklich beantwortet hatte, aber sie wusste, dass er nicht mehr erzählen würde. Er war enttäuscht und verletzt worden und deshalb war er hier. Das sagte ihr Instinkt, doch wenn er nicht bereit war, darüber zu sprechen, dann war es nicht an ihr, das zu ändern. Auch wenn sie wusste, oder ahnte, dass sie helfen könnte. Aber woher dieses Wissen kam, das konnte sie sich nicht erklären.
„Entschuldigung, Mr. Gaagi“, unterbrach Steven in dem Moment.
Gaagi hob die Hand und stoppte ihn. „Nur Gaagi, einfach nur Gaagi. Oder Raven.“, bestimmte er freundlich.
„Okay, Raven. Also, was ich sagen wollte, wir müssen zurück zum Waisenhaus. Mrs. Duncan macht sich bestimmt schon Sorgen.“, bat Steven nun.
„Shadi macht den Wagen fertig, dann können wir die Verletzten besser transportieren.“, antwortete Gaagi. Kristina wollte ihm nun sein Messer zurückgeben, doch er lächelte nur. „Behalte es ruhig, Yas, es war nur mein Ersatz-Messer. Du kannst es vielleicht noch brauchen. Und wenn du magst, dann komm mich gerne einmal besuchen, aber ich weiß nicht, wie lange wir noch hier sind. Wir können nur so lange an einem Ort bleiben, bis jemand ahnt, dass wir dort sind.“
Kristina lächelte ihn dankbar an. „Ihr seid hier erst einmal sicher.“, prophezeite sie ihm, wieder mit diesem seltsam abwesenden Ausdruck in ihren Augen. Bevor er darauf reagieren konnte, kam Shadi und bedeutete ihm, dass der Wagen angespannt war. Die Jugendlichen zogen sich ihre inzwischen getrockneten Sachen wieder an und gaben die Decken zurück.
Steven und Gaagi brachten erst Jessica und dann Eric zum Wagen. Jessica wirkte recht fröhlich, sie hatte keine Schmerzen mehr, seit Shadi ihr einen Trank von einem Sáni gebracht hatte, und auch Eric war wacher. Er hatte bestimmte Beeren kauen müssen und danach auch einen Trank von Sáni bekommen. ‚Sáni‘ bedeutete ‚der Alte‘ und war eine respektvolle Anrede für den Ältesten in ihrer Gruppe. Er war gleichzeitig Berater und Medizinmann, da er das meiste Wissen hatte.
Steven und Kristina würden mit Gaagi neben dem Wagen laufen, da die zwei Ponys nicht so große Lasten ziehen konnten. Die Ponys waren klein, aber kräftig gebaut. Man sah es ihrem Fell an, dass sie es gewohnt waren, draußen zu sein, nie einen Stall von innen sahen. Es war struppig, aber wirkte warm. Ihre Farbe war unscheinbar, eine Mischung aus braun und beige, es fiel in der Steppe sicher nicht besonders auf. Aber die Augen blickten klug und lebendig. Die beiden schnaubten unruhig, als sie stehen sollten, und scharrten ungeduldig mit ihren Hufen. Als Gaagi sie kurz ansprach, fingen sie voller Freude an, den Wagen zu ziehen. Ein schwarzer Rabe flatterte aus einem Baum am Rande der Lichtung auf und flog lautlos hinter ihnen her. Schnell waren sie wieder am Wasserfall und wandten sich dann nicht in die Richtung, aus der sie gekommen waren, denn der Wagen würde sicher nicht so leicht durch den Wald kommen, sondern fuhren in Richtung der Händlerstraße, die immer noch Bestand hatte, auch wenn es nun neue Verbindungswege gab. Endlich auf der Straße angekommen, ging es zügig vorwärts und sie konnten bald das Waisenhaus erkennen. Als sie nur noch ein paar Minuten entfernt waren, hielt Gaagi den Wagen an. „Schafft ihr es von hier alleine? Es ist gefährlich für euch, wenn ihr mit mir gesehen werdet.“, wollte er wissen.
Steven sah ihn kurz verwirrt an, schien aber zu verstehen. Sie wussten, wo der Lagerplatz dieser sogenannten Rebellen war. Auf diese Informationen waren die Soldaten aus und sie würden jede Möglichkeit nutzen, sie auszufragen, egal wie alt sie waren. Gaagi wollte sie davor bewahren. Daher nickte er dem Indianer zu. „Danke für alles, Raven. Wir werden schweigen!“
Kristina ging noch einmal zu dem Mann und umarmte ihn kurz. Sie sagte nichts, doch er spürte ihren Dank in Form von Gelassenheit, die ihn einhüllte. Er lächelte ihr kurz zu. Seltsam, er hatte seit Jahren nicht mehr so gefühlt, erst Recht nicht mehr gelächelt. Mit diesem Mädchen fiel es ihm auf einmal leicht. Sie erinnerte ihn an… Halt, er wollte nicht darüber nachdenken. Das tat zu weh. Von weit oben hörte er das Krächzen eines Raben. Es klang zufrieden und beinahe ... zustimmend.
Steven hatte in der Zwischenzeit Eric aus dem Wagen geholfen, der nun mit Hilfe von Kristina aufrecht stand und die ersten zaghaften Schritte in Richtung Waisenhaus machte. Jessica stützte sich schwer auf Steven und sie gingen den anderen beiden hinterher. Als Steven sich noch einmal umdrehte, war Gaagi schon verschwunden. Der Jugendliche schüttelte den Kopf, wie hatte der Indianer das geschafft, vor allem mit dem Wagen und den Ponys? Kein Wunder, dass sie sich bereits so lange versteckt hatten, ohne gefunden zu werden. Er hoffte, dass sie es weiterhin schafften, auch wenn ihm klar war, dass es schwer würde. Die Soldaten suchten überall nach freien Indianern, denn sie sollten alle in die Reservate. Steven verstand es nicht, warum sollten die Indianer gefangen gehalten werden? Sie waren doch nicht böse, oder? Im Gegenteil, die Erfahrungen, die er an diesem Nachmittag gesammelt hatte, zeigten ihm, dass sie sehr friedlich waren und nicht mehr als ein wenig Ruhe wollten. Nur das, was sie zum Leben brauchten, mehr wollten sie nicht. Immer wieder kamen Soldaten in den Ort und auch zum Waisenhaus und fragten, ob irgendwo Indianer aufgetaucht waren, die nicht aus dem Reservat kamen. Die waren einfach zu erkennen, denn man hatte ihnen die Haare geschnitten. Die frei lebenden Indianer hingegen trugen ihre Haare fast immer mindestens schulterlang, oft sogar noch länger. Steven hatte es auch bei den Männern von Raven gesehen, die alle lange Haare hatten. Ein Zeichen ihrer Freiheit. Er hoffte wirklich, dass Raven und seine Leute weiterhin entkamen.
Die Vier gingen weiter, während er darüber nachdachte, und nur wenige Schritte später kamen mehrere Männer auf sie zu. Zusammen mit Mrs. Duncan. „Steven, wo wart ihr nur? Wir haben euch überall gesucht!“, rief sie schon von weitem. Dann sah sie, dass zwei nicht alleine laufen konnten. „Was ist passiert?“, wollte sie wissen.
„Eric ist auf einem Stein im Fluss ausgerutscht und mit dem Kopf aufgeschlagen, Jessica ist mit dem Fuß unter einem Stein eingeklemmt worden, als sie ihm helfen wollte. Wir haben sie gefunden und dort rausgeholt, sie am Feuer wieder getrocknet und dann hierher gebracht.“, erklärte Kristina.
Steven war überrascht, die Kleine hatte offenbar genau verstanden, dass sie nichts verraten durften. Aber sie war schon immer vorausschauend gewesen, etwas Anderes hätte ihn jetzt eher überrascht. Und die Erklärung war plausibel und auch nicht wirklich gelogen, nur ein paar entscheidende Details hatte sie ausgelassen, wobei er hoffte, dass niemand wegen dem Feuer nachfragte. Andererseits war es etwas, was sie öfter machen mussten, daher erwartete er keine Fragen. Anerkennend nickte er ihr zu, als die Männer ihnen die Verletzten abnahmen und Mrs. Duncan davon abgelenkt war. Jetzt konnte er nur hoffen, dass auch Jessica und Eric schweigen würden. Er musste wohl noch einmal mit ihnen reden, wenn sie unbeobachtet waren.