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6. Gaagis Rückzug

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In der Nacht schlief Kristina unruhig. Etwas warnte sie und sie konnte einfach nicht schlafen. Also stand sie gegen drei Uhr morgens auf und lief eine lautlose Runde um das Lager. Nachts sollte sie sich nicht entfernen und an diese Regel hielt sie sich auch. Daher hörte sie dann auch die leisen Geräusche, die aus einem der Zelte kamen. Sie schlich näher heran und stellte fest, dass es wohl Gaagi sein musste. Der Mann, dem sie sich aus irgendeinem unerfindlichen Grund so nahe fühlte. Etwas verband sie Beide, schon seit sie sich das erste Mal gesehen hatten. Kristina wusste nicht, was es war, aber sie wollte einfach, dass dieser Mann glücklich war. Sie spürte seine immense innere Traurigkeit, die er keinem zeigte, die aber dennoch da war. Etwas Schlimmes war ihm wohl passiert. Und jetzt schien die Vergangenheit ihn einzuholen.

Das junge Mädchen verharrte vor dem Zelt. Sie wusste, wenn der Eingang geschlossen war, dann musste sie draußen bleiben und sich bemerkbar machen. Wurde sie danach aufgefordert, hineinzugehen, durfte sie auch eintreten. Aber sollte sie jetzt nach Gaagi rufen, weckte sie das gesamte Lager, die Indianer hatten einen leichten Schlaf und wachten bei dem leisesten Geräusch auf. Vor allem, seit sie auf der Flucht waren. Ihre Gedanken rasten, sie wollte Gaagi helfen, wusste, wie schlimm ein Alptraum sein konnte, aber sie konnte es nur dann, wenn sie unbefugt in sein Zelt eindrang. Das allerdings widerstrebte ihr, sie wollte nicht so tief in die Privatsphäre des Häuptlings eindringen. Noch während sie überlegte, übernahmen ihre Instinkte. Sie ließ sich vor dem Zelt ins Gras sinken und begann, leise zu singen. Wörter verließen ihre Lippen, die sie nie zuvor gehört hatte und auch nicht verstand. Es war so leise, dass Gaagi es eigentlich gar nicht hören konnte, und doch wurde er wieder ruhiger, als sie sang.

Gaagi war in einem Traum gefangen, SIE war bei ihm und doch nicht. Er konnte SIE sehen, aber nur durch einen dichten Nebel, der ihm immer mehr die Sicht auf SIE verdeckte. Unruhe machte sich in ihm breit, weil SIE nach und nach verschwand. Der Ausdruck in IHREN Augen quälte ihn, SIE bat ihn um Hilfe, aber er wusste nicht, wie er helfen sollte, was er tun konnte. Hilflos musste er mit ansehen, wie SIE letztendlich vor seinen Augen verschwand, sich einfach auflöste. Diesen Traum kannte er, in den letzten Wochen, seit sie hierhergekommen waren, hatte er ihn fast jede Nacht geträumt und seine Gefühle verstärkten sich immer weiter. Er konnte nichts mehr tun, um sich dagegen zu wappnen, Trauer hatte ihn im Griff. Und doch wurde er heute Nacht ruhiger und wachte nicht auf; es war, als würde eine Decke um ihn gebreitet, die ihn beschützte, ihm Ruhe und Frieden gab. So hatte er sich das letzte Mal gefühlt, als SIE noch an seiner Seite gewesen war. Sein Schlaf wurde tiefer und ruhiger, und zum ersten Mal, seit er diese Welt betreten hatte, schlief er bis zum Morgen.

Kristina blieb die ganze Nacht am Zelt sitzen und sang leise vor sich hin. Sie merkte es selbst nicht einmal, war tief in einem tranceartigen Zustand. Sie lehnte an dem Baumstamm einer großen, knorrigen Eiche, unter der das Häuptlingszelt stand, hatte ihre Augen geschlossen und sang immer weiter. Die Ruhe, die sie ausstrahlte, wirkte nicht nur auf Gaagi ein, sondern auf alle, die hier mit ihnen waren. Selbst die Vögel, die sonst bei Beginn der Dämmerung zwitscherten, blieben an diesem Morgen still. Erst, als die Sonne schon so hoch am Himmel stand, dass die ersten Strahlen die Zelte erhellten, wachten die Navajo auf. Sie alle fühlten sich ausgeschlafen und erholt, und selbst Kristina, die kaum geschlafen hatte, wirkte entspannt.

Nach dem Frühstück, das wie so oft aus Früchten und Beeren bestand, sowie aus dem Fladenbrot, das die Frauen häufig buken, da sie die Zutaten in der Umgebung wild wachsend gefunden hatten, machten sich die Männer wie üblich auf, die Gegend zu erkunden. Sie würden nun immer länger wegbleiben, die nähere Umgebung hatten sie bereits kennen gelernt und wollten jetzt sehen, was es in etwas größerer Entfernung gab, um die unmittelbaren Gefahren einschätzen zu können. Inzwischen waren sie mehr als nur etwas nervös, da sie noch immer keinen Menschen getroffen hatten, es erschien ihnen einfach zu unwahrscheinlich.

Gaagi, T'iis und Doli waren eine Gruppe an diesem Tag. Sie planten, genau nach Süden zu gehen. Daher überquerten sie den Fluss und verschwanden auf der anderen Seite im Wald. Die restlichen Gruppen würden sich den Norden, den Osten und den Westen vornehmen; die Berge im Osten waren leicht zu besteigen, daher wollten sie auch wissen, was dort wartete. Jeder sollte eine Zeichnung der Landschaften anfertigen, die sie vorfanden, damit sie einen Plan ihrer unmittelbaren Umgebung bekamen und so später leichter Entscheidungen treffen konnten. Schweigend liefen sie mehrere Stunden lang immer weiter. Sie gingen auseinander, jeder gerade noch in Sichtweite von Gaagi, der in der Mitte lief, um ein größeres Gebiet absuchen zu können. Der Häuptling hielt Kontakt mit ihnen über Handzeichen. Keinem fiel etwas Ungewöhnliches auf, nur Gaagi wurde wieder mehr und mehr in seine Vergangenheit gezogen, und eine große Trauer begann, ihn zu befallen.

Seine Aufmerksamkeit für die Umgebung ließ nach und er versank in seinen Gedanken. Alles hier, die Blumen und die Gerüche vor allem, erinnerten ihn an SIE. Immer wieder tauchte SIE vor seinem inneren Auge auf und er hatte Schwierigkeiten, sich noch auf die Realität zu konzentrieren. Die Gerüche in der Umgebung, dieses fruchtig-blumige Aroma, das er an IHR immer wahrgenommen hatte, auch als sie schon länger in seiner Welt lebte. Inzwischen war er davon überzeugt, dass SIE aus dieser Welt zu ihm gekommen war.

Anders konnte er es sich nicht erklären, SIE war so anders gewesen, anders als alle Frauen, die er gekannt hatte. Selbst die weißen Frauen waren nicht mit IHR vergleichbar gewesen, das hatten ihm Ma’ee und Sáni bestätigt, die schon viel in den Städten der Weißen gewesen waren. SIE hatte so eine ruhige, besonnene, natürlich-fröhliche Art an sich gehabt, hatte mit den Pflanzen gesprochen, und die Tiere waren ihr näher gekommen als jedem anderen Menschen, als ob sie gewusst hätten, dass von IHR keine Gefahr ausging.

Er erinnerte sich, wie SIE einst an dem Fluss in seiner Welt gesessen hatte, nahe bei den Wasserfällen in seiner Heimat. Immer wieder hatte es SIE dahin gezogen, es war so ähnlich wie da, wo sie vor kurzem in diese Welt gekommen waren, IHRE Welt, da war sich Gaagi ganz sicher. Kein Wunder, dass sie so gerne dort gesessen hatte. An diesem einen Tag in ferner Vergangenheit hatte sie dort gesessen, als er zum Fischen hingegangen war. Da hatte er SIE zum ersten Mal gesehen. Und SIE hatte ihm zugelächelt. In diesem Moment war ihm klar geworden, dass sein Herz verloren war, wenn sie es nicht festhielt. Es würde einfach aus seiner Brust springen und nie wieder für ihn arbeiten. Diese junge Frau, die so zart und doch so kräftig ausgesehen hatte, mit ihrer hellen, durchscheinenden Haut und den rötlich-blonden, gelockten Haaren. Ihre Augen hatten so eine Anziehungskraft gehabt, dass er zunächst nicht wegsehen konnte. Und dann hatte er seinen ersten Fisch gefangen und SIE war verschwunden gewesen. Jeden Tag war er wieder zum Fluss gegangen und schließlich hatte er SIE wieder gesehen. Er hatte SIE angesprochen und sie waren sich schnell nähergekommen.

Plötzlich riss ihn ein gedämpfter Schrei aus seinen Grübeleien. Doli auf seiner rechten Seite war nicht mehr zu sehen, T'iis lief bereits in die Richtung. Auch Gaagi machte sich auf und schnell waren sie bei Doli, der scheinbar in ein Loch im Boden getreten war. Er saß auf dem Boden, das Gesicht starr. Auch wenn man es ihm nicht direkt ansah, sie wussten, dass er Schmerzen hatte. „Was ist passiert?“, wollte Gaagi wissen, seine Gedanken zwingend, in der Gegenwart zu bleiben.

„Ich bin in dieses Loch getreten und mein Fuß ist gebrochen, denke ich.“, berichtete Doli mit zusammengebissenen Zähnen.

Gaagi kniete sich neben den jungen Mann und untersuchte den Fuß vorsichtig. Es war tatsächlich ein Bruch, daher schnitt er schnell etliche junge, aber dennoch stabile Äste von einem nahen Baum, mit denen er den Knöchel schiente. Sich umsehend entdeckte er einen Holunderbusch, von dem er eine Handvoll Beeren sammelte. Mit Hilfe einiger Blätter drückte er sie aus und fing den Saft in seinem Wasserbehälter auf, den er entleerte. Der Saft würde die Schmerzen eine Weile lindern, aber Doli musste zurück ins Lager. „T'iis, du bringst ihn zurück, ich werde hier noch weitersuchen, damit wir den Weg nicht umsonst gegangen sind.“, bestimmte Gaagi. Die beiden Männer wollten widersprechen, doch er schnitt ihnen das Wort ab. „Es ist wichtig, dass wir wissen, was um uns herum vorgeht. Ich habe schon die ganze Zeit das Gefühl, als ob wir beobachtet werden, und möchte herausfinden, was dahintersteckt. Darum ist es notwendig, diese Missionen zu Ende zu bringen und ich bin durchaus in der Lage, das allein zu machen. Ich möchte, dass ihr beide zurück ins Lager geht, damit Yas und Shadi sich um deinen Fuß kümmern können.“

„Yas?“, kam es fragend von beiden.

„Yas.“, bestätigte Gaagi ruhig. „Sie kennt sich aus und hat eine natürliche Begabung. Das Mädchen kann dir helfen.“ Die beiden Männer wussten, dass sie ihm nicht widersprechen durften. Er war ihr Häuptling, auch wenn er mit der Jüngste ihrer kleinen Gruppe war, aber bisher hatte er sie noch nie falsch geleitet. Keiner konnte ihm eine falsche Entscheidung nachweisen. Also folgten sie seinem Befehl und Doli ging, von T'iis gestützt, langsam zurück in Richtung ihres Lagers.

Gaagi blickte ihnen nach, bis sie im Wald verschwanden und er sie nicht mehr sehen konnte, dann wandte er sich wieder um und ging weiter, seine Aufmerksamkeit zunächst auf die unmittelbare Umgebung gerichtet. Dieser Wald schien wirklich groß zu sein, seit sie das Lager verlassen hatten, waren sie nur im Wald gewesen. Einige Lichtungen waren auf ihrem Weg aufgetaucht, mal größer, mal kleiner, aber ansonsten gab es nur Bäume. Dennoch war es hell und freundlich, die Sonne schien durch das Dach aus Ästen über ihm, und malte goldene Sprenkel auf den moosigen Boden. Die Bäume schienen höher zu wachsen als in seiner Welt, und doch waren sie sehr gerade. Manche von ihnen wirkten, als hätten sie Augen im Blätterdach, aber immer, wenn Gaagi genauer hinsah, konnte er es nicht mehr entdecken. Er fühlte sich beobachtet, und wenn er intensiver darüber nachdachte, war ihm das schon von Anfang an aufgefallen, seit er den ersten Schritt aus der Höhle heraus gemacht hatte.

Diese Welt schien unbewohnt außer von Insekten, Vögeln und kleineren Tieren, aber das war sicher nicht alles. So funktionierte eine Welt nicht, die kleinen Tiere hätten schon lange überhandgenommen, wenn es keine Raubtiere gab, aber wieso hatten sie dann noch keines gesehen oder eine Spur gefunden? Wobei, sie fanden nie Spuren, nicht einmal ihre eigenen, als würde die Welt hier, oder aber auch der Boden, jegliche Spur sofort wieder auslöschen. Selbst die Fußspuren im feuchten Sand verschwanden fast alle schnell, sobald man nicht mehr hinsah.

Der junge Häuptling merkte, dass seine Gedanken wieder abschweifen wollten und zwang sich, konzentriert an seiner Aufgabe zu arbeiten. Bis Sonnenuntergang hatte er noch ein großes Stück Wald abgesucht und einige Stellen auf seinem Leder markiert. Er suchte sich ein trockenes Stück Erde und legte sich zum Schlafen unter eine große Tanne, deren Zweige sich wie ein natürliches Dach über einem Fleckchen Gras ausbreiteten, auf dem er lag.

Erneut schlief er unruhig und erwachte schon kurz nach Mitternacht wieder, weil SIE in seinen Träumen geisterte und verschwand. SIE war so klar wie nie und plötzlich verschwunden. Mit einem heiseren Ruf auf den Lippen war Gaagi erwacht. Seither saß er zitternd unter der Tanne und versuchte, wieder ruhiger zu werden. Er konnte seine Gedanken nicht mehr bändigen, alles um ihn herum erinnerte ihn an SIE, und wenn er seinen Geist davon lösen konnte, sah er Yas vor sich. Wären ihre Haare heller, dann sähe sie aus wie eine jüngere Version von IHR.

Gaagi sprang auf und lief los, er musste sich ablenken, durfte nicht mehr darüber nachdenken, das tat ihm nicht gut. Als SIE verschwunden war und sich verabschiedet hatte, war etwas in ihm zerbrochen. Seither lebte er nicht mehr, existierte nur noch. SIE hatte einen Teil von ihm mitgenommen und ihn damit schwer verletzt, auch wenn man das nicht sehen konnte. Doch er spürte es. Lange hatte er es geschafft, das zu verdrängen, aber seit Yas bei ihnen war, klappte das nicht mehr.

Verzweifelt lief Gaagi immer weiter, konnte nicht mehr stoppen. Er bemerkte nicht einmal, dass er viele Kratzer und Schnittwunden abbekam, während er hastig durch das Unterholz rannte. Irgendwann trugen seine Beine ihn nicht mehr und er sank zitternd in sich zusammen. Wie lange war er gelaufen und wohin? Er wusste es nicht mehr, konnte seine Fassung nicht mehr bewahren. Warum konnte es nicht einfach zu Ende sein? Gaagi wünschte sich nichts sehnlicher, als IHR zu folgen. SIE war tot, es konnte nicht anders sein, sonst wäre SIE bestimmt zurückgekommen.

Der junge Mann biss sich auf die Lippen, um durch diesen körperlichen Schmerz den seelischen zu betäuben. Es half nichts. Unter einer Eiche – SIE hatte diese Bäume besonders geliebt – rollte er sich ein und schloss die Augen, ergab sich seiner Verzweiflung. Seit sie in dieser Welt waren, hatte sie sich immer weiter vermehrt, aber er hatte es zurückgedrängt, so lange er bei seinen Männern war, die sollten nichts von seiner Schwäche bemerken. Doch jetzt, da er alleine war, gab er auf. Er bemerkte nicht, dass ein Rabe ihn beobachtete.

Doli und T'iis brauchten etwas mehr als einen Tag für den Rückweg, da Doli trotz der Schiene kaum auftreten konnte. Der Schweiß stand Doli auf der Stirn, als sie das Lager erreichten. Erschöpft ließ er sich auf den Boden sinken und legte sich auf die Decke, die Yas hinter ihm ausbreitete. Eine weitere Decke legte sie über ihn, brachte dann einen kühlenden Umschlag aus Blättern, der die Schmerzen in Dolis Knöchel sofort linderte. Shadi hatte in der Zwischenzeit die Diagnose ihres Bruders bestätigt, der Knochen war tatsächlich gebrochen. Das bedeutete für den jungen Mann, er musste in nächster Zeit hauptsächlich liegen oder sitzen, durfte nicht aufstehen und vor allem nicht laufen. Sollten sie irgendwohin müssen, würde eines der Ponys ihn tragen.

Die beiden schienen gesünder und jünger als noch vor ein paar Wochen zu sein. Sie waren frei, blieben aber immer in der Nähe des Lagers. Noch nie waren sie alleine in einen Wald eingedrungen, weder in ihrer eigenen Welt noch hier. Die Ponystute schien auch tragend zu sein, etwas, womit keiner gerechnet hatte. Mósí brachte Doli etwas zu trinken und zu essen, dann richteten sie ihm ein bequemes Lager in der Nähe des Flusses ein, damit er tagsüber wenigstens etwas Anderes als immer nur die Höhle sehen konnte.

Yas lief in den Wald und kam nach einer kurzen Zeit mit einer Handvoll Rinde zurück, die sie in einen Kessel mit kochendem Wasser warf. Das ließ sie eine gewisse Zeit stehen, dann schöpfte sie einen Becher davon und gab ihn Doli zum Trinken. „Schmeckt nicht gut, aber es hilft gegen Schmerzen.“, versprach sie ihm.

Unsicher und zweifelnd blickte er sie an, doch da Shadi ihm zunickte, nahm er einen ersten Schluck. Es schmeckte offenbar wirklich nicht gut, aber dennoch trank er den Becher leer. Es dauerte nicht lange, da entspannten sich seine verkrampften Gesichtszüge und er lehnte sich zurück, schloss die Augen und schlief ein. Zufrieden nickten sich Shadi und Yas zu. T'iis blieb im Lager, er hatte keine Chance, Gaagi jetzt noch zu finden, und so, wie es ausgemacht war, sollte er morgen bereits wiederkommen. Also brachte es nichts, wenn er jetzt versuchte, ihm entgegenzugehen. Er konnte nicht ahnen, dass ihr Häuptling nicht mehr in der Lage war, zurückzukommen.

Ma’ee und Sáni saßen bei Doli und T‘iis, sie waren nicht mit zur Erkundung aufgebrochen. „Sáni, ich mache mir Sorgen um Gaagi.“, begann T'iis schließlich ein Gespräch. Es war unhöflich, den Älteren so anzusprechen, aber die Sorge um seinen Häuptling trieb den Mann dazu.

„Sprich.“, forderte der Älteste ihn auf.

„Er isst kaum noch, schläft viel zu wenig und spricht nur noch, wenn er nicht anders kann. Seine Augen leuchten nicht mehr. Er ist abwesend, seine Gedanken sind nicht bei uns. Nicht einmal Yas kann ihm ein Lächeln entlocken.“, zählte T'iis auf. „Es scheint immer schlimmer zu werden.“

Die beiden Ältesten schwiegen und schienen nachzudenken. T'iis wartete ab und senkte ehrerbietig den Blick. Es war ihm offensichtlich unangenehm, so gegen die Traditionen gehandelt zu haben. Von klein auf hatte er gelernt, dass man Ältere nicht ohne Aufforderung ansprach, weil es sehr unhöflich war. Aber er hatte das Gefühl, handeln zu müssen, bevor es zu spät war. „Du hast Recht.“, beschied Ma’ee schließlich. „Wir werden mit ihm reden, wenn er zurück ist.“

Damit war es entschieden. Sie hatten nicht bemerkt, dass Yas in ihrer Nähe war und alles mithörte. Die Sprache der Diné, wie sich die Navajo selbst nannten, war ihr inzwischen so geläufig, dass sie sie fehlerfrei nutzen konnte. Gaagi bedeutete ihr sehr viel, daher entschied sie, ihn zu suchen. Auch wenn sie wusste, dass sie keine Spuren finden würde, aber sie war sicher, ihn finden zu können. Es gab eine Verbindung zwischen ihnen, die sie nicht zuordnen konnte, aber sie gab ihr das Gefühl, sie wüsste, in welcher Richtung sie suchen musste. Schnell sammelte sie die Beeren von dem Busch und brachte sie Mósí, die sie verarbeiten würde. Eigentlich wollte sie gleich loslaufen, doch dann entschied sie, bis nach dem Essen zu warten, wenn alle schlafen würden. Dann käme so schnell niemand hinter ihr her und könnte sie aufhalten.

Auch wenn sie erst knapp neun Jahre alt war, sie wusste genau, wie sie die Entdeckung ihres Verschwindens so lange wie möglich geheim halten könnte. Schon immer war sie sich sehr bewusst über die Konsequenzen ihres Handelns gewesen. Aus irgendeinem Grund wusste sie, dass sie nur alleine eine Chance hatte, Gaagi zu erreichen. Vor allen Anderen würde er sich verschließen. Oder gar endgültig weglaufen. Erst, als sie sicher war, dass alle schliefen, lief sie lautlos über den Waldboden, weg aus dem Lager. Den Fluss überquerte sie einige Minuten flussabwärts, da war eine relativ flache Stelle, dann überließ sie ihren Instinkten die Führung und lief in die Richtung, in die sie gedrängt wurde. Der Rabe zeigte ihr den Weg.

Elfenkind

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