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3.4Integrative Ansätze

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Insgesamt zeigt sich schon aufgrund der Fülle und Heterogenität vorhandener Erklärungsansätze, dass sexuelle Gewalt schwerlich durch nur einen einzigen Faktor zu erklären ist und dass Ansätze aus verschiedenen Disziplinen kombiniert betrachtet werden sollten, um dem Phänomen gerecht zu werden. Aus diesem Grund wenden sich zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den letzten Jahren so genannten integrativen Modellen zu, die verschiedene Sichtweisen und Erklärungsansätze vereinen. Diese Modelle sind allerdings sehr unterschiedlich hinsichtlich ihrer Reichweite, ihres integrativen Potenzials und ihres Erklärungsgehalts.

Die Modelle verbinden beispielsweise soziologische, psychologische, lerntheoretische, aber auch biologische und evolutionstheoretische Erklärungsansätze zu unterschiedlichen Erklärungsmodellen sexueller Gewalt. Darüber hinaus können – je nach Modell – auch situationsspezifische Faktoren wie Substanzeinfluss und Gelegenheitsstrukturen sowie zahlreiche andere Faktoren Berücksichtigung finden. 118

Ein komplexes und umfassendes Modell, das sowohl biologische als auch verschiedene psychische (z.B. neuropsychologische, psychopathologische und klinische) sowie soziale Wirkmechanismen berücksichtigt, legten beispielsweise Ward und Beech mit ihrer so genannten Intergrated Theory of Sexual Offending (ITSO) vor. Die Verfasser unterscheiden dabei zwischen mittelbaren, in der Person zeitüberdauernd verankerten (beispielsweise eigene Missbrauchserfahrungen in der Kindheit) und unmittelbaren bzw. tatauslösenden (beispielsweise Verlust des Arbeitsplatzes) Einflussfaktoren. Insgesamt werden Einflüsse der sozialen Umwelt und dadurch in Gang gekommene Lernprozesse mit psychologischen Faktoren wie „(a) Motivation/Emotionen, (b) Handlungsselektion und Kontrolle sowie (c) Wahrnehmung und Gedächtnis“119 verbunden, um die Ausübung sexueller Gewalt zu erklären. Die Verfasser betonen, dass zur Erklärung sexueller Gewalt ein oberflächlicher Blick auf die biologischen, psychischen und sozialen Schwierigkeiten, die bekanntermaßen oftmals mit der Ausübung sexueller Gewalt einher gehen, nicht ausreiche, sondern dass im Detail das konkrete Zusammenspiel der verschiedenen Wirkfaktoren erklärt werden müsse.120 Aufgrund der Vielschichtigkeit des Modells steht eine umfassende empirische Überprüfung jedoch noch aus.121

Im deutschsprachigen Raum schlägt beispielsweise Wieczorek ein integratives Modell vor, das unter anderem individuelle psychische Grundbedürfnisse (wie beispielsweise Selbstbestätigung, Kontrolle oder Lustgewinn) und so genannte „Schemata“ von Personen verbindet. Diese Schemata beschreibt der Verfasser als Routinen oder festgelegte Ablaufmuster von Handlungen, die Menschen im Laufe ihres Lebens erlernt oder verinnerlicht haben. Schemata, die mit Sexualdelikten zusammenhängen, können physiologisch bzw. biologisch (Auslösung körperlicher sexueller Erregung), affektiv (Zuwendungs- aber auch aggressive Gefühle), kognitiv (bestimmte Wahrnehmungen, beispielsweise die Akzeptanz von Vergewaltigungsmythen) oder motorisch (beispielsweise routinemäßige Handlungsabläufe wie „Verhaltensrituale[.] im sexuellen Kontakt“122) sein. Die individuelle Kombination von Grundbedürfnissen und Schemata einer Person bestimmt dann, in welcher Form diese ihr Sexualverhalten gestaltet.123 Dieses Modell ist jedoch eher als eine Heuristik, d.h. eine schlüssige Mutmaßung von Gesetzmäßigkeiten, zu sehen und weniger als eine ursächliche Erklärung von sexuellen Gewaltdelikten.

Auf die detaillierte Darstellung weiterer, meist komplexer integrativer Ansätze soll hier verzichtet werden. Viele der Ansätze sind noch nicht umfassend empirisch überprüft, auch sind die Entwicklungsstadien unterschiedlich. Dennoch werden die integrativen Ansätze aufgrund ihres umfassenden Blickwinkels in Zukunft für die theoretische Erklärung von sexueller Gewalt weiter an Bedeutung gewinnen.124

77Niemeczek, 2015, S. 32.

78Dern, 2011, S. 144-145; Niemeczek, 2015, S. 32.

79Niemeczek, 2015, S. 33.

80Ward/Beech, 2006, S. 48–54.

81Greuel, 1993, S. 27-28.

82Dern, 2011, S. 88-90, 132–138; Biedermann, 2014, S. 71–72; siehe kritisch Scully/Marolla, 1985, S. 298–300.

83Für eine ausführliche Übersicht siehe beispielsweise Mokros, 2007, 43–70; Eher/Rettenberger/Schilling, 2010; Müller/Turner/Retz, 2017, S. 147–150; Brochard, 2018.

84Scully/Marolla, 1985, S. 295–296; Greuel, 1993, S. 22–24; Wieczorek, 2006, S. 748–749.

85Greuel, 1993, S. 24; Suzuki, 2014, S. 1.

86Greuel, 1993, S. 24; Wieczorek, 2006, S. 749.

87Wieczorek, 2006, S. 749; siehe auch Scully/Marolla, 1985, S. 296.

88Greuel, 1993, S. 24.

89Siehe genauer Greuel, 1993, S. 24–27; Mokros, 2007, S. 40–43.

90Beide Biedermann, 2014, S. 68 (Hervorhebung nicht im Original).

91Biedermann, 2014, S. 68–71; siehe auch Mokros, 2007, S. 35–37.

92Biedermann, 2014, S. 70.

93Siehe genauer Mokros, 2007, S. 24–29.

94Niemeczek, 2015, S. 35.

95Biedermann, 2014, S. 66–67.

96Greuel, 1993, S. 28.

97Siehe genauer Greuel, 1993, S. 28–31; Mokros, 2007, S. 29–37; Suzuki, 2014, S. 2; Niemeczek, 2015, S. 34–35.

98Scully/Marolla, 1985, S. 294–295, 300; siehe auch Dern, 2011, S. 57; Sanyal, 2017, S. 147–155.

99Scully/Marolla, 1985, S. 306.

100Siehe hierzu schon Deming/Eppy, 1981, S. 374.

101Greuel 1993, S. 37–42; Mokros. 2006, S. 37–38; Niemeczek, 2015, S. 33–34.

102Sanyal, 2017, S. 40.

103Siehe ausführlich Brownmiller, 1978; Sanyal, 2017, S. 35–44.

104Deming/Eppy, 1981, S. 358–359; 363; Scully/Marolla, 1985, S. 295; Mokros, 2006, S. 37–38; Niemeczek, 2015, S. 33–34.

105Beispielsweise Coester, 2015, S. 333–338, 346–350.

106Carney, 2001, S. 319–320, 339–348.

107Felson/Krohn, 1990, S. 222, 238–239.

108Scully/Marolla, 1985, S 306; generell zur Theorie siehe Sutherland, 1947, 1974; Eifler, 2002, S. 38–39.

109Deming/Eppy, 1981, S. 360–361; 363–364; Greuel, 1993, S. 37–39; generell zur Theorie siehe Cohen, 1955; Cohen/Short, 1974; Eifler, 2002, S. 32.

110Felson/Krohn, 1990, S. 236; generell zur Theorie siehe Hirschi, 1969; Eifler, 2002, S. 44–47.

111Beauregard/Leclerc, 2007, S. 116–118; Beauregard/Rossmo/Proulx, 2007, S. 45; generell zur Theorie siehe Cornish/Clarke, 1986; Esser, 1999; Eifler, 2002, S. 52–54.

112Greuel, 1993, S. 31–33.

113Deming/Eppy, 1981, S. 369; Scully/Marolla, 1985, S. 302–306; Greuel, 1993, S. 33–34; Suzuki, 2014, S. 1.

114Greuel, 1993, S. 34–37; Dern, 2011, S. 57–58,

115Steck/Pauer, 1992, S. 187–188; Steck/Raumann/Auchter, 2005, S. 70–71, 74, 79.

116Beauregard/Rossmo/Proulx, 2007, S. 495; Beauregard/Leclerc, 2007, S. 118, 130; Mokros/Schinke, 2006, S. 208; generell zur Theorie siehe Cornish/Clarke, 1986; Esser, 1999; Eifler, 2002, S. 52–54.

117Felson/Krohn, 1990, S. 226, Mokros/Schinke, 2006, S. 208; generell zur Theorie siehe Cohen/Felson, 1979; Eifler, 2002, S. 54–55.

118Beispielsweise Greuel, 1993, S. 39–42; Dern, 2011, S. 157–170; Biedermann, 2014, S. 60–62; Niemeczek, 2015, S. 36–39.

119Biedermann. 2014, S. 60.

120Ward/Beech, 2006, S. 50–57; Biedermann, 2014, S, 60–61.

121Biedermann, 2014, S. 61–62.

122Wieczorek, 2006, S. 752.

123Wieczorek, 2006, S. 751–752.

124Niemeczek, 2015, S. 36–39.

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