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Wie will ich gelebt haben, wenn das meine letzte Minute wäre – ein Erfahrungsbericht

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„An der Wand über meinem Bett hängt seit gestern ein großes Blatt: ‚Wenn das der letzte Tag meines Lebens wäre, wie möchte ich ihn dann gelebt haben?‘ Ich will mich in den nächsten Tagen und Wochen immer wieder dieser Frage stellen, will, daß sie mich begleitet. Mein erster Impuls am Morgen ist: ‚Ja, es ist o. k., wenn der Tod am Abend kommt, weil ich am Nachmittag eine wichtige und schöne Verabredung habe. Die möchte ich gerne noch erleben.‘ Aber ich weiß ja nicht, ob der Tod nicht schon am Vormittag kommt. Es ist das alte Wenn-Dann-Denken, bei dem ich mich ertappe. Der Gedanke an den möglichen Tod wird zunächst sehr mächtig und einengend. Eigentlich wollte ich morgens in den Wald joggen gehen, aber dann dachte ich: ‚Wenn der Tod heute kommt, könnte er beim Joggen im Wald durch einen Überfall kommen. Am besten ich bleibe zu Hause und gehe nicht laufen.‘ Aber zum Glück kann ich mich dann wieder zurückholen und denke: ‚Wenn der Tod kommen soll, wird er auch zu Hause kommen. Wenn es dir bestimmt ist zu sterben, kannst du ihn nicht durch so etwas austricksen.‘ Ich gehe weiter der Frage nach: ‚Wenn ich jetzt sterben würde, wie möchte ich denn den jetzigen Moment erlebt haben?‘ Mir kommt das Zitat in den Sinn: ‚Sammle dir jeden Tag etwas Ewiges, was dir der Tod nicht nehmen kann.‘ Ja, wenn ich jetzt sterben müßte, dann möchte ich diesen Moment so intensiv wie möglich erlebt haben, mit allen Sinnen und Gefühlen, und so etwas vom Ewigen erlebt haben. Ich erfahre, wie der Gedanke an den Tod mir den jetzigen Moment, die Gegenwart öffnet. Was mir angesichts des Todes bleibt ist, jeden Moment zu bejahen, zu begrüßen, ihn so intensiv wie möglich zu erleben. Und da ist es egal, was ich mache: ob ich im Wald jogge und die Natur, meinen Atem, meine Kraft ganz intensiv aufnehme, oder bei einer langen Autofahrt die Natur wahrnehme und nicht nur an das Erreichen des Zieles denke, oder bei einer langweiligen Sitzung mich nicht ärgere, sondern die Menschen beobachte, sie wahrnehme, meinen Atem spüre – spüre, daß ich lebe. Immer wieder erinnere ich mich daran, daß der jetzige Moment mein letzter sein könnte. Und gerade bei Tätigkeiten, die mir lästig erscheinen wie Wäsche waschen, die Wohnung aufräumen usw. hilft es mir, mich den Kostbarkeiten auch dieser sonst so ungern gemachten Tätigkeiten zu öffnen. Da sehe ich dann plötzlich jedes Kleidungsstück bewußter und freue mich daran oder auch an der Wohnung. Ich bemerke, daß ich eigentlich in jedem Moment, egal was ich tue, etwas Kostbares entdecken kann.

Der Gedanke an den jederzeit möglichen Tod hat mich also zunächst geängstigt, wollte mich einengen, aber dann konnte ich mich dem stellen, und der Moment öffnete sich für mich. Und ich kann in fast jedem Moment etwas Ewiges, etwas Tragendes finden.

Jetzt begleitet die Frage mich immer wieder im Alltag und öffnet mich für die Einmaligkeit dieses Augenblickes. Sie ist für mich ein wichtiger Schlüssel in meinem Leben geworden.“


Zeit ist Leben

Michael Ende


Jeder Tag ist kostbar

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