Читать книгу Fürstin des Lichts - Daniela Zörner - Страница 12
Kapitel 8
Оглавление„Erst Dienstag“, registrierte ich fassungslos. In der Nacht hatte Tauwetter eingesetzt. An meinem Schreibtisch hockend hörte ich es in der Dunkelheit leise tropfen. Um 7 Uhr bugsierte ich den Tagesplan in Katjas virtuelles Postfach.
Kaum erledigt, meldeten sich die Sternelben gewichtig zu Wort: „Lilia, im Team rumort es.“
„Weswegen denn nun schon wieder?“
Da ich keine Lust verspürte, meinen Kopf anzustrengen, halfen sie notgedrungen aus. „Weil sie Menschen sind, begreifen sie dein Handeln nicht. Warum es dir offensichtlich möglich war, den Tod des Mädchens zu verfolgen. Wie du zum Beispiel erst gestern ohne Waffe und Schutzweste in den Supermarkt stürmen konntest. Und deine bekannt gewordenen Aufenthalte in der Kirche sorgen inzwischen ebenfalls für Gesprächsstoff.“
Natürlich kam dieses neuerliche Pulverfass mit einer gewissen Zwangsläufigkeit. Doch mein Gehirn meldete auch so schon volle Auslastung.
„Morgen musst du mit ihnen reden.“
„Erst morgen?“, sandte ich total erleichtert.
„Rachel wird heute anwesend sein.“
Mit aufgesetzter Fröhlichkeit sang ich laut den Reim: „Morgen, morgen nur nicht heute, sagen alle faulen Leute.“
„Lilia, bereite dich vor!“
„Ja, ja.“
Als ich im sturmverwirbelten Nieselregen das Tor zur Straße schloss, traf ich Jay.
„Lil, gut dass wir uns sehen. Schorsch und ich haben uns gefragt, ob du Heiligabend bei uns verbringen magst.“
Gerührt über sein ehrlich gemeintes Angebot, obwohl die beiden sich riesig auf das erste zweisame Fest im neuen Zuhause freuten, antwortete ich ebenso ehrlich: „Total lieb von euch, aber ich habe ein volles Programm.“
„Etwa Weihnachten auch noch arbeiten?“, rief er entsetzt.
„Orgel spielen, unter anderem.“
„Du bist ‘ne Marke!“
„Und tschüss.“
Heiligabend verhieß für mich erstens ausschlafen. Zweitens wollte ich gerne zumindest für ein paar unglückliche Menschen den Weihnachtsengel spielen. Drittens möglichst keine Einsätze für die Lichtwesen erledigen müssen. Wobei, der Punkt gehörte eindeutig an die unverrückbar erste Position. Viertens zum krönenden Abschluss der wunderbaren Orgel in Santa Christiana die schönsten, je nach Geschmacksempfinden auch kitschigsten, Weihnachtslieder entlocken.
Putzmunter und bestens gelaunt fuhr ich in meinem Wagen der Arbeit entgegen.
An der vierten roten Ampel rappelte das Handy los.
John meldete sich. „Verflucht Lilia, wenigstens du bist erreichbar. Auf der Glaskuppel des Hauptbahnhofs turnt ein Selbstmörder herum.“
„Bist du dort?“
„Ja, und zwar allein mit einer Herde aufgescheuchter Bahnleute.“
„Ruhig Blut, ich beeile mich.“ „Schaffe ich das noch rechtzeitig?“
„Das ist ungewiss, seine Emotionen sind kollabiert.“
„Falls ja, was unternehme ich?“
„Du musst zu dem Jungen auf das Dach gelangen.“
„Ein Kind?“, fragte ich entsetzt.
„Ein Jugendlicher mit Liebeskummer.“
„Und wo steckt seine Liebste?“
„Sie ist mit einem Anderen in die Ferien geflogen.“
„Ach du grüne Neune. Bleibt bloß auf Sendung!“
Die Lichtwesen lotsten mich im Hauptbahnhof über eine verborgene Montageleiter auf das gigantische, röhrenförmige Glasdach.
Nebenbei klingelte ich seine Ex-Freundin auf Mallorca aus dem Bett. „Marie, du hast Pierre verlassen. Bleibt es dabei?“
„Wer ist denn da?“ Verschlafen murmelte sie: „Das mit Micha und dem Mallorca Trip war ‘ne saublöde Idee.“
„Willst du Pierre wiederhaben?“
„Glaub nich‘, dass der mich noch anguckt.“
„Bleib dran, schlaf nicht ein!“
Gut fünfzehn Minuten später dirigierten mich die Sternelben mitsamt dem Jungen vom Dach. Sie schmuggelten uns tatsächlich unbemerkt aus dem vielstöckigen Irrgarten des Bahnhofs. Unterwegs flötete Pierre unablässig Geschmuse in sein Handy, als säße er lässig beim Frühstück.
„John, hier Lilia. Fall erledigt.“
„Wie, was? Wo steckt der Verrückte?“
„Hattest du noch nie Liebeskummer?“ Damit legte ich auf, schwer hoffend, er würde bis zur Morgenrunde innerlich abkühlen.
„Lilia, du bist ein Aas!“
Aber mein kandiertes Lächeln zielte so eindeutig an John vorbei, dass er sich umdrehte – und Amor tat seinen Job aus grünen Augen. Im Türrahmen des Konferenzraums stand nämlich unser Gast aus Hamburg.
„Hi, Rachel, das hier ist mein wortgewaltiger Kollege John.“
Nordisch kühl, streckte sie ihm gnädig die Hand entgegen. „Moin.“
Ausgerechnet unseren coolen Obermacho ereilte mit grandiosem Aufschlag die Liebeskrankheit. Selbst das Schicksal besaß eine humoristische Seite.
Katja eröffnete die Runde. „Guten Morgen an alle, wir haben heute einen Gast von der Kripo Hamburg. Unsere Kollegin möchte mal schnuppern, wie bei uns der Laden läuft. Die Tagesordnung sieht bislang ruhig aus. Eventuell weitere vorweihnachtliche Selbstmordkandidaten, die Lilia und Amelie hoffentlich zur Vernunft bringen. Dann der nächste Überfall auf eine Postbankfiliale in drei Stunden. Bleibt es dabei, Lil?“
Nickend stimmte ich zu, weshalb Rachel fast ihre Augen aus dem Kopf kullerten.
Katja ratterte weiter herunter: „Und ein Einbruch beim Autohändler. Der tangiert uns insofern, als der Täter bewaffnet ist und wegen schwerer Körperverletzung auf der Fahndungsliste der Brandenburger Kollegen steht.“
Es platzte förmlich aus Rachel heraus: „Ihr wisst das alles im Voraus?“
Mit dieser schlichten Frage wurde noch dem Letzten im Raum schlagartig bewusst, wie weit sich unsere Arbeit von der Normalität entfernt hatte.
„Ein gutes Fundament für morgen“, registrierte ich im Hinterkopf.
Kaum strebten wir auseinander, flüsterte Katja mir zu: „Willst du Rachel mitnehmen?“
„Auf gar keinen Fall, sie dreht mir glatt durch.“
Daraufhin glitt ihr Blick über das Team. „Okay, Jan und John, ihr kümmert euch um unseren Gast.“
John grinste Rachel erwartungsvoll entgegen. Doch leider, leider steuerte die geradewegs Jan an und bestürmte sie mit Fragen. Sein Grinsen erschlaffte.
Zur ausgleichenden Gerechtigkeit bekamen wir einen erträglichen Arbeitstag, von dem ich mich am späten Nachmittag getrost verabschiedete. Auf dem Flur stand Katja mit unserem Gast, in ein Gespräch vertieft.
„Na, genug Berliner Luft geschnuppert?“, erkundigte ich mich bei Rachel.
Mit schiefem Lächeln meinte sie: „Ziemlich starker Tobak bei euch, aber unwiderstehlich.“
„Na, wer sagt’s denn.“
Dem Inneren von Santa Christiana entströmte eine schwatzende Besuchergruppe, angeführt von Raimund. Gegen das Auto gelehnt wartete ich, bis sich der Pulk auflöste. Nachdem der Priester seinen letzten Gast verabschiedet hatte, steuerte er mit langen Schritten auf mich zu.
„Ich hoffe, du rührst ordentlich die Spendentrommel bei deinen kostenlosen Orgelvorträgen“, begrüßte ich meinen Freund lachend.
„Wenn die Anfragen weiter steigen, benötigen wir jemanden, der die Führungen übernimmt und nebenbei ein bisschen aufpasst. Aber dafür fehlt mal wieder das nötige Kleingeld.“
„Habt ihr in der Gemeinde keine pensionierten Lehrer oder etwas in der Art, die sich nach solch einer Beschäftigung die Finger lecken würden?“
„Das ist eine erstklassige Idee! Kommst du nachher auf einen Tee vorbei?“
„Müsste hinhauen.“
Aber zuvorderst wollte ich von den Sternelben weitere Antworten. Energischen Schrittes betrat ich die dämmrige Kirche und besetzte das Kissen am Altar.
„Also, da ich mich nicht zweiteilen kann, stellt sich die drängende Frage: Wie soll das Ganze weitergehen? Meine Kapazitätsgrenze ist erreicht. Spätestens, wenn der Unterricht mit Elin starten soll, muss ich mir das Schlafen komplett abgewöhnen. Allein der Gedanke, Elin könnte nachts auch noch Unterstützung anfordern, ist Albtraum verdächtig.“
„Elin benötigt bereits jetzt Hilfe.“
„Jetzt schon? Und das erfahre ich so nebenbei?“, regte ich mich bis unter die Decke auf.
„Leya wird Elin im neuen Jahr bereitwillig unterstützen“, beschwichtigten sie.
„Ach?! Kann Leya überhaupt kämpfen?“
„Selbstverständlich, sie ist eine Elbe!“
„Uh, ein Fettnäpfchen.“
„Erst wenn deine Ausbildung abgeschlossen ist, müssen wir deine Aufgaben neu überdenken.“
Mir fielen das kürzlich erwähnte Dämonenheer und meine aufgeschobenen Fragen dazu wieder ein. „Wieviele Dämonen schleichen in der Stadt herum?“
Stille.
„Na?“
„Elin glaubt, ihre Zahl ist auf einige Hundert angewachsen.“
Mir blieb die Spucke weg. „Einige Hundert? Ihr lasst Elin allein auf hunderte von Monstern los?“
„Ihre Macht und ihre Intelligenz wiegen vieles auf.“
Mein Blut warf Kochblasen, aber mein Hirn vollführte einen seiner berüchtigten Bocksprünge. „Dann müssten mir nachts doch ständig Dämonen begegnen!“
„Elin wacht über dich, auch wenn du sie nicht wahrnimmst.“
„Wollt ihr damit sagen, der berüchtigte Berliner Kloakengestank ist in Wahrheit …“
„… die Dämonenbrut. Gut erkannt, Lilia.“
Zutiefst verstört und eingeschüchtert angesichts der haarigen Erkenntnis, scheußlichen Dämonen bei meiner Verbrecherjagd quasi auf ihren Köpfen herumzutanzen, verbrachte ich wortlos eine weitere Stunde mit Energie schöpfen.
„Ähem, sagt mal.“, aktivierte ich die Verbindung nochmals, „Was wünscht ihr euch denn zu Weihnachten?“
Sie ließen eine himmlische Gesangswolke erklingen.
„Nanu? Will sagen?“
„Oh Lilia, bitte lege die Fresken frei, die sich im Deckengewölbe befinden.“
Verblüfft schaute ich empor. „Unter der schmutzig weißen Farbe?“
„Ja, richtig.“
„Wollt ihr euer Geschenk sofort?“
Natürlich wollten sie, untermalt von einem hymnischen Kanon. Dass diese Sache mal wieder einen ihrer berüchtigten Schachzüge darstellte, darauf wäre höchstens ein Superhirn sofort gestoßen.
Vorsichtshalber marschierte ich nach draußen und schloss die Tür hinter mir. Wer wollte schon eventuell eine Lawine aus verdrecktem Deckenputz abkriegen? Draußen konzentrierte ich mich bis zum Anschlag auf die Magie.
Gespannt wie ein Flitzebogen riss ich die Tür wieder auf und lugte hinein. Tja, die Fresken lagen frei, oder vielmehr ein blasser Rest aus Bilderinseln. Echt kein Highlight. „So lassen oder vervollständigen?“
Die Sternelben sandten umgehend Fresken in herrlich leuchtenden Farben in meinen Kopf. Sie wurden von mir in das Gewölbe projiziert.
Wenige Minuten vergingen, dann jubelten wir ausgelassen über das Kunstwerk. Es stellte Kampfszenen zwischen „Engeln“ und „Teufeln“ dar. Mit Blitz, Feuer und gleißendem Himmelsstrahl.
„Aber hallo, aktueller geht es wirklich nicht“, entfuhr es mir laut.
Das Wunder musste Raimund auf der Stelle sehen!
Ungeduldig läutete ich am Pfarrhaus.
Kaum hatte mir Raimund geöffnet, überfiel ich ihn ohne Erklärung. „Los, komm mit, eine Überraschung!“
Im Sturmschritt zog ich den überrumpelten Priester mit zur Kirchentür. „Augen zu. Mach schon.“
Langsam führte ich ihn unter das Deckengewölbe. „Sieh nach oben.“
Er blinzelte mehrfach angestrengt, wie um eine Fata Morgana zu vertreiben, dann schlug er sich die Hand vor den sperrangelweit offenen Mund.
Eine lange Minute später begann Raimund zu stammeln: „Aber wie – woher? – Wie dahin?“
„Weil sie“, dabei deutete ich zum Lichtfenster, „sich den Originalzustand deines Kirchengewölbes gewünscht haben“.
„Unglaublich!“ Und das meinte er wörtlich. Denn Raimund starrte jetzt entgeistert zwischen den „Engeln“ und mir hin und her, rauf und runter.
Wann würde er endlich die Schlüsselfrage stellen? Im Geist zählte ich bis zwanzig, als mein Magen vernehmbar knurrte. „Tee und Kuchen?“
Er starrte mich an wie eine Außerirdische.
„Lilia, jetzt hast du überzogen“, tadelte sphärischer Gesang.
„Ja-a.“
„Gehen wir besser zum Pfarrhaus zurück.“
Widerstrebend ließ Raimund sich mitschleifen. Seine Haushälterin machte bereits Feierabend. So konnte ich ungeniert, für Kuchen war es doch reichlich spät, Sandwiches, Milch und Tee bereitstellen.
Im Wohnzimmer drückte ich Raimund auf einen Stuhl.
„Greif zu, danach fühlst du dich besser und wir können reden.“
Erst nachdem ich ihm ein Sandwich in die linke und das Milchglas in die rechte Hand gedrückt hatte, begann er mechanisch mit der Mahlzeit. Seine glasigen Augen sahen dabei ins Leere.
Nach dem ersten verschlungenen Sandwich gab mein Magen seinen Gehirnterror dran. Freie Bahn für den Kamikaze-Grundkurs in Magie.
Mein Freund spannte mich über Gebühr auf die Folter, bis er schlussendlich zu fragen wagte: „Lilia, was bist du wirklich?“
„Ah, ein Hoch auf die Intelligenz!“ „Ein Mischwesen, so ähnlich wie ein Muli. Nein, nochmal von vorne. Elben sind dir inzwischen ein Begriff.“
In Zeitlupe senkte er zustimmend seinen Kopf.
„Elben und Menschen sind grundverschieden. Aber vor Urzeiten kam es, zwar äußerst selten, aber dennoch vor, dass sie sich miteinander verbanden. Meine Urahne war Elbe, ihr Gemahl entstammte bereits einer Mischlinie. Das Resultat, also ich, beinhaltet seltsamerweise noch heute einen Teil dieses Erbes. Und das, obwohl unendlich viele Jahrhunderte seitdem verstrichen sind.“
Geduldig ließ ich Raimund das Gesagte verdauen.
„Und Elben konnten, sie konnten …“
„Magie bewirken?“
Raimund blickte mich ängstlich an.
Also lenkte ich sein Augenmerk auf das Kirchengewölbe. „Hast du das Motiv der Fresken noch vor Augen? Sie zeigen Blitz und Feuer, die ursprüngliche Kampftechnik von Elben und Dämonen. Von dieser urgewaltigen Kraft blieb ihnen am Ende nur schwache Magie.“
Der Priester holte tief Luft. „Und du kannst – das ebenfalls?“
„Magie ist nichts Böses, Raimund! Denk nur an die Freilegung der Fresken. Du hättest ihre Freude über mein Geschenk hören sollen. Sie jubelten vor Entzücken!“
„Wirklich wahr?“
„Ja, ich schwöre es dir.“ Die reine Ehrlichkeit meiner Augen half ihm über den Schock hinweg. „Raimund, die Magie hilft mir sehr. Ich rette dadurch Leben, bewirke Gutes und schütze obendrein mich selbst.“
Skeptisch hakte er nach: „Aber warum nennt man dich dann den Racheengel?“
„Gute Frage!“ „Tja, das wüsste ich auch mal gerne. Wahrscheinlich ein typischer Fall der berüchtigten Berliner Schnauze. Doch Rachegelüste haben keinen Platz in meiner Seele.“
Er schenkte mir ein warmherziges Lächeln. „Ich weiß.“
Nachdenklich fuhr ich heim. Je weiter sich meine Kräfte, mein Wissen und mein elbisches Handeln entwickelten, desto mehr entfernte ich mich von meinen neu gewonnenen Freunden. In absehbarer Zeit würden sie meinem Wesen kaum mehr folgen können. Das schien am heutigen Abend so zwangsläufig wie das Amen in der Kirche. „Du wirst neue Freunde finden“, dieses Versprechen der Sternelben stand ganz am Anfang. „Aber wie lange werden sie noch zu mir halten?“
Als elendes Schniefbündel, mich wieder einmal unendlich einsam fühlend, traf ich eine knappe Stunde später am Gartenhaus ein. Plötzlich keimte Trotz auf und ich stemmte mich wild entschlossen gegen den innerlichen Trauerschwan. „Irgendwie muss die Geschichte im Guten weiter gehen. Die Schlacht ist keineswegs verloren. Punkt, Ausrufezeichen in fett!“ Klar, dass mein Alter Ego angesichts solch eines optimistischen Traumschaums kontern musste: „Wieso? Hat die Schlacht etwa schon angefangen?“
Einige Zeit danach schritt ich mit zwei riesigen Apfelpfannkuchen plus Salat im Magen nach draußen auf die Wiese. Argwöhnisch schnupperte ich, ob die Luft dämonenrein war. Derweil betrachtete ich hingebungsvoll den aus abziehenden Wolken hervortretenden, winterlich funkelnden Sternenhimmel. Die Lichtwesen sangen dazu ein zauberhaftes Lied über ihren Traumgarten. Keine menschliche Sprache kam der ihren annähernd gleich. Sie glich Musik und ihre Musik bildete ihre Sprache. Jedes Wort gebar Klang und Bild, jede Tonfolge erzählte eine Geschichte.
Unerwartet trat Elin zu mir.
„Ruhige Nacht?“
Lächelnd hob sie ihr leuchtendes Gesicht den Sternen entgegen.
Anschließend machten wir es uns vor dem Kaminfeuer gemütlich. Während ich an meinem Weinglas nippte und dem Flammenspiel zusah, forderte mich irgendetwas mit anschwellender Intensität zur Kenntnisnahme auf. Der vergebliche Versuch, an meinen abgeschalteten Grübelregionen festzuhalten, endete in einem gequälten Seufzer. „Sag schon, was dir auf der Seele brutzelt.“
„Leya wird mit mir kämpfen.“
„Bin im Bilde.“
„Du bist vollkommen ausgelastet, Lilia. Aber dein Unterricht …“, sie knetete ihre Hände, „du musst noch Unmengen an immens Wichtigem erlernen“.
Mit vorgetäuschter Verärgerung tadelte ich sie: „Konntest du dich nicht noch die paar Tage gedulden?“
Völlig perplex huschten ihre Augen in meine.
„Du ruinierst gerade mein Weihnachtsgeschenk für dich!“
„Oh!“
„Ja!“
„Ach so?!“ Amüsant, so eine Elbe im Chaos. „Oh, bitte entschuldige, Lilia.“
„Schon gut, aber an Heiligabend bekommst du kein Geschenk mehr, dass das mal klar ist“, grummelte ich. „Nach Neujahr wollen sie Sorge für ausreichend Trainingszeit tragen.“
„Ja, gut, dann gehe ich jetzt noch ein bisschen auf die Pirsch.“
„Aber leise“, rief ich ihr frech nach.
Aus dem Buch „Inghean“
Noch immer verkennt das Menschenkind den tiefen Sinn seines elbischen Erbes. Der Plan meiner Sternschwestern, Lilia das Antlitz unserer Fürstin zu offenbaren und so ihr menschliches Herz zu überlisten, schlug fehl. Wie Lilia sich selbst verleugnet, so verleugnet sie auch die Fürstin.
Der nebelverhangen trostlose Mittwoch vor den herbeigesehnten Weihnachtstagen stand unvermeidbar im Zeichen des kollektiven Pulverfasses. „Seufz!“ Früh morgens setzte ich als den ersten Punkt auf Katjas gewalttriefenden Tagesplan: Das Team erhält ausgiebig Gelegenheit, mir gegenüber Dampf abzulassen! Fett unterstrichen. In Klammern fügte ich hinzu: Wir drohen zu implodieren, wenn sie keine verständlichen Erklärungen zu meiner Art des Arbeitens erhalten.
Als ich nach dem Frühstück aufbrechen wollte, stand Elin, tief in Gedanken versunken, im Wintergarten. „Du schaffst das schon.“
Gequält nickte ich ihr zu. „Seide taugt für edle Kleider, nicht als Halteseil.“
„Na, dann drehst du eben einen soliden Strick aus den Fädchen.“
„Ach, sei froh, dass du dich bloß mit mir herumschlagen musst“, frotzelte ich unter absichtlicher Verkennung dämonischer Fakten.
Auf dem Weg zum Auto dachte ich: „Kann man sich mit einem tumben Dämon eigentlich unterhalten?“
„Was ist Magie?“ Mit dieser schlichten Frage eröffnete ich meine heikle Mission im Konferenzraum.
Der erste Querschuss kam umgehend. Nämlich von Axel, der mir bislang unauffällig, aber kontinuierlich aus dem Weg ging. „Was soll denn das jetzt werden?“
Mein Blick schweifte in die Runde. „Das soll Folgendes: Jeder von euch beherbergt im Hinterkopf diverse Fragen an oder über mich, die eine Antwort verlangen.“
Zustimmendes Gemurmel.
„Also nochmals dieselbe Frage, und zwar ernsthaft.“
„Kaninchen aus dem Hut.“
Allgemeines Gelächter.
„Frauen zersägen.“
„Träum weiter, Junge.“
Gejohle der Männer.
„Hellseherei.“
„Dafür bist du nicht helle genug.“
Die Sache drohte ins Lächerliche zu kippen und ich hob beschwichtigend die Hand. „Magie bedeutet erstens, Dinge zu bewegen, ohne dafür einen Finger krumm zu machen. Also mit reiner Geisteskraft.“
„Geht das wirklich?“, wollte Amelie wissen.
„Ja. Ihr dagegen habt gerade Zaubertricks genannt, die so fern von echter Magie sind wie die Sonne vom Mond.“
Misstrauen dünstete aus diversen Ecken heran.
„Ich zeige euch den Unterschied.“ Dabei fixierte ich Axel, der schräg gegenüber saß. Prompt sackte er auf seinem Stuhl tiefer. „Leg mal deine Brieftasche auf den Tisch.“
Alle Augen konzentrierten sich darauf. Mein Geist rief sie auf meinen Platz.
Ein Chor aus „Scheiße“, „häh“, „wie“, „och“ ertönte.
„Beruhigt euch bitte. Der Unterschied zwischen mir und euch ist diese zusätzliche Begabung“, erläuterte ich sachlich, als ginge es hier um die Anwendung neuer Software. „Magie ist einfach ein Werkzeug, das sauber angewendet werden muss. Sicherlich kennt ihr die Klagen über fehlende Schlüssel an den von mir verwendeten Handschellen.“
Halbherziges Gelächter machte die Runde.
Mit offensichtlichen Rachegelüsten gab Axel den nächsten Querschuss ab. Er knurrte: „Wieso kannst du ohne Schutzweste und Waffe rumlaufen?“
„Der scheint ja eine dicke Rechnung mit mir offen zu haben.“
„Neid, Lilia“, kommentierte die Sphäre.
Wenigstens kam mir ein rettender Gedanke. „Okay, lasst mich kurz ausholen, indem ich eine Gegenfrage stelle. Was geschieht, wenn ihr euch der Sonne aussetzt?“
„Hoffentlich braun werden.“
„Und schlapp, müde.“
„Bei mir läuft das aber anders. Ich werde nicht braun, dafür putzmunter.“
„Ach, deswegen hast du so ‘ne tolle Haut.“ Typisch Jan.
„Wenn man ein dickes Metallstück in die Sonne legt, strahlt es später im Schatten noch lange Wärme ab.“
„Hey, sind wir hier in der Schule? So blöd sind wir nun auch wieder nicht“, fuhr mir John sichtlich genervt in die Parade.
„Mach hier keine Riesenwelle, da ist sowieso nur mächtiger Hohlraum drunter“, fauchte Katja ihn mit blank liegenden Nerven an.
Gegen den zu recht einsetzenden Tumult laut anredend, antwortete ich John: „Dann verrate mir bitteschön mal, wie ich euch sonst verklickern soll, dass ich Licht als Energie aufnehmen und gezielt wieder abgeben kann.“
„Willst du uns verarschen?“
Das Chaos feierte fröhlich High Fidelity.
Ich brüllte: „Ruhe! Und wenn mir jetzt gleich einer in Ohnmacht fällt, ist John für die Mund-zu-Mund-Beatmung zuständig. Kapiert?“
Neuerliches Gejohle und ein weibliches „Iiih!“ schallten durch den Raum.
Jan schloss die Jalousien und ich begab mich bei gedämpftem Licht in die Mitte der beiden Tischreihen.
„So, ich demonstriere euch die Abgabe von Energie.“
Mucksmäuschenstille.
Während ich allmählich erleuchtete, redete ich betont ruhig weiter. „Dieses Licht schützt meinen Körper vor Kugeln, Messerstichen und ähnlichen Brutalitäten unseres Jobs. Aber es leistet noch mehr. Axel fragte eben nach meiner fehlenden Waffe. Wenn ich will, entsteht aus einem Teil der Energie beispielsweise eine Lichtkugel. Mit so einem Ding habe ich den Täter im Supermarkt geblendet.“ Nebenbei erschien eine Kugel auf meiner ausgestreckten Hand.
„Ach du Scheiße!“
„Echt jetzt?!“
„Ich muss high sein.“
„Boah, coole Nummer.“
Wenige Augenblicke später endete meine Darbietung. „Macht mal die Jalousien hoch.“
„Kannst du das etwa nicht?“, muffelte John.
„Ich denke, für heute ist euer Bedarf an Magie gedeckt. Obwohl …“, skeptisch blickte ich reihum, „… wollt ihr Sandwiches?“
Ein vielstimmiges „Haben wir uns verdient“ und „her damit“ kam als Antwort. Also zauberte ich direkt vor ihren Nasen das wohlbekannte Riesentablett herbei.
Unverkennbar biss der eine oder die andere recht zögerlich in die Köstlichkeit.
Ich grinste erleichtert über den durchgestandenen Schleudergang. Ehrlich betrachtet, hatten sie höchstens auf die Hälfte ihrer Fragen eine halbwegs akzeptable Antwort erhalten. „Sei auf der Hut“, schärfte ich mir ein.
Nach der normalen Besprechung unter Katjas einigermaßen entspannter Regie schnappte ich mir das Problemkind.
„Axel, tritt deinen Neid in die Tonne. Wüsstest du alles über mich, würdest du dich lieber tot wünschen, als mit mir zu tauschen.“
Er fuhr zusammen, weil ich ihm dicht auf die Pelle rückte und zudem direkt in seine blassblauen Augen schaute.
Mit ausgestreckter Hand bot ich an: „Komm, lass uns Frieden schließen.“
Seine schlaffe Hand griff zögerlich zu, dann trollte er sich schleunigst.
Sofort bat ich die Sternelben um Auskünfte.
„Axel übt den falschen Job aus. Dabei besitzt er außergewöhnliche Fähigkeiten für virtuelle Technologien. Außerdem sieht er sich im Team sehr starken Frauen gegenüber. Er hingegen konnte sich bislang nicht eingestehen, schwul zu sein.“
„Wüsstet ihr passende Arbeit für ihn?“
„Ja, beim Nachrichtendienst. Doch dafür müsste Axel vorab seine eigene Identität finden. Die Eignungsprüfung ist erbarmungslos.“
Im Tagesverlauf nutzte ich jede freie Sekunde, um mir über Axel den Kopf zu zermartern. „Wie? Wie? Wie?“ Irgendwann rasteten dann doch die richtigen Gehirnverbindungen ein. „Mensch, Jay! Die Lösung liegt direkt vor der Haustür!“ Ich griff zum Handy und wurde flott von Schwester Janine durchgestellt.
„Hi Lil, was hast du auf dem Herzen?“
Kurz schilderte ich ihm Axels privates Drama.
„Also ich würde mit ihm keinesfalls in einschlägige Bars gehen. Oder woran dachtest du?“
Zaghaft fragte ich: „An einen Besuch bei euch heute Abend in meiner Begleitung?“
„Hmmh, wäre durchaus eine Möglichkeit. Aber ich kann keine Erfolgsgarantie übernehmen.“
„Du bist ein Schatz!“
Gegen Abend beobachtete ich den Kandidaten für mein Überfallkommando unentwegt. Im entscheidenden Moment griff ich beherzt zu. „Hast du schon was vor?“
Völlig irritiert guckte Axel erst einmal um sich, wer wohl gemeint sein könnte. „Wer? Ich?“
„Ich möchte mich nochmal in Ruhe mit dir unterhalten. Magst du mitkommen?“
„Äh, ich habe, ich weiß nicht …“
„Auf geht’s.“
„Wohin denn?“, fragte Axel misstrauisch.
„In mein Haus.“
Aus unerfindlichen Gründen lief er brav neben mir her und stieg dann auf dem Parkplatz in meinen Wagen.
Schweigsam brachten wir die Autofahrt hinter uns.
Erst als wir das Tor zum Gartenhaus passierten, begann mein Kollege sich unruhig umzuschauen.
„Hier wohne ich.“
Er glotzte das Haus an. „Toll! Du musst ja Kohle haben.“
Gemächlich betraten wir mein Zuhause und schließlich die Küche.
„Ein Wintergarten.“ Axel marschierte los. „Echt gute Pflege. Auch Kakteen-Fan, was?“, kommentierte er mit offensichtlichem Kennerblick.
„Okay, parlieren wir über Pflanzen, wenn es denn hilft.“
Während die stacheligen Objekte ihre auftauende Wirkung entfalteten, drückte ich ihm sein Lieblingsbier in die Hand.
Ein sinnvoller Übergang von Kakteen hin zu IT? „Puh, nee!“ Dann auf die beiläufige Art. „Zufällig weiß ich, wo ein Job zu haben wäre, bei dem du dich richtig austoben kannst.“
Sein erschrockenes Gesicht schnellte zu mir herum. „Will Katja mich loswerden?“
„Nein, nichts dergleichen.“
Er überlegte, worauf das Ganze hier hinauslaufen sollte. „Ich meine, ich komme schon klar mit dir“, versicherte er lahm.
„Axel, hier geht es einzig und allein um dich, deine herausragenden Talente und deine Zukunft.“
Seine Neugierde siegte tatsächlich. „Was für ein Job?“
Meine Beschreibung brachte seine Augen zum Leuchten. „Das wäre der Hammer!“
„Tja, bliebe der zweite Akt zu bewältigen.“ Auch wenn Beiläufigkeit als Taktik eben gescheitert war, musste sie nochmals ran. „Gleich bin ich mit lieben Freunden zum Essen verabredet. Die beiden wissen bereits, dass du mitkommst.“
Totale Unsicherheit waberte. „Einfach so? Ohne mich zu kennen?“
„Einfach so.“
Erst als der komplette halbe Liter Bier sein Gehirn minimal beruhigte, zogen wir los. Da ich am Auto vorbei in Richtung des Brunnens strebte, blieb mein Kollege plötzlich wie angewurzelt stehen.
Hinter mir ertönte: „Zu Fuß? Echt?“
Ganz früher einmal hätte ich als Antwort sarkastisch Lauflernschuhe zur Ausleihe angeboten. Stattdessen deutete ich auf das hell erleuchtete Vorderhaus und erklärte: „Dort wohnen sie.“
Wenige Schritte vor ihrer Haustür zündete ich einen perfekten Rohrkrepierer. „Meine Freunde heißen übrigens Jay und Schorsch.“
Bei jedem Schwulen würde es auf der Stelle klicken. Von Axel hingegen kam keine Reaktion.
„Das wird entweder ein extrem langer Abend oder ein totales Fiasko. Habe ich Recht?“
Die Sternelben pflichteten mir bei.
Doch meine Freunde verhielten sich absolut brillant. Ihr ganz normales, lockeres Paarleben lief vor Axels wachsamen Augen ab. Diese Selbstverständlichkeit löste irgendwann während der nächsten drei Stunden sachte jenen Schalter, der im Innenleben meines Kollegen klemmte. Als sein Gesicht vor Glück glühte, atmete ich auf.
Schorsch behielt bis zum Schluss fest die Zügel in seiner Hand. „Morgen Abend gehen wir mit ein paar Freunden ins Kino. Wie wär’s, kommst du mit, Axel?“
„Ja, super Idee und echt ein dickes Danke für den tollen Abend bei euch.“
Das bestellte Taxi verschluckte den Bierseeligen und ich stöhnte: „Gebt mir mehr Wein.“
Jay und Schorsch bogen sich vor Lachen.
Dann aber wurde Schorsch unerwartet ernst. „Ich weiß aus eigener Erfahrung genau, was Axel durchmacht. Und da er ein netter Kerl zu sein scheint, sollten wir ihn vorerst unter unsere Fittiche nehmen. Oder, Jay?“
Meine Freunde klatschten ab, und ich fiel ihnen dankbar um den Hals. Manche Menschen besaßen eben ihre ganz eigene, wunderbare Magie.
Die verlockende Aussicht, noch vor Mitternacht freie Zeit für mich zu haben, erwies sich beim Verlassen ihres Hauses als Trugschluss. Vor dem Tor wieselte Konny herum.
„Wie sehr Katja und er sich manchmal ähneln!“ Alarmiert fragte ich nur: „Wo brennt es?“
Verlegen entgegnete er: „Ich könnte deine Spürnase gebrauchen, inoffiziell.“
Noch während wir den Kiesweg entlang gingen, sprudelte sein Anliegen ohne Punkt und Komma heraus. Konny berichtete von einem Informanten, der behauptete, an brisantes Material über einen globalen Konzern gelangt zu sein.
„Du willst wissen, ob an der Sache was dran ist“, riet ich und öffnete dabei „menschlich“ die Haustür.
„Na ja, das wäre ein ziemlicher Brocken, vorsichtig formuliert.“
„Schon kapiert. Hast du Hunger?“
„Ehrlich gesagt, mein Magen klebt unter der Schuhsohle. Ich habe mal was von deinen genialen Sandwiches läuten hören“, meinte er hoffnungsvoll.
So lotste ich den zweiten Gast dieses überlangen Abends in meine Küche. „Setz dich doch.“
Um ihn keine Magie sehen zu lassen, holte ich die gezauberten Sandwiches mitsamt der Milchflasche aus dem Kühlschrank.
„Milch?!“, sagte Konny exakt so, als würde ich ihn für einen Dreijährigen halten.
„Immer das gleiche Theater“, dachte ich meine Augen verdrehend. „Absolut Milch. Du stärkst dich und ich benötige ein paar Minuten zum Denken.“ Damit zog ich mich in den Wintergarten zurück.
Dort begann ich auf und ab zu schlendern, derweil die Sternschalte anlief.
„Seid ihr für Wirtschaftskriminalität überhaupt zuständig?“
„Sehr komisch, Lilia. Das ist keine klassische Wirtschaftskriminalität. An den Händen des Konzernvorstands klebt literweise Blut. Konrad könnte in ernste Gefahr geraten, wenn seine Ermittlungen durchsickern.“
„Soll ich Konny abraten?“
„Nein, du musst jedoch auf sein Team achtgeben.“
„Habt Ihr Informationen für mich?“
„Selbstverständlich“, brummten sie, „aber öffne zuerst deinen Zauberkasten, sonst stehst du heute früh noch hier.“
Mit einer frisch geöffneten Worddatei setzte ich mich Konny gegenüber. Bevor er fragen konnte, versetzte ich: „Sei bitte still, bis ich wieder rede.“
Entspannt griff der Kommissar nach dem letzten Sandwich. Sein Milchglas war übrigens fast geleert.
So ungefähr musste sich ein Durchlauferhitzer im Betrieb fühlen. Es dauerte und dauerte und dauerte. Gedankenversunken orderte ich magisch Tee. Konny zuckte zusammen.
„Tschuldigung.“
Tapfer blinzelte der Kommissar seine starke Irritation weg.
Unumwunden bekam er nun das Ausmaß seines Vorhabens geschildert. Danach zog ich ein Fazit: „Im Klartext erwarten dich Killer, Korruption und Lebensgefahr für jeden von euch, der es wagt, in dem Sumpf herumzuschnüffeln. Auf der Habenseite stehen für den Anfang 153 Dateien.“
„Für den Anfang?“, rief Konny geschockt aus.
„Für den Überblick, wie fett der Fall ist. Um es deutlich zu betonen, bislang warten die Seelen von sechs Leichen auf Gerechtigkeit. Wenn überhaupt, lässt sich die Hälfte davon als Mord nachweisen.“
Erschüttert kam nur: „Hast du was Hartes im Haus?“
Hinter seinem Rücken zauberte ich Grappa herbei.
Nach einer Runde des Schweigens mit zwei hinunter gekippten Gläsern fragte ich: „Besser?“
„Geht schon.“
„Konny, schlaf erst mal drüber. Aber hör vorab noch meinen dringenden Rat: Bevor du diese Daten bei euch aufspielst, wende dich unbedingt an Axel. Lass ihn zunächst ein absolut wasserdichtes internes Kommunikationssystem für dein Team einrichten.“
„Mein alter Axel?“, überlegte er ungläubig.
„Eben jener“, bekräftigte ich, „eine IT-Perle am falschen Platz.“
Total groggy schaute ich auf die Küchenuhr, kaum dass die Haustür hinter Konny ins Schloss fiel. Beinahe 2 Uhr morgens. Gerade als ich gähnend wie ein Scheunentor die Treppe bettwärts erklimmen wollte, läuteten die Sternelben zur Late Night Show.
Am ersten zu verhindernden Tatort in der City West fand ich sogar eine freie Parkbucht. Noch bevor der Wagen drin stand, drang würgeverdächtiger Gestank durch die Lüftungsschlitze ins Innere. Schockartig fiel mir ein, wer hinter dem Kloakengestank steckte – und haute auf die automatische Türverriegelung.
Bereits vor Längerem bekundeten die Sternelben, dass mein Auto kein luxuriöser Schnickschnack war, sondern bei Dunkelheit als ein galvanischer Käfig gegen die schwarzen Monster dienen sollte. Das würde aber nur bei geschlossenen Türen und laufendem Motor funktionieren, hatten sie mir eingetrichtert. „Magische Physik? Keinen blassen Schimmer.“
Geschlagene elf Minuten saß ich stocksteif, aber mit umherflitzenden Augen, auf dem Fahrersitz und suchte verzweifelt nach hinreichendem Mut, auszusteigen. Übermäßige Kopfverstopfung gepaart mit bleierner Müdigkeit lähmte jede Zufuhr positiver Restenergie. Erst als Elin sich mir zeigte, öffnete ich beschämt und mit puterrotem Kopf die Wagentür.
Dicke Schneeflocken kündigten die Rückkehr des eisigen Winters an.