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Kapitel 10
ОглавлениеVerführt von Schönheit, Reichtum und eigenem Heim, bedeuteten mir die Geschenke der Sternelben, als ich sie besaß – nichts! Das Märchen vom glücklich sorglosen Mädchen entpuppte sich als unentrinnbare Falle, in der meuchelnde Dämonen auf mich warteten. Die schmeichelnd singende Elbensphäre unterschlug nach Gusto sämtliche Informationen, die mich zum abrupten Spurwechsel auf den vertrackt schwingenden Schicksalspfaden verleiten könnten. Nachdem sie mir, ungefragt selbstverständlich, die Seele der Elbenfürstin Joerdis eingetrichtert hatten, mussten sie lediglich abwarten. Allerdings stellte mein berüchtigter Dickschädel ein echtes Problem für die durchtriebenen Sternsängerinnen dar.
Aus dem Buch „Inghean“
Selbst die Macht meiner Fürstin versagt bei diesem seltsamen Menschenkind. Traf sie die falsche Wahl? Ist unser aller Schicksal nun besiegelt?
Mittlerweile wechselten sich die beiden Elben, Leya und Elin, mit den frühmorgendlichen Unterrichtsstunden ab. Leya weckte mich vorher mit verführerischem Kakaoduft und vermittelte mir ausgebuffte Kühnheit im Kampf. Elin riss als Muntermacher das Fenster in meinem Schlafzimmer weit auf und lehrte mich elegante Geschmeidigkeit. Optisch wirkte das wie akrobatisches Ballett im Zeitraffer.
An diesem Morgen, nach kaum zwei Stunden mit Albträumen gespickten Schlafens, erfolgte die Frischluftvariante. Als ich gähnend quengelte, riss Elin mir die Bettdecke weg.
„Raus!“, brüllte ich absichtlich laut.
Sie erschrak und flüchtete.
Ihre Unterweisung auf der Rasenfläche vor meinem Gartenhaus geriet zum Fiasko.
„Lilia, entweder du schaltest deinen Kopf freiwillig ab, oder ich zaubere ihn dir weg“, versetzte die Elbe unwirsch.
„Geht einfach nicht“, schluchzte ich auf, wobei hemmungslos Tränen loskullerten.
„Was ist geschehen?“
Stammelnd produzierte ich drei abgehackte Worte: „Kopf – Kamikaze – Kram.“
Elin besorgte sich sphärenwärts taugliche Auskünfte über die Gründe meines miserablen Gemütszustands.
Schlussendlich schlug sie vor, in die Küche zu gehen.
Während ich den dampfend heißen Teebecher so fest umklammerte, dass mir fast die Finger verbrühten, schaute ich die Elbe traurig an.
„Du machst dir zu viele Gedanken und Sorgen, Lilia.“
„Sag mir, Elin, was bitte ist der Sinn? Denn ich sehe durchweg nur Chaos, so wie ein gigantisches Puzzle ohne Vorlage.“
Einen schwergewichtigen Grund dafür kannte ich natürlich. Ich weigerte mich weiterhin strikt, mit Elbenfürstin Joerdis, meiner Zwillingsseele, zu sprechen. Also herrschte in puncto Durchblick meiner Innenlage zappenschwarz. Doch jeder Gedanke an die Vorstellung, außer den unverschämten Kommentaren meines Alter Ego auch noch ungebetene Wortmeldungen von Joerdis im Kopf anhören zu müssen, machte mich stinksauer. Ehrlich gesagt, war mein chaotischer Status quo keinen Deut besser. Meine ausströmende Verzweiflung verursachte in der Küche dicke Luft. Passenderweise goss es draußen in Strömen.
Elin sah mir in die Augen. „Wenn dein Herz wahrhaft verzweifelt ist, weinen die Sternelben.“
„Was?“
Der Tee schwappte auf den Küchentisch.
Tatsächlich existierten etliche Legenden, gespickt mit solch herzerwärmenden Ammenmärchen, über die Sternelben. Sie wurden im Laufe der Zeit eigens für die Umgarnung von Mischwesen wie mir erdacht.
„Entschuldige, Lilia, aber du musst langsam deine Macht erkennen.“
„Wie denn, wenn mir nie einer Zusammenhänge erklärt?“, jammerte ich wie Klein Lilia zu ihrer großen Schwester.
„Und warum ist das wohl so?“
Ratlos blickte ich zu ihr auf.
„Weil deine Macht anders und größer ist als die von Leya oder mir. Darum können wir dir weder erklären, zu was du fähig bist, noch was daraus entstehen mag. Wir können es lediglich mit dir gemeinsam herausfinden. Meine Lichtschwestern hingegen fürchten sich über jedes vorstellbare Maß davor, dich unnötig zu verängstigen oder in die Irre zu führen. Allzu oft durchkreuzte ein winziger Schicksalsfaden ihre Pläne und Ziele.“
Schluchzend gestand ich: „Das klingt ungeheuerlich – und gefährlich.“
Elin stritt es nicht ab.
Nur, welcher Art waren die galaktischen Pläne und Ziele der Sternelben?
Mitte März brachte der Frühling endgültig Tauwetter und damit eine neue Chance, auf die Jagd nach den verschollenen Elbenamuletten zu gehen. Die mordsbrodelige Berliner Fieberkurve wies kontinuierlich nach unten. Anders ausgedrückt, zeigte das Dämonen meuchelnde Team aus Elin und Leya scheinbar Wirkung. Also verursachte mein Beschluss, in Norwegen das nächste Amulett zu bergen, keinerlei Widerstand.
Am letzten Sonntag des Monats flog ich von Berlin über Bergen nach Alta. Ausgerüstet mit der Landessprache, sollte die Unternehmung keine größeren Probleme bereiten – dachte ich. Leider liegen Theorie und Praxis manchmal rein zufällig so weit auseinander wie Galaxien.
Erstens hielt das Taxi mitten in der norwegischen Pampa, also quasi im Nirgendwo. Weder Baum noch Strauch boten den geringsten Blickschutz für meine Aktion. Zweitens konnte der wartende Taxifahrer zwar bis zum Nordpol gucken. Allerdings fand der alte Mann meine Wenigkeit interessanter, die gerade querfeldein durch gut dreißig Zentimeter tiefen Schnee stapfte. Drittens ignorierte das Amulett meinen zunehmend drängenden Ruf. Also musste ich viertens einen Spaten ‚ordern‘ und schweißtreibend graben. Das wiederum veranlasste den neugierigen Taxifahrer auszusteigen.
Nachdem erst der Schnee, dann kartoffelgroße Kieselsteine und als unterste Schicht tonartige Erde weggeschaufelt waren, knirschte es unter der Spatenspitze. Behutsam schabte ich die restliche Erde von einem Zinkirgendwas mit Deckel in der Größe eines Schuhkartons. „Zink ist magieallergisch?“ Zumindest gab besagter Deckel meinem Ziehen umstandslos nach. In dem zerbeulten Behältnis lag ein angelaufenes Durcheinander an Schmuck und Münzen.
Ja, okay, das schimpft sich Schatz.
Aus meinem Rucksack fischte ich zwei Tüten und teilte, bis auf das Amulett, die Beute in gleiche Teile.
Dem halb verdutzten und halb verdatterten Taxifahrer drückte ich eine Tüte in die Hand. Schweigebeute. Kurz nachdem wir losgefahren waren, bemerkte ich, dass der Alte plötzlich das Gaspedal für sich entdeckt hatte.
Wieder am Flughafen von Alta angelangt, marschierte ich zum Postschalter und erstand ein Päckchen. Darin verstaute ich Schmuck und Münzen, selbstverständlich abzüglich Amulett. Adressiert an das Historische Museum in Bergen, waren die wertvollen Stücke in Windeseile aus der Welt geschafft.
Da mein Rückflug erst um 19 Uhr 20 starten würde, gab ich meinem Magen nach, der knurrend Füllbedarf anmahnte. Auf der Suche nach einem Imbiss in den fensterlosen, spärlich ausgeleuchteten Korridoren des Gebäudes nahm, zur Krönung des Tages, ein herumlungernder Dämon meine Lichtspur auf. Sein Gestank verriet ihn noch rechtzeitig.
Mit Ach und Krach lockte ich den Stinkstiefel erst mal in eine verlassene Herrentoilette. Er sah eher wie ein alter, halb verhungerter Lumpensammler aus – bis auf die Peitsche in seiner Hand. Auf jeden Fall agierte der Dämon echt lahm im Vergleich mit seiner Berliner Verwandtschaft. Voll illuminierte Halbelben kannte er schon mal überhaupt nicht. Andernfalls wäre ihm klar gewesen, dass er bereits mit einem Bein in der Hölle stand. Statt geiferndem Angriff servierte er mir einen Ekelhauch. Ich revanchierte mich mit einem gezielten Lichtpfeil dorthin, wo menschliche Wesen ihr Herz haben. Der Rest war Sterben. „Wobei“, sinnierte ich, „kann man solch einen Auflösungsvorgang tatsächlich als Sterben bezeichnen? Das würde mich mal interessieren.“
Leya reinigte mein stolzes Mitbringsel, ein ovales Amulett, besetzt mit geschliffenen Amethysten. Dabei schüttelte sie ungehalten den Kopf. Übrigens verwandelte sich Leya mehr und mehr zurück in eine Elbe, zum Beispiel, indem sie sich lautes Sprechen abgewöhnte. Nun stöhnte sie: „Welchen Unterschied soll das beim Sterben für die Seelen machen, woraus ihre Hülle besteht und ob die dann schnell oder langsam versickert? Auf was für Fragen du ständig kommst.“
„Ich hätte da direkt noch eine. Und zwar, wie wir die Amulette zu den verstreuten Elben befördern wollen.“
„Papperlapapp, ungelegte Eier lassen sich nicht ausbrüten“, wischte sie die Frage weg.
Leya hatte also keinen Schimmer!
Montag, der 1. April, bescherte Katjas Team im Berliner Kriminalkommissariat zwei Veränderungen. Axels angestammter Platz blieb leer. Enthusiastisch begann er sein neues Berufsleben beim BND. Gleichzeitig würde heute Rachel aus Hamburg, als Ersatz für den verunglückten Kai, ihren Start hinlegen.
John, dessen Zerstreutheit in den vergangenen Monaten vor allem seine Partnerin Jan die Wände rauf und runter katapultierte, sehnte Rachel kopflos herbei. Bereits eine halbe Stunde vor der Besprechung zappelte er, der sonst regelmäßig zu spät kam, wie ein Erstklässler bei der Einschulung auf seinem Stuhl herum.
Ich schnappte ihn mir. „John, möchtest du einen kostenlosen Tipp, wie du Rachel beeindrucken kannst?“
Seine Augen leuchteten fiebrig. „Das wäre?“
„Cool einen absolut perfekten Job hinlegen.“
„Sehr witzig, Lilia.“
„Ich meine es ernst. Rachel ist wissbegierig, sie steht aufs Dazulernen.“
„Eine Streberin“, schlussfolgerte er entgeistert.
„Sie nutzt ihren Kopf einfach zu dem Zweck, für den die Evolution ihn vorgesehen hat.“
John ließ seinen Kopf theatralisch auf die Tischplatte sacken. „Frauen sind echt anstrengend“, mokierte er sich.
Soweit emotional abgekühlt, verringerte sich die Gefahr, gleich am ersten Tag bei Rachel blamabel aufzuschlagen. Den Rest musste der Kerl schon selbst managen.
Hintendrein knöpfte ich mir Katja in ihrem Büro vor. Sie lebte zwar seit Kurzem vereint mit ihrem Liebsten Konny, vernachlässigte darüber aber uncool ihren Chefjob. Drastisch formuliert, folgte auf das stampfende Arbeitspferd eine außersphärische Schwebekür der Glückseligen.
Katja saß verträumt hinter ihrem Schreibtisch. Eine Hand stand mitsamt Kaffeetasse reglos in der Luft.
„Darf ich dich auf Wolke 7 kurz stören?“
„Aber nicht so laut, bitte.“
„Funkspruch von Lilia an die Chefermittlerin: SOS im Teambereich.“
Erschreckt knallte sie ihre Tasse auf den Tisch. „Was jetzt?“
„Genau, beam dich schleunigst hinunter in die Wirren des Alltags. Erstens: Wo bleibt der Ersatz für Axel?“
„Der fängt erst morgen an, muss wohl wegen vergessener Übergabe nachsitzen.“
„Zweitens, genehmige Jan und Thomas schnellstmöglich Urlaub.“
„Stopp mal, das ist momentan wirklich total ausgeschlossen.“
Mit dem Arm wedelte ich ihren Einwand weg. „Das Team muss ohnehin neu aufgeteilt werden, Rachel kommt zu mir und Amelie zu John.“
„Du hast doch alles schön im Griff, also lass mich noch ein paar Minuten weiterträumen.“
Mit ausgestrecktem Zeigefinger wild vor ihrer Nase herumfuchtelnd, polterte ich: „Das Team erhält übermorgen ungebetenen Besuch, genehmigt von ganz oben. Wir reden beim Abendessen darüber.“
„Schei…!“
„Erfasst!“
Im Laufe der Monate wanderten die Erfolgsstories des Teams bis hinauf in die Politik. Begleitet von schmetternden Brusttönen, verbreiteten imaginäre Lorbeerkränze sowohl den Radius der Krönungsbalz, als auch den des Neidfunks. Böse Zungen unterstellten dem Berliner Innensenator geschönte Statistiken. Gewitztere Naturen versuchten Spione ins Kommissariat einzuschleusen. Die Sternelben warnten mich vor letzteren frühzeitig. Allein, mit dem versetzten Schock hoffte ich Katja wieder in die Spur eigener Denkvorgänge zu befördern. Denn ihre bequeme Abhängigkeit von mir barg immense Gefahren.
Etliches wäre denkbar gewesen, nur nicht, dass Rachel mir gegenüber Schüchternheit an den Tag legte. Nach der morgendlichen Teambesprechung mit ihr allein im Sitzungsraum, beabsichtigte ich einen Crashkurs.
„Rachel, welche Schlüsse hast du aus deinem Besuch bei uns im Dezember gezogen?“
„Alles hier hängt an dir, sonst wäre an dem Team kaum etwas Besonderes. Aber was du bist, darauf fand ich keine Antwort.“
„Hast du darüber spekuliert?“
„Na ja, schon.“ Es war ihr peinlich zu sagen, vielleicht sei ich eine Hellseherin, zumal sie selbst dies für die falsche Lösung hielt. Rachel rang sich durch und schoss ihre Alternativlösung ab: „Also ehrlich, die Geschichten vom Racheengel klingen eher weniger menschlich.“
„Ein Hoch auf kluge Köpfe!“ Laut verkündete ich: „Ausgezeichnet, dann werde ich dir mal meine Ahnengalerie zeigen.“
Mit bis zum Pony hochgezogenen Augenbrauen folgte mir die junge Kommissarin stumm durch das Gebäude und auf den Parkplatz.
Wir fuhren nach Santa Christiana, der lichtmagischen Kirche. Dort verhielt sich Rachel angesichts meiner phantastischen Geschichte beeindruckend tapfer. Gleichzeitig wurde mir bei dem Gedanken an Axels Nachfolger ganz anders. Der würde am nächsten Tag ahnungslos wie ein Neugeborenes seinen Dienst antreten.
Doch vorerst verbrachten Rachel und ich den restlichen Tag mit Innendienst, so dass sie mich ausgiebig löchern konnte.
„Darf Konny mitkommen?“, wollte Katja wissen, als wir abends im Kommissariat aufbrachen.
„Nein, wir zwei Hübschen haben äußerst Wichtiges vor.“
Sie zog einen Flunsch.
„Deinen Süßen wird schon eine Pommesbude vor dem Hungertod bewahren“, frotzelte ich auf dem Weg zum Auto.
„Bist du sauer auf mich?“
Den Kopf schüttelnd stellte ich meiner Freundin eine Denkaufgabe. „Was würde geschehen, wenn ich, sagen wir mal, für eine Woche verschwände?“
Ihre hin und her flitzenden Augen glichen denen eines gejagten Tieres, ihre Atmung beschleunigte sich. „Ich wäre aufgeschmissen!“
Schweigend fuhren wir vor das Gartenhaus.
In der Küche stocherte jede von uns lustlos in ihrer Gemüse-Lasagne herum.
„Lil, du machst mir Angst.“
„Angst taugt nie als Ratgeber und sie ist auch nicht Sinn der Übung. Katja, momentan stürzt eine Unmenge fieser Probleme auf uns zu, die ich allein weder bewältigen kann noch will.“
Zerknirscht kippte sie ihren restlichen Wein herunter und streckte mir das Glas zur magischen Befüllung hin.
Während wir uns beratschlagten, entfachte langsam ihr altes Feuer. „Kannst du mir verzeihen? Ich hatte die eMail mit der obskuren Besucherankündigung glatt ungelesen in den Papierkorb befördert.“
„Klar. Aber was stellen wir mit dem Mann an?“
„Ins Klo sperren? Die Morgenrunde vorverlegen? Schlafpulver in seinen Kaffee schütten?“
Kurz bevor Katjas graue Zellen ihren Siedepunkt erreichten, stand der genial simple Schlachtplan. Der Mann würde ins magische Messer laufen. Wir nannten das kichernd zauberhafte Experimentalphysik.
Später in der Nacht schleppte ich mich in die Kirche.
„Mir wächst die Arbeit über den Kopf“, stellte ich nüchtern fest. „Mein menschliches Gehirn kapituliert langsam, aber sicher vor euren Anforderungen. Mörder und Verrückte laufen auch ohne Dämonenstänkerei genug herum. Das Fass ist unmöglich zu deckeln.“
„Lilia, halte durch“, baten die himmlischen Gesangsschwestern.
Zur Antwort schlief ich ein.
Die Sternelben würden mich gnadenlos vor sich her jagen, bis ihr erstes Ziel erreicht war.
„Guten Morgen und ein herzliches Willkommen an Bert“, eröffnete Katja am Dienstag die Morgenrunde.
Lahmes Klopfen und einige skeptische Blicke in meine Richtung.
„Thomas übernimmt bis zu seinem Urlaub deine Einarbeitung, Bert.“ Dabei wies ihr Arm auf den Genannten.
Thomas verzog das Gesicht und verschränkte demonstrativ seine Arme vor der Brust.
„Ausgerechnet Thomas?“, dachte ich kopfschüttelnd.
Mittlerweile kam Katja auf unseren avisierten Besucher zu sprechen: „Noch ein wichtiger Hinweis an euch: Der Potsdamer Innenminister schickt uns für den morgigen Tag einen Überraschungsgast von den Brandenburger Kollegen. Alles läuft dann wie gehabt.“
Erstaunte Kommentare tuschelten durch die Reihen.
Jan fragte entgeistert: „Heißt das, der kriegt alles mit?“
„Korrekt. Weiter mit der Aufgabenverteilung …“
Neuling Bert verstand, wen wundert es, nur Bahnhof.
Aber ich musste, nachdem frische Hinweise der Sternelben im Workpad lagerten, dringend zu Konny, Dezernat Wirtschaftskriminalität. Schnell gab ich Katja ein Zeichen.
Ich sprintete los in den anderen Gebäudeflügel, stürmte in sein Büro und knallte die offen stehende Tür hinter mir zu. Atemlos eröffnete ich Konny: „Ihr kriegt ein Leck. Hanno hat vergangene Nacht bei seiner Sauftour geplaudert und ist damit auf die falschen Ohren getroffen.“
Sprachlos fuchtelte er mit den Armen herum.
„Die Informationen werden dem von euch observierten Konzern am Nachmittag zum Kauf angeboten“, fuhr ich ungerührt fort.
„Können wir das stoppen?“, presste er wütend hervor.
„Ja. Öffne die Datei von mir, da findest du die Lösung. Und schmeiß Hanno möglichst so clever aus dem Team, dass er keine Rachegelüste entwickelt.“
Bei meiner Rückkehr in den Konferenzraum hatte sich das Team bereits an diverse Arbeiten begeben. Neben Rachel wartete obendrein der verstörte Bert. Alldieweil Thomas ihn unter dem Vorwand abserviert hatte, trockenen Schreibkram erledigen zu müssen. „Prickelnd!“ Kurzerhand verfrachtete ich Bert zu Katja. Sie musste lernen, mit solchen Situationen umzugehen.
Dann startete der zweite Teil des Einführungskurses für eine sichtlich übermüdete Rachel.
Nebenher liefen eine versuchte Entführung im Familienkreis, das Einfangen eines entflohenen Schwerkriminellen mit Gipsbein sowie Hinweise an die Drogenfahnder wegen einer Kreativ-Werkstatt für tödliche Partydrogen.
Abends drückte mir Katja einen dicken Schmatz auf die Wange. „Von Konny, du weißt schon wofür.“
„Wie bist du mit Bert klargekommen?“
„Es würde mich echt wundern, wenn der bleibt“, zog sie stirnrunzelnd ein erstes Fazit. Die Schultern zuckend fuhr sie fort: „Auch egal, wenn sich die Herrschaften oben erdreisten, ohne mich Personalentscheidungen zu treffen.“
„Wird Bert durchhalten?“
„Nein, Katja bekommt ihren Wunschkandidaten.“
„Katja, dein Favorit soll sich schon mal inoffiziell in die Startlöcher begeben.“
Sie fiel mir aufgekratzt um den Hals. „Du bist eine Göttin!“
Ein Abendessen mit meinen Nachbarn Jay und Schorsch im Vorderhaus versprach Labsal für meine desillusionierte Seele. Die beiden fanden es völlig okay, wenn ich, so wie an diesem Abend, hungrig an ihre Terrassentür klopfte.
Bei Kerzenschein und Rotwein begann Jay irgendwann von seinen kleinen Patienten zu erzählen, die Tag für Tag in die Kinderarztpraxis kamen. Doch während Schorsch und ich uns über komische oder kuriose Situationen kugelten, lag Jay spürbar etwas auf der Seele.
Die Sternsängerinnen verschafften mir ungefragt Aufklärung: „Jay verdächtigt eine Mutter, ihr Kind zu misshandeln. Er liegt richtig.“
„Und tschüss, schöner Abend!“
Zum ungewollt frühen Abschied sprach ich hilflos aus: „Jay, alles wird gut.“
Verwirrt schaute er mir nach. Kaum hatte sich die Terrassentür hinter mir geschlossen, strebte ich mit langen Schritten meinem Wagen entgegen. Startbereit parkte er vor der Garage. Nebenbei sangen die Sternelben ein Trauerlied von Mutter und Sohn. Die sitzen gelassene Mutter reagierte Wut und Frust an Simon, ihrem siebenjährigen Sohn ab, nur weil er seinem Vater ähnelte. Für solche Fälle hielt ich inzwischen eine Notfamilie bei Nina parat. Als gelernte Psychologin und allein erziehende Mutter mit unerschöpflichem Elan leistete sie erste Hilfe für weinende Herzen und verkümmernde Seelen.
Trotz fortgeschrittener Nachtzeit stand Jay bei meiner Rückkehr vor seiner Haustür und rauchte gedankenverloren Zigarillo. „Starker Tobak für eine zarte Seele.“
„Lilia, erzähl ihm ruhig, was du unternommen hast.“
Das mussten sie mir kein zweites Mal vorschlagen. „Hey, deinem Sorgenkind geht es gut.“
„Wie?“
„Tausche Gute-Nacht-Geschichte gegen ein letztes Glas Wein.“
„Mit Happy End?“
„Garantiert.“
„Der Deal gilt.“
Im Wohnzimmer streckten wir unsere Beine in den bequemen Sesseln vor dem noch stark glimmenden Kamin aus.
Nachdem ich meine Geschichte erzählt hatte, ließ er mit tiefem Seufzen alle Anspannung fahren. Und dann kam, völlig gelassen, sein denkwürdiger Satz: „Du bist wahrhaftig ein Engel. Oder, Lil?“
Ich schenkte ihm ein zauberhaftes Lächeln. „Schlaf schön, Jay.“
„Genau, und jetzt ab ins Bett“, freute ich mich wie eine Schneekönigin, während sich vor meinem saumäßig auf dem Gehweg geparkten Wagen das Tor öffnete. Auf den paar Metern zur Garage begann Gesumme in meinem Kopf. „Das Summen dient keinem Zweck, nein, da sind ausschließlich wonnige Gedanken an Bett und Schlaf.“ Kapitulierend raunzte ich: „Schlaft ihr denn niemals da Obendraußen oder wo auch immer?“
„Wir wachen, Lilia.“
„Wie schön für euch. Im Zwei- oder Dreischichtsystem?“
„Lilia, bitte.“
„Bitte was noch wieder außerdem obendrauf?“
„Fahr bitte zum Hotel Mondäne und hole Sarah Valen zu dir nach Hause.“
„Wer, wie, was und wieso?“
„Die Schauspielerin.“
„Nie gehört den Namen. Für Kulturluxus fehlt mir die Zeit“, ätzte ich.
„Sie wird von einem Stalker bedroht. Bitte bring sie in Sicherheit.“
„Ja, ja, eure treue Dienerin.“
Schlafwandlerisch lenkte ich das Auto um den Brunnen herum, zur Straße hinaus und zum zweiten Mal durch den spärlichen Nachtverkehr. Gut immerhin, dass Amelie und John im Kommissariat die Nachtschicht absaßen.
Der Fahrstuhl des Nobelhotels brachte mich aus der Tiefgarage direkt in den fünften Stock. Eine Steilvorlage für herumschleichende Verrückte, zugegeben.
„Lilia, spute dich, er ist auf dem Weg.“
An Sarahs Zimmertür klopfend, rief ich ihren Namen plus den Hier-ist-die-Polizei-Spruch. Sie öffnete einen Spaltbreit, warf einen verschwommenen Blick auf meinen Ausweis und torkelte dann zu einem Sessel.
„Heiliger Strohsack!“ Kurz und knapp verkündete ich: „Sarah, ich bringe dich zu mir nach Hause. Die Polizei wird dem Stalker hier im Zimmer eine Falle stellen.“
„Die glauben mir ja nicht, dass der mich umbringen wird.“
„Mir schon. Meine Kollegen müssten jeden Moment eintreffen.“
Schon ertönte das vereinbarte Klopfzeichen. Rasch ließ ich meine Kollegen hinein. „Der Stalker bewegt sich zu Fuß in Richtung Hotel, wir Zwei haben kaum mehr fünf Minuten, um zu verschwinden.“
Der Schauspielerin, ausstaffiert mit Pyjama und Einweg-Hotellatschen, hängte ich ihren Wollmantel über und half ihr notgedrungen zupackend hinaus. Im Türrahmen drehte ich mich nochmals halb um. „Er hat Tränengas und Würgeschnur in seiner linken, ein Klappmesser in der rechten Jackentasche.“
John reckte den Daumen hoch. Aber Sarah holte geräuschvoll tief Luft und fasste sich dramatisch ans Herz. Vor Begeisterung hätte ich auf einem Nagelkissen hüpfen mögen.
Von unterwegs musste schleunigst die Gästewohnung in meinem Haus hergerichtet werden. Seit meinem Einzug hatte ich sie mangels Verwendung ignoriert. Volle magische Konzentration, bis ich Sternchen über die Fahrbahn flimmern sah. Nur gut, dass die Schauspielerin im Halbrausch dämmerte.
„Apropos, was soll sie ausgerechnet in meinem Haus? An Hotels herrscht in Berlin wahrlich kein Mangel“, grummelte ich missbilligend in die Sphäre.
„Sarah betäubt ihre Angst mit Alkohol und Tabletten. Sie ist einsam, unglücklich und verstört.“
Unter dem Mitteilungsstrich steuerte eine ehemals lebenslustige, talentierte Frau von gerade einmal 30 Jahren ihr Leben mit Vollgas gegen die Betonwand.
„Ist euch klar, dass Elben bei mir herumturnen und ich so gut wie nie daheim bin? Wie um alles in der Welt stellt ihr euch das vor?“, wetterte ich nur noch halbsäuerlich.
„Sarah wird dir für die Stille unendlich dankbar sein“, schmeichelten die Sternelben.
Eine echt schwache Leistung.
„Ist die Stalker-Verschnüraktion von Amelie und John glatt gelaufen?“
„Ja. Aber du kannst Sarahs Zimmer erst heute früh räumen.“
„Wenn ich das schon höre, ‚heute früh‘!“
Mit nur mehr halb offenen Augen parkte ich den Wagen direkt vor meinem Hauseingang.
Nachdem mein Gast irgendwie ins Bett verfrachtet war, flöteten sie: „Danke, Lilia!“
„Ja, ja! Wie wäre es stattdessen mit einem netten Schlaflied für meine verbleibenden zwei Stunden?“
Ihr sphärisches Schlaflied musste ultrakurz ausgefallen sein. Ein veritabler Albtraum nutzte seine Chance:
Schwarze Monster umzingeln mich, ich kämpfe um mein Leben. Die Lichtenergie versiegt schneller, als ich sie zu töten vermag. Ein schattenhafter Mann erscheint wie aus dem Nichts, er wütet unter den brüllenden Dämonen. Als er mich hochhebt, wache ich auf.
Merkwürdigerweise saß ich aufrecht im Bett, das Nachthemd klebte nass an meinem zitternden Körper. Fiese Stiche jagten durch mein Herz. Dass ich den Traumkampf mit wilden Schreien begleitet hatte, wusste ich in dem Moment nicht.
Die aber hatten Elin alarmiert. „Geh schnell duschen, Lilia.“ Der angestrengte Versuch, ihren tief besorgten Blick zu verbergen, war zwecklos.
Unter der dampfend heißen Brause fragte ich mich, ob der Traum nur Nonsens oder eine Vorahnung bedeutete. „Schattenhafter Mann, woran erinnert mich das? ‚Alexis redet nicht mit uns‘. Genau, der schottische Lord!“
Nach dem Frühstück quetschte ich Leya aus, kaum dass die Elbe erschienen war.
„Das haben die Sternschwestern gesagt?“
„Wörtlich.“
„Und jetzt soll ich mal nachforschen, was es mit dem Lord of Lightninghouse auf sich hat?“
Ich bettelte mit klimpernden Wimpern.
„Du sehnst dich nach deinesgleichen“, stellte sie fest.
„Manchmal ja“, gab ich zu.
„Kein Wunder“, kommentierte die Elbe, „aber an dein Wohlergehen verschwenden unsere Lichtschwestern keinen Gedanken.“
Die frühmorgendliche Arbeitsliste für Katja endete mit einem kleinen Knaller: „Heute dürft ihr ohne mich schuften, habe anderweitige Aufgaben!!!“
Danach rief ich Sarahs vier Koffer, die Amelie netterweise gepackt hatte, in die Gästewohnung. Sie schlief noch tief, mit einem Lächeln auf ihren Lippen. Möglicherweise erwies sich die Schauspielerin in nüchternem Zustand doch als genießbar.
In der Tat tauchte zwei Stunden später ein schüchternes Gesicht um die Küchenecke auf.
Frisch geduscht, in Jeans und Bluse, stieg ihr Sympathiewert um ein Scheibchen. „Hallo, ich habe leider deinen Namen vergessen.“
„Ich bin Lilia. Komm, setz dich, dein Frühstück wartet.“
„Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.“
„Schon gut, jetzt wohnst du zunächst einmal bei mir.“
Sie machte große Augen. „Einfach so?“
„Ja, weil du da oben mächtige Fürsprecherinnen hast“, dachte ich angenervt, versicherte aber laut: „Kein Problem, fühl dich wie zuhause.“
Ihrer Seele entströmte ein stinkender Fluss. Bühnenreife Intrigen, Missgunst unter Kollegen, hinterhältige Pseudo-Freunde und vor allem der Stalker trieben sie aus dem Leben.
Ich beschloss, meine Widerspenstigkeit aufzugeben. „Sag deine Termine für die nächsten Tage ab. Die Story von dem versuchten Überfall und der Festnahme des Stalkers rast wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Niemand wird dir Vorwürfe machen.“
„Sie haben ihn erwischt?“
„Allerdings, und er wird für Jahre hinter Gittern schmoren.“
Tränen der Erleichterung flossen unter langen Wimpern hervor, dankbar drückte Sarah meine Hand.
Zufällig trafen Leya und ich am frühen Abend erneut aufeinander. Sie wollte Elin zur allnächtlichen Jagd abholen.
Süffisant bemerkte die Elbe: „Tja, wie es aussieht, gebärdet sich dein schottisches Gegenstück noch dickköpfiger als du.“
Ich bekam Elefantenohren. „Und weiter?“
Genüsslich erzählte Leya die Geschichte: „Alexis entstammt einer langen Mischlinie. Seit annähernd tausend Jahren wacht seine Familie in dem Land – oder sollte das tun. Deshalb halten sich dort keine Elben auf.“
„Hat der es gut“, seufzte ich dazwischen.
„Sei still. Jedenfalls ignoriert Mylord das Oberkommando unserer Sternschwestern. Er betrachtet sie als bloße Bittstellerinnen. Selbst an die Menschen in seinem Land verschwendet er längst keinen Gedanken mehr. Dahinter verbirgt sich ein tragisches Ereignis. Er verlor seine große Liebe. Das Leben seiner jungen Gattin auf dem Kindbett zu retten, war die einzige Bitte, die er jemals an die Sternelben richtete. Aber sie konnten der Menschenfrau selbstredend nicht helfen. Seitdem wüten Zorn und Verbitterung in seiner Seele, die Verbindung ist gekappt.“
„Und seit wann läuft das so?“, wollte ich wissen.
„Das Drama liegt rund 150 Jahre zurück.“
Ich musste mich verhört haben! „Du meinst sicher 15 Jahre.“
„Nein, Lilia, der Lord geht auf die 200 zu.“
„Ab – ab – aber …“
„Kleines, nicht nur in Elbenaugen bist du noch ein Baby.“ Mit diesem Hammer verduftete Leya.
Endlich glitten ein paar Puzzleteile ineinander.
Höchst zufrieden kümmerte ich mich um das Abendessen und lockte Sarah aus ihrer Gästehöhle, in die sie sich regelrecht verliebt hatte.
Nach unserer gemeinsamen Mahlzeit bot sie sogar an, die Küche aufzuräumen. Energisch lotste ich meinen Gast stattdessen ins Wohnzimmer vor den Kamin. Auf gar keinen Fall durfte Sarah auch nur den Schimmer einer Ahnung von magischen Umtrieben à la Waschen, Putzen, Einkaufen bekommen. „Du kannst dir nehmen und im Haus tun, wonach dir der Kopf steht. Ab morgen früh werde ich ohnehin meistens unterwegs sein.“
Sarah schlich sich binnen weniger Tage tief in mein Herz. Allen Ernstes bot sie mir eine beträchtliche Summe für meine Gastfreundschaft an. Schamlos lenkte ich solch seltene Großzügigkeit zu der ewig klammen Musikschule um.
Schwieriger gestaltete sich die Aufgabe, ihr frischen Mut für die Außenwelt einzuflößen. Die Sternelben suchten für Sarah derweil einen Gefährten. Er sollte möglichst Geborgenheit, Sinn für die Schauspielerei und ein breites Rückgrat aufbieten.
Mit viel Überredungskunst lockte ich die Schauspielerin auf höhere Anweisung nach gut einer Woche aus ihrem Kokon. Gemeinsam besuchten wir eine Lesung des Bestsellerautors Michael Wert im Haus der Kulturen. Hinterher folgte ein vielversprechend dreisamer Abend in der angesagten Bar des Maritim. Zum gelungenen Schluss strahlte Sarah über meine Einladung des Autors für ein Dinner am nächsten Abend.
„Also ich spiele bei ihrem Dinner dann die Anstandsdame, oder wie?“, lästerte ich leicht angebläut bei meinem anschließenden, tiefnächtlichen Tankbesuch in Santa Christiana.
„Nein, Lilia, du wirst zu einem dringenden Fall gerufen.“
„Aber ihr seid ja überhaupt nicht durchtrieben.“
Die Sternelben amüsierten sich prächtig, nur um im nächsten Augenblick reichlich widerwärtige Polizeiarbeit in meinem Kopf abzukippen.
Kurz darauf schloss ich die Kirche ab und atmete tief die pralle Frühlingsluft ein. „Die erste laue Nacht des Jahres. Wie kann die irgendein Mensch mit Grausamkeiten verbringen?“
Das menschliche Böse tobte sich im faden Kunstlicht eines muffigen Bürogebäudes im Wedding aus.
Die bullige Vorarbeiterin, Marke ‚behaarte Zähne‘, der nächtlichen Putzkolonne drangsalierte ihre persönlichen Arbeitssklaven vorzugsweise mit einem abgebrochenen Besenstil. „Los, ihr Penner, das geht schneller! Und du da, geh verdammt noch mal sparsam mit dem Reiniger um. Oder glaubst du etwa, ich will hinterher noch Geld in den Eimer schmeißen?“ Wutschnaubend versetzte sie der Neuen einen Schlag auf den Arm.
Meine herbei gerufenen Streifenkollegen beobachteten live an den Bildschirmen in der Pförtnerloge die widerwärtige Szene. Sie beschlagnahmten die Aufzeichnungen sämtlicher Überwachungskameras und stürmten los.
Ich raste zum nächsten Brandherd, müde die Morgendämmerung herbeisehnend.
Am folgenden Abend läutete der Herr Schriftsteller, treffsicher beladen mit Lilien für mich und Rosen für Sarah, pünktlichst zum Rendezvous.
Den Wintergarten hatte ich zuvor liebevoll umgestaltet. Ein ovaler Tisch, wunderschön dekoriert, lud bei romantischem Kerzenschein, schweren Blütendüften und eiskaltem Champagner zu einer langen Nacht.
So deplatziert ich mich fühlte und ungeduldig auf das Vibrieren meines Handys wartete, so gründlich ignorierten mich die zwei Turteltauben.
Nach der Vorspeise genossen sie das opulente französische Dîner endlich ohne meine Wenigkeit. Sarah wünschte ich von Herzen alles Glück dieser Erde.
Draußen verlief die Nacht, wen überraschte es noch, weit weniger harmonisch. Hinterher servierte die kurze Bettzeit den gnadenlosen Overkill:
„Alexis, lass mich gehen“, flüstere ich mit letzter Kraft.
„Bleib bei mir. Bitte, Lilia!“
Schwärze. Licht. Schwärze. Licht. Schwärze.
„Aus welch süßen Träumen tauchst du denn auf? Du bist ja kaum wach zu kriegen“, scherzte Leya frühmorgens.
Benommen legte ich eine Hand auf mein stichelndes Herz und murmelte: „Gerade wollte ich unbedingt sterben.“
Wortlos schloss die Elbe mich in ihre Arme, geschwind ihre Besorgnis verhüllend.
Träume hin oder her, unerbittlich stand unser Training im Park an.
Als ich die Haustür öffnete, erwartete uns davor eine dicke, dunkelgraue Nebelsuppe. Ohne hirnreiche Vorwarnung klebten meine nackten Füße auf den Flurfliesen fest.
„Mach voran“, drängelte die Elbe hinter mir.
Doch ich wich zurück, schlug die Tür zu und rang schwer atmend nach Luft. „Leya, hüte dich vor dem Nebel! Er richtet über Leben und Tod.“
So verwirrt wie vergeblich schaute sie mir in die Augen.
Oft ist in der klassischen Literatur von blinden Sehern zu lesen. Einem Sinnbild für wahre Erkenntnis mit den inneren, ewig wachsamen Augen.
Verbissen befahlen wir schließlich die zähen Schwaden in die Höhe. Unsere Unterrichtsstunde geriet zu keinem Glanzstück, jede von uns kämpfte hauptsächlich mit ihren eigenen Gedanken.
„Okay Leute, ab heute sind wir wieder vollzählig. Begrüßt bitte Raul in unserem Klub“, eröffnete Katja total erleichtert die morgendliche Teambesprechung.
Das beifällige Tische klopfen fiel länger als üblich aus.
„Genehmigst du uns mehr Urlaub?“, bohrte John nach.
„Worauf du dich verlassen kannst. Leider erwartet uns vorher noch ein dicker Hammer.“ Katja blickte dramatisch in die Runde. „Ein Praktikant vom Bundeskriminalamt – für eine volle Woche.“
Das Stöhnen und Maulen in der Runde nahm kein Ende.
„Gleiches Prozedere wie bei unserem letzten Gast“, merkte sie an, womit die Stimmung leicht nach oben drehte.
Zwar hatte ich leider die Schote wegen Sarah verpasst, kannte mittlerweile jedoch etliche Versionen über das Besuchsfiasko eines restlos verwirrten Kollegen aus dem Brandenburgischen.
„Und wann beglückt uns dieser Praktikant?“, fragte Amelie.
„Montag. Und nun zum Tagesbuffet à la Lilia.“ Mit dieser kuriosen Bezeichnung landete Katja einen echten Brüller.
Übrigens war Raul ein alter Bekannter von Katja und zwei oder drei anderen des Teams. Dadurch erschien mein Crashkurs überflüssig. Dennoch beäugte er mich zwischendurch neugierig.
Nach der Besprechung kürzte ich seine distanzierte Umkreisung ab. „Möchtest du Fragen loswerden?“
„Theoretisch bin ich ja über dich im Bilde.“ Raul zögerte leicht verlegen. „Aber Katja wollte oder konnte nicht mit der Sprache herausrücken, warum und wie genau du anders bist.“
„Ah, ein gründelnder Mensch, beste Voraussetzung.“ Laut gab ich zurück: „Dann lass uns zuerst eine kleine Spritztour unternehmen.“ Unbedacht erwartete ich ein lockeres Heimspiel, ähnlich dem bei Rachel.
Seine Kollegen erfuhren niemals, was in Santa Christiana geschah.
Bereits unterwegs hatte ich hartnäckig die Einstellung meines neuen Kollegen zu „übernatürlichen“ Phänomenen herausgekitzelt. Scheinbar gab er sich locker. Ziemlich dilettantisch, veranlassten mich weder Rauls angespannte Körpersignale noch sein ausströmendes Unbehagen zu angemessener Behutsamkeit. Stattdessen bekam Raul in Santa Christiana eine eiskalte Lichtdusche verpasst, die ihn in Ohnmacht fallen ließ. Die Sternelben brummten mir dafür einen Supertadel ins Denkorgan. Nebenbei verklickerten sie mir auch noch, dass es sich bei dem avisierten „Praktikanten“ für das Kommissariat in Wahrheit um einen gestandenen BKA-Mitarbeiter handeln würde. Er sollte gründliche Aufklärung über meine Machenschaften betreiben.
„Der Praktikant will unseren ‚oberfaulen Hokuspokus‘ entlarven“, berichtete ich meiner Kommissariatsbossin mittags in der Kantine zwischen zwei Gabeln voll Salat.
Das veränderte die Lage, wie Katja schnell einsah, erheblich. „Der hat es also auf dich abgesehen! Willst du untertauchen?“
„Nö, den Spaß lasse ich mir nicht durch die Lappen gehen. Aber zieh deinen Kopf ein, das gibt einen heißen Tanz!“
Ungläubig versetzte sie: „Donnerwetter, knackige Ansage.“
„Tja.“
So seltsam es erschien, Sarahs menschliche Nähe, gepaart mit dem lehrenden Elbenduo, transferierte mich bockigen, halbelbischen Teenager quasi über Nacht in eine forsche Rebellin. Mit elbischer Klarheit, doch menschlichem Begreifen durchleuchtete ich jetzt zumindest das irdische Treiben.
Die unwahrscheinliche Gefahr aufkommender Langeweile bannte ein völlig anderes Kaliber von Gegenspieler.
Der Dämonfürst begann, meine kurzen Nächte mit seiner speziellen, tintenfinsteren Note zu garnieren. Wobei er mich selbst, im menschlichen Sinn, ignorierte:
„Ist das alles, was du gegen mich noch aufbieten kannst, Joerdis? Zwei elbische Weiber?“, verhöhnt das Monster meine fürstliche Zwillingsseele.
Am Montag stand der angekündigte „Praktikant“ namens Thorben Holder im Türrahmen des Kommissariats und schaute sich grimmig um. Dieser Tag würde ein Leben lang im Gedächtnis des gestandenen BKA-Mannes kleben bleiben.
Holder, Typ dürrer Vollglatzenträger, suchte sich ungefragt einen Sitzplatz annähernd mir gegenüber aus. Nach seiner Begrüßung schoss Katja die erste Denksalve für ihn mittels unseres spirituellen Tagesplans ab. Der Mann warf etliche Fragen dazwischen, woher diese oder jene Information stammte. Katja zeigte stets, ohne wirklich aufzublicken, in meine Richtung. Ehrlich, das Team lümmelte sich bühnenreif, mit einem Hauch routinierter Langeweile in den Gesichtern, auf den Stühlen herum. Nur Thomas richtete trockene technische Detailfragen an mich. Die einzige Ebene, auf der die Verständigung im Laufe der Zeit zwischen ihm und mir funktionierte.
Bald strebte unsere Versammlung auseinander. Just als Holder auf mich zusteuerte, rückten die Sternelben mit einem Eilauftrag heraus.
Wie üblich rief ich: „Katja, Rolle rückwärts! Hol, wen du noch kriegen kannst!“ Den grimassierenden BKA-Beamten ignorierend, vernahm ich die sphärische Botschaft.
Als Katja zurück in den Konferenzraum stürzte, eröffnete ich: „Schießerei unter vietnamesischen Schmugglern.“
Unsere Chefin kommandierte: „Zollfahnder und Sondereinsatz rufen.“
Effizient wie ein Bienenschwarm legten vier aus dem Team los, indes ich die Details in mein Workpad beförderte. Die Lichtwesen fütterten mich ohne Punkt und Komma. Dem „Praktikanten“ sprengte es das Denkvermögen, übrig blieb ein unästhetisch weit aufklaffender Unterkiefer. Wir rannten zu den Fahrzeugen im Innenhof.
Katja bellte, mit meinem Workpad auf dem Schoß, unterwegs Befehle in ihr Mikro.
Die Sternelben lieferten ständig Updates.
„Katja, das wird gefährlich, in dem Lagerhaus sind weitere Waffen versteckt.“
Ihr Hinterkopf nickte bestätigend.
Aus zwei Richtungen rasten die Einsatzwagen in das kleine Industriegebiet am Rande Lichtenbergs. Einige Kollegen verteilten sich um die rund 1.000 Quadratmeter große Lagerhalle, andere gingen zunächst hinter ihren Fahrzeugen in Deckung. Vereinzelt waren Schüsse zu hören. Der Leiter der Zollfahndung brüllte seinen „Waffen fallen lassen“-Spruch ins Megafon. Das zeigte ungeahnte Wirkung. Anstatt sich weiter gegenseitig abzuknallen, verstanden die Vietnamesen seine Durchsage als Aufforderung, spontan ein Bündnis gegen die Staatsmacht zu schließen.
Zwischen der Übermacht an Beamten außerhalb und einem knappen Dutzend Schmugglern innerhalb der Halle entwickelte sich ein hitziges Feuergefecht. Magisch befahl ich die Waffen der Vietnamesen zu mir. Nichts. Zweiter magischer Versuch. Keine Reaktion. „Was geschieht hier?“
„Beinschuss!“, brüllte eine fremde Stimme in sämtliche Headsets.
Zwei unerfahrene junge Heißsporne der Zollfahndung hatten ohne geringstes Nachdenken versucht, rückseitig in das Lagerhaus einzudringen.
„Katja, ich gehe rein.“
Sie befahl: „Feuer einstellen!“
Hinter der Lagerhalle baute ich meinen Lichtschutz auf, rannte in die Schusslinie der aufgebrochenen Tür und befahl eine Leuchtkugel hinein. Die Vietnamesen schrien vor Entsetzen. Ihre Schrecksekunde ausnutzend, schaffte ich den Schwerverletzten aus ihrer Schusslinie. Jetzt trieb ich die Schmuggler mit weiteren Leuchtkugeln endgültig in Deckung. Ihre Waffen reagierten noch immer nicht auf Magie. Notgedrungen war Handarbeit einziges Angebot der Stunde.
Kurze Zeit später begann das Sondereinsatzkommando, meine Schnürpäckchen hinauszutragen.
„Was – geht – hier – vor – sich?“ Unser Praktikant fand offenbar seine Stimme wieder.
„Schmugglerring ausheben“, schnauzte Katja.
Warnend hob ich die Augenbrauen und sie suchte schleunigst das Weite.
Holder baute sich dicht vor mir auf. Er überragte mich fast um eine Kopflänge, so dass er von oben herab in meine Augen starrte. Mein mitleidiger Augenaufschlag reizte ihn zum Überschäumen.
„Wer sind Sie?“, blaffte der BKA-Mann.
„Das ist die falsche Frage“, blaffte ich zurück.
„Wollen Sie mir jetzt etwa weismachen, Sie seien eine Außerirdische?“, zischte Holder so dicht vor meiner Nase, dass ich ekligen Kontakt mit seinem Mundgeruch bekam.
Ich ließ ihn einfach stehen und begann schallend zu lachen. Doch mein Herz war anderer Meinung. Es sandte zittrige Stiche in meinen Körper.
Mittags im Präsidium, alle anderen beschäftigten sich mit ihren Arbeiten, erwischte mich der BKA-Typ am Fenster.
„Über Sie existiert keine Akte.“
Halbwegs geduldig schaute ich zu Holder hin.
„Woher stammen Ihre Informationen?“ Sein Gehirn rotierte abermals nahe an der Überhitzungsgrenze. „Was taten Sie in der Lagerhalle?“
Auf meine sehr spezielle Art erhielt er eine Antwort. Sprich, ich ging seelenruhig zu einem Stuhl, natürlich genauestens von ihm beobachtet, setzte mich und „beschaffte“ Tee mit Sandwiches. „Haben Sie auch Hunger?“
Sein Gesicht verzerrte sich im Angesicht meiner praktizierten Magie zu einer grässlichen, puterrot anschwellenden Fratze.
„Es kann nicht sein, was nicht sein darf. So denken Sie. Damit kommen Sie bei mir keinen Schritt weiter. Punkt.“
Holder stand und starrte wie in Stein gemeißelt.
„Sie können mich einzig jenseits Ihres Verstandes begreifen.“ Wobei ich jedes einzelne Wort überdeutlich betonte.
Holdens stummer Rückzug hielt bis zu meinem Aufbruch am Abend.
Mit seiner schwarzen Dienstlimousine, die das Praktikantenmärchen ad absurdum führte, verfolgte er mich bis nach Santa Christiana.
Auf dem dortigen Parkplatz kamen mir leise Bedenken. „Hoffentlich bekommt er in der Kirche keinen Herzinfarkt.“
„Nur einen Schock, Lilia.“
Gerade wollte mein eingeschworener Freund, Pater Raimund, im Pfarrhaus verschwinden.
Schnell rief ich hinüber: „Kann ich gleich bei dir klingeln?“
Er winkte freudig.
„Wenn der wüsste!“
Ohne Eile schloss ich die Kirchentür auf und ließ sie für meinen Verfolger direkt weit offen. Während ich es mir auf dem dicken Kissen am Altar bequem machte, hallten Holders schnelle Schritte auf dem Steinboden. Seine Augen mussten sich erst an den Kontrast aus dumpfem Kirchenlicht und grellem Sphärenstrahl gewöhnen. Derweil streckte ich meine müden Beine aus und begann, eine gehörige Energieportion zu inhalieren.
„Zeit, ihn aufzusammeln, Lilia.“
Brav raffte ich mich hoch, wuchtete den schockstarrenden BKA-Mann von der vordersten Kirchenbank und schleifte ihn ächzend bis zum Pfarrhaus.
Verdutzt half der rausgeklingelte Raimund mit, Herrn Schlaffke auf die Couch zu befördern. Aus meiner Umhängetasche kam Whisky zum Vorschein.
„Solches Zeug trinkst du?“, fragte mein Freund ungläubig.
Kopfschüttelnd deutete ich auf den BKA-Lulatsch und goss ein halbes Wasserglas voll. Fahren konnte der sowieso nicht mehr.
Eine halbe Stunde später verfrachteten Raimund und ich den betrunkenen Holder in mein Auto. Das Sphärennavi lotste mich gen Wilmersdorf.
Als sich die Tür seines langweiligen Null-acht-fünfzehn-Reihenhauses schloss, sah ich Thorben Holder zum letzten Mal.
Aus dem Buch „Inghean“
Das Menschenkind hat seine Lektionen über die Spielarten menschlicher Bosheit gelernt. Es nähert sich die Zeit, dem wahrhaft Bösen in sein glühendrotes Auge zu blicken.