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1. Der Schicksalstag

Japan, irgendwo in Izumi, April 1581

Stolz auf seinem Schlachtross sitzend, stieß Ashida Iemitsu einen langen Seufzer aus, als er seinen Landbesitz musterte. Die letzten, goldenen Sonnenstrahlen der untergehenden Abendsonne schienen auf die Landschaft vor ihm sowie auf einen kleinen Fluss herab, der sich durch die vielen Reisfelder schlängelte. Das cyanblaue Wasser glänzte dabei wie ein Saphir. Der leichte Wind wehte sanft über die Felder und ließ das saftig grüne Gras des Flachlands rascheln, das auf eine Vegetation hinwies, die sich perfekt für den Ackerbau eignete. Kleine Bauernhäuser standen hier und da zwischen den Feldern, auf denen Bauern ihr Tageswerk verrichteten.

Iemitsu schmunzelte zufrieden. Vor einem Monat war er endlich nach einer Militärkampagne nach Hause zurückgekehrt und konnte hier vorübergehend sein Leben in Frieden genießen. Er war einer der wenigen Jizamurai, die es noch zu dieser Zeit gab. Den meisten dieser Landsamurai mit Landgut waren ihre Macht und ihr Landbesitz bereits entweder von Stadtsamurai oder von den Daimyō, den Kriegsherren, die eine oder mehrere Provinzen besaßen, entzogen worden. Obwohl das Land ursprünglich von vielen Jizamurai bevölkert war, nahm ihre Zahl nun deutlich ab und sie mussten ihre Macht abgeben.

Mit diesen Gedanken im Sinn drehte er sich um und ritt zu seinem Anwesen zurück, das von einer Pflastermauer, deren unterster Teil aus Stein gebaut war, umzäunt war. Der Samurai am Tor verbeugte sich tief, als er sich ihm näherte.

„Ein wunderschöner Abend, nicht wahr?“, meinte Iemitsu, während er vom Pferd stieg.

„Jawohl, Sir“, antwortete der Bushi, der Samurai. „Das erhellt auch das Gemüt der Bauern – sie arbeiten fleißiger.“

„In der Tat“, murmelte Iemitsu und überreichte die Zügel seines Pferdes einem Diener, der es sofort zu einem Stall hinführte.

Glücklich betrat der Jizamurai den Vorhof seines kleinen Anwesens und sah sich um. Ein mittelgroßes Haus stand etwas hinten in der Mitte des von den Mauern eingeschlossenen Bereichs, während eine hölzerne Veranda das Gebäude umkreiste. Kleine Steintrittplatten vom Eingang dieses Hauses führten zu einem wunderschönen Garten. In diesem befand sich ein runder Teich mit Wasserlilien, der von einer kleinen, hölzernen Brücke überquert wurde. Kieswege schlängelten sich zwischen Büschen, Blumen und einigen Kirschbäumen, deren Blüten, seitlich von den Sonnenstrahlen erhellt, äußerst atemberaubend vorkamen. Zwei weitere, kleine, hölzerne Gebäude, die jeweils aus einem einzelnen Zimmer bestanden, befanden sich ebenfalls im Hof und Iemitsu ging direkt auf eines davon zu, während er einer vorbeieilenden Magd befahl, stehen zu bleiben.

„Habt ihr schon mein Bad vorbereitet?“, erkundigte er sich.

Die Magd verbeugte sich tief. „Ja, Ashidasama. Kaiisan sollte eigentlich schon das Wasser warm gemacht haben.“

„Gut“, war alles, was Iemitsu von sich gab, als er auf das Gebäude zuging. In Erwartung des kommenden, entspannenden Bads beschleunigte er ein wenig seinen Schritt.

„Kaiisan, sind Sie da?“, wollte er wissen, als er gut gelaunt eine Seitentür öffnete und das kleine Gebäude betrat. Was er jedoch als Nächstes sah, ließ ihn schlagartig erstarren.

Vor ihm stand eine lange Steinbank sowie eine große Holzwanne in der Mitte des Zimmers. Doch anstatt von heißem Wasser war die Wanne mit etwas ganz anderem gefüllt; mit einer furchterregenden Flüssigkeit, die er gehofft hatte, nicht wiedersehen zu müssen, bis sein Daimyō erneut seine Dienste in Anspruch nahm: Blut.

Was ihn jedoch am meisten erschreckte, war Kaii, der selbst in der Wanne lag und seine weit aufgerissenen Augen entsetzt auf ihn heftete.

„Kaiisan?“, wagte Iemitsu es schließlich hervorzubringen, als er bestürzt die Leiche seines Dieners anstarrte. Verkrampft griff er nach dem Katana, dem Langschwert, das er immer bei sich trug.

Plötzlich hörte er, wie sich die Tür hinter ihm schloss. Instinktiv drehte er sich um, bereit sein Leben zu verteidigen. Doch niemand war da. Panik stieg in ihm auf und er wollte gerade die Tür öffnen, um seine Wachen zu alarmieren, als er auf einmal eine Stimme hinter sich vernahm.

„Ich habe Sie schon erwartet, Ashidasama.“

Schwer atmend vor Angst, fuhr Iemitsu blitzschnell herum, wobei er sein Schwert direkt vor sich hielt. Der Anblick, der sich ihm bot, brachte beinahe sein Herz zum Stillstand. Ein furchteinflößender Dämon, mit knallrotem Gesicht und Hörnern auf der Stirn, in einem einfachen grauen Kimono, ein Gewand aus Baumwolle, starrte ihn höhnisch grinsend an.

Unmöglich, dachte der Jizamurai und jeglicher Mut verließ ihn.

„Setzen Sie sich“, forderte ihn der Dämon gelassen auf. „Wir haben einiges zu besprechen.“

Erst jetzt stellte Iemitsu fest, dass sein Gegenüber kein Dämon war, sondern lediglich nur eine Maske trug, denn beim Sprechen verzog sich kein einziger seiner Mundwinkel. Etwas ermutigt, aber immer noch in Alarmbereitschaft versetzt, schluckte der Jizamurai seine Furcht hinunter.

„Was wollen Sie von mir?“, verlangte er.

Mit Ausnahme seiner Augen, die Iemitsu abschätzend musterten, blieb der Fremde vollkommen bewegungslos.

„Beantwortet mir lediglich nur eine einzige Frage und ich bin nie hier gewesen.“

„Und wie lautet die Frage?“, wollte der Jizamurai wissen.

Misstrauisch verengte er die Augen und sah sich eilig um, um weitere „Dämonen“ ausfindig zu machen, die sich womöglich in diesem Gebäude versteckt hatten. Der Blick des Unbekannten, der vorher aufgrund Iemitsus Reaktion auf Befriedigung gedeutet hatte, wurde todernst.

„Wo befindet sich Euer hinterhältiger Vater?“

Der Jizamurai versteifte sich unverzüglich. Sein Vater war früher mal ein mächtiger General gewesen und hatte sich viele Feinde gemacht, die seinen Tod herbeiwünschten. Dies hatte er zwei seiner Charaktereigenschaften zu verdanken: seiner Ambition, die ihm dazu verholfen hatte, ein General zu werden noch bevor er dreißig war, sowie seine übertriebene Rücksichtslosigkeit, die vielen Menschen das Leben gekostet hatte. Tatsache war, dass er bis ins Mark unbarmherzig gewesen war, als er den Befehlen seines Herrn Folge geleistet hatte. Es gab insgesamt mehrere Anschläge auf sein Leben und er hatte deshalb beschlossen, auf die Insel von Shikoku auszuwandern, um dort anonym seinen Ruhestand zu verbringen. Wenn dieser Fremde wissen wollte, wo sich sein Vater aufhielt, dann konnte dies nur eines bedeuten: Er wollte sein Leben auslöschen.

„Ich weiß es nicht“, log Iemitsu. „Verlassen Sie nun gefälligst mein Anwesen!“

Seufzend schüttelte der Unbekannte den Kopf. „Das war Ihre Entscheidung.“

Ohne dass Iemitsus Augen die Bewegung verfolgen konnten, griff der Fremde nach einem Gegenstand in seinem Kimono, den er blitzschnell auf den Boden vor sich warf. Ein lauter Knall ertönte und Rauch strömte aus dem Objekt heraus, sodass es innerhalb von wenigen Sekunden das gesamte Zimmer füllte.

Hustend trat Iemitsu einen Schritt zurück, ohne die Augen von seinem Gegenüber zu lösen, um ihn bloß nicht aus dem Blick zu verlieren. Er wollte sich gerade auf ihn stürzen, als ihn ein Schrei innehalten ließ.

„Aaaaahhhh!“

Es war eine seiner Mägde! Kaum war dies geschehen, vernahm er weitere Schreie seiner Diener, schnell gefolgt von Alarmrufen, Schmerzenssowie Todesschreien seiner Wachen und dem Klirren von aufeinanderprallenden Klingen.

Der Jizamurai weitete entsetzt die Augen. „Wie konnten Sie es bloß wagen?!“, brüllte er sein Gegenüber an, bevor er sich geschwind umdrehte und auf die Tür zustürmte, um herauszufinden, was dort vor sich ging.

Plötzlich und wie aus dem Nichts sprang eine flinke Gestalt, von den horizontalen Balken über ihm, herunter und griff ihn mit einem Schwert an. Von der unerwarteten Attacke überrascht, aber von seinem Instinkt gesteuert, rollte Iemitsu zur Seite und parierte den Stoß, der seiner Brust galt. Der Angreifer, dessen Gesicht von einer ähnlichen abscheuerregenden Maske bedeckt wurde, sprang nach rechts und übte einen weiteren Hieb aus, nach den Nieren stechend.

Iemitsu schwang sein Katana nach unten und, sobald die beiden Klingen aufeinandertrafen, versetzte er seinem Gegner rasch einen Vorwärtstritt in den Bauch. Aufstöhnend, schwankte dieser einen Schritt zurück und der Jizamurai führte einen blitzschnellen horizontalen Schwertstoß von rechts durch. Der Eindringling konnte den Hieb gerade noch rechtzeitig blockieren, wurde jedoch von der Wucht des Hiebes gegen die Wand geschleudert.

Diesen Augenblick ausnutzend, riss Iemitsu die Tür auf und rannte heraus. In seinem Garten herrschte purer Chaos. Diener liefen schreiend davon, während Männer mit weißen Dämonenmasken die Wachen angriffen, von denen bereits zwei tot am Boden lagen. Zufällig nahm er eine Bewegung am Hauptgebäude wahr und sah, wie einer dieser Eindringlinge sich in sein Haus hineinschlich.

Iemitsu erstarrte. Dort war seine Familie. Ohne auf die vielen Angreifer achtzugeben, rannte er an einigen der Kämpfenden vorbei, eilte über die Brücke und stieß schließlich durch die halb geöffneten Eingangstüren ins Hauptgebäude herein.

„Tamiko!“, rief er suchend, als er durch das große Eingangszimmer lief. „Bunjurokun, Rinchan, wo seid ihr?“

Hastig raste er einen Korridor entlang und rannte in ein Zimmer hinein.

„Tamiko? Rinchan? Bunjurokun?“, wiederholte er, diesmal jedoch leiser, als er bemerkte, dass der Raum leer war.

Plötzlich spürte er eine Bewegung hinter sich. Bedenkenlos drehte er sich um und parierte den Schwerthieb eines der maskierten Männer. Dennoch musste er zurückweichen, als dieser einen diagonalen Stoß von oben nach unten exekutierte. Konternd zielte Iemitsu nach dem Haupt seines Widersachers, doch der Letztere duckte sich, sodass die Klinge nur eines der Hörner seiner Dämonenmaske abhackte. In einer gebückten Position warf sich dieser auf den Jizamurai.

Instinktiv sprang Iemitsu zur Seite und schlug horizontal nach dem Rücken des an ihm vorbeilaufenden Kriegers, dessen flinkes Manöver versagt hatte. Vor Schmerz nach Luft schnappend, taumelte der Letztere ein paar Schritte vorwärts. Der Jizamurai blickte über die Schulter auf seinen Gegner und schmunzelte leicht. Er hatte ihn am Rücken erwischt.

Verwundet, aber immer noch kampfwillig, wandte sich der Maskierte dem Samurai zu. Er schien zu wissen, dass seine Kampffertigkeiten denen seines Widersachers, der ein überdurchschnittlicher Kämpfer war, unterlegen waren, dennoch wies sein Blick auf eine feste Entschlossenheit hin. Aufmerksam musterten sich die beiden Krieger gegenseitig und beobachteten jede Bewegung ihres Gegenübers.

Plötzlich stürzten sie sich gleichzeitig aufeinander und übten beide diagonale, niederschmetternde Stöße aus. Iemitsu hörte, wie sich Stoff zerriss und eine Klinge Fleisch durchdrang. Beide blieben nahezu reglos nebeneinander stehen. Ihre Blicke trafen sich ein letztes Mal, bevor der Maskierte leblos am Boden zusammensackte, wobei sein marineblauer, aufgeschnittener Kimono die Todeswunde preisgab.

„Ich muss schon sagen, ich bin beeindruckt“, vernahm der Jizamurai die Stimme des Unbekannten mit der roten Maske hinter sich.

Alarmiert drehte er sich um und sah, wie dieser, flankiert von zwei seiner Männer, das Zimmer betrat. Iemitsus Mut sank. Er wusste, dass er alle drei nie besiegen konnte. In seinem Unterbewusstsein setzte sich der Gedanke fest, dass heute sein letzter Tag auf dieser Welt war. Der Mann mit der roten Maske, der anscheinend der Anführer dieser Bande war, wurde ernst, als er den Bushi betrachtete.

„Dies kann alles sofort enden. Sagen Sie mir einfach, wo ich Euren Vater finden kann.“

„Niemals!“, brüllte Iemitsu und lief plötzlich mit erhobenem Schwert auf den Fremden zu.

Der Unbekannte wartete bis auf den letzten Moment, bevor er eine Seitwärtsrolle ausführte und mit einem versteckten Tantō, einem Kampfmesser, nach ihm stach. Iemitsu konnte der Klinge knapp noch ausweichen, als der Fremde zu seinem Entsetzen blitzschnell aufsprang und ihn mit einem kraftvollen, vertikalen Hieb von unten angriff. Mühevoll gelang es dem Samurai, den Stoß zu parieren, doch er wurde zurückgeworfen.

Kurzzeitig damit beschäftigt, nicht außer Gleichgewicht zu geraten, sah er, wie sich der Unbekannte so schnell wie der Blitz um seine eigene Achse drehte. Die erzeugte Schwungkraft zu seinem Vorteil nutzend, versetzte dieser seinem Widersacher einen mächtigen Seitwärtstritt in die Seite, der so stark war, dass er einen Holzbalken in tausend Stücke zersplittern könnte. Der Jizamurai stöhnte auf, als er spürte, wie sich eine seiner Rippen brach und ungeheurer Schmerz seinen Körper durchzuckte. Durch die Wucht des Trittes wurde er gegen eine der Papierwände geschleudert, die unter seinem Gewicht nachgab. Hustend versuchte er die Orientierung wiederzuerlangen, als ihm auf einmal bewusst wurde, dass er sein Katana verloren hatte.

Bevor er etwas tun konnte, spürte er, wie ihn zwei Hände am Kragen packten und er hochgehoben wurde, bis sein Gesicht beinahe die Dämonenmaske des Fremden berührte. Obwohl Iemitsu eigentlich ein hervorragender Krieger war, verblassten seine Fertigkeiten im Vergleich zu denen seines Gegners.

„Sagt mir endlich, wo Euer Vater ist“, zischte dieser.

Trotzend sah ihm der Jizamurai direkt in die Augen. „Nur über meine Leiche.“

Ohne Vorwarnung riss der Unbekannte ein Tantō aus seinem Obi, seinem Gürtel, und stieß es in Iemitsus rechten Arm.

„Aaaaaahhhhh!“, brüllte der Letztere auf, als ihn qualvoller, brennender Schmerz durchfuhr.

Auf einmal hob ihn der Unbekannte etwas höher und warf ihn vor sich auf die Tatami, die Matten aus Reisstroh. Aufzuckend, biss sich Iemitsu auf die Lippen und umklammerte die Wunde an seinem Arm, aus der Blut strömte. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie die anderen zwei maskierten Männer interessiert zuschauten.

Der Fremde trat bedrohlich einen Schritt auf ihn zu. „Wo ist Ashida Shinzu?“

Mutig sah Iemitsu zu ihm hoch und schüttelte den Kopf. Der Unbekannte stieß einen langen Seufzer aus und hob erneut sein Messer.

Plötzlich vernahmen sie wütendes Gebrüll. Instinktiv fuhr der Fremde herum und parierte unvermittelt den Hieb seines Angreifers. Seine Lippen kräuselten sich zu einem höhnischen Lächeln, als er feststellte, dass sein Gegner die Frau des Jizamurai war.

Er vernahm einen Schmerzensschrei und sah aus den Augenwinkeln, wie einer seiner Männer fluchend zurücksprang und nach seiner Schulter griff. Der Unbekannte erhaschte lediglich einen kurzen Seitenblick auf den zweiten Angreifer, denn die Frau attackierte ihn nun erneut. Rasch führte sie einen Schwertstoß durch, nach dem Hals ihres Widersachers zielend. Der Fremde wehrte den Stoß mit Leichtigkeit ab und, nach dem Austausch von vier oder fünf weiteren Schwerthieben, entwaffnete er die Frau. Vollkommen ungeschützt stand sie ihm nun gegenüber.

„Kniet Euch dort hin“, befahl der Unbekannte und deutete auf die Strohmatte neben ihrem Mann. Während die Frau vorsichtig tat wie ihr geheißen, wandte er seine Aufmerksamkeit dem zweiten Gegner zu, der seinen Untergebenen verletzt hatte, und welcher jetzt entwaffnet in der Ecke des Zimmers stand. Als er diesen erblickte, schnaubte er amüsiert.

„Du Knirps hast einen meiner Männer verwundet?“, lachte er und sah den Jungen an, der Iemitsus Sohn zu sein schien. Belustigt schaute er zu einem seiner nun verletzten Krieger herüber, der immer noch die Hand auf seine Wunde drückte. Der Blick dieses Mannes deutete auf puren Hass hin, als er den Jungen mörderisch anstarrte.

„Lasst uns in Frieden!“, rief der Junge mit vor Zorn zusammengekniffenen Augen.

Der Fremde sah ihn noch einmal an, bevor er ihm anerkennend zunickte. „Ich bin überrascht, dass du das Geschick und vor allem den Mut hast, einen meiner Männer anzugreifen und sogar zu verletzen.“ Er blickte Iemitsu an, der dem ganzen Vorgang still aber besorgt mit den Augen folgte. „Dein Vater hat dich gut trainiert, Junge … aber gut.“ Er ging einen Schritt auf den Jizamurai zu. „Zurück zum Thema, Samuraisan. Wo ist Ashida Shinzu?“

„Ich werde ihnen nichts verraten!“, rief Iemitsu stur.

„Sie stürzen einfach Ihre gesamte Familie ins Verderben“, seufzte der Unbekannte.

Auf einmal sah Iemitsu, wie der verwundete Krieger auf seinen Sohn Bunjuro zuging.

„Nein!“, rief er. „Lasst meinen Sohn da raus!“

Doch es war zu spät. Der Junge war bereits schockiert aufgesprungen und wollte aus dem Zimmer rennen, doch der Maskierte kam ihm zuvor.

„Neeeeiiiiin!“, schrie die Frau des Jizamurai, als sie sah, wie der Eindringling eine Klinge in die Brust ihres Sohnes stieß. Bunjuro riss weit die Augen auf und blickte seine Eltern ein letztes Mal an, bevor sein Lebensfunke erlosch und er tot zu Boden fiel.

„Nein! Nein, nicht mein Sohn!“, brüllte die Frau und lief zu dem reglosen Jungen hinüber. „Bunjurokun!“, schrie sie, neben ihm auf die Knie fallend, und begann laut zu schluchzen. „Nein! Mein Sohn!“

Iemitsu Kehle verschnürte sich. Er verspürte einen schmerzvollen Stich im Herzen und schloss trauernd die Augen. Der Fremde schien allerdings nichts von all dem mitzubekommen, denn er schaute den Jizamurai erneut an.

„Wie oft muss ich …“ Er brach ab, denn wegen des Geheules der Frau konnte er kaum seine eigene Stimme hören.

Sich an sie wendend, räusperte er sich. „Entschuldigen Sie mich, gnädige Frau, aber könnten Sie bitte etwas leiser trauern? Ich versuche hier gerade ein Gespräch zu führen.“

Die implizite Drohung in seiner Stimme vernehmend, wurde sie etwas leiser, konnte ihr Schluchzen jedoch nicht vollständig unterdrücken.

„Danke“, flüsterte der Fremde, bevor er sich gelassen an Iemitsu wandte. „Wie oft muss ich Sie noch fragen? Wir verschwenden einfach nur Zeit … und Menschenleben.“

Der Jizamurai antwortete nicht sofort. Mit vor Schmerz verengten Augen blickte er seinen Peiniger an. „Weshalb wollt ihr wissen, wo mein Vater ist?“

Der Blick des Unbekannten wurde todernst. „Vor einer langen Zeit überfiel die Armee des Generalen Ashida Shinzu eine Handvoll von Dörfern, obwohl sein Herr nicht den Befehl dazu gegeben hatte. In einem von diesen Dörfern lebte ich.“

Er hielt kurz inne und Iemitsu schluckte, als er den Hass spürte, den dieser Mann ausstrahlte. Er ahnte bereits, was er nun sagen würde.

„Euer Vater“, zischte der Fremde wütend, obwohl es ihm bis jetzt gelungen war, seine Fassung zu bewahren, „hat meine gesamte Familie ausgelöscht, als ich noch ein Kind war! Ich war der einzige Überlebende dieses Massakers. Er hat mein Leben ruiniert! Jetzt ist er an der Reihe …“ Schließlich konnte er sich wieder fassen. „Jetzt aber zurück zu meiner Frage.“

Doch Iemitsu schwieg. Nun da er wusste, wieso der Unbekannte nach seinem Vater suchte, konnte er es ihm nun recht nicht verraten.

„Immer noch so stur?“, fragte der Fremde gelassen.

Auf einmal vernahmen sie Schritte und die Aufmerksamkeit aller Anwesenden wurde der Tür zugewandt. Der Unbekannte lächelte boshaft, sobald er einen seiner Männer sah, der ein kleines Mädchen in den Raum hineinschubste, das nicht älter als vier oder fünf sein konnte.

„Rinchan!“, schnappte die schluchzende Mutter des Kindes nach Luft, bevor sie flehend ihren Blick auf den Fremden richtete. „Bitte tut ihr nichts an!“

Der Unbekannte schien sie jedoch gar nicht wahrzunehmen, denn er musterte das zitternde Mädchen, das ihn mit Tränen verschleierten Augen anstarrte. Er bemerkte, dass die Dämonenmaske ihr Angst einjagte, und nahm sie deshalb ab. Der Jizamurai erschauderte, als der fast kahle Schädel des Mannes, dessen Haut so blass wie die eines Geistes war, sichtbar wurde. Auf seiner Stirn konnte man eine Tätowierung sehen und unzählige Narben übersäten sein Gesicht.

Obwohl sich Rin nun etwas beruhigte, schien ihre Furcht vor diesem Mann gar nicht zu schwinden. Im Gegenteil, sein Aussehen trieb ihr sogar noch mehr Angst ein. Gebannt verfolgte Iemitsu jede einzelne Bewegung des Fremden, der auf ein Knie ging und das kleine Mädchen zu sich winkte.

„Komm her … Rinchan.“

Langsam kam sie ihm näher, wobei sie gelegentlich zu ihren Eltern herüberblickte. Es war leicht zu erkennen, dass sie noch zu jung war, um zu verstehen, was um sie herum geschah. Der Unbekannte lächelte mit einem Hauch von Zuneigung und legte eine Hand auf Rins Schulter, bevor er Iemitsu anschaute.

„Was für eine kleine, unschuldige Tochter ihr habt“, begann er mit einem listigen, spottenden Blick. Der Jizamurai bemerkte, wie sich das Messer in der Hand des Fremden, Rin langsam näherte. „Es wäre doch wirklich eine Schande, wenn diesem hübschen, kleinen Geschöpf etwas zustieße–“

Plötzlich sauste das Tantō direkt auf Rins Hals zu.

„Halt!“, brüllte Iemitsu.

Die Hand des Unbekannten hielt abrupt an. Das Mädchen erschauderte, als der kalte Stahl ihren Hals berührte.

Der Fremde sah mit einem triumphierenden Lächeln zu dem Jizamurai. „Jetzt seid Ihr bereit zu reden.“

Resigniert senkte Iemitsu den Kopf. „Er lebt in Shikoku, an der südlichen Grenze zwischen den Provinzen Iyo und Sanuki, isoliert von anderen Dörfern und Städten.“

Der Unbekannte lächelte zufriedengestellt. „Danke für die Information. Ich wusste ja, dass wir zu einer Einigung kommen würden.“ Bedrohlich trat er einen Schritt auf Iemitsu zu. „Jetzt brauche ich Sie nicht mehr.“

„Nein!“, rief die Frau des Jizamurai, sobald ihr die Absichten des Fremden bewusst wurden.

Blitzschnell zischte die Klinge des Unbekannten auf Iemitsus Hals zu und durchschnitt ihm die Kehle. Mit geweiteten Augen, die auf seinen Mörder geheftet waren, verließ ihn die Lebenskraft und er tat seinen letzten Atemzug.

„Nein! Iemitsu! Nein!“, schluchzte seine Frau herzzerreißend, als sie diesmal zu ihm lief.

Der Fremde schaute einfach gefühllos zu, bevor er seinen Männern ein Zeichen gab, ihm zu folgen. Das Zimmer verlassend, ließ er eine Spur von Leichen sowie eine weinende Mutter und Tochter hinter sich.

Shinobi - Dem Untergang geweiht

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