Читать книгу Shinobi - Dem Untergang geweiht - Danny Seel - Страница 9
Оглавление3. Die Lehre
Augenblicklich wollte sich der Shinobi wehren, erstarrte jedoch, sobald er den kalten Stahl eines Messers an seiner Kehle spürte. Überlegen blickte der Mann den Eindringling an.
„Nachlässigkeit ist ein großer Feind“, wisperte er.
Der Shinobi wagte es nicht, sich zu rühren. Bedächtig starrte ihn der Mann an, wobei seine Miene unbewegt blieb. Auf einmal grinste dieser triumphierend und senkte die Waffe.
„Guter Versuch, Taikikun. Aber es gibt immer noch einige Kleinigkeiten, die du verbessern könntest“, lächelte er vergnügt.
Der Shinobi zog sich das umwickelte Tuch vom Kopf. Das enttäuschte Gesicht eines neunjährigen Jungen kam zum Vorschein.
„Onkel Yujiro, was habe ich diesmal falsch gemacht?“, fragte er etwas irritiert. Die kindliche Unschuld war noch deutlich in seiner Stimme zu hören.
Kiyonori Yujiro, der ein Chūnin, einer der Assistenten des Jōnin, des Clan-Anführers, Momochi Tanba, war, nahm behutsam das Kurzschwert, das sein Neffe in der Hand hielt, und legte es wieder neben seinem Bett. Er setzte sich auf, bevor er antwortete.
„Beruhige immer deinen Geist und deine Gedanken, bevor du überhaupt etwas tust, denn ich weiß, dass du gezögert hast. Das ist einer der schlimmsten Fehler, die ein Shinobi begehen kann. Befreie dich jedes Mal von der Angst, dem Zweifel und dem Zögern. Sonst wirst du noch mehr Fehler begehen und es besteht somit die Möglichkeit, dass jemand deine Anwesenheit spüren wird.“
Verblüfft klappte Taiki die Kinnlade herunter. „Was? Meinen Sie das ernst?“
Sein Onkel nickte. „Ich konnte deine Unentschlossenheit hautnah fühlen. Doch was mich geweckt hat, war etwas ganz anderes.“
Der Junge warf ihm einen fragenden Blick zu. „Und was war das?“
„Dein Atem.“
„Mein Atem?“
„Genau. Immer wenn du dich einer Person näherst mit der Absicht unentdeckt zu bleiben, musst du immer deinen Atem an die dieser Person angleichen. Verstanden?“
Taiki nickte und senkte irritiert den Kopf. „Aber so werde ich nie ein richtiger Shinobi!“
„Taikikun, wir lernen von unseren Fehlern. Glaubst du etwa, dass ich als Shinobi geboren wurde?“
Der Junge schüttelte den Kopf. „Aber wann bin ich endlich komplett ausgebildet?“
„Du hast erst knapp über die Hälfte deines Trainings hinter dir. Frag deinen Cousin; er wird dir mehr darüber sagen können als ich.“ Yujiro unterdrückte ein Gähnen. „Und jetzt solltest du lieber nach Hause gehen. Ich möchte noch ein paar Stunden Schlaf bekommen. Vergiss nicht zum Unterricht zu kommen.“
Mit diesen Worten legte Kiyonori sich wider hin, ohne seinem Neffen weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Taiki erhob sich von den Knien und verließ das Zimmer.
* * *
„Taikikun, wo verbleibt deine Schwester?“, fragte Yujiro, nachdem er vor seinem Neffen stehen geblieben war.
Die Sonne war bereits am Horizont zu sehen und spendete ihrer Umgebung etwas Licht. Die Bäume, von denen sie umgeben waren, ragten hoch über die beiden.
„Da kommt sie“, antwortete der Junge, als er eine Bewegung aus den Augenwinkeln erwischte.
Kiyonori sah zur Seite und erblickte Taikis ältere Schwester Akemi, die sich ihnen schnellen Schrittes näherte.
„Ich bitte um Entschuldigung für die Verspätung“, sagte sie mit einer begrüßenden Verbeugung, wobei ihre Haare lose über ihre schmalen Schultern fielen. „Ich musste noch etwas im Haushalt erledigen“, fügte sie hinzu, wobei sie sich die Haare aus dem Gesicht strich.
Yujiro musste lächeln, als er feststellte, wie sich der Grund ihrer Verspätung der ihrer Mutter ähnelte. Denn wenn die Letztere zu spät kam, dann allerdings ausschließlich nur wegen der Hausarbeit.
„Kein Problem“, verkündete er. „Ich schätze mal, dass ich jetzt anfangen werde.“ Während er sprach, ging er langsam auf und ab, wobei er die Hände hinter dem Rücken verschränkte. „Die Philosophie der Shinobi ist eine der wichtigsten Lehren, die unsere Vorfahren uns weitergegeben haben. Könnt ihr mir erklären, was sie uns genau beibringt?“
Taiki öffnete bereits den Mund, um zu antworten, doch sein Onkel unterbrach ihn.
„Taikikun, ich bin mir sicher, dass du es weißt. Aber du wirst in der Kunst des Ninjutsu schon seit fünf Jahren unterrichtet. Bitte lass deine Schwester dieses Mal die Frage beantworten.“
Der Chūnin sah Akemi prüfend an und musste an seine eigene Schwester, Sayuri, denken. Der heldenhafte Opfertod ihres Mannes, Satoshi, hatte Sayuri dazu bewegt, ihre Tochter Akemi in Ninjutsu unterrichten zu lassen, damit sie sich selbst verteidigen konnte, falls ihr etwas widerführe. Kiyonori würde Satoshi immer in Erinnerung behalten, denn ohne ihm wäre er jetzt nicht am Leben.
Er seufzte, als er die beiden vaterlosen Kinder vor sich ansah. Er gab Akemi schon seit eineinhalb Jahren Nachhilfe, da sie in ihrem Alter eigentlich bereits beinahe eine vollständig ausgebildete Kunoichi, ein weiblicher Shinobi, sein sollte. Und nebenbei hatte er sich dazu entschieden, Taiki zu helfen, weil ihm der zusätzliche Unterricht nicht schaden würde.
„Sie bringt uns bei, dass wir beharrlich und aufrichtig sein sollen“, antwortete seine Nichte etwas zögerlich.
Kiyonori nickte. „Genau. Das Ziel jedes Shinobi sollte sein, die Belastbarkeit des Körpers und des Geists zu erlangen. Doch um diese Eigenschaft, diese unbegrenzte Beharrlichkeit, die sogar unter den unmöglichsten Zuständen nicht gebrochen werden darf, zu bekommen, muss man Körper und Geist trainieren.
„Die Philosophie unserer Vorväter lehrt uns ein aufrichtiges, mitfühlendes und reines Herz zu kultivieren, um Unterdrückung sowie Beleidigungen gelassen ertragen zu können, was uns erlaubt, uns von den Bahnen unserer persönlichen Wünsche loszureißen. Außerdem hilft uns dies, uns Untugenden, wie zum Beispiel dem Hass, der Wut, der Faulheit, der Gier und der Eifersucht, nicht hinzugeben. Denn diese sind schädlich und können auch unseren Auftrag gefährden, zum Beispiel indem sie uns ablenken oder zögern lassen, wenn wir in feindlichem Gebiet sind.
„Aus diesem Grund muss unser Geist unerschütterlich und belastbar bleiben, damit wir für jede Situation vorbereit sind, sei es körperlich oder seelisch. Ein solches Herz und eine solche Einstellung führen zu einer Flexibilität des Geistes, die uns ermöglicht, uns jeglichen Situationen anzupassen und uns unerwarteten Hindernissen entgegenzustellen. Soweit klar?“
Akemi und Taiki nickten.
„Eine weitere äußerst wichtige Fähigkeit eines Shinobi ist es, andere so zu beeinflussen, dass sie unbewusst deinen eigenen Willen ausführen oder dir dabei helfen deine Mission zu erfüllen. Nichtsdestotrotz dürft ihr nie vergessen, dass das Eingehen von Risiken so oft wie möglich vermieden werden sollte, wobei man allerdings trotzdem nicht vor Gefahren zurückschrecken darf, wenn die Erfolgschancen hoch sind.
„Vergesst auch nicht, dass kein Feigling oder Wagehals ein Shinobi sein kann. Von einem Shinobi wird der Mut verlangt, seine Furcht zu überwinden, sowie ein gutes Urteilsvermögen, das ihm Bescheid gibt, wann es sich lohnt, ein Risiko einzugehen.“
Er machte eine Pause und blickte auf seine beiden Schüler. Sie schienen das Meiste verstanden zu haben, denn sie bekamen ähnliche Aussagen oft vom Chūnin Sawada, ihrem – sowie seinem ehemaligen – Lehrmeister, zu hören.
„Kluge Worte!“
Alle drei drehten sich um und erblickten einen jungen, gutaussehenden Mann, der schmunzelnd auf sie zukam.
„Guten Morgen, Kiyoshikun. Gratuliere dir! Gut, dass du vorbeikommst“, begrüßte ihn Yujiro mit einem Nicken.
Kiyoshi, der einen spaßigen Charakter hatte, jedoch auch sehr formell sein konnte, wenn es die Situation verlangte, verbeugte sich vor seinem Onkel als Gruß.
„Nach der Zeremonie werdet Ihr Euch aber auch vor mir verbeugen müssen“, scherzte er mit einer Anspielung auf ein bevorstehendes Ereignis.
„In deinen Träumen!“, schüttelte Kiyonori lächelnd den Kopf.
„Alles Gute zum Geburtstag!“, gratulierte ihn Akemi.
Kiyoshi nickte bloß als Dank.
„Wie viel Glück du hast“, murmelte Taiki und blickte seinen Cousin mit leichter Bewunderung an. „Jetzt hast du ja all den Unterricht hinter dir und musst nicht mehr lernen!“
Kiyoshi zuckte mit den Schultern. „Dafür muss ich aber ab und zu kleine Aufgaben für Momochisama erledigen. Außerdem möchte er mir bald einen echten, gefährlichen Auftrag geben.“
Yujiro kratzte sich am Kinn. „Vielleicht möchtest du den Unterricht eine Minute lang übernehmen …“
Kiyoshis Augen weiteten sich ein wenig und er trat einen Schritt zurück. „Nein, danke. Ich mag ein ausgebildeter Shinobi sein, doch für so etwas bin ich noch nicht bereit.“
„Wie du willst. Da du jedoch schon da bist, könntest du mir einen kleinen Gefallen tun.“ Bevor sein Neffe widersprechen konnte, wandte sich der Chūnin bereits an Taiki. „Ich möchte, dass du jetzt aufmerksam zusiehst und dir Kiyoshikuns Reaktionen merkst. Er wird dir zeigen, wie man sich in einem Kampf zu verhalten hat.“
Während der Junge nickte, bekam Kiyoshi Zweifel, ob es auch eine gute Idee gewesen war, hierherzukommen.
„Akemichan, du wirst jetzt alle erlernten Schläge und Tritte auf deinem Cousin üben, der dein Sparringspartner sein wird.“
„Ähm … Onkel“, unterbrach ihn Kiyoshi. „Ich kämpf’ doch nicht gegen eine Frau.“
Akemi räusperte sich und warf ihrem Cousin einen missfallenden Blick zu. „Ich komme mir viel älter vor, wenn du mich als eine Frau bezeichnest und–“
„Verzeih mir bitte meinen Fehler, verehrte Cousine“, unterbrach Kiyoshi sie mit einer Spur von Ironie. Er schien bereits verstanden zu haben, worauf sie hinauswollte, denn er hob neckend eine Augenbraue, als er weitersprach. „Doch du kannst nicht leugnen, dass man dich als eine junge Frau betrachtet.“ Bevor sie etwas erwidern konnte, wandte er sich wieder an seinen Onkel, der dem Wortwechsel amüsiert zugehört hatte. „Wie dem auch sei, ich werde nicht gegen ein Mädchen kämpfen.“
Yujiros Augen funkelten herausfordernd. „Dann verteidige dich nur. Irgendwelche Einwände?“
Sein Neffe dachte kurz nach und schüttelte dann den Kopf. Als er zu Akemi blickte, bemerkte er ihre Unentschlossenheit, sagte jedoch nichts.
„Fangt an!“