Читать книгу Ich bin ein japanischer Schriftsteller - Dany Laferriere - Страница 13
Der Japaner vor dem Eiffelturm
ОглавлениеIch habe noch nie einen Fotoapparat besessen. Ich verstehe nämlich nicht genau, wozu man ihn braucht. Geht es um Fotos, die ich mir sowieso nicht ansehen werde, dann ist das eine unnötige Erfindung, denn ich habe schon einen, der sehr gut funktioniert. In meinem Schädel habe ich fünfzig Jahre lang Bilder gespeichert, von denen die meisten sich wiederholen, so dass sie das Gewebe meines Alltagslebens bilden. Es besteht aus lauter winzig kleinen, aufeinanderfolgenden Explosionen: ein elektrisiertes Leben. Man kann einwenden, diese Bilder gehörten nur mir und die anderen hätten keinen Zugang. Das stimmt nicht ganz, denn ich kann sie so genau beschreiben, dass sie am Ende vor ihren Augen vorbeiziehen. Besser noch, mir gelingt es, diese Bilder in Gefühle zu verwandeln. Ich kann einen Augenblick beschreiben, ohne die anwesenden Personen zu erwähnen, indem ich nur die Energie wiedergebe, die diesen Moment belebt. Auf einem Foto sieht man nur selten die Emotion, die den roten Faden der vor unseren Augen ablaufenden Geschichte bildet. Außer auf Geburtstagsfotos, wo man die gebannten Augen eines Kindes hinter den brennenden Kerzen erkennt. Sicherlich kann von einem vergilbten Foto manchmal ein nostalgischer Duft ausgehen, insbesondere wenn fast alle, die in das Objektiv schauen, bereits tot sind. Ich bewahre all diese Fotos in meinem Kopf auf, sie haben sich dort festgesetzt. Sie drängeln sich, jedes will im Vordergrund stehen. Bei dem Japaner, der unaufhörlich die Welt fotografiert, frage ich mich jedoch, sieht er sie überhaupt? Er sieht noch nicht einmal die beiden Motive richtig, die er fotografieren will: seinen Reisegefährten und die von ihm fast verdeckte Sehenswürdigkeit. Der Eiffelturm ist nur da, um zu zeigen, dass dieser Mensch eines Tages in Paris war. Aber wenn er dasselbe breite, unpersönliche Lächeln vor allen Sehenswürdigkeiten dieser Erde aufsetzt, vernichtet er das Erlebnis des Moments. Der Japaner wird dann genauso zeitlos wie der Eiffelturm. Man könnte denken, es ist der Eiffelturm, der sich hinter einem lächelnden Japaner fotografieren lässt.