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Asien im Taschenformat

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Ich kenne niemanden aus Asien. Ich würde mit jedem Mädchen mitgehen, das Asie heißt, denn es klingt wie Seide. Bei Asien denke ich auch an eine blanke Waffe. Der Hals, schnell durchtrennt, eine Kette aus roten Blutstropfen. Wenn der Tod so rasch eintritt, ist das beruhigend. Ich denke an den asiatischen Kontinent wie ein Entdecker aus dem 19. Jahrhundert. Ich sitze in meinem Zimmer und stelle mir alles nur vor. Aber ich kenne diesen Typen, der immer im Square Saint-Louis herumhängt. Ich weiß nicht, wo er herkommt. Asien ist so riesig. Weiß er selbst es denn noch? Wenn einer so lange nicht in sein Land zurückgekehrt ist, verliert die Herkunft ihre Bedeutung. Was nützt es, wenn du aus einem Land bist, aber nicht einmal mehr dessen Sprache sprichst?

„Du bist nicht zufällig Japaner?“

„Korea. Ich bin Koreaner.“

„Japan, Korea, ist das nicht das Gleiche?“

Er wirft mir einen wütenden Blick zu.

„Dabei hatte ich immer den Eindruck“, bemerke ich, „dass ihr was gemeinsam habt.“

„Was denn?“

„Asien.“

Ich liebe einfach dieses Wort. Der Kontinent, der Amerika am nächsten liegt. Der eine ist zu alt, der andere zu neu. Beide beginnen mit dem Buchstaben A.

Ich hatte einen Menschen aus Fleisch und Blut vor mir, aber ich kümmerte mich nur um Bezeichnungen. Das ist meine europäische Seite.

„Was willst du eigentlich?“

„Ich möchte eine japanische Erfahrung machen …“

Der Koreaner war nicht sicher, ob ich scherze. Ich blieb ernst: Für mich ist einfach alles ernst und nichts ist es wirklich. So nehme ich das Leben. Nicht einmal bei mir selbst kann ich unterscheiden, was wahr und was falsch ist. Ich mache dazwischen keinen Unterschied mehr. Im Grunde langweilen mich diese Geschichten um Authentizität zu Tode. Echt. Wenn man in meiner Anwesenheit von Herkunft spricht, bleibt mir buchstäblich die Luft weg. Man wird an einem Ort geboren, danach wählt man aus, wo man herkommt. Plötzlich schien der Typ zu verstehen, was ich suche.

„Kamasutra.“

„Das ist Indien.“

„Ich weiß, aber alle Welt denkt, es sei japanisch.“

„Ich bin nicht alle Welt.“

„Was willst du also?“

„Wissen, wie es dort ist … Die Gerüche, die Farben, die Berührungen …“

„Ich kenne einen jungen Transvestiten.“

„Ein Mädchen wäre besser.“

„Chinesische Zwillinge?“

„Von China war nicht die Rede.“

„Ist alles Asien, haben Sie selbst gerade gesagt.“

„Es hat nichts mit Geographie zu tun … Für mich ist Japan männlich und China weiblich. Ich kann China ficken, aber Japan kriegt mich dran.“

„Du denkst, du kannst China ficken! … Warum nicht Korea?“

„Japan wirkt moderner.“

„Arbeiter mit einer Kamera.“

„Kennst du wirklich niemanden aus Tokio?“

„Wenn ich was finde, geb ich dir Bescheid.“

„Kann ich dir eine Frage stellen? Wie lange warst du nicht mehr in Korea?“

Es ist die Frage, die Raum und Zeit verbindet.

„Ich weiß es nicht … Ich habe meinen Pass verloren.“

„Und wo bewahrst du dein Land auf?“

„Hier, in meiner Tasche.“

Seine Augen hatten ein seltsames Leuchten. Ich ging hinüber zu dem kleinen Buchladen am Platz, ich hatte ein Buch bestellt (Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland von Bashô). Da hörte ich eilige Schritte hinter mir. Ich drehte mich um. Der Koreaner.

„He, ich hab Durst! Deinetwegen hab ich so viel geredet.“

„Na und?“

„Nur Geld für ein Bier.“

„Du hast mir aber nichts gegeben.“

„Was wolltest du denn?“

„Asien. Genauer gesagt Japan.“

Eine Weile tanzte er vor mir herum. Manche Leute denken mit dem ganzen Körper nach. Die Lust auf ein Bier tat ihr übriges.

„Ach ja … Sie ist Sängerin.“

„Genau, was ich brauche.“

„Ich garantiere für nichts … Ich kann dir nur sagen, wo sie sich aufhält. Das kostet zwanzig Dollar.“

Ich gab ihm das Geld, ohne Widerrede.

„Café Sarajewo.“

„Wie heißt sie?“

„Midori.“

Ein Ort und ein Name, das genügt mir, um einen Roman zu beginnen.

Ich bin ein japanischer Schriftsteller

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