Читать книгу Ich bin ein japanischer Schriftsteller - Dany Laferriere - Страница 17
Die Clique von Midori
ОглавлениеNach dem Auftritt von Kuss Inc. folgte ich Midori und ihrer Clique zu einer Vernissage auf der Rue Sherbrooke, genau gegenüber dem Musée des Beaux Arts. Lauter Mädchen: Eiko, Fumi, Hideko, Noriko, Tomo, Haruki. Sie bilden den Hof der Prinzessin Midori. Dazu ein androgyner Fotograf namens Takashi – so flach, dass man ihn für ein Feuerzeug in der Hand von Kate Moss halten könnte. Midori fielen die großen Banner an den Säulen des Museums auf, mit der Ankündigung für die Ausstellung der naiven Maler.
„Diese Ausstellung würde ich gerne sehen.“
„Hast du in der Zeitung nicht gelesen, was mit Björk passiert ist?“, fragte Hideko. Sie kam dabei Midori so nahe, dass sie ihr Ohr berührte.
Alle in der Gruppe wussten, wie empfindlich Midoris Ohr ist, es ist der Sitz all ihrer Empfindungen.
„Mach das nie wieder, hörst du?“, Midori baute sich vor ihr auf. „Hideko, verstanden?“
„Es war nicht mit Absicht … Wieso wirst du so sauer?“
„Das stimmt, Midori“, bemerkte Fumi.
Jeder ein wenig aufmerksame Beobachter wird schnell feststellen, dass an diesem Hof dieselben Intrigen ablaufen wie an jedem anderen. Midori war die Sonne, um die sieben abwechselnd frohe und traurige Planeten kreisten. Alle zusammen waren sie so froh und so traurig, dass ich mich fragte, ob ich sie je würde auseinanderhalten können. Man sah die Tränen nicht, die sie innerlich vergossen, aber man hörte das Manga-Lachen. Ich versuchte eine Weile, bei jeder Einzelnen ein besonderes Merkmal herauszufinden. Sie kreisten unaufhörlich, so dass ich sie nicht zu fassen kriegte. Denn sie bildeten eine Clique, von der man ein Mitglied nur betrachten kann, wenn es sich von ihr löst. Ich filmte sie in meinem Kopf. Mit einer leichten Schulterkamera. Ein kleiner Schwarz-Weiß-Film. Aus meinem Winkel, in sicherem Abstand und diskret. Ohne Schnitt. Dabei habe ich Gespräche, die ich nicht hören konnte, oder verborgene Gefühle einfach ergänzt. Das tun wir alle. Takashi würde am nächsten Morgen abreisen, für eine Reportage über Yoko Ono, die Midori nur die „Ewig Gestrige“ nannte. Aber alle wussten, dass er zurückkehren würde. Man entfernt sich am besten nicht zu lange von der Clique. Yoko Ono mag zierliche junge Männer, aber die „Mao-Witwe“, wie die kluge Eiko sie nannte, hatte keine Chance gegen Midori. „Ein frisches Talent“, so hatte der Schriftsteller Ryu Murakami Midori schon in einem langen Artikel im New Yorker bezeichnet, wo es um mögliche Nachfolgerinnen von Yoko Ono ging. Midoris Stimme erinnere an die ersten Graffiti von Basquiat in der New Yorker U-Bahn – krass und anspruchsvoll zugleich. Am nächsten Tag sollte das Duell zwischen Midori und Yoko Ono aus der Sicht von Takashi beginnen, der Yoko Ono fotografieren würde. Er hatte vor, möglichst viele Informationen über Yoko Ono zu sammeln, um sie an Midori weiterzugeben. Die Witwe wusste, dass sie unter Beobachtung stand. Alle jungen Japanerinnen versuchen, das Geheimnis von Yoko Ono zu lüften, nur um sie danach vom Thron zu stürzen. Yoko stellt die Göttin der Zwietracht dar. Die alle überlebt. Durch sie kann man lernen, dass Hass zuweilen langlebiger ist als Liebe. Takashi würde sich die Kniffe dieser Japanerin näher ansehen, die den Hass der Beatles-Fans überdauert hat. Yoko hatte Ryu Murakami in jenem berühmten Artikel des New Yorkers erklärt, dass sie sich immer „auf halber Höhe“ hält. Auf diese Art schützt man sich vor der Herde der mittelmäßigen, lauten Talente. Midori ordnet sich zwischen Björk und Yoko Ono ein. Murakami schrieb am Schluss seines Artikels, es gebe drei Arten von Künstlern: eine kleine Gruppe mit außergewöhnlichem Talent, eine sehr große Gruppe mit so viel Talent, dass sie überlebt, und – weit geringer an der Zahl, als man denkt – Leute von schlicht mittelmäßigem Talent. Da das Publikum sich für alles interessiert, was selten ist, mag es lieber einen mittelmäßigen Künstler mit einem guten Agenten als einen besseren aus der großen Gruppe mit einem ebenso guten Agenten. Ryu Murakami meint, in unserer Zeit liebt man das Seltene, selbst wenn es schlecht ist.