Читать книгу Ich bin ein japanischer Schriftsteller - Dany Laferriere - Страница 7
Beim Fischhändler
ОглавлениеIst der Titel gefunden, hat man das Schwerste hinter sich. Aber man muss immer noch das Buch schreiben. Darum kommt man nicht herum. Ich schwimme noch zwischen dem Titel und dem Buch. Befinde mich noch im Ungewissen. Jetzt kommt es darauf an, den Weg, der vor mir liegt, genau zu berechnen. Nicht zu schnell ins Innere des Themas vorzudringen. Du drehst und wendest die Bilder, die du in dem Buch sehen willst, in deinem Kopf hin und her. Du möchtest vor allem, dass sie dir ins Fleisch übergehen, sich mit deinem Blut vermischen, damit du mit Lust schreiben kannst, ohne viel nachzudenken. Es ist nicht leicht, einen Gedanken in eine Emotion zu verwandeln. Man ist ungeduldig, dabei vollzieht sich diese Wandlung nur langsam. Die Zeit kennt deine Ungeduld nicht. Daraus folgt eine diffuse Panik, die dich überallhin begleitet, sogar ins Fischgeschäft. Das Problem ist, du weißt nicht, wovon sich das Monster ernährt. Du gehst spazieren. Du setzt dich auf eine Parkbank und schaust zu, wie die Wolken ziehen. Du kuckst amüsiert einem kleinen Mädchen zu, das mit seinem Hund spielt. Du betrachtest den Himmel mit seinem tief hängenden Bauch voll schwerer schwarzer Gewitterwolken. Du ertappst dich dabei, selbst deinen Bauch öffnen zu wollen, um nachzuschauen, ob sich das Tier von Ängsten oder von Bildern ernährt. Du sitzt benommen da. Offen. Alles kann hereinkommen. Eine kurze Erholung. Du atmest die frische Luft. Du staunst über ein einfaches trockenes Blatt, das gerade vom Baum gefallen ist. Die Zeit davor erscheint dir prallgefüllt mit Sorglosigkeit. Mieses Wetter heute Morgen. Du schaust die Leute an, ohne sie zu sehen. Du hörst zu, ohne zu verstehen. Du bist anderswo, weißt nur nicht wo. Du nimmst jedes Detail viel zu wichtig. Wenn alles mit diesem Detail anfinge? Du ziehst eine Nummer und stellst dich im Fischgeschäft in die Schlange. Seit einer Weile hörst du nicht mehr, was man dir sagt, beobachtest aber die Leute genau, die nicht mit dir reden. Du bereitest dich darauf vor, alle anderen zu werden.
Der Fischhändler, ein Grieche, berührte mich am Oberarm, während er mir, in braunem Papier gut verschnürt, den Lachs reicht.
„Schreiben Sie gerade ein zweites Buch?“
Ich habe vierzehn Bücher geschrieben, aber er ist beim ersten stehen geblieben. Seit zwanzig Jahren stellt er mir die gleiche Frage. Die Antwort interessierte ihn nicht. Er war schon beim nächsten Kunden. Nur um seine Reaktion zu prüfen, warf ich ihm beim Hinausgehen zu:
„Ich bin ein japanischer Schriftsteller.“
Jetzt schaute er mich wieder an.
„Was heißt das? Haben Sie die Nationalität gewechselt?“
„Nein, das ist der Titel meines neuen Buchs.“
Er warf seinem Gehilfen einen leicht verunsicherten Blick zu, der junge Mann war damit beschäftigt, die verkaufte Ware zu verpacken. Mein Fischhändler schaut den, mit dem er spricht, nie direkt an.
„Dürfen Sie das überhaupt?“
„Das Buch schreiben?“
„Nein, behaupten, Sie seien Japaner.“
„Das weiß ich nicht.“
„Haben Sie denn die Absicht, Ihre Nationalität zu wechseln?“
„Auf keinen Fall. Das habe ich einmal gemacht, das reicht …“
„Sie sollten sich informieren.“
„Wo?“
„Ich weiß nicht, bei der japanischen Botschaft. Oder können Sie sich vorstellen, dass ich eines Morgens aufstehe und meinen Kunden sage, ich sei über Nacht ein polnischer Metzger geworden?“
„Wohl eher ein polnischer Fischhändler, da Sie doch in der Fischbranche sind.“
„Schon gar kein polnischer Fischhändler“, sagte er, während er sich dem nächsten Kunden zuwendete.
Einem Typen, der zu allem seine Meinung abgibt, gelingt es am Ende immer, dir einen Floh ins Ohr zu setzen. Ich werde dennoch meinen Verleger anrufen und ihn fragen. Es dürfte kein Problem geben.