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Vorwort

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von Otmar D. Wiestler

Wissenschaft widmet sich oft zunächst völlig offenen Fragen, die für unsere Zukunft von entscheidender Bedeutung sein können. Es braucht Entschlossenheit, Verstand und Unterstützung, solchen Fragen nachzugehen und die damit verbundenen Herausforderungen anzunehmen. Hermann von Helmholtz war so ein entschlossener Mann. Er scheute weder fundamentale Fragen noch seine Forschung in die praktische Anwendung zu überführen. Wissen allein ist nicht der Zweck des Menschen, man müsse das Wissen auch anwenden – das war sein Credo. Hermann von Helmholtz steht für die ganze Vielfalt der naturwissenschaftlichen Forschung, aber auch für die Hinwendung zur technologischen Praxis. Er war passionierter Grundlagenforscher und entwickelte gleichzeitig Apparate und Instrumente, um seine Hypothesen zu belegen: Er verknüpfte Theorie, Experiment und praktische Anwendung. Der von ihm erfundene Augenspiegel belegt dies auf eindrückliche Weise. Noch heute wird er in der augenärztlichen Praxis verwendet.

Hermann von Helmholtz hat auch das damalige Wissenschaftssystem nachhaltig geprägt. So wirkte er an der Gründung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt mit, der heutigen Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. Als erste außeruniversitäre Forschungsinstitution verband sie Wissenschaft und Industrie – und Helmholtz war ihr erster Präsident. Damit hatte er eine Doppelrolle inne: als Begründer des modernen Wissenschaftsbetriebs und als Vollender der klassischen Physik. Als Universalgelehrter sah Helmholtz über die Ränder der sich bereits ausdifferenzierenden Disziplinen hinaus – er vertrat eine Naturwissenschaft, die zwischen Medizin, Physik und Chemie Brücken schlug. Er beschäftigte sich mit Erkenntnistheorie sowie mit Kunst und Musik. Er hat früh erkannt, dass es für die Lösung komplexer Probleme wesentlich ist, interdisziplinär zusammenzuarbeiten. Geleitet von grenzenloser Neugier und Offenheit gegenüber neuen Ideen lag es ihm am Herzen, sich mit anderen Wissenschaftlern auszutauschen. Helmholtz war davon überzeugt, dass die großen Fragen der Wissenschaft nur die wissenschaftliche Gemeinschaft beantworten kann. Dieses »Mindset« prägt heute das Denken in der Helmholtz-Gemeinschaft.

Als sich die Arbeitsgemeinschaft deutscher Forschungszentren im Jahr 1995 unter dem Namen »Helmholtz-Gemeinschaft« neu konstituierte, trat sie in eine neue Ära ein – auf wissenschaftlicher Ebene und im täglichen Miteinander. Die Umbenennung war ein Reform- und Leistungsversprechen. Dieses bekennt sich zur Einheit von Praxis und Theorie, der Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft, und einer verantwortlichen Interaktion von Forschung und Gesellschaft – verbunden mit dem Ansatz einer ständigen dynamischen Erneuerung. Kein Name könnte dieses Profil besser zum Ausdruck bringen als Hermann von Helmholtz.

Die Helmholtz-Gemeinschaft mit ihren 18 Forschungszentren zeichnet sich durch ihre kritische Masse, ausgeprägte interdisziplinäre Expertise, exzellente Forschungsinfrastrukturen und herausragende Köpfe aus: Dazu gehören Ingenieure, Techniker, Wissenschaftler, Administratoren und Manager, insgesamt mehr als 43.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein Markenzeichen ist dabei die Zentren-übergreifende Erforschung komplexer Themen in langfristigen gemeinsamen Programmen. Die Exzellenz, strategische Relevanz und der hohe Impact der Helmholtz-Forschung werden in regelmäßigen Evaluationen durch internationale Peers sichergestellt. Die Zentren sind Motor für innovative Forschungsthemen, die auf der Ebene von interdisziplinären Forschungsbereichen strategisch positioniert werden und die internationale Forschungslandschaft mitgestalten. Die Kooperation mit starken Partnern im nationalen und internationalen Umfeld spielt eine bedeutende Rolle. Die Helmholtz-Gemeinschaft sucht den engen Schulterschluss zwischen Grundlagenforschung, Systemanalyse und Technologietransfer in anwendungsnahe Bereiche. Ganz im Sinne von Hermann von Helmholtz.

Im Jahr 2021 jährt sich der Geburtstag des Namenspatrons der Helmholtz-Gemeinschaft zum 200. Mal. Passend zu diesem Jubiläum liegt die bisher umfassendste deutschsprachige Biographie über Hermann von Helmholtz vor. Autor ist der Historiker David Cahan, der die historischen Beziehungen zwischen moderner Wissenschaft und Gesellschaft untersucht und insbesondere die angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen abgeleiteten Fragen von Wissenschaft und Kultur beleuchtet. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich Cahan mit Hermann von Helmholtz. In dieser Biographie befasst er sich sowohl mit Helmholtz’ Leben und Werk als auch mit dem breiten Kontext der großen Entwicklungen in Wissenschaft und Kultur des 19. Jahrhunderts. David Cahans historische Forschung zeigt eindrucksvoll, welche Rolle Helmholtz bei dieser Entwicklung hatte. Seine Biographie gibt nicht nur Aufschluss über eine faszinierende und herausragende Forscherpersönlichkeit, sondern auch über Helmholtz’ privates Leben, die Kontakte zu Forscherkollegen sowie über die Zeit und die kulturelle Umgebung, in der Hermann von Helmholtz lebte. Entstanden ist ein außerordentlich eindrucksvolles Werk.

Auch wenn die Naturwissenschaften immer rascher voranschreiten, bleibt Helmholtz ausgesprochen zeitgemäß, indem er Disziplinen begründete und Gesetzmäßigkeiten beschrieb, die heute wirkmächtiger sind denn je zuvor. Mit seinem interdisziplinären und kollaborativen Ansatz ist er hochaktuell. Wir werden die leistungsstarke Helmholtz-Gemeinschaft in seinem Sinne konsequent weiterentwickeln.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre und grüße Sie freundlich.

Otmar D. Wiestler

Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft

Helmholtz

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