Читать книгу Poetry for Future - David Friedrich - Страница 12
ОглавлениеChristofer mit f
Das große Verschlingen
Im Süden der Welt,
wo türkise Wellen samtig sanfte weiße Strände streicheln,
wo das Sonnenlicht der Armut und dem Elend schmeichelt,
wo’s das ganze Jahr hindurch, im Gegensatz zur Arktis,
für das Tragen jeder Kleidung arg zu warm ist,
wo Eroberer auf Insulaner trafen
und heute Touris unter Palmen schlafen,
trog einst die Lethargie …
Denn schon ein paar Kilometer vor der Küste
eines Landes, das sich seiner Schönheit brüstet,
direkt unter dem Spiegel
zwischen den Riffen und unter den Flügeln
der Rochen, die durch gebrochenes
Sonnenlicht schwebten, brodelte Leben,
konnten Korallen unentdeckt von Besuchern
bunt und bizarr bis ins Endlose wuchern.
Wohin selbst die langen Arme
der Instagram-Promis nicht reichen,
konnten Polypen und seltene Fischarten laichen.
Konnten Oktopoden hinter Tintenwolken toben,
Kalmare und Kraken einander mit Tentakeln bekakeln.
Konnten Seepferdchenmänner,
jenseits tradierter Geschlechterrollenbilder,
eifrig den Nachwuchs behüten
und die Eier der Weibchen ausbrüten.
Konnten sich Haie in Herden vermehren
und zahllose Junge gleich lebend gebären.
Konnten Schollen und Quallen, Langusten und Schwämme,
konnten Barsche, Makrelen und Fische mit Kämmen
wild durcheinander einander bejagen,
sich miteinander symbiotisch vertragen
und schwimmen und treiben und kraxeln
und dabei wie die Wildschweine schnackseln!
Noch vor Jahrzehnten war die Welt hier in Ordnung,
bis aber plötzlich die Schwärme verschwanden
und sich die Krabben auf dem Rückzug befanden.
Als mit einem Mal alle Korallen erblichen
oder den Heeren von Urlaubern wichen,
weil auch das, was Äonen andauert,
ganz einfach endet, wenn die Meere versauern
und die Landschaft verschandeln,
weil sich jede Oase in einen Friedhof verwandelt.
Und so bleibt kein Fleck auf diesem Planeten,
den wir nicht verseuchten,
in unserer Gier nach Moneten,
die wir gar nicht bräuchten,
und wir zerstören – stehend auf Bergen aus Toten,
ohne zu wissen, was wir nicht verstehen –,
wenn nicht mit Gewehren oder mit Schloten,
dann allerspätestens mit Polyethylen.
Wo ungeheuer krasse Wassermassen
auf angepassten Ungeheuerkörpern lasten,
unter dem Meer, das in ungefähr so schwer
wie tausend Elefanten
jenseits jeder menschlichen Konstante
wiegt,
wo es hinter schroffen Klippen noch mal steil bergab geht,
wo selbst Reinhold Messners Bart und Haare
Richtung Meeresspiegel absteh’n,
lebt dem hohen Druck zum Trotze unbeschwert
und von Räubern oder Feinden unversehrt
und ohne Schaden
auf dem Grund im Marianengraben
und gerade deshalb äußerst heiter
und dazu noch wie kein Zweiter
zum Leben in großer Tiefe befähigt
ein kleiner Fisch mit Namen Pseudoliparis swirei.
Dort, wo ihm kein Mensch auf den Keks geht,
weil er auf Schwärze und winzigen Krebs steht.
Von Gestalt eher zierlich, klein, weiß und transparent,
entgegen dem Trend in der Tiefsee nicht luminiszent,
schlängelt er sich durch ein behäbiges Leben
einem vermeintlich ewig währenden Frieden entgegen.
Wenn da nicht selbst unter dem Meer
alles voll mit Plastik wär’,
in dem er sich, und sei er auch noch so behände,
letztendlich verfängt und qualvoll verendet.
Und so bleibt kein Fleck auf diesem Planeten,
den wir nicht verseuchten,
in unserer Gier nach Moneten,
die wir gar nicht bräuchten,
und wir zerstören, stehend auf Bergen aus Toten,
ohne zu wissen, was wir nicht verstehen.
Wenn nicht mit Gewehren oder mit Schloten,
dann allerspätestens mit Polyethylen.
»Und was kann eigentlich ich dafür?«,
fragt derweil der sprichwörtliche kleine Mann,
der an all dem nicht alleine schuld sein kann,
rechts hinten in der Kneipe am Stehtisch.
Versuch’s gar nicht erst mit Verantwortungsethik.
Zwischen Aktiendepots und Börsenkursen,
zwischen Rentenniveaus und Klimakurven,
zwischen Konkurrenzdruck und Arbeitsplatzsorgen,
zwischen »Heute ein Schnitzel« und »Scheiß doch auf Morgen«,
zwischen Dürrerekorden und Artensterben.
zwischen Mindestlohn und Altersbeschwerden,
»Wie viele Flüchtlinge sollen es noch werden?«,
zwischen Polkappenschmelze und Staatsversagen,
Demokratiedefizit und Treibhausgasen,
zwischen dem neunten und dem zehnten Pils
und einer Ölkatastrophe in der Karibik
sind Leben und Arbeit längst mehr als nur schwierig,
mehr als nur hart
und werden noch schwerer,
denn die Erde wird karg
und die Meere noch leerer.
»Aber es muss doch irgendwie weitergehen«, sagt jeder
und jede, das, liebe Menschen, das ist der Fehler.
Es hat längst begonnen: das große Verschlingen.
Der Frühling ist da, nur keine Vögel, die singen.