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Christofer mit f

Das große Verschlingen

Im Süden der Welt,

wo türkise Wellen samtig sanfte weiße Strände streicheln,

wo das Sonnenlicht der Armut und dem Elend schmeichelt,

wo’s das ganze Jahr hindurch, im Gegensatz zur Arktis,

für das Tragen jeder Kleidung arg zu warm ist,

wo Eroberer auf Insulaner trafen

und heute Touris unter Palmen schlafen,

trog einst die Lethargie …

Denn schon ein paar Kilometer vor der Küste

eines Landes, das sich seiner Schönheit brüstet,

direkt unter dem Spiegel

zwischen den Riffen und unter den Flügeln

der Rochen, die durch gebrochenes

Sonnenlicht schwebten, brodelte Leben,

konnten Korallen unentdeckt von Besuchern

bunt und bizarr bis ins Endlose wuchern.

Wohin selbst die langen Arme

der Instagram-Promis nicht reichen,

konnten Polypen und seltene Fischarten laichen.

Konnten Oktopoden hinter Tintenwolken toben,

Kalmare und Kraken einander mit Tentakeln bekakeln.

Konnten Seepferdchenmänner,

jenseits tradierter Geschlechterrollenbilder,

eifrig den Nachwuchs behüten

und die Eier der Weibchen ausbrüten.

Konnten sich Haie in Herden vermehren

und zahllose Junge gleich lebend gebären.

Konnten Schollen und Quallen, Langusten und Schwämme,

konnten Barsche, Makrelen und Fische mit Kämmen

wild durcheinander einander bejagen,

sich miteinander symbiotisch vertragen

und schwimmen und treiben und kraxeln

und dabei wie die Wildschweine schnackseln!

Noch vor Jahrzehnten war die Welt hier in Ordnung,

bis aber plötzlich die Schwärme verschwanden

und sich die Krabben auf dem Rückzug befanden.

Als mit einem Mal alle Korallen erblichen

oder den Heeren von Urlaubern wichen,

weil auch das, was Äonen andauert,

ganz einfach endet, wenn die Meere versauern

und die Landschaft verschandeln,

weil sich jede Oase in einen Friedhof verwandelt.

Und so bleibt kein Fleck auf diesem Planeten,

den wir nicht verseuchten,

in unserer Gier nach Moneten,

die wir gar nicht bräuchten,

und wir zerstören – stehend auf Bergen aus Toten,

ohne zu wissen, was wir nicht verstehen –,

wenn nicht mit Gewehren oder mit Schloten,

dann allerspätestens mit Polyethylen.

Wo ungeheuer krasse Wassermassen

auf angepassten Ungeheuerkörpern lasten,

unter dem Meer, das in ungefähr so schwer

wie tausend Elefanten

jenseits jeder menschlichen Konstante

wiegt,

wo es hinter schroffen Klippen noch mal steil bergab geht,

wo selbst Reinhold Messners Bart und Haare

Richtung Meeresspiegel absteh’n,

lebt dem hohen Druck zum Trotze unbeschwert

und von Räubern oder Feinden unversehrt

und ohne Schaden

auf dem Grund im Marianengraben

und gerade deshalb äußerst heiter

und dazu noch wie kein Zweiter

zum Leben in großer Tiefe befähigt

ein kleiner Fisch mit Namen Pseudoliparis swirei.

Dort, wo ihm kein Mensch auf den Keks geht,

weil er auf Schwärze und winzigen Krebs steht.

Von Gestalt eher zierlich, klein, weiß und transparent,

entgegen dem Trend in der Tiefsee nicht luminiszent,

schlängelt er sich durch ein behäbiges Leben

einem vermeintlich ewig währenden Frieden entgegen.

Wenn da nicht selbst unter dem Meer

alles voll mit Plastik wär’,

in dem er sich, und sei er auch noch so behände,

letztendlich verfängt und qualvoll verendet.

Und so bleibt kein Fleck auf diesem Planeten,

den wir nicht verseuchten,

in unserer Gier nach Moneten,

die wir gar nicht bräuchten,

und wir zerstören, stehend auf Bergen aus Toten,

ohne zu wissen, was wir nicht verstehen.

Wenn nicht mit Gewehren oder mit Schloten,

dann allerspätestens mit Polyethylen.

»Und was kann eigentlich ich dafür?«,

fragt derweil der sprichwörtliche kleine Mann,

der an all dem nicht alleine schuld sein kann,

rechts hinten in der Kneipe am Stehtisch.

Versuch’s gar nicht erst mit Verantwortungsethik.

Zwischen Aktiendepots und Börsenkursen,

zwischen Rentenniveaus und Klimakurven,

zwischen Konkurrenzdruck und Arbeitsplatzsorgen,

zwischen »Heute ein Schnitzel« und »Scheiß doch auf Morgen«,

zwischen Dürrerekorden und Artensterben.

zwischen Mindestlohn und Altersbeschwerden,

»Wie viele Flüchtlinge sollen es noch werden?«,

zwischen Polkappenschmelze und Staatsversagen,

Demokratiedefizit und Treibhausgasen,

zwischen dem neunten und dem zehnten Pils

und einer Ölkatastrophe in der Karibik

sind Leben und Arbeit längst mehr als nur schwierig,

mehr als nur hart

und werden noch schwerer,

denn die Erde wird karg

und die Meere noch leerer.

»Aber es muss doch irgendwie weitergehen«, sagt jeder

und jede, das, liebe Menschen, das ist der Fehler.

Es hat längst begonnen: das große Verschlingen.

Der Frühling ist da, nur keine Vögel, die singen.

Poetry for Future

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