Читать книгу Poetry for Future - David Friedrich - Страница 18
ОглавлениеJan Cönig
Wald Thing
Zwischen dichten Fichten, übermannshohen Tannen:
Wo Spinnen Gespinste in die Astgabeln spannen,
spielen Hase und Rehkitz, Bache und Keiler
zwischen Moos und Gewächs, Wiese und Weiler.
Spechte morsen Gruselgeschichten für die Mäuse,
der Boden ist voll Leben, die Blätter voll Läuse.
Vögel zwitschern, in der Ferne grillt die Grille,
die Stimme des Waldes schwingt dezent durch die Stille.
»Anna, Hassan, Mirjam, Leo, Fabian, Cansu, Dennis, Songül, Justin, Albert, Katharina, Steve! Kommt mal her. Durchzählen! 12. Okay. Los geht’s.«
Ich bin auf Walderkundung mit 12 Grundschulkindern. Damit die kleinen städtischen Smartphoneprofis mal was über die Natur lernen.
Ich zeige auf eine Pflanze. »Wisst ihr, was das ist?«
»Ein Baum«, sagt Fabian.
»Fast«, sage ich. »Das ist eine Brennnessel.«
»Au«, sagt Dennis, der sie natürlich angefasst hat.
»Wisst ihr, was das ist?«, frage ich. So schnell gebe ich nicht auf.
»Eine Brennnessel«, antwortet Justin.
»Fast. Das ist ein Ameisenhügel.«
»Und was ist das für eine Pflanze?«, fragt Albert.
»Das ist ein Stein.«
»Ich habe auch einen Stein«, sagt Steve.
»Nein, du hast Hundekot«, sage ich.
»Katharina hat einen Vogel getötet«, ruft Hassan aufgeregt.
»Hab ich nicht!«, sagt Katharina, die gerade ein Selfie mit einer toten Amsel macht.
»Wusstet ihr, dass Tannenzapfen nach der Fibonacci-Folge angeordnet sind?«, versuche ich noch mal mein Glück.
»Was sind Tannenzapfen?«
»Wer hat die angeordnet?«
»Was ist Fibonacci?«
Bevor ich antworten kann, meldet sich Mirjam: »Mein Handy sagt, das sind Kiefernzapfen. Weil Tannenzapfen wachsen nach oben und Kiefernzapfen nach unten.«
»Mein Papa ist Kiefernorthopäde!«, ruft Justin stolz.
»Genau. Und da hinten läuft ein Einhörnchen den Baum rauf«, antworte ich. Die Kinder folgen neugierig meinem Blick.
»Mein Handy sagt, es gibt keine Einhörnchen!«, sagt Cansu.
»Ihr packt jetzt mal alle eure Smartphones weg«, sage ich.
»Aber ich habe so eine App, die kennt alle Pflanzennamen.«
»Schön für die App. Aber ihr sollt das selbst wissen.«
»Wieso?«, mischt Albert sich ein.
»Weil … vielleicht gibt es irgendwann keine Smartphones mehr.«
Erschrockene Blicke.
»Wieso?«, fragt Hassan.
»Weiß ich nicht. Vielleicht kollabiert die Weltwirtschaft und es gibt keinen Strom mehr.«
»Sicher wegen Trump«, meint Leo.
»Nein, nicht wegen Trump.«
»Wieso dann?«
»Das ist doch jetzt egal. Was machst du denn, wenn du im Wald bist und dein Akku ist leer?«
»Ich habe eine Powerbank!«, ruft Cansu stolz.
»Die ist auch leer.«
»Wieso bin ich im Wald?«, fragt Mirjam.
»Vielleicht weil Zombies in der Stadt sind«, meint Fabian.
»Nein, es sind keine Zombies in der Stadt.« Langsam verliere ich die Geduld.
»Warum sind wir dann im Wald?«, fragt Mirjam wieder.
»Weil euch jemand ausgesetzt hat.«
»Wer?«, fragt Dennis.
»Irgendwer.«
»Wieso?«, fragt Fabian.
»Wegen Trump.«
Das stellt die Kinder zufrieden.
»Leo, heb sofort das Bonbonpapier auf!«
»Aber ich lege eine Spur. Wie bei Hänsel und Gretel. Damit wir zurückfinden.«
»Hänsel und Gretel haben Brotkrumen ausgelegt«, antworte ich.
»Meine Mama sagt, Essen wirft man nicht weg«, sagt Hassan.
»Außerdem«, holt Leo aus, »haben die Vögel das Brot gefressen. Wenn sie Müll ausgelegt hätten, wären sie nicht verloren gegangen.«
Das ist ein bisschen dumm und ein bisschen schlau.
»Schaut doch mal, was für Tiere ihr hier im Wald findet.«
»Ich hab einen Vogel«, sagt Katharina.
»Hier sind Spinnen«, sagt Hassan.
»Iiiiiih!«, sagt Katharina.
Songül entdeckt eine Schnecke.
»Schau mal, Dennis, sogar die Schnecke hat ein Haus. Und deine Eltern haben nur eine Wohnung.«
»Durchzählen!«, rufe ich, um die Situation zu retten. »13. Wer bist du denn?«
Vor mir steht ein kleiner, neugieriger Junge.
»Max«, sagt er fröhlich.
»Herr Cönig, lebt Max hier im Wald?«, fragt Justin.
»Ja«, antworte ich.
»Und wo sind seine Eltern?«
»Die sind weg.«
Max weint.
»Vielleicht sollten Sie mal seine Eltern anrufen, Herr Cönig.«
»Gute Idee. Aber mein Akku ist leer.«
»Hast du keine Powerbank?«
»Nein, ich habe keine Powerbank.«
»Haben deine Eltern dich auch im Wald ausgesetzt, Herr Cönig?«
»Nein, das haben sie nicht!«
Die Eltern von Max kommen vorbei, schnappen sich ihren völlig verstörten Sohn und gehen kopfschüttelnd weiter.
»Wisst ihr«, sage ich zu den Kindern, »die Natur ist so was wie die Powerbank von uns Menschen.«
»Kann man mit Natur sein Handy laden?«
»Nein, ich meine das metaphorisch.«
Leere Blicke.
»Das ist ein Bild.«
»Mein Handy sagt, das ist ein Baum.«
Ich atme tief ein.
»Die Natur gibt uns Kraft und Energie und Sauerstoff. Wir brauchen die Natur, wie das Handy die Powerbank.«
Kurzes Schweigen.
»Und was ist mit den Tieren?«, fragt Songül.
»Was soll denn mit den Tieren sein?«
»Ist die Natur für die Tiere auch eine Powerbank?«
»Ja. Die Natur ist für alle eine Powerbank.«
»Nicht für meinen Vogel, der ist tot«, sagt Katharina.
»Auch der ist Teil vom natürlichen Kreislauf. Ein Tier, das stirbt, wird von anderen Tieren gegessen, die dann weiterleben und einen Beitrag leisten.«
»Ich glaube, wir sind auch im Kreis gelaufen«, sagt Leo. »Hier liegt ein Bonbonpapier! Nee, ist gar nicht von mir.«
»Vielleicht hat jemand anders auch eine Spur gelegt«, meint Albert.
»Nein«, sage ich. »Das ist einfach nur Müll, den irgendwer in den Wald geworfen hat.«
»Aber wieso machen die Leute das, Herr Cönig?«
»Weil sie nicht nachdenken.«
»Ist doch voll dumm!«
»Ich passe auf meine Powerbank immer gut auf.«
»Haben die keinen Herr Cönig, der ihnen das verbietet, Herr Cönig?«
»Nein, das haben sie nicht.«
»Können wir hier bitte aufräumen, Herr Cönig?«
»Ja, von mir aus.«
»Darf ich meinen Vogel mit nach Hause nehmen, Herr Cönig?«
»Auf gar keinen Fall!«
Zwischen dichten Fichten, übermannshohen Tannen
fangen die Kinder an, den Müll einzusammeln.
Neugierig gehen wir dann noch etwas weiter
über Moos und Gewächs, Wiese und Weiler.
Spechte morsen Gruselgeschichten für die Kleinen,
die ohne App und Smartphone so richtig glücklich scheinen.
Vögel zwitschern, in der Ferne lachen die Bachen;
die Natur ist perfekt, wenn wir sie nicht kaputt machen.