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Die post-methodische Ära

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Diskussionen um methodische Ansätze und die mittlerweile fokussierten Prinzipien für ein erfolgreiches Fremdsprachenlernen, haben Überlegungen dahingehend angestoßen, ob wir uns nicht in einer post-methodischen Ärapost-methodische Ära befinden, in einer Zeit also, in der man nicht mehr davon sprechen kann, dass man eine bestimmte MethodeMethode oder einen bestimmten AnsatzAnsatz verwendet (vgl. z.B. Summer 2012). Insbesondere die universelle Gültigkeit (und damit die Wirksamkeit) einer einzelnen Methode oder eines einzelnen Ansatzes, wie sie von ihren Befürwortern häufig proklamiert wurde, wird in Frage gestellt (vgl. Prabhu 1990).

Aktuell gilt international wie auch in Deutschland aufgabenorientiertes Fremdsprachenlernen/-lehrenAufgabenorientierung (Task-based Language Teaching, TBLT) als Ausprägung des kommunikativen Ansatzes als das Nonplusultra, wir können sogar selbst als Befürworter dieses Ansatzes benannt werden (z.B. Leupold 2008/2010, Gerlach et al. 2012). Obwohl Lernaufgaben häufig als sehr offenes Instrumentarium für methodisch-didaktische Entscheidungen (und daher auch im deutschsprachigen Raum eher als „Ansatz“, weniger als „Methode“ wie international) charakterisiert werden, wird auch an TBLT wiederholt Kritik geübt. Schon 1999 führte Seedhouse beispielsweise auf, dass vermeintlich als interaktiv konzipierte Aufgaben tatsächlich nur wenig Sprache auf Seiten der Lernenden produziert. Auch wird die Wirksamkeit von TBLT generell für größere Lerngruppen in Frage gestellt (vgl. Swan 2005), primär dann, wenn der Ansatz beispielsweise in Ländern implementiert wird, in denen traditionell eher geschlossenere Unterrichtsformen Anwendung finden wie beispielsweise in Asien (vgl. Hu 2002). Und auch deutsche Lehrwerke und -materialien zeigen (noch) keine durchgehend stringente Verwendung (komplexer) Lernaufgaben wie sie von Willis/Willis (2007) oder Hallet (2012) konzeptualisiert werden.

Zu einer post-methodischen Ära gehört damit in unseren Augen auch, dass Fremdsprachenlehrkräfte selbst sich keinem bestimmten Ansatz verpflichtet fühlen. In Gesprächen mit Lehrerinnen und Lehrern zur Vorbereitung dieses Buches wurde von diesen primär ziel- bzw. kompetenzorientiert mit dem Fördern der kommunikativen Kompetenz argumentiert, keine Lehrkraft führte aber dezidiert Lernaufgaben, Aufgabenorientierung, traditionelle Methoden oder Ähnliches an. Das methodisch-didaktische Repertoire für modernen Fremdsprachenunterricht ist damit eher eklektischer Natur, bedient sich also verschiedenster Konstrukte und Konzepte, die der Fremdsprachenunterricht einfordert oder – und das ist uns an dieser Stelle besonders wichtig – welche die Fremdsprachenlehrkraft situativ als notwendig interpretiert. Dadurch klafft auch ein Stück weit eine Lücke zwischen der fachdidaktischen Theorie und der realen Unterrichtspraxis, die logischerweise von Lehrkräften wiederholt bemängelt wird. Penny Ur (2013), die die Englischdidaktik international geprägt hat, bekräftigt die sehr individuelle Ausführung seitens der Fremdsprachenlehrkräfte als „situierte bzw. situative Methodologie“, die wir an späterer Stelle hinsichtlich unserer Idee des kontextsensiblen Fremdsprachenunterrichts noch weiter vertiefen werden:

Many successful teachers […] are in fact using situated methodologies in their classrooms, rejecting any particular method in favour of a selection of principles and procedures that accord with their own sense of plausibility and are appropriate to the local context. (ebd.: 473)

Ein ebenfalls internationaler Vertreter eines „post-methodischen Zeitalters“ in der Fremdsprachendidaktik ist Bala Kumaravadivelu (2003/2006), der zum einen den traditionellen Methoden wie auch dem kommunikativen Ansatz unterstellt, dass sie in der Vergangenheit primär zum Zwecke der Imperialisierung bzw. Förderung von Abhängigkeiten genutzt werden und zum anderen die Begrenztheit des Begriffs der „MethodeMethode“ an sich als für die heutige Zeit unpraktikabel kritisiert. Für Kumaravadivelu bedeutet das Festhalten am Methodenbegriff ein Warten auf die perfekte, Fremdsprachenlernen ultimativ ermöglichende Methodik, die niemals kommen wird.

Moment der Reflexion

Kumaravadivelu unterstellt Methoden eine gewisse (imperialistische) Ideologie. Auch wenn dieser Gesichtspunkt für den deutschsprachigen schulischen Fremdsprachenunterricht von geringer Relevanz zu sein scheint, ist sein Argumentationsstrang durchaus interessant: Kumaravadivelu argumentiert, dass durch die Ausbildung nicht-muttersprachlicher Fremdsprachenlehrkräfte in anderen Ländern (z.B. indische Englischlehrkräfte in Indien) bestimmte methodische Ansätze benutzt werden, um das Fremdsprachenlernen zu fördern. Gleichzeitig werden diese Ansätze dafür genutzt, dass sowohl die Fremdsprachenlehrkräfte wie auch die -lernenden durch den Kompetenzzuwachs und die Grenzen, die die entsprechende Methode aufweist, in einer gewissen Abhängigkeit verbleiben. Dies könnte auf den deutschen Fremdsprachenunterricht insofern übertragen werden, als dass die Dominanz des Lehrwerks – sofern sie nicht von der Lehrkraft aufgebrochen wird – hier auch eine gewisse Steuerung übernimmt. Und dies gilt offenbar nicht nur für unseren Kontext, was im Zusammenhang mit den Diskussionen um eine post-methodische Ära und die Rolle von Lehrwerken deutlich wird:

The concept of method has not been replaced by the concept of postmethod but rather by an era of textbook-defined practice. What the majority of teachers teach and how they teach … are now determined by textbooks. (Akbari 2008a: 647)

Was denken Sie: Steht hinter den Diskussionen um Fremdsprachenlernen im deutschsprachigen Raum und den hier verwendeten Materialien und Lehrwerken eine gewisse „Ideologie“?

Gut zu wissen

In der internationalen Englischdidaktik hat der Dogme-Ansatz von Scott Thornbury und Luke Meddings für viel Wirbel gesorgt (vgl. Meddings/Thornbury 2009). Ihr Werk versteht sich als Fundamentalkritik am Gebrauch von LehrwerkenLehrwerk im Fremdsprachenunterricht, „an over-reliance on materials and technical wizardry in current language teaching“ (ebd.: 6). Ihnen geht es um nichts weniger als die Emanzipation der Fremdsprachenlehrkraft: „The emphasis on the here-and-now requires the teacher to focus on the actual learners and the content that is relevant to them.“ (ebd.) Meddings und Thornbury sehen durch eine Überladung des Fremdsprachenunterrichts mit Unterrichtsmaterialien die Gefahr, dass elementare Ziele des kommunikativen Ansatzes verloren gehen. Ihr „dogmatischer“, puristischer Ansatz hingegen fokussiert stark auf Konversation und Interaktion, einen daraus resultierenden geringen Einsatz von Unterrichtsmaterialien und eine starke Berücksichtigung der sich lernerseitig entwickelnden Sprache und Sprachmuster (z.B. als Interlanguage).

Kritisiert wurde der Ansatz interessanterweise häufig kontextbezogen, z.B. wenn bestimmte Curricula oder Standards in unterschiedlichen Ländern oder Institutionen die Verwendung von bestimmten Materialien vorgeben oder wenn Lehrkräfte aufgrund starker Belastung kaum die Möglichkeit haben, flexibel und bei einer hohen Heterogenität der Lerngruppe selbst ausreichend Input (mündlich oder visualisiert) zu generieren, um Lernen zu ermöglichen.

Kumaravadivelu (2006: 69) schlägt basierend auf seiner fundamentalen – und damit natürlich auch nicht unumstrittenen – Kritik eine post-methodische Pädagogik für den Fremdsprachenunterricht vor, die auf drei Grundpfeilern basiert: Partikularität, Praktikabilität und Possibilität. Diese beschreibt er folgendermaßen:

Particularity “seeks to facilitate the advancement of a context-sensitive, location-specific pedagogy that is based on a true understanding of local, linguistic, social, cultural, and political particularities” […]

Practicality “seeks to rupture the reified role relationship between theorizers and practitioners by enabling and encouraging teachers to theorize from their practice and to practice what they theorize” […]

“Possibility seeks to tap the sociopolitical consciousness that students bring with them to the classroom so that it can also function as a catalyst for identity formation and social transformation.” (ebd.)

Die Praktikabilität bezieht sich dementsprechend in methodischer Hinsicht bereits auf den Aspekt der „situierten Methodologie“, die auch Ur (2013) formuliert. Partikularität und Possibilität fokussieren stärker auf die jeweiligen soziokulturellen Kontexte, die auch darauf zielen, im pädagogischen Sinne die Lernenden zu mündigen wie auch kritischen Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen. Kumaravadivelus post-methodische Pädagogik ist geprägt von zehn Makrostrategien, welche – lokal und kontextsensibel interpretiert – die Mikrostrategien des unterrichtlichen Alltags prägen (Kumaravadivelu 2003: 545–546):

1 Maximize learning opportunities.

2 Minimize perceptual mismatches.

3 Facilitate negotiated interaction.

4 Promote learner autonomy.

5 Foster language awareness.

6 Activate intuitive heuristics.

7 Contextualized linguistic input.

8 Integrate language skills.

9 Ensure social relevance.

10 Raise cultural consciousness.

Moment der Reflexion

Wie stellen Sie sich vor, Kumaravadivelus Strategien in Ihrem Unterricht umzusetzen? Wie maximieren Sie Lerngelegenheiten in Ihrem Fremdsprachenunterricht? Wie fördern Sie die Autonomie der Lernenden? Wie stellen Sie sicher, dass Ihr Unterricht eine soziale Relevanz hat und ein kulturelles Bewusstsein fördert?

Überlegen Sie sich pro Strategie mindestens ein Beispiel und diskutieren Sie diese mit jemandem.

Die Tatsache, dass die aktuellen Diskussionen um den Fremdsprachenunterricht davon ausgehen, dass wir uns in einer post-methodischen Ära bewegen oder dass wir zumindest keine eindeutig effektive Methode kennen, sondern situativ als Lehrkraft die wichtigsten Prinzipien mittels angemessener Ansätze erfüllen möchten, macht die methodisch-didaktische Diskussion nicht einfacher. Die langjährige Suche nach der einen Methode, die alle Bedürfnisse der Lernenden egal welchen Alters erfüllt, musste schon lange auch aufgrund der komplexen Unterrichtssituation und der heterogenen Lernvoraussetzungen aufgegeben werden. Britta Viebrock fasst diese Anforderungen zusammen, indem sie schreibt, „teachers can no longer rely on clear-cut and established models of language teaching, but have to demonstrate perceptual competences, context sensitivity and a sense of situational relevance“ (2018: 52; Hervorhebungen im Original). Damit einher geht für sie auch eine kritische Bewertung der eigenen Praxis hinsichtlich der Unterrichtsgegenstände und der eingesetzten Methoden. Penny Ur (2013) schlägt aus der eher kontextbedingten Methodenwahl den Begriff der „situated methodology“ vor, auch Engelbert Thaler (2010) tritt gegen die Verabsolutierung entweder sehr geschlossener oder sehr offener methodischer Settings ein und nennt dies „balanced teaching“, argumentiert also ebenfalls aus der Sicht der Lehrenden, die den Fremdsprachenunterricht gestalten. Wichtiger als die Methodendiskussion erscheint daher, dass Lehrerinnen und Lehrer über ein breites fremdsprachendidaktisches (und natürlich auch allgemeinpädagogisches/erzieherisches) Wissen verfügen, das sie flexibel einsetzen können. An späterer Stelle (vgl. 4.3) wird dazu das Konzept der „AdaptivitätAdaptivität“ vorgestellt, die Fähigkeit, sich an bestimmte Begebenheiten – KontextfaktorenKontextfaktor, wie wir sie nennen – anzupassen. Betont werden soll an dieser Stelle noch, dass dieses Studienbuch es nicht leisten kann, das umfassende fremdsprachendidaktische Wissen zu vermitteln, das für diese Adaptivität und das fremdsprachenunterrichtliche Handeln nötig ist. Es wird jedoch im Zuge der verschiedenen Kontextfaktoren modernen Fremdsprachenunterrichts auf unterschiedliche Konzepte und Wissensformate zurückgreifen, die zur Bewältigung unterschiedlicher Situationen und Adressierung diverser Lernvoraussetzungen nötig sind.

Zusammenfassung

In diesem einleitenden Kapitel wurde versucht, Schule, Unterricht und unterrichtliches Handeln zu skizzieren, wie es sich heute für angehende Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer sowie für erfahrene Lehrkräfte darstellt. Die Entwicklung hin zur heutigen Ausprägung bestimmter Unterrichtskonzepte, die durch veränderte administrative Vorgaben, neuere Forschungsergebnisse und gesellschaftliche Umwälzungen bedingt sind, wird nachgezeichnet. Die wechselseitigen Einflüsse und Abhängigkeiten legen es nahe, auch im Zusammenhang von Schule und Unterricht von einem Ökosystem zu sprechen, also einem dynamischen System von Faktoren, die sich gegenseitig bedingen und die als funktionale Einheit in Wechselwirkung stehen. Das Bewusstsein und das Selbstverständnis, als Lehrkraft Teil dieses Systems zu sein, ist wichtig (und bedürfte einer viel stärkeren Aktualisierung in der Ausbildung), um aktiv im Unterrichtsalltag zu agieren und um sich nicht als getriebene, fremden Einflüssen ausgesetzte Person zu verstehen, die nur noch reaktiv handeln kann.

In den folgenden Kapiteln wird diese Vision einer aktiven, für Veränderungen sensiblen Lehrkraft weiter ausgeführt.

Weiterführende und vertiefende Literatur

Einen Überblick über die aktuellen Diskussionen im Fremdsprachenunterricht aus methodisch-didaktischer Perspektive bieten die einschlägigen Einführungswerke. Um nicht alle für jede moderne Fremdsprache zu nennen, seien hier stellvertretend die Fremdsprachendidaktik von Helene Decke-Cornill und Lutz Küster (2015) sowie die Sammelbände Handbuch Fremdsprachendidaktik von Wolfgang Hallet und Frank G. Königs (2013) und Handbuch Fremdsprachenunterricht von Eva Burwitz-Melzer et al. (2016) genannt.

Kontextsensibler Fremdsprachenunterricht

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