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1.2 Qualitätsmerkmale von (Fremdsprachen-)Unterricht

Ausgehend von den Bildungsstandards könnte man konstatieren, dass Fremdsprachenunterricht dann „gut“ ist, wenn die Lernenden die Standards erreichen. Leider sagt dies natürlich noch nichts darüber aus, wie ein solches Ziel letztlich erreicht wird. Auch scheint man in der Fremdsprachendidaktik vorsichtig zu sein mit normativen Aussagen dahingehend, was im Unterricht gemacht werden sollte oder eben nicht, was also dezidiert QualitätsmerkmaleQualitätsmerkmale eines gelingenden Fremdsprachenunterrichts sein könnten. Wenn darüber hinaus Kriterienkataloge für guten Fremdsprachenunterricht aufgestellt werden, sind sie selten spezifisch fremdsprachendidaktisch formuliert, sondern können häufig auch auf andere Fächer übertragen werden.

Allgemeinpädagogische Qualitätsmerkmale

Allgemeinpädagogisch fallen im deutschsprachigen Raum im Zusammenhang mit Qualität und Unterricht insbesondere drei Namen: Hilbert Meyer, Andreas Helmke und John Hattie.

1 Hilbert Meyer (2016) stellt zehn Kriterien auf, die guter Unterricht erfüllen sollte. Hierzu gehören z.B. eine klare Strukturiertheit, ein lernförderliches Klima und die Maximierung echter Lernzeit. Ihm geht es mit diesen Kriterien primär um die Unterrichtsgestaltung an sich, die sich zwar auch – interpretiert durch die Lehrkraft – den konkreten Bedingungen anpassen soll, eine echte Kontextgebundenheit findet sich jedoch nicht.

2 Andreas Helmke (2015) formuliert ein Angebot-Nutzen-Modell von Unterricht (im Anschluss an Fend 1981 und die DESI-Studie) und betrachtet darin zum einen die Prozessebene des Unterrichtens (z.B. Unterrichtsstruktur, Motivation durch die Lehrkraft) und die Produktebene, also inwiefern das durch den Unterricht entstehende Angebot durch Lernaktivitäten genutzt wird und welchen Ertrag diese Interventionen haben (z.B. im Sinne von Lernzuwachs, Motivationssteigerung). Für ihn hat auch der Kontext, in dem dieses Angebot durch Lernen und Lernzuwächse genutzt wird, eine besondere Rolle. Als Kontextfaktoren nennt er: kulturelle Rahmenbedingungen, regionaler Kontext, Schulform und Bildungsgang, Klassenzusammensetzung, didaktischer Kontext sowie Schul- und Klassenklima.

3 John Hattie (2014) hat in seiner vielrezipierten Meta-Meta-Analyse von Unterricht und Schule eine Hitliste lernförderlicher und -hinderlicher Faktoren anhand ihrer sogenannten Effektstärken herausgearbeitet. Auch wenn die quantitativ vereinfachte Darstellung häufig kritisiert wurde und sie meist genauerer Betrachtung und Analyse der zugrundegelegten Studien bedarf, hat Hattie einen besonderen Punkt immer wieder herausgestellt: Die Lehrkraft steht als unmittelbar gestaltende Person im Mittelpunkt eines qualitätsorientierten Unterrichts. Und: Lehrkräfte sollen ihren eigenen Einfluss und den ihrer Interventionen auf die Lernenden für sich selbst reflexiv wahrnehmbar machen („Know thy impact!“).

Moment der Reflexion

Recherchieren Sie eines der oben vorgeschlagenen Konzepte für guten Unterricht und überlegen Sie, welche konkreten Konsequenzen sich aus den Vorgaben für Ihr unterrichtliches Handeln als Fremdsprachenlehrerin bzw. Fremdsprachenlehrer ergeben.

Fremdsprachendidaktische Qualitätsmerkmale

Die fächerübergreifenden Erkenntnisse, die neben diesen drei namhaften Akteuren auch viele weitere Expertinnen und Experten produziert haben, bedürfen immer einer fachdidaktischen Interpretation: Welche Schlüsse können für den Fremdsprachenunterricht gezogen werden? Was bedeuten „Strukturiertheit“, „TransparenzTransparenz“, „Direkte Instruktion“ und „FeedbackFeedback“ für den Fremdsprachenunterricht? Wie kann eine lernförderliche Umgebung für das Lehren und Lernen einer fremden Sprache gestaltet werden?

Insbesondere was die Interaktionsprozesse sowie die je anteilige Bedeutung von Lehrkraft und Lernenden im Fremdsprachenunterricht angeht, haben Nold und Roters (2010) einige Erkenntnisse und Schlüsselstellen aus den einschlägigen Untersuchungen hinsichtlich des Sprachenlernens zusammengestellt. Dazu gehören beispielsweise:

 die Rolle von Form- und Inhaltsfokussierung,

 die Rolle von motivationalen und lernstrategischen Lernprozessen,

 die Bedeutung und Verteilung des Sprechanteils von Schülerinnen und Schülern,

 die Bedeutung der Geduld von Lehrerinnen und Lehrern, auf Schülerantworten zu warten,

 die differenzierte Rolle des Deutschen im Unterrichtsdiskurs […],

 die Bedeutung von Schüleräußerungen über Ein-Wort-Sätze hinaus,

 die Betonung der Formulierarbeit, verbunden mit einer Engführung des Lehrer-Schüler-Diskurses,

 einen positiven Umgang mit Fehlern, verbunden mit der gezielten Möglichkeit zur Selbstkorrektur oder Korrektur durch Mitschüler,

 positive Wirkung von bilingualen Programmen (bilingualer Sachfachunterricht und CLIL). (ebd.: S. 47)

Wolfgang Gehring (2015) leitet anhand der Erkenntnisse aus der Sprachlehr- und -lernforschung sowie in der Fremdsprachendidaktik anerkannten Prinzipien siebzehn Aspekte ab, die er für die Planung – in seinem Fall – guten Englischunterrichts als essentiell ansieht:

 Das Vorwissen der Lernenden wird aktiviert und integriert.

 Der Lerninput ist verständlich und nachvollziehbar.

 Die Leistungserwartungen werden verständlich kommuniziert.

 Das, was verstanden werden soll, wird kontinuierlich gesichert.

 Das Maß des Verstandenen wird kontinuierlich überprüft.

 Viele Fehler werden als Merkmal von Sprachentwicklung gewürdigt.

 Übungen und Aufgaben bedienen Lernansprüche und überschreiten sie.

 Lehr- und Lernphasen fördern die Selbsttätigkeit und leiten zum Lernen und Üben an.

 Die Lernumgebung fordert und sorgt für Erfolgserlebnisse.

 Die Lernangebote berücksichtigen vorgefundene Leistungsniveaus.

 Das Gelernte wird gesichert, wiederholt und vertieft.

 Erarbeitung und Verarbeitung sind ausgewogen.

 Das Lehrkonzept begünstigt das Hypothesentesten und versorgt mit Feedback.

 Vielfältige Angebote der Sprachbenutzung sorgen für hohen Aktivanteil.

 Methodenpluralismus ist Kernelement.

 Der Unterricht lässt Raum für Experimente mit der Lernsprache.

 Aufgaben regen auch zur Analyse und zur Problemorientierung an. (ebd.: S. 23)

Im Anschluss an die weiter oben bereits erwähnten BildungsstandardsBildungsstandards und die allgemeinen Diskussionen in den einschlägigen Fremdsprachendidaktiken ist guter Fremdsprachenunterricht damit kompetenzorientiert, fördert also einerseits die sprachlichen Fertigkeiten – auch vor dem Hintergrund einer interkulturellen kommunikativen Kompetenzinterkulturelle kommunikative Kompetenz –, gleichzeitig aber auch methodische (Sprachlern-)Kompetenzen sowie SprachbewusstheitSprachbewusstheit. Die von Meyer, Helmke und Hattie formulierten Maßgaben bedeuten für den Fremdsprachenunterricht, dass eine Lernumgebung didaktisch-methodisch in einer bestimmten Weise strukturiert werden muss, um dieses kompetenzorientierte Sprachenlernen im Sinne der Kriterien von Nold/Roters sowie Gehring möglichst ungehindert stattfinden zu lassen. Dann können auf der Performanzebene Lernfortschritte (Kompetenzzuwächse) für die Lehrkraft sichtbar werden und sie kann beispielsweise im Optimalfall erkennen, welche Aspekte des Unterrichts welchen Ertrag an der Entwicklung der Lernenden haben. Die einschlägigen Studien sind sich weitgehend darin einig, dass insbesondere der Lehrkraft eine entscheidende Bedeutung für das Zustandekommen eines hochwertigen, lerner- und kompetenzorientierten Unterrichts zukommt.

Bildungspotenzial des Fremdsprachenunterrichts

Die bisherigen Ausführungen könnten den Anschein erwecken, dass Lehren und Lernen im Fremdsprachenunterricht hier als ein recht instrumentelles oder gar technokratisches Unterfangen verstanden werden soll. Schnell könnte man vermuten, dass das Beherrschen der sprachlich-kommunikativen Fertigkeiten ausreiche, um die Ziele des (institutionellen) Fremdsprachenunterrichts zu erfüllen. Dem ist mitnichten so! Andreas Bonnet und Uwe Hericks verbinden mit einem Bereich des Fremdsprachenunterrichts „funktional-pragmatische Ziele“ (Bonnet/Hericks 2014: 90), während in dem Bereich der Arbeit an kultur- oder literaturdidaktischen Gegenständen „reflexiv-emanzipatorische Ziele“ (ebd.) erreicht werden können. Vielmehr sind also die funktional-kommunikativen Kompetenzen Mittel zum Zweck, um den Austausch mit zielsprachlichen Kulturen (und Personen anderer Muttersprachen) zu ermöglichen, über „fremde“ Gegenstände zu diskutieren und so den individuellen Horizont zu erweitern:

Immerhin wird allgemein anerkannt, dass das Fach [hier am Beispiel des Englischunterrichts; Anmerkung D.G./E.L.] entscheidend an der Vermittlung von zentralen Erfahrungen, Werten und Fähigkeiten für das Leben in der modernen, heterogenen Gesellschaft beteiligt ist, indem es dafür Sorge trägt, Diversität und Andersartigkeit erfahrbar zu machen, angefangen von der unterschiedlichen Lautung und den anders gelagerten Ausspracheregeln in einer fremden Sprache bis hin zu den Konventionen der Interaktion, der Gesprächsgestaltung und den textuellen Großformen (Genres) im Schreiben wie im mündlichen Diskurs. (Vollmer 2016: 78)

Insofern kann auch Meinert Meyer nur zugestimmt werden, wenn er aus Sicht der Subjekte, der Lernenden im Fremdsprachenunterricht, herausstellt:

Gebildet ist nicht, wer weitreichende fremdsprachlich-kommunikative Kompetenzen in vielen Sprachen nachweisen kann – das ist nur nützliches Wissen. Gebildet ist vielmehr, wer aus diesem Kompetenzprofil heraus sieht, in welcher besonderen Weise seine Sicht der Welt subjektiv ist. […] Fremdsprachenunterricht ist bildend, wenn die fremden Sprachen so vermittelt werden, daß die Schüler die in ihnen artikulierte fremdsprachige „Weltsicht“ erfahren können, und wenn ihnen dabei ermöglicht wird, die prinzipiell nicht aufhebbare Andersartigkeit der Anderen zu erfahren. Bildung ist das aufgeklärte Bewußtsein der Subjektivität dieser je eigenen Weltansicht. (Meyer 1993: 135; Hervorhebung im Original)

Wenn interkulturelle kommunikative Kompetenzinterkulturelle kommunikative Kompetenz als Kernelement von Bildung im Fremdsprachenunterricht herausgestellt wird, muss gleichzeitig attestiert werden, dass dieses übergeordnete Ziel nur schwer messbar ist. Als Grundlage für die Auseinandersetzung z.B. mit zielsprachlicher Literatur gilt selbstverständlich die Förderung von Fertigkeiten, Grammatik und Wortschatz. Aber stellt sich eine cultural awareness automatisch dadurch ein, dass man sich interaktiv mit einem Text auseinandergesetzt hat, diesen bezüglich der eigenen Einstellungen hinterfragt und dann ggf. in einem Rollenspiel umgesetzt hat? Möglicherweise, vielleicht sogar tatsächlich, eventuell aber eben auch nicht.

Die im Zusammenhang mit Bildungsstandards häufig aufkommende Kritik, dass diese weder viel mit Inhalten noch mit BildungBildung zu tun hätten, birgt einige Chancen: Wenn Inhalte „beliebiger“ sind, sollten diese nicht verschwinden zugunsten isolierter Fertigkeitsförderung, vielmehr bietet sich dadurch die Chance, aktuelle, für die Lernenden (bzw. den gesamten Kontext) im inter-/transkulturellen Sinn relevante Inhalte (möglicherweise auch jenseits der dezidiert zielsprachlich normalerweise anvisierten Kulturen) im Unterricht zu thematisieren. Damit soll nicht die Bedeutung bestimmter zentraler Themen oder Texte für die verschiedenen Fremdsprachen herabgesetzt werden, sie haben weiterhin eine zentrale Wichtigkeit. Dem Prinzip der LernerorientierungLernerorientierung folgend müssten sie jedoch stärker den Kontext des Fremdsprachenunterrichts berücksichtigen, in dem sie aufgegriffen und behandelt werden. Um dies zielführend umsetzen zu können, sind zwei Voraussetzungen wichtig: Zum einen ist die Kenntnis der verschiedenen Faktoren wichtig, die den Kontext Fremdsprachenunterricht ausmachen (Kapitel 3), zum anderen ist der Fremdsprachenunterricht als sozial-kulturelle Praxis zu verstehen, bei der die beteiligten Personen (Lehrkraft und Lernende) sowohl mit (fremdsprachlichen) Inhalten als auch miteinander interagieren und die für sich je individuelle Bedeutung aushandeln. Ein Verständnis für diese UnterrichtskulturUnterrichtskultur (Kapitel 2) des fremdsprachlichen Unterrichts ist damit von großer Bedeutung.

Im Fremdsprachenunterricht wurden und werden die Qualität und der Lernertrag häufig bezüglich der Umsetzung von Unterricht insbesondere in methodischer Hinsicht betrachtet, weswegen die Diskussion um die aktuelle Rolle von Methoden im Fremdsprachenunterricht nun angeschlossen werden soll.

Kontextsensibler Fremdsprachenunterricht

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