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5 ISIS

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Als ich mit der Zucchini und den beiden Tomaten nach Hause komme, rechne ich mit einer freudigen Begrüßung . Aber die Stimmung ist im Keller.

»Gibt es ein Problem?«, frage ich, als ich das lange Gesicht meines Vaters sehe.

Er senkt schweigend den Kopf. Meine Mutter antwortet an seiner Stelle.

»Dein Vater hat heute Morgen keine Arbeit bekommen«, erklärt sie.

Das ist schon das zweite Mal in dieser Woche. Keine Arbeit heißt kein Essen. Geld gibt es in unserem Slum schon lange nicht mehr. Die Arbeiter versammeln sich morgens auf dem Hauptplatz der Stadt und stehen an, damit die Arbeitgeber sie mit auf eine Baustelle oder in eine Fabrik nehmen. An guten Tagen bekommt jeder eine Arbeit und kann abends eine Ration Lebensmittel mit nach Hause bringen. Die Regierung nennt das »maximale Flexibilität«. Ich nenne das Sklaverei, was meinen Vater immer auf die Palme bringt. Aber heute Abend habe ich keine Lust auf eine Diskussion mit ihm. Er sieht zu niedergeschlagen aus. Mehr denn je ist mir bewusst, wie wichtig es für meine Familie ist, dass ich einen guten Schulabschluss mache. Ich muss uns alle aus diesem Elend herausholen. Ich werde mich noch mehr anstrengen, am besten noch einen zweiten Wecker stellen, und auf gar keinen Fall darf ich noch mal mit einem Unantastbaren zusammenstoßen. Wenn ich von der Schule fliegen würde, würde das meinem Vater den Rest geben, da bin ich sicher.

Plötzlich komme ich mir lächerlich vor mit meinem armseligen Gemüse. Ich lege es auf den Tisch. Meine Mutter wirft einen dankbaren Blick darauf. Immerhin bleiben unsere Mägen heute Abend nicht ganz leer.

»Glaubst du, morgen wird es besser?«, frage ich meinen Vater.

Er lächelt mich an.

»Natürlich, mein Schatz. Man muss mit Vertrauen in die Zukunft blicken, hat dein Großvater immer gesagt. Ein tapferer Mann, dein Großvater. Stark.«

So stark, dass er mit gerade mal fünfzig Jahren an Erschöpfung gestorben ist. Ich habe ihn kaum gekannt. So soll mein Vater nicht enden.

»Verdammte Roboter«, knurre ich.

»So darfst du nicht reden, Isis. Das ist der Fortschritt, das ist alles.«

Seit ein paar Jahren sind die Roboter so gut, dass sie nach und nach alle menschlichen Arbeitskräfte ersetzen. Mit körperlich schweren, aber eher einfachen Tätigkeiten hat es im Lauf des letzten Jahrhunderts angefangen. Mittlerweile arbeiten die Maschinen aber genauso gut, wenn nicht sogar besser als Menschen. Wie soll man mit Blechmännern mithalten, die rund um die Uhr schuften, ohne sich je zu beschweren? Es gibt also immer weniger Arbeit für immer mehr Arbeitskräfte. Und die Fabrikleiter erwarten von den Arbeitern, dass sie so schnell arbeiten wie die Maschinen. Es kommt nicht selten vor, dass ein Arbeiter vor Erschöpfung aufs Fließband kippt.

»Morgen gehe ich zur Essensausgabe vom NEP«, sagt meine Mutter.

»Nein, Sandra«, widerspricht mein Vater. »Ich weiß doch, welche Angst du davor hast. Die Leute schrecken vor nichts zurück, nur um einen lausigen Energieriegel zu ergattern. Es ist zu gefährlich. Morgen stehe ich früher auf. Dann bekomme ich auf jeden Fall etwas.«

Ich höre meine Mutter seufzen. Früher. Heute Nacht hat sein Wecker um drei Uhr geklingelt. Noch früher geht es kaum.

»Hattest du einen guten Tag, mein Schatz?«, wechselt mein Vater das Thema.

»Äh, ja. Ja, sehr gut.«

Ich bin eine schlechte Lügnerin, aber niemand merkt es, also macht es nichts. Wie soll ich ihnen auch erzählen, dass ich um ein Haar von der Schule geflogen wäre?

»Ich glaube, der Mathetest ist ganz gut gelaufen.«

»Sehr schön«, sagt mein Vater. »Sehr schön.«

»Ich habe auch eine gute Neuigkeit«, verkündet meine Mutter.

Alle Köpfe drehen sich zu ihr.

»Tante Lily hat ihre jährliche Botschaft geschickt!«

Zach lässt seine Bauklötze liegen und kommt zu uns in die Küche, wo es schon zu dritt ziemlich eng ist. Tante Lily. Ich habe nur vage Erinnerungen an sie, und nicht nur gute. Lily ist die ältere Schwester meiner Mutter. Als ich klein war, hat sie mich immer in die Wange gekniffen und behauptet, ich sei brillant. Sie war glückliche Gewinnerin einer der ersten Lotterien des NEP vor zehn Jahren. Sie, ihr Mann und ihr Sohn James haben ein Ticket nach New Earth gewonnen. Seit über drei Jahren lebt sie jetzt auf dem neuen Planeten, und jeden Sommer bekommen wir eine Nachricht von ihr. Das NEP musste die private Kommunikation zwischen der Erde und ihrem entfernten Zwilling stark einschränken, weil sie angeblich extrem hohe Kosten verursacht. Ich habe noch nie verstanden, wie die Übertragung von Informationen überhaupt etwas kosten kann, aber ich muss zugeben, dass ich mich mit den Einzelheiten der Raumfahrt auch nicht besonders gut auskenne.

Meine Mutter öffnet die Nachricht auf dem Monitor, der durch eine Solarzelle auf dem Dach unserer Baracke betrieben wird. Ich ertappe mich dabei, dass ich hoffe, dass der gespeicherte Strom nicht ausreicht, damit uns Tante Lilys Geschwafel über ihr Glück erspart bleibt, während wir hier fast verhungern.

Der kurze Film ähnelt dem vom letzten Jahr. Lily ist ein bisschen älter geworden. Sie hat zugenommen. Das droht uns jedenfalls nicht. Dann zeigt Lily uns Bilder von ihrer Farm, ihren Tieren, ihrem Sohn James, der verdammt groß geworden ist. Man sieht ihn mit nacktem Oberkörper beim Holzhacken. Groß und stark ist er. Irgendetwas irritiert mich, aber ich kann nicht sagen, was es ist. Ich runzle die Stirn. Plötzlich habe ich das Gefühl, dass es wichtig ist. Aber sosehr ich mir auch den Kopf zerbreche, ich komme nicht drauf. Lily strahlt, ihr Mann auch. Meine Mutter hat Tränen in den Augen.

»Können wir es noch mal sehen?«, bittet Zach.

»Ich geh ins Bett«, brumme ich.

»Aber Isis … Wir haben doch noch gar nicht gegessen«, protestiert meine Mutter.

»Keinen Hunger. Außerdem hab ich noch Hausaufgaben.«

Das stimmt natürlich nicht. Weder das mit dem Hunger noch das mit den Hausaufgaben. Mein Magen jault, aber ich denke an meinen kleinen Bruder und an meine Eltern. Sie hatten heute keine warme Mahlzeit wie die, die ich in der Schulkantine hinuntergeschlungen habe. Deshalb überlasse ich ihnen wenigstens unsere kargen Vorräte. Ich kann morgen wieder in die Kantine gehen.

Und auf keinen Fall schaue ich mir noch ein zweites Mal Folge drei von Tante Lily im Glück an. Nicht mal unter Folter.

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