Читать книгу Der Traumlord - David Pawn - Страница 3
I.
ОглавлениеDer Wald wurde zunehmend dunkler und unwirklicher und Michael, der Gute Träumer, wusste, dass er ihn niemals nachts durchstreifen durfte. Aber mittlerweile sank bereits die Sonne und die Abenddämmerung kündigte sich an wie eine böse Fee. Es wäre an der Zeit gewesen, diesen Wald zu verlassen, aber um umzukehren, war es vermutlich zu spät, und eine Lichtung oder gar das Ende des Waldes waren nicht in Sicht.
Als Michael auf seinem Weg in den Wald hineingeritten war, hatte dieser sich grün, sonnig und freundlich gezeigt. Bunt schillernde Regenbogenvögel waren durch die Luft geschwirrt und hatten ihren einförmigen Ruf erschallen lassen. Ein langgestrecktes Seufzen, das an einen Liebhaber erinnerte, den es zu seiner Geliebten zieht. Man vermutete lachende Kinder, die sich hinter den hohen Stämmen verbargen und Heidelbeeren von den Büschen naschten, bis sie blaue Lippen und blaue Finger hatten.
Inzwischen aber zeigte sich der Wald als finsterer Dom, in dem Käuze und Uhus mit dumpfen Stimmen um Vergebung beteten. Die Kronen der Bäume schlossen sich über Michael zu einem festen Dach, das ewige Dämmerung für diesen Teil des Waldes bedeutete, aber er wusste, dass die Sonne tatsächlich langsam im Westen versank. Er spürte deutlich, wie die Gestalten der Nacht zögernd aus ihren Verstecken krochen und den Wald zunehmend in Besitz nahmen. Ihn fröstelte, obwohl er in warme Wollsachen gekleidet war.
Aber was der Gute Träumer wirklich fürchtete, waren nicht die realen Tiere, die in der Nacht diesen Wald bevölkern würden. was ihm zu schaffen machte, war die Vorstellung, dass ihn dieser Teil des Waldes lebhaft an einen Alptraum erinnerte. Dieser Wald sah plötzlich aus, als würde hinter jedem Stamm ein Troll oder ein Goblin hocken, als würden riesige Schlangen im Geäst der Bäume lauern und sich langsam auf einen Reiter hinabsenken. Das Unterholz, ein Verhau undurchdringlich wie die Mauern von Sameth, rückte beharrlich näher und näher dem Pfad zu. Bald würde dieser verschwunden sein, und dann wusste er wirklich nicht, wohin er sich wenden sollte. Dieses Unterholz war gewiss bevölkert von Spinnen groß wie Suppenteller. Michael wollte nicht darüber nachdenken, was eventuell noch in diesem Gewirr aus Ästen, Dornen und Schlingpflanzen hockte und lauernd aus grünen Augen auf ihn blickte. Er wusste, dass dieser Wald zuerst ein ganz gewöhnlicher Wald gewesen, aber dann düsterer und unwirklicher geworden war, je tiefer er in ihn eingedrungen war. Inzwischen war es der Wald eines furchtbaren Alptraums, und das bedeutete, dass wahrscheinlich der Traumlord hinter allem steckte, und genau das machte ihm Angst.
Es knackte hinter Michael im Unterholz und er fuhr herum. Er riss dabei so heftig am Zügel, dass sein Pferd sich aufbäumte und ihn beinahe abgeworfen hätte. Aus dem Unterholz flog etwas auf. Es war kein Kauz, aber fast so groß. Die Flügel waren allerdings die eines Hautflüglers. Michael atmete auf, als das geflügelte Tier sich in entgegengesetzter Richtung entfernte. Er war kein Kämpfer, kein Held. Er war nur ein Guter Träumer, vielleicht der letzte. Viele hatten ihre guten Träume verloren. Der Traumlord hatte sie ihnen geraubt und sie vegetierten hilflos dahin. Michael wandte den Blick von dem sich entfernenden Riesenhautflügler ab und sah wieder nach vorn auf den Pfad. Da sah er das Monster.
Das Wesen war noch fünfzig Schritt entfernt und sah gewaltig aus. Michael wusste sofort, dass es genau die Art von Gräuel war, wie sie der Traumlord ausschickte, um seine Gegner zu beseitigen. Es sah nicht nur aus, als wäre es einem Alptraum entsprungen, es war tatsächlich so. Es war groß und unförmig und aus der Entfernung wirkte es irgendwie träge. Aber der Gute Träumer war sich ziemlich sicher, dass es äußerst flink sein würde, wenn es darum ging, einem Gegner den Kopf abzubeißen oder die Gedärme herauszureißen. Das Wesen stampfte auf sechs Säulenbeinen unaufhaltsam näher und stieß die links und rechts des Weges wachsenden Bäume einfach um. Es tat dies mit der Leichtigkeit einer Kugel, die Kegel umwirft. Michael begriff, dass er nur wenig Zeit hatte, um zu handeln. Er spürte schon den heißen Atem des Monsters in seinem Gesicht. Er hätte die Ledermaske aufsetzen können, aber das würde ihm so wenig nützen wie ein Degen gegen einen Wirbelsturm. Was er jetzt wirklich brauchte, war ein Guter Traum.
Michael, der Gute Träumer, schloss die Augen und blickte tief in sich hinein.
Als er die Augen wieder öffnete, war der Weiße Ritter an seiner Seite und bereit, mit dem Monster zu kämpfen. Michael hatte den diesen schon einmal kämpfen sehen und hoffte, dass er das Untier besiegen würde.
Der Weiße Ritter saß in aufrechter Haltung, den Blick entschlossen nach vorn gerichtet auf einem schlohweißen Pferd, dessen Nüstern Feuer spien wie die des Monsters. Bei jedem ungeduldigen Hufschlag des Pferdes stoben Funken auf. Der Weiße Ritter trug eine silberglänzende Rüstung, in der sich die Strahlen einer Sonne spiegelten, die in diesem Waldesdickicht gar nicht zu sehen war. Das Visier war heruntergelassen. Nur durch die Sehschlitze erkannte Michael zwei stahlblaue Augen glänzend wie Geschosse. In der Rechten hielt der Weiße Ritter ein gewaltiges Schwert. Michael war sicher, dass er dieses nicht würde aufheben können, wenn es der Weiße Ritter im Kampf zu Boden fallen ließ. Er würde es auch nicht einen Millimeter bewegen können. Aber er hatte den Weißen Ritter noch nie dieses Schwert verlieren sehen.
Der Weiße Ritter ritt dem Monster entgegen und beide trafen zehn Schritte von Michael entfernt aufeinander. Das Traumwesen geiferte und spie Feuer aus seinen Nüstern. Wo der Geifer auf den Waldboden tropfte, verschwand zischend der Teppich aus alten Nadeln und Blättern, und nackte, verbrannt aussehende Erde blieb zurück.
Die Schwerthiebe des Weißen Ritters trafen das Monster, doch sie trafen es offenbar nicht richtig. Die Klinge, mit der man hätte einen Felsen spalten können, prallte von dessen ledriger, bläulich schimmernder Haut ab, als schlüge der Weiße Ritter mit einem Stock auf einen Lederball. Der auf einem langen, sich schlangenartig windenden Hals sitzende Kopf des Wesens stieß nach vorn auf den Angreifer zu. Gelbe, spitze Zähne, mehr als Michael je vermutet hätte, starrten aus dem dampfenden Maul heraus. Der Weiße Ritter wich den Attacken des Monsters aus, versuchte, es von der Seite her zu erwischen, aber blitzschnell hatte dieses den Kopf herumgerissen und griff seinerseits den Menschen auf dem weißen Pferd an. Michael schaute dem Kampf mehr mit Interesse als mit Furcht zu. Er war sich des Weißen Ritters sicher, wenngleich dieses Monster sich offenbar als harter Brocken erwies. Es kam darauf an, war weiter gedacht hatte. Wenn der Kampf einmal im Gange war, konnten weder er noch der Traumlord eingreifen.
Der Weiße Ritter ließ sein Pferd um das Monster herumtänzeln wie ein Kunstreiter bei einer Vorführung, Irgendwo unter dem strahlenden Helm saß ein Kopf und in diesem Kopf jagten sich fieberhaft Gedanken, auf welche Weise dieses grässliche Vieh zu besiegen war. Es musste eine verwundbare Stelle haben. Das waren die Regeln. Und denen konnte sich selbst der Traumlord nicht entziehen. Sie waren ewig und nicht zu brechen.
Vielleicht hatte sich der Weiße Ritter zu sehr in seine Überlegungen vertieft, vielleicht war er nur ein wenig unachtsam. Plötzlich und für ihn überraschend setzte das Monster seinen auf dem langen Hals pendelnden Kopf wie einen Morgenstern ein. Es schlug seinen Schädel, der die Größe eines Bären hatte, gegen die linke Seite des weißen Ritters und schleuderte ihn aus dem Sattel. Der Weiße Ritter landete mit einem Krachen auf dem Waldboden, dass Michael glaubte, die Rüstung würde in lauter kleine Splitter bersten, doch noch war der Weiße Ritter zumindest am Leben und hielt sein Schwert mit beiden Händen umklammert. Er hatte es in jenem Moment fester gepackt, als ihn die Wucht des Anpralls aus dem Sattel schleuderte. Dennoch sah die Lage plötzlich wenig gut für den Helfer des Guten Träumers aus. Als es ihm gelungen war, sich auf den Rücken zu wälzen, stand das riesige Monster über ihm. Mordlust sprang aus seinen schwefelgelben Augen hervor.
Michael sah das alles und dachte daran, dass sein Kampf mit dem Traumlord beendet sein würde, ehe er ihn richtig begonnen hatte. Er sah den Weißen Ritter zerstampft auf dem Waldboden liegen und sich selbst versengt von dem feurigen Atem des Monsters. Michael wusste, dass alle Hoffnungen für die Menschen im Reich schwanden, wenn er starb. Er hatte sich entschlossen, den Traumlord herauszufordern, weil er noch viele gute Träume hatte und wusste, sie einzusetzen. Aber der Traumlord war ein starker, verschlagener und außerdem rücksichtsloser Kontrahent. Diese Kreatur schien unbesiegbar. Es war zu Ende.
Das Monster war stark. Es war riesig. Es hatte eine Haut, die das Schwert des Weißen Ritters nicht ritzen konnte. Und es war dumm.
Da der weiße Ritter zu seinen riesigen Füßen lag, auf dem Rücken und nicht in der Lage ihm auszuweichen, hätte es einfach über ihn hinwegtrampeln und ihn zermalmen können. Aber seine Mordgier war so gewaltig, dass es ihm wohl den Kopf abreißen und diesen verschlingen wollte. Es schoss mit dem Schädel nach vorn und sperrte gleichzeitig den riesigen Rachen auf soweit es konnte. Die Zähne im Maul erinnerten an eine bewehrte Burgmauer. Da erkannte der Weiße Ritter die verwundbare Stelle. Er sah sie ganz deutlich. Am oberen Gaumen pulsierte in regelmäßigem Takt ein Blutgefäß dicht unter der Haut.
Es blieb nur eine Sekunde Zeit, aber für den Weißen Ritter war sie ausreichend. Er stieß das Schwert nach oben in den klaffenden Rachen hinein, durchbohrte die pulsierende Stelle, die er erkannt hatte und rollte sich gleich darauf behände zur Seite, damit ihn das ätzende Blut nicht traf.
Er hatte richtig gehandelt. Die Lebensflüssigkeit des Untiers schoss gleich dem scharfen Wasserstrahl eines Geysirs aus dessen Maul. Der Strahl bohrte ein Loch in den Waldboden, in dem ein Mann aufrecht stehend Platz gefunden hätte. Der Monsterschädel fiel krachend auf den Boden herab, als wäre er vom Rumpf getrennt worden. Michael spürte ein leichtes Beben, als der Kopf aufschlug und wusste, dass der Schlag selbst den Weißen Ritter zerquetscht hätte wie ein Insekt.
Die Augen des Monsters verfärbten sich in ein stumpfes grau. Ein-, zweimal noch peitschte der Schwanz den Waldboden und wirbelte Blätter, Nadeln und Erde auf, dann war es tot. Und kaum war es tot, war es auch verschwunden. Es blieb nur das Loch im Waldboden, das mit einer brodelnden gelben Flüssigkeit gefüllt war und die Spur umgestürzter Bäume auf dem Weg, den es gekommen war.
Der Weiße Ritter erhob sich schwerfällig. Rüstung und Schwert machten ihn in einer Situation wie der eben erlebten durch ihr Gewicht tatsächlich überaus verwundbar. Als er wieder auf seinen beiden Beinen stand (eine Hand stützte sich auf das Schwert), rief er in einer für Michael fremden Sprache sein Pferd. Dies weidete ein wenig abseits, kam aber nun in Windeseile zu seinem Herrn. Hatte es den Weißen Ritter Mühe gekostet, sich vom Boden zu erheben, war es ihm gänzlich unmöglich, wieder auf sein Pferd zu steigen. Also ergriff er es am Zügel und führte es fort aus dem Wald. Er passierte den Guten Träumer und hob den Kopf zu diesem auf. Hinter dem Visier vermeinte Michael zwei lächelnde Augen gesehen zu haben, die ihm viel Glück wünschten. Der Weiße Ritter führte sein Pferd an Michael vorbei und entfernte sich in der Richtung, aus der der Gute Träumer gekommen war. Gewiss war er unterwegs zu neuen Heldentaten. Als sich Michael nach zwei Minuten umwandte, war der Weiße Ritter verschwunden. So musste es sein.