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VII.

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Michael, der Gute Träumer, erreichte den Fluss zwei Tage nach seinem Abenteuer im Wald der ewigen Finsternis. Und er fand die Brücke hinüber genau an jener Stelle, an der sie auf der Karte eingezeichnet war.

Anfänglich hatte Michael befürchtet, auf einen Trick des Traumlords hereingefallen zu sein. Er fand einfach keine andere Erklärung dafür, weshalb in einem völlig verlassenen Dorf am Rande einer Maiswüste noch ein Händler seinen Laden offenhalten sollte. Alles sah ganz so aus, als wäre dieser Händler nur dort gewesen, weil er, der Gute Träumer, dieses Dorf passieren musste. Als habe dieser Händler an diesem wüsten Ort nur auf ihn gewartet, um dann so schnell wie möglich seine sieben Sachen zu packen und zu verschwinden. Aber je länger Michael den auf der Karte eingetragenen Wegen folgte, umso mehr zweifelte er an der Fallen-Theorie. Die Karte stimmte auffallend. Sie war so gut, dass es schon verwunderlich war, dass sie hier im Reich gezeichnet worden sein sollte. Auch hatte Michael, wenn er es genau bedachte, noch nie zuvor so helles Papier gesehen oder gar in den Händen gehalten. Papier war in seiner Erinnerung immer gelblichbraun und mit Holzfasern durchsetzt, die man deutlich erkennen konnte. Für all das fand Michael keine befriedigende Erklärung.

Freilich, die Karte hatte ihn in jenen Wald geführt, wo er von einem Monster des Traumlords attackiert worden war, aber wenn er es recht bedachte, so konnte der Traumlord ebenso ein grauenhaftes Wesen auf einer blühenden Sommerwiese erscheinen lassen. Es hätte ihm sicherlich auch keine Mühe gemacht irgendeinen Drachen herbei zu zitieren, der den Guten Träumer auf seinem Weg angriff. Es war ihm aber offenbar noch nicht eingefallen.

Jetzt hatte der Gute Träumer den Fluss erreicht, dessen Name laut Karte Askar war. Der Gute Träumer musste den Fluss überqueren und ihm dann folgen. Etwa tausend Schritt von der Brücke entfernt, vollführte der Fluss eine starke Biegung nach Süden und schnitt durch ein Gebirge, dessen Wände steil links und rechts des Flussufers aufragten. Hier hatte der Askar sich tief in den Fels eingeschnitten und die Härte des Basalts besiegt. Wenn Michael dieses Gebirge dem Fluss folgend passiert hatte, war er noch eine knappe Tagesreise von Asgood entfernt, jener Stadt, in der ein Stern darauf wartete, von ihm entdeckt und auf seine weitere Reise mitgenommen zu werden.

Wieder einmal spendierte der Frühling großzügig einen seiner wunderbaren Tage für die Menschen im Reich. Was immer der Traumlord auch tat, der Sonne konnte er die Kraft und die guten Träume von Schönheit und Lebendigkeit nicht rauben. Sie widerstand ungebrochen seiner Macht. Der Fluss lag als blaues Band inmitten einer grünen Landschaft. Träge zog er seine Bahn unter der Brücke hinweg, die dringend einen frischen Anstrich benötigte.

Immer wenn der Gute Träumer mit einer Idylle wie jener im Tal des Askar konfrontiert wurde, traten ihm ein paar Tränen in die Augen. Er war nicht wehleidig, aber die Schönheit der Natur, die noch im Reich existierte, stand in einem so harten Kontrast zur brutalen Macht des Traumlords, dass Michael immer an all die Schönheiten denken musste, die dieser Herrscher den Menschen geraubt hatte.

Es gab gewiss keine verträumten Pärchen mehr, die im fahlen Licht des Mondes an den Ufern des Askar entlang flanierten, sich tief in die Augen sahen und dann endlich küssten. Es gab keine Kinder mehr, die durch die Wiesen tollten, Blumensträuße für ihre Mütter pflückten oder Kränze aus Blüten für ihre Haare flochten. Es gab keine alten Männer mehr, die mit glimmenden Pfeifen im Mund auf morschen Kähnen auf dem Askar trieben und Angeln ins Wasser senkten, ungeachtet der Tatsache, dass die Fische viel zu klug waren, um auf die falschen Fliegen zu beißen. Es gab keine Frauen mehr, die auf Bänken entlang des Flusses saßen und die neuesten Belanglosigkeiten austauschten. Diese Dinge waren mit den Träumen der Menschen verschwunden. Sie würden wiederkehren, wenn die Träume wiederkehrten.

In Gedanken versunken war Michael auf der Mitte der Brücke angekommen, als etwa riesiges, schlangenartiges aus dem glatten Spiegel des Flusses hochschnellte, das Wasser aufwirbelte und bis auf die Brücke spritzen ließ. Sofort war der Gute Träumer hellwach.

Tatsächlich hatte sich eine gewaltige Wasserschlange aus dem Fluss erhoben. Sie stand jetzt turmhoch über dem Guten Träumer und züngelte in den blauen Himmel hinein. Ihr Anblick war grauenhaft. Sie ragte gewiss mehr als fünfzig Meter aus dem Wasser auf und Michael wagte nicht zu schätzen, welche Länge der Körper haben mochte, der noch unter der Wasseroberfläche ruhte. Natürlich war sie ein Werk des Traumlords, aber das machte die Situation nicht weniger gefährlich, im Gegenteil.

Die Schlange, deren Körper den Umfang eines kleinen Hauses hatte, verharrte einige Sekunden in der Luft, dann ließ sie sich mit ihrem gesamten Gewicht auf die Holzbrücke fallen, in deren Mitte der Gute Träumer auf seinem Pferd saß. Dieser gab dem Pferd die Sporen. Er wollte das Ende der Brücke erreichen, ehe diese von der Schlange zertrümmert werden würde. Aber seine Reaktion erfolgte eine Zehntelsekunde zu spät. Der Schlangenkörper krachte auf die Brücke. Diese wurde völlig zerschmettert. Gleichzeitig rissen die Verankerungen an beiden Brückenköpfen aus dem Boden, so dass die Enden der Brücke zusammengefaltet wurden, als würde ein Buch geschlossen.

Der Gute Träumer wurde zusammen mit seinem Pferd ins Wasser geschleudert. Er landete keinen Steinwurf von dem gewaltigen Schlangenkörper entfernt im Askar, der noch winterlich kaltes Wasser führte.

Sofort versuchten Pferd und Reiter das rettende Ufer zu erreichen, während die Schlange den Fluss mit ihrem zuckenden Körper in einen reißenden Malstrom verwandelte.

Wasser schlug über dem Guten Träumer zusammen. Mit verzweifelten Schwimmbewegungen versuchte er, wieder die Oberfläche zu erreichen, doch schon schlug die nächste Welle über ihm zusammen. Was aber noch bedrohlicher war, war der gewaltige Schlangenkörper, der sich wie eine Walze beständig näher heranschob.

Wie die Seiten einer riesigen Enzyklopädie durchsuchte der Gute Träumer seine Gedanken nach einem rettenden Einfall. Dies war ein verdammt feuchter Traum, und solche Träume hatten dem Guten Träumer noch nie besonders behagt. Dann erinnerte er sich an die Delphine und Augenblicke später erschienen sie. Es waren mehr, als er erwartet hatte. Sie füllten den Fluss plötzlich aus wie eine übermäßige Menge Sago eine Suppe. Beinahe hätten sie, die sie zur Rettung herbeizitiert worden waren, verhindert, dass Michael zurück zur Oberfläche fand. Aber der Gute Träumer verstand auch, dass er instinktiv richtig gehandelt hatte, als er eine solche Unmenge von Delphinen herbeiträumte, denn nur dadurch konnte die riesige Wasserschlange in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt werden.

Die Delphine drängten den Guten Träumer und sein Pferd aus dem Fluss heraus, schirmten ihn von der tobenden Schlange ab, die die Meeressäuger legionenweise unter sich begrub. Das Wasser des Askar färbte sich tiefrot vom Blut der zermalmten Delphine, doch Michael erreichte das rettende Ufer. Dann war der Spuk in wenigen Augenblicken verschwunden. Die Schlange vernichtete noch tausende Delphine, dann war sie einfach weg. Und auch die Delphine verschwanden, lösten sich scheinbar in Luft auf. Nur ihr Blut blieb im Askar zurück.

Dieses Blut würde dem Guten Träumer in den Fluten des Askar vorauseilen. Es nahm seinen Weg durch die engen Stromschnellen im Gebirge der Stadt Asgood zu, und sollte dort jemand ein Bad im Fluss unternehmen, was kaum glaubhaft schien, wäre dies ein Blutbad im wahrsten Sinne des Wortes.

Michael zuckte bei diesem Gedanken erschrocken zusammen. Deshalb wandte er sich vom Anblick des roten Wassers ab, nahm sein Pferd am Zügel und führte es ein wenig vom Ufer weg, wo er rasten wollte, denn die gerade noch glimpflich überstandene, neuerliche Attacke des Traumlords hatte an seinen Kräften und seinem Mut gezehrt. Außerdem war er durchnässt und fror, denn obwohl die Sonne frühlinghaft warm schien, war das Wasser des Flusses noch eisig gewesen. Es war größtenteils Tauwasser aus den hohen Gebirgen im Westen.

Michael suchte sich einen windgeschützten Platz am Rande einer Baumgruppe, entfachte dort ein Feuer und zog sich die nassen Kleider vom Leib. Er zitterte ein wenig. Um sich zu erwärmen, schlug er die Arme um den Körper zusammen, als wolle er Fliegen vertreiben. Er hüpfte ein wenig ums Lagerfeuer wie Rumpelstilzchen und kam sich höchst lächerlich vor. Hätte ihn in diesen Minuten jemand gesehen, wäre dieser gewiss nicht auf den Gedanken gekommen, den Retter des Reiches vor sich zu haben. Eher hätte er ihn für einen bedauernswerten Geistesgestörten gehalten, wie man sie jetzt im Reich öfters antraf.

Zwei Stunden später waren die Kleider des Guten Träumers wieder trocken genug, um sie anzuziehen. Zu seinem Leidwesen hatte er feststellen müssen, dass er beim Sturz ins Wasser seinen gesamten Proviant eingebüßt hatte. Es war ihm auch nicht möglich, etwas Essbares herbei zu träumen, also saß er mit knurrendem Magen am Feuer und hoffte, Asgood so bald wie möglich zu erreichen.

Noch immer wusste er nicht, was er eigentlich suchen sollte. Folglich hatte er auch nicht die geringste Vorstellung davon, wo er mit der Suche beginnen wollte.

Michael entrollte einmal mehr die Karte und ließ seine Blicke über die gezeichneten Höhenzüge und Täler des Reiches schweifen. Er entdeckte Ramos, sein Heimatdorf im äußersten Nordwesten. Toulux lag östlich von Ramos. Nachdem er den Weisen Stephan verlassen hatte, war sein Weg tatsächlich fast konstant nach Süden verlaufen. Nur selten hatte er geringen Schwenken des Weges folgen müssen. Auf der Karte war auch das merkwürdige Dorf verzeichnet, wo der Händler Mikos ihm diese Karte verkauft hatte. Es hieß Xenos. Mehr erfuhr man auch von der Karte nicht. Als sie gezeichnet worden war, hatten vermutlich noch viele Menschen in Xenos ihr Zuhause gehabt. Nur der Wind, der durch die Maisfelder fuhr, wusste, wo sie geblieben waren, aber er verriet es nicht. Er spielte ihm raschelnden Mais und sang sein altes, stets gleichbleibendes Lied.

Der Wald der ewigen Finsternis war auf der Karte mit einem Zeichen versehen, das in der Legende als Warnzeichen ausgewiesen war. Es empfahl, dieses Gebiet nur bei Tage zu betreten.

‚Ein nützlicher Hinweis‘, dachte der Gute Träumer.

Die Brücke über den Askar musste nun von den Karten, die in Zukunft vom Reich gezeichnet wurden, getilgt werden, es sei denn, es fand sich in der Zukunft ein guter Baumeister, der eine neue Brücke errichtete.

Bis Asgood lag noch etwas mehr als eine Tagereise vor dem Guten Träumer. Er sah auf der Karte, dass es im Osten von Asgood ein Felsmassiv gab, dessen der Stadt zugewandte Seite stark abfiel. Direkt von diesem Felsplateau blickte ein Schloss über die Stadt und die Ebenen, die in drei Himmelsrichtungen an Asgood anschlossen. Wer dort oben stand und von den Zinnen hinabblickte, konnte gewiss mehr als eine Tagereise weit ins Land schauen. Hatte er ein Fernglas, so sah er den Guten Träumer, sobald er das kleine Gebirge passiert hatte, dass der Askar durchschnitt. Michael hatte die vage Vermutung, dass der Stern von Asgood dort auf dem Schloss sein könnte. War dem wirklich so, hätte er im Mittelpunkt der Welt nicht sicherer sein können als dort.

Daran, was ihn erwarten würde, wenn er Asgood verließ, wollte der Gute Träumer gar nicht erst denken. Wenn er die riesige Wüstenregion betrachtete, die sich auf der Karte südöstlich von Asgood ausbreitete, befiel ihn eine lähmende Angst. Er zweifelte, dass er genügend Mut aufbringen würde, diese Wüste zu durchstreifen, wenn er allzu lang über seine Erfolgsaussichten nachgrübelte.

Er lenkte den Blick zurück zur Stadt Asgood. Er dachte, dass es in jeder größeren Stadt einen Markplatz gab, der nicht nur alle Arten von Krämern beherbergte, sondern auch die Heimat aller Gerüchte, Sagen und Legenden einer Stadt war. Wenn es Menschen in Asgood gab, die über den gesuchten Stern Auskunft geben konnten, würde er sie auf dem Markt finden. Natürlich musste er Vorsicht walten lassen, denn schließlich hatte der Traumlord seine Spione vermutlich überall. Jemand der nach dem Stern von Asgood fragte, musste auffallen. Man würde ihn packen und hinter sieben Türen mit jeweils sieben Schlössern in ein finsteres Verließ werfen, wenn er sich nicht genügend vorsah. Oder man würde ihn aus einem Hinterhalt heraus umbringen. Wer konnte das wissen?

Der Gute Träumer rollte die Karte zusammen, löschte das Feuer mit Erde (er hatte keine besonders große Lust, hinab zum Fluss zu gehen und Wasser zu holen) und bestieg sein Pferd. Aller Dinge verlustig, die in den Satteltaschen gewesen waren, aber mit ungebrochenem Willen zum Sieg machte er sich auf den Weg nach Asgood, wo seine Mörder ihn erwarteten.

Der Traumlord

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