Читать книгу Fünf Dinge, die wir nicht ändern können und das Glück, das daraus entsteht - David Richo, David Richo, Дэвид Ричо - Страница 7
Das bedingungslose Ja
ОглавлениеJede der Gegebenheiten oder Bedingungen unserer Existenz wirft die Frage nach unserem Schicksal auf. Sind wir hier, um unseren Willen zu bekommen oder um mit dem Fluss des Lebens zu fließen? Sind wir hier, um sicher zu stellen, dass alles nach unseren Plänen verläuft, oder um auf die Überraschungen und Synchronizitäten, die uns neue Perspektiven eröffnen, zu vertrauen? Sind wir hier, um sicher zu stellen, dass uns niemand übers Ohr haut, oder sind wir hier, um aufrichtig und liebevoll zu sein? Sind wir hier, um Schmerz zu vermeiden, oder um mit ihm umzugehen, an ihm zu wachsen und durch ihn zu lernen, mitfühlend zu sein? Sind wir hier, um von allen loyale Liebe zu empfangen oder um selbst aus vollem Herzen zu lieben?
Die alten Römer sprachen von Amor fati, der Tugend, sein Schicksal zu lieben. Einigen von uns fällt es schwer, mit den Ängsten, die durch unsere Lebensumstände hervorgerufen werden, umzugehen. Wir kämpfen gegen diese Umstände an. C. G. Jung hat die Methode, mit diesen Gegebenheiten umzugehen und sie zur Erfüllung unseres Schicksals zu nutzen, besonders deutlich formuliert. Seiner Ansicht nach sollten wir die Gegebenheiten mit einem bedingungslosen Ja zu dem, was ist, annehmen, ohne subjektive Proteste. Das wäre dann nicht nur eine Akzeptanz der Bedingungen der Existenz, sondern auch eine Akzeptanz unserer eigenen Natur, so wie sie ist. Ein solches Ja ist die Bereitschaft, ohne ein Kissen als Polster auf dem Boden der konkreten Wirklichkeit zu landen. Ein solches Ja macht uns flexibel, stimmt uns auf eine sich ständig verändernde Welt ein und öffnet uns für alles, was das Leben uns bringen mag. Ein solches Ja ist keine stoische Ergebenheit in den Status quo, sondern eine mutige Hingabe – eine Anpassung an die Wirklichkeit.
Trauen wir der Wirklichkeit erst einmal mehr als unseren Hoffnungen, dann wird unser Ja zu einem „Sesam öffne dich“ für spirituelle Überraschungen. In diesem Buch werde ich aufzeigen, wie wir die spirituellen Reichtümer entdecken können, die in unseren schwierigsten Herausforderungen verborgen liegen.
Das „Ja“ ist der tapfere Verbündete der Gelassenheit; das „Nein“ ist der verängstigte Komplize der Angst. Wir finden Hilfe, indem wir Ja sagen und den Gegebenheiten mit Achtsamkeit begegnen – das heißt, durch Furchtlosigkeit und mit geduldiger Aufmerksamkeit für den gegenwärtigen Augenblick. Unterstützt werden wir dabei von der Natur, der Psychologie, den religiösen Traditionen und der spirituellen Praxis. Dies sind die Ressourcen und Werkzeuge, die auf den folgenden Seiten präsentiert werden.
Hamlet spricht von den „tausend Stößen, die unsers Fleisches Erbteil sind“, eine poetische Definition der Gegebenheiten des Lebens. Wenn uns etwas mit jenem schmerzhaften dumpfen Aufprall der unveränderbaren Lebensumstände zustößt, können wir uns fragen: „Was kann ich hierbei lernen? Wozu ist dies gut?“ Wir können lernen, darauf zu vertrauen, dass den Gegebenheiten des Lebens ein transformatives oder evolutionäres Potential innewohnt.
Manchmal mag es uns so vorkommen, als wären die Gegebenheiten des Lebens grausame Streiche, die uns ein rachsüchtiges Universum spielt. Sie können uns wie eine Bestrafung für einen Eigensinn erscheinen, den wir geerbt, aber nicht verursacht haben. Sie mögen sogar wie boshafte Tricks aussehen, die uns das Leben vergällen sollen. Aus antiquierter theologischer Sicht werden sie als Strafe angesehen, die ein rachsüchtiger Gott uns aus dem Garten Eden Vertriebenen für unsere „Erbsünde“ auferlegt hat. Das bedingungslose Ja mit seinem impliziten Vertrauen auf die Nützlichkeit der Gegebenheiten für unser Wachstum schneidet durch diese, auf Angst gegründete, Anschauung des Lebens hindurch. Zur Wirklichkeit, zu den Dingen, die wir nicht ändern können, Ja zu sagen – das ist, als entschlösse sich ein Reiter, sich im Sattel umzudrehen und endlich in die Richtung zu sehen, in die das Pferd läuft. Auf diese Weise im Sattel zu sitzen ist Achtsamkeit, eine Würdigung des Hier und Jetzt ohne Ablenkung durch Furcht und Begehren. Achtsamkeit ist ein bedingungsloses Ja zu dem, was ist und wie es ist. Wir begegnen unseren Problemen im Hier und Jetzt, ohne zu protestieren oder jemandem die Schuld zu geben. Ein solches Ja ist bedingungslos, weil es frei ist von Konditionierung durch das neurotische Ego, frei von Furcht, Begehren, Kontrolle, Urteilen, Klagen, Erwartung. Wenn wir achtsam sind, begegnen wir jedem Augenblick mit Offenheit, Neugier und Freundlichkeit. Achtsamkeit ist sowohl ein Seinszustand als auch eine tägliche spirituelle Praxis, eine Form der Meditation.