Читать книгу Auf königlichem Pfad - Deborah Joyner Johnson - Страница 15

Kapitel Drei

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Denn ich, ich kenne meine Pläne, die ich für euch habe – Spruch des Herrn –, Pläne des Heils und nicht des Unheils; denn ich will euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben.

(Jeremia 29,11)

Auf der Karte konnte Zoe erkennen, dass der Schierlingswald ihr erstes Ziel war. Dieses Waldgebiet war aber nicht nur voll von furchterregenden Schierlingsgewächsen, Zoe sorgte sich auch, weil sie viele Geschichten über den Wald gehört hatte. Angeblich gab es dort unzählige wilde Wölfe und riesige Bären. Aber das war noch nicht das Schlimmste an diesem Wald – man sagte auch, er sei verzaubert! Die Leute erzählten sich von bösen Wesen, die immerfort ruhelos den Wald durchstreiften und niemals Ruhe oder Frieden finden konnten. Angeblich war der Wald von so tiefer Finsternis durchdrungen, dass man kaum den Weg vor Augen erkennen konnte – und das selbst am helllichten Tag. Je länger sie auf die Karte starrte, desto zögerlicher wurde sie, ob sie sich in den Wald hineinwagen wollte. Weshalb muss der Weg durch diesen schrecklichen Ort führen? Aber die Einladung besagte, dass sie dem Weg folgen musste, den der König für sie bestimmt hatte. Ihr blieb ganz offensichtlich gar keine Wahl, sondern sie musste durch den Wald wandern.

Sie seufzte, steckte die Karte wieder in ihren Beutel und blickte sich noch ein letztes Mal – wie sie meinte – in ihrem Zuhause um. Sie lächelte zufrieden, denn sie war sehr stolz auf ihr kleines Steinhäuschen. Ihre Augen wanderten zu ihrem Lieblingssessel, wo sie immer sass und nähte … zu der kleinen Feuerstelle aus Stein, wo sie ihre Mahlzeiten zubereitete … zu der Decke auf ihrem Bett, die sie in liebevoller Handarbeit selbst gefertigt hatte … wie sehr sie diesen Ort doch vermissen würde.

Alles war gepackt, und sie war bereit loszuziehen. Bin ich wirklich bereit? Sie konnte das Verlangen in ihrem Herzen nicht leugnen, endlich zu dieser Reise aufzubrechen; deshalb trat sie hinaus, ehe ihre Furcht sie dazu verleiten konnte, sich wieder anders zu entscheiden und in der Sicherheit ihres kleinen Hauses zu bleiben. Sie schloss die Tür hinter sich und betrat schnell den Pfad.

Unwillkürlich drehte sie sich noch einmal um, um einen letzten Blick zurückzuwerfen. Sie betrachtete ihren Gemüsegarten, der so viel Gemüse hervorbrachte, dass sie das meiste davon verschenken musste – den grössten Teil an die Frauen, für die sie nähte. Ach du meine Güte, was soll ich nur mit meinen Auftraggeberinnen tun? Zum Glück hatte sie alle anstehenden Arbeiten erledigt, aber was würden sie denken, wenn sie neue Näharbeiten brachten und sie nicht zu Hause antrafen? Sie beschloss, einen Zettel mit der Nachricht an der Tür zu hinterlassen, dass sie sich bei ihnen melden würde, sobald sie zurück wäre. Sie ging ein letztes Mal an den Bach hinunter, wo sie so viele Stunden damit verbracht hatte, auf das Wasser zu schauen und von fernen Abenteuern zu träumen – und endlich brach sie auf.

Während sie von ihrem Haus fortging, machte sie eine Wendung und fand den vorgezeichneten Weg, und sie begann ihre Reise. Sie kam an einigen kleinen Häuschen vorbei; aber ihre Aufmerksamkeit wurde von den Blumen am Wegrand in Anspruch genommen. Meile um Meile schienen sich die blühenden Tulpenfelder hinzuziehen. Sie sahen aus wie zahllose rote, gelbe und violette Juwelen, als sich die ersten Sonnenstrahlen in dem Tau auf ihren langen Blättern brachen. Sie genoss es in vollen Zügen!

Dann sah sie ihn schon von weitem – den Schierlingswald! Sie versuchte, tief durchzuatmen und ruhig zu bleiben, aber mit jedem Schritt wuchs ihre Beklemmung. Als sie schliesslich am äussersten Rand des Waldes ankam, war ihr bereits übel vor Angst. In ihrem Inneren tobte ein ungeheurer Kampf. Sie wusste, wenn sie jetzt umkehren würde, würde sie den Rest ihres Lebens von Neugier geplagt werden – und tiefe Reue empfinden. Sie wäre in Sicherheit, aber würde sie wirklich leben?

Sie entschied, dass ein Leben voller Bedauern und Reue weit schlimmer wäre als der Weg durch den Wald. Wenn sie jemals wirklich leben wollte, musste sie weitergehen. Trotz ihrer Angst nahm Zoe ihre ganze Kraft zusammen, holte tief Luft und marschierte in den düsteren Wald hinein.

Sie bemerkte sofort die kaffeebraunen Pilze, die überall den mit Moos bedeckten Boden durchbrachen. Unheimliche Ranken hingen von den Bäumen wie Netze, die nur darauf warteten, ihre Opfer einzufangen. Giftige, blühende Schierlingsgewächse wucherten überall. Sie würde sich auf jeden Fall von der trügerischen Schönheit dieser Pflanzen fern halten.

Die klamme Feuchtigkeit, die den ganzen Wald durchzog, liess sie allmählich bis auf die Knochen erschauern. Ihre Furcht wuchs plötzlich ins Unermessliche, als sie mit einem Mal von seltsamen Geräuschen umgeben war, die wie schwere Schritte klangen. Ihre Angst war so gross, dass sie es noch nicht einmal wagte, sich umzusehen. Sollte sie einfach wegrennen oder nur weitergehen? Zoe erinnerte sich an die Zusage des Boten des Königs, dass sie nicht scheitern würde, solange sie nicht stehen blieb. Sie beschloss, alles zu riskieren und auf die Wahrheit dieser Worte zu vertrauen.

Während sie immer weiter in den Wald vordrang, war sie erstaunt, dass sie nichts von hinten angriff. Das Geräusch der Schritte verklang in der tiefen Schwärze. Aber dann fiel die gefürchtete Finsternis, und die unheimliche Stille zerrte sogar noch mehr an Zoes Nerven als das Geräusch der Schritte. Plötzlich waren ihr Gesicht und ihre Haare von einem riesigen Spinnennetz bedeckt, und trotz ihrer schnellen Reaktion hatte sie sich sofort verfangen! Im selben Augenblick sprang eine gewaltige schwarze Spinne sie an. Sie schrie auf, als sie sie auf ihrem Rücken spürte, aber sie konnte sie nicht erreichen. In panischer Angst sprang sie auf und ab und versuchte, das riesige Tier irgendwie abzuschütteln, aber es nützte alles nichts! Endlich fand sie einen Stock, mit dem es ihr gelang, die Spinne fortzuschleudern. Tränen liefen über ihr Gesicht, während sie verzweifelt versuchte, die klebrige Masse abzuwischen. Das Herz schlug ihr noch bis zum Hals, als sie sich schliesslich auf einen umgestürzten Baumstamm fallen liess, um sich wieder zu beruhigen. Und das ist erst der Anfang!

Nachdem sie einige Male tief durchgeatmet hatte, erinnerte sie sich wieder an ihren Traum, richtete ihre ganze Willenskraft auf Remira aus und machte sich erneut auf den Weg. Die düstere Finsternis des Waldes umgab sie und schnürte ihr die Luft ab. Sie konnte Schatten vor sich erkennen, als sie weiterging – sie verfolgten sie bei jedem Schritt. Ohne jede Vorwarnung stiess ein weiterer riesiger, noch dunklerer Schatten vor ihr herab, dann hinter ihr. Eine nie gekannte Furcht bemächtigte sich ihrer, so dass sie kaum noch in der Lage war, einen Fuss vor den anderen zu setzen. Dann hörte sie Stimmen, ein Murmeln, das sie nicht verstand, das aber tief in ihre Seele einzudringen schien und sie mit Schrecken erfüllte. Ihre Furcht steigerte sich zu einer solchen Panik, dass sie wusste, sie musste diesen schrecklichen Wald sofort verlassen! Nichts war diese Tortur wert!

Sie wandte sich um und lief so schnell sie nur konnte dem Waldrand entgegen. Der einzige Laut war der Klang ihres eigenen Ringens nach Luft. Alles in ihr flehte darum, dass sich der Wald endlich lichtete. Da hörte sie mit einem Mal Geräusche hinter sich. Zuerst klangen sie noch entfernt, aber sie näherten sich schnell, bis sie ganz davon umgeben war. Die Dunkelheit griff erneut nach ihr, und der Wind heulte und pfiff um sie he­rum, als wollte er sie ganz einhüllen. Ohne jede Vorwarnung überquerten vor ihr zwei Eichhörnchen den Weg. Sie stolperte, und mit einem Mal wurde ihr bewusst, was sie eigentlich gerade tat.

So leicht wollte Zoe nicht aufgeben. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Sie nahm all ihren Mut zusammen, wandte sich wieder um und stapfte entschlossen auf ihren Weg zurück. Während sie dem Weg immer tiefer in den Wald hinein folgte, vernahm sie plötzlich ein neues Geräusch, das beständig lauter wurde. Es war wie der Klang von fernen Trommeln, die immer näher kamen, und ihr Schlag wurde mit jedem nahenden Schritt lauter. Sie keuchte, als sie bemerkte, wie der Lärm näher und näher kam. Inzwischen klang es wie eine Herde Tiere, die direkt auf sie zu preschte. Sie blickte sich rasch um und glaubte mit einem Mal, den Schwanz eines Tieres erkennen zu können, das neben ihr her rannte. Ihre hellen braunen Augen verdunkelten sich vor Furcht, und ihr Herz schlug so laut, dass es in ihren Ohren rauschte! Sie spürte plötzlich etwas direkt hinter sich. Sie warf sich herum und stand ihnen mit einem Mal Auge in Auge gegenüber – ein Rudel Wölfe. Vor Angst verlor sie beinahe das Bewusstsein und erstarrte. Es gab kein Entkommen!

Die dunklen grauen Wölfe hielten in ihrem Lauf inne und starrten sie an. Sie drückten sich dicht an den Boden und kamen Stück für Stück näher herangekrochen. Dabei knurrten sie böse und entblössten ihre schrecklichen Fänge, während sie sie umringten. Ihre tiefblauen Augen schienen Schlitze des Bösen zu sein. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Wenn sie versuchte davonzulaufen, würden sie sie mit Sicherheit einholen! Wenn sie blieb, wo sie war, würden sie angreifen. Sie musste etwas unternehmen, aber was? Einer der Wölfe war ihr inzwischen so nahe gekommen, dass sie seinen übel riechenden Atem wahrnahm. In seinen Augen spiegelte sich eine derartige Gemeinheit und Grausamkeit, die sie noch nie zuvor bei einem Lebewesen gesehen hatte – sie wusste, dass sie jeden Augenblick seine Zähne zu spüren bekommen würde.

Sie hatte keine Tränen mehr. Schwindel überkam sie und sie schwankte vor und zurück. Ihre Arme und Beine wurden weich, und alle Kraft wich aus ihren Gliedern. Sie spürte, wie sie in die Knie einbrach, da sie sich nicht länger auf den Beinen halten konnte.

Die Wölfe zogen den Kreis immer enger um sie, bereit, ihre Beute jeden Augenblick anzuspringen. Aber plötzlich fuhr ein Pfeil in den Baum direkt neben ihr und verfehlte nur knapp die Schnauze eines der Wölfe. Verwirrt wandte sich Zoe um, um zu sehen, woher der Pfeil gekommen war. Sie erkannte eine Frau, die aus der Finsternis heraustrat. Sie schoss erneut und streifte den Lauf des grössten Wolfes. Als er vor Schmerz aufheulte, begannen die übrigen Wölfe, die Frau anzuknurren. Der Hass in ihren Augen war unübersehbar, als sie weiter auf Zoe eindrangen. Die Frau liess schnell noch einen Schuss von ihrem Bogen folgen und traf einen weiteren Wolf ins Bein. Er schrie auf, und Furcht machte sich auf den Gesichtern der anderen Wölfe breit. In einem Augenblick hatten sie sich abgewendet und waren ebenso schnell zwischen den Bäumen verschwunden, wie sie aufgetaucht waren.

Zoe lag zusammengesunken auf dem Boden, und die Fremde lief schnell zu ihr herüber. Sie hielt ihren Kopf hoch, und einige Minuten später kam Zoe zu sich. „Du hast mich ganz schön erschreckt, wirklich wahr – armes Mädel. Was meinst, wie fühlst dich nu?“

Zoe sah die Frau an, die vor ihr auf dem Boden kniete. Der Schleier verzog sich vor ihren Augen, und ihr Kopf wurde wieder klar, als sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf diese seltsame Frau vor sich richtete. Ihr einfaches Kleid wurde von einem Ledergürtel zusammengehalten. Das dunkelblonde Haar war zu einem Zopf zusammengebunden, so dass ihr glattes Gesicht zum Vorschein kam. Aber mehr als alles andere waren es ihre dunklen grünen Augen, die Zoes Aufmerksamkeit auf sich zogen, denn sie waren wie tiefe Teiche voller Stärke und Charakter. Sie war völlig furchtlos.

Zoe brachte einige Minuten lang kein Wort heraus, aber schliesslich fand sie ihre Stimme wieder. „Ich glaube, es geht mir besser.“ In einem Anflug von Panik blickte sie sich um. „Wo sind die Wölfe?“

„Sind schon längst weg, verschwunden – brauchst keine Angst haben.“

„Danke … für deine Hilfe.“

„Ach, schon gut – mach dir nix weiter draus.“ Die Frau lächelte Zoe an – es war ein Lächeln, das sich sogar in ihren Augen spiegelte und viel mehr aussagte, als es Worte je vermocht hätten. „Aufpassen musst in diesen Wäldern, Mädel. Wollt nur ein paar Pilze für meine Suppe holen, sonst hätt’ ich dich gar nicht gesehen.

Kamaron ist von Gemeinheit umgeben. Ist der Anführer der Wölfe, wirklich wahr. Wird’s nie leid, Böses zu tun. Stimmt schon, dieser Wald ist voll von Geschöpfen, die nur drauf aus sind, anderen zu schaden – wilde Eber, Bären, Panther und andere. Aber eins ist sicher – die sind nicht auf der Seite des Königs. Ihr Anführer ist Durgalt. Sie jagen und töten für ihn. Aber, verzeih meine schlechten Manieren … ich bin Feena … Feena O’Berry. Bleibst bei mir, bis du deine Ausbildung fertig hast. Und was bitte ist dein Name?“

Erstaunt hob sie eine Augenbraue. „Zoe Hirschfeld. Aber woher hast du gewusst, dass ich komme?“, fragte sie.

Die Frau hielt inne und sah Zoe nachdenklich an, aber sie gab keine Antwort auf ihre Frage. „Fangen bald mit deiner Ausbildung an. Jetzt bist ja noch ganz hilflos gegen diese Wesen. Sag mal, bist schon den Terronas begegnet?“

„Terronas?“

„Aber ja, ein Ausbund von Finsternis, ein Schatten von dem, was sie früher mal waren. Sind so vom Bösen gesteuert, dass sie nicht mal mehr so aussehen wie früher. Früher waren sie die herrlichsten Geschöpfe des Königs – Adler. Stimmt schon, sind den bösen Wegen Durgalts verfallen und haben sich in die widerlichen Kreaturen verwandelt, die sie nu sind. Dem König sei Dank, dass nicht alle Adler gefallen sind. Aber noch schlimmer ist, wie sie ihre Opfer quälen. Zuerst sind sie ganz klein, vielleicht glaubst das nicht, aber sie wachsen, je mehr du auf sie hörst – dringen in deine Gedanken ein und verdrehen alles, was du denkst.“

Zoe dachte einen Augenblick nach. „Ich habe zwei Schatten gesehen, die vor mir und hinter mir vorbeigeflogen sind. Sie haben mich in Panik versetzt.“

„Nu, hast sie also gesehen. Der Wald ist voll von Terronas. Sie brüten hier und verfolgen alle, die durch den Schierlingswald kommen. Durgalt hat ihnen befohlen, ihre Opfer anzufallen und ihnen Dinge einzuflüstern, um sie in Angst zu versetzen. Sie wissen, dass es vor allem Furcht ist, die die meisten davon abhält, auf dem für sie vorherbestimmten Weg weiterzugehen.“

„Diese Reise wird immer unheimlicher. Ich habe mich nach Abenteuern gesehnt; aber das ist mir einfach zu gefährlich. Sag mir, warum lebst du in diesem schrecklichen Wald?“

„Ist doch ganz klar, Mädel. Zweierlei: Ich leb hier, um Licht in die Dunkelheit des Waldes zu bringen. Das tu ich gerne. Und zweitens schickt mir der König immer wieder Leute, die ich ausbilden soll. Um deine Angst zu überwinden, gibt es keinen besseren Ort als den hier, meine Liebe!“

„Wie meinst du das – was für eine Art von Ausbildung?“

„Die Art von Ausbildung, mit der du deine Reise nach Remira fortsetzen kannst – wär’ doch zu schade, wenn du nicht wüsstest, wie du mit den Terronas fertig wirst oder wie du dich gegen Durgalts Gefolgsleute zur Wehr setzt, oder wenn du nicht mal mit Pfeil und Bogen umgehen könnt’st. Wehrlos bist, deshalb musst’ ich ja auch meinen Bogen gegen die Wölfe nehmen, um ihnen einen gehörigen Schrecken einzujagen.“

„Aber ich habe noch nie in meinem Leben einen Bogen in der Hand gehabt.“

„Bist noch so jung. Wirst keine Schwierigkeiten haben. Wenn die Tiere noch so schnell sind, du musst lernen, schneller zu sein. Aber wer weiss, Mädel. Wär’ es nicht wunderbar, wenn sie vielleicht doch auf die Seite des Königs wechseln würden, um Ihm zu dienen? Aber nu ist Essenszeit, also auf die Füsse mit dir. Wir gehen zu mir nach Haus. Dann gibt’s noch viel zu lernen.“

Auf königlichem Pfad

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