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KAPITEL 10

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Zoe stand nicht gerne vor dem Morgengrauen auf, schon gar nicht im Sommer. Aber es war Erntezeit, und Pfirsiche pflückte man am besten in der Kühle des frühen Morgens.

Nebel hing über den Bäumen, als sie auf der Plantage ankam, und die Luft roch nach Tau und Erde. Im Osten erhoben sich die Berge majestätisch aus dem Dunst. Tiefblaue und rosa Streifen zogen sich über den Himmel. Nichts kam einem Sonnenaufgang über den Blue Ridge Mountains gleich.

Granny war mit ihrer Mannschaft bereits bei der Arbeit. In ausgeblichenen blauen Jeans und Arbeitsstiefeln hockte sie auf einer Leiter; ihr Oberkörper war wie vom Baum verschluckt.

Der Pritschenwagen stand in der Mitte. Auf seiner Ladefläche warteten die Plastikbehälter darauf, gefüllt zu werden. Zoe grüßte ein paar Mitarbeiter – diejenigen, die sie kannte. Leises Gemurmel und das leise Plumpsen der Pfirsiche, die in die Behälter geworfen wurden, durchbrachen die morgendliche Stille.

Als Zoe näher kam, hörte sie, wie Granny ihr Lieblingslied summte, „Sunday Sunrise“. Das alte Lied von Anne Murray erinnerte Großmutter an ihren verstorbenen Mann, und sie summte es oft.

„Guten Morgen, Granny.“ Ihre Großmutter lächelte sie über die Schulter an. „Morgen, Süße. Schnapp dir eine Tasche und stürz dich rein ins Vergnügen. Die Pfirsiche haben genau den richtigen Reifegrad für die Ernte.“

Zoe holte sich einen Beutel von der Pritsche, streifte sich den Riemen über den Kopf und gesellte sich dann zu Grannys Pfirsichbaum, wo schon eine Leiter auf sie wartete. Sie stieg hoch, griff nach einem Pfirsich und drehte ihn vorsichtig ab, um ihn dann zur Nase zu heben und den süßen, vertrauten Duft tief einzuatmen.

„Sind sie nicht wunderschön? Schau dir die schöne rosige Färbung an. Dieses Jahr haben wir eine gute Ernte.“

„Sie riechen lecker.“ Zoe steckte den Pfirsich ein und griff nach dem nächsten. „Kann ich am Samstag rüberkommen und einen Cobbler mit dir machen?“ Keiner machte so einen leckeren Obstauflauf wie ihre Großmutter. Zoe konnte die süßen, vollen Pfirsiche und die butterige Streuselschicht beinahe jetzt schon auf der Zunge schmecken. Ihr Magen zog sich zusammen.

„Wenn es deinen Eltern recht ist.“

„Ich werde Mama bitten, mitzukommen. Dann machen wir einen Mädelstag daraus.“

„Klingt gut.“

„Guten Morgen, Ma’am.“

Beim Klang der vertrauten tiefen Stimme fiel Zoe fast von der Leiter. Sie drehte sich um und entdeckte Cruz Huntley, der, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, dastand.

„Morgen“, sagte Granny. „Du kommst genau richtig. Nimm dir einfach eine Tasche vom Laster und komm zu uns. Brauchst du einen Auffrischungskurs? „Nein, Ma’am. Ich erinnere mich.“

Er sah sie kurz an, schaute aber schnell wieder weg. Er wirkte nicht besonders glücklich darüber, sie zu sehen. „Morgen, Zoe.“

Sie hob das Kinn. „Morgen.“

Zoe sah ihm nach, als er wegging. Ihr Herz schlug lächerlich schnell. Sie schaute zurück zu ihrer Großmutter, die mit dem Pflücken weitermachte, als hätte sie nicht gerade Zoes Welt durcheinandergewirbelt.

Granny war die Einzige, die von ihren verwirrenden Gefühlen für Cruz wusste. Die wusste, wie er sie letzten Herbst geküsst und sich dann bei ihr entschuldigt hatte, um sie danach monatelang zu ignorieren. Zoe konnte nicht anders – sie fühlte sich ein wenig hintergangen.

„Was macht der denn hier?“, flüsterte sie durch die belaubten Zweige des Baums.

Granny hatte nicht einmal einen Blick für sie übrig. „Er braucht die Arbeit, Süße.“

„Er arbeitet doch im Eisenwarenladen.“

„Tja, dann braucht er wohl ein bisschen Taschengeld, nehme ich an. Vor ein paar Wochen ist er zu mir gekommen.“

„Du hast nicht daran gedacht, mich vielleicht mal zu warnen?“

„Es ist eine große Plantage, Schätzchen.“

Sie starrte ihre Großmutter mit weit aufgerissenen Augen an, aber noch ehe sie antworten konnte, kam Cruz zurück, der eine Leiter an den Baum nebenan stellte. Gleich neben ihnen!

Sie bedachte ihre Großmutter mit einem steinernen Blick, der der Frau aber völlig entging.

Eine ganze Zeit lang pflückten sie schweigend, aber Cruz’ Gegenwart hatte alles geändert. Anstatt das friedvolle Erwachen des Tages zu genießen, all das Schöne, was es zu sehen, zu riechen und zu hören gab, rang Zoe jetzt mit ihrem pochenden Herzen, mit rasenden Gedanken und zitternden Händen.

„Schaut nach einer sehr guten Ernte aus dieses Jahr, Ma’am“, sagte Cruz schließlich, als die Sonne sich über den Hügeln in der Ferne zeigte.

Sie hasste es, wie allein der Klang seiner tiefen Stimme ihr Herz rasen ließ.

„Oh ja, das stimmt. Das ist die Art Ernte, die mich am Laufen hält.“ Granny verschob das Gewicht ihrer Tasche. „Wie geht’s dir denn, drüben im Eisenwarenladen?“

„Ganz gut soweit. Ich arbeite ehrlich gesagt gerade an einer Beförderung.“

„Ach, echt? Das ist ja gut.“

„Wie ist es bei dir, Zoe?“, fragte Cruz. „Gehst du im Herbst aufs College?“

Sie riss einen Pfirsich vom Ast und legte ihn in ihre Tasche. „Weiß ich noch nicht.“

Sie steckte inmitten einer Schlacht epischen Ausmaßes mit ihrem Dad deswegen. Sie wollte ihre Musikkarriere weiterverfolgen, und ihr Vater wollte, dass sie auf dem College Kurse belegte, die sie langfristig auf ein Jurastudium vorbereiteten. Ihre Großmutter schien die Einzige zu sein, die ihr zutraute, dass sie sich selbst um ihre Zukunft kümmern konnte, aber das führte nur dazu, dass auch Granny mit Daddy in Zwist geriet.

Als sie nicht ausführlicher antwortete, trat Granny auf den Plan. „Sie will davonlaufen und ein großer Star werden – und das könnte sie wohl auch schaffen, mit diesem Gottesgeschenk von einer Stimme, die sie nun einmal hat.“

„Zweifellos. Aber das ist auch ein hartes Leben, Zoe. Warum solltest du davonlaufen, wo du doch das alles hier hast?“ Cruz hob die Hände mit den Handflächen nach oben. „Eine gute Stadt, gute Wurzeln, das ganze schöne Land hier …“

Granny gluckste. „Du bist ein kluger Junge. Wenn du noch ein kleines bisschen länger bleibst, werbe ich dich Bud noch ab.“

Zoe schoss Granny einen wütenden Blick zu und kletterte die Leiter hinunter. Ihre Tasche war noch nicht ganz voll, aber plötzlich konnte sie es kaum erwarten, sie zu leeren und sich einen anderen Baum zu suchen, den sie leerpflücken konnte.

Der Duft von Pfirsichen

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