Читать книгу Bis ich dich endlich lieben darf - Denise Hunter, Denise Hunter - Страница 5

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KAPITEL 1

Paige Warren schaute auf die Uhr und versuchte zum x-ten Mal, an Miss Trudys Kopf mit dem silbergrauen Haar vorbeizuschauen, um etwas sehen zu können. Rileys Flieger war gelandet, und der stetige Strom von Passagieren, der sich in Richtung Gepäckabholung des Flughafens von Bangor bewegte, ließ langsam nach.

Rileys Brüder Beau und Zac Callahan, die sich mit ihrem pechschwarzen Haar sehr ähnlich sahen, standen nur wenige Schritte entfernt. Beide hatten die muskulösen Arme vor der Brust verschränkt, standen in ausladender Haltung und mit starrer Miene da und suchten die Menge fremder Gesichter nach demjenigen ab, den sie erwarteten.

„Müsste er nicht eigentlich schon längst da sein?“, fragte Paige und spielte mit dem Ring, den sie als Anhänger an ihrer Halskette trug.

„Mach dir mal keine Sorgen“, sagte Miss Trudy. „Der kommt schon noch.“

Sie sollte sich keine Sorgen machen? Im Grunde hatte sie seit dem mitternächtlichen Anruf vor drei Wochen nichts anderes mehr getan. Beaus Nachricht hatte sie dermaßen in Aufruhr versetzt, dass ihr heftiges Herzklopfen seitdem nicht wieder nachgelassen hatte.

Miss Trudy griff nach Paiges Hand, um sie zu beruhigen, und erst da merkte sie, dass sie die ganze Zeit den Ring an ihrer Kette hektisch hin und her schob.

„Du machst mich ganz verrückt mit dem Gefummel“, sagte Miss Trudy.

„Ich kann wirklich nichts dafür. Ich bin erst beruhigt, wenn ich sehe, dass es ihm gut geht.“

„Er kommt nach Hause“, sagte Tante Trudy darauf nur. „Alles wird gut.“

„Ja, klar … aber …“

„Jetzt mal mal nicht den Teufel an die Wand. Beau hat gesagt, dass er gut drauf war, als er mit ihm gesprochen hat, und wir können Gott ja dankbar sein, dass er überhaupt wieder nach Hause kommt.“

„Ich weiß. Du hast ja recht.“

Wer hätte denn vor fünfzehn Monaten – als Riley nach Afghanistan zum Einsatz ausgeflogen worden war – gedacht, dass er schon im Juni wieder nach Hause kommen würde? Und dann noch so? Seit dem Anruf hatte es so viel zu entscheiden und zu organisieren gegeben, und den Löwenanteil der Aufgaben hatte Paige übernommen. Es hatte sie beruhigt, wenigstens etwas zu tun zu haben.

Riley war ein starker Mann – schon immer gewesen –, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass es überhaupt jemanden gab, der mit so etwas leicht fertigwurde. Es kamen große Veränderungen auf sie zu, aber sie war fest entschlossen, für ihren besten Freund da zu sein, so wie auch er in jeder Schwierigkeit und Krise für sie da gewesen war, seit sie vierzehn war – besonders nach dem Tod ihres Vaters. Riley hatte ihr nächtelang einfach nur zugehört, wenn sie versucht hatte, ihren unverarbeiteten Zorn zu entwirren.

„Wo bleibt er denn nur?“, fragte Beau jetzt und schlenderte noch einmal ein Stück von ihnen weg, Zac dahinter, der alle anderen weit überragte.

„Ihr macht mich alle ganz nervös mit eurem Gezappel und Herumtigern“, sagte Miss Trudy.

Da legte Beau seiner Tante den Arm um die Schultern und verkündete: „Es sind alle draußen. Jetzt müsste er eigentlich kommen.“

„Vielleicht hat er den Flug ja gar nicht geschafft“, sagte Paige. Bei diesem Gedanken sackte ihr der Magen bis in die Kniekehlen. Die Warterei der vergangenen Wochen war für sie alle eine echte Tortur gewesen. Eigentlich hatte Beau nach Deutschland fliegen wollen, um bei seinem Bruder zu sein und ihm beizustehen, doch davon hatte Riley nichts wissen wollen.

„Er wird schon kommen“, sagte Zac jetzt und fuhr sich mit der Hand über seinen kurz gestutzten Bart. Mit Lucy neben sich sah er fast ein bisschen deplatziert aus. Die beiden waren seit ihrer Hochzeit im vergangenen Herbst praktisch an der Hüfte zusammengewachsen.

Zwischen dem frischgebackenen Ehepaar Zac und Lucy und den Verlobten Beau und Eden fühlte sich Paige in letzter Zeit oft ein bisschen wie das fünfte Rad am Wagen, und auch deshalb freute sie sich darauf, Riley wieder zu Hause zu haben. Seit er weg war, hatte sich eigentlich nichts mehr richtig angefühlt. Sie hatte zwar Freundinnen, aber niemanden, der sie so gut kannte und verstand wie Riley.

Vielleicht ist es ja auch zuerst noch eine Weile ziemlich ungewohnt, ermahnte sie sich. Sie durfte auf keinen Fall erwarten, dass der alte Riley um die Ecke kam. Sie hatte ein bisschen recherchiert, und trotz all des Positiven, das Beau über die Stimmung seines Bruders zu berichten gehabt hatte, rechnete sie auch mit Schwierigkeiten, und deshalb musste jetzt einmal sie die Starke sein.


Riley Callahan schenkte der attraktiven Brünetten, die den leeren Rollstuhl die Fluggastbrücke zu ihm hinunterschob, sein charmantestes Lächeln. Sie war groß und schlank, etwa in seinem Alter, und nach der langen Zeit unter Männern war der Anblick eines weiblichen Wesens immer noch eine echte Wohltat. Als die Mitarbeiterin des Bodenpersonals am Ende der Fluggastbrücke ankam, wo er im Bordrollstuhl wartete, sagte sie:

„Mr. Callahan? Ich bin hier, um Ihnen zu helfen.“ Ihr professioneller Tonfall passte zu ihrer emotionslosen Miene.

Ihr geschäftsmäßiges Lächeln sorgte dafür, dass seine Mundwinkel nach unten gingen.

Jetzt komm mal runter, du Spinner. Mädchen flirten nicht mit Jungs im Rollstuhl.

Noch einen Monat zuvor hätte die Frau mit Sicherheit ganz anders auf ihn reagiert, hätte vielleicht sogar mit ihm geflirtet und versucht, ihm ihre Telefonnummer zuzustecken. Doch damit war es jetzt vorbei. Alles war anders. Die Menschen sahen immer zuerst seinen Rollstuhl und dann erst ihn. Und dieser er, den sie sahen, war derselbe, den er sah, wenn er in den Spiegel schaute.

Die Frau schob den leeren Rollstuhl neben seinen und stellte die Bremse fest. „Brauchen Sie Hilfe beim Umsteigen?“

„Nein, das schaffe ich allein“, erklärte er, holte dann einmal tief Luft und stieg unbeholfen und umständlich in den anderen Rollstuhl um. Dabei spannten sich seine Armmuskeln unter seinem Gewicht an, und die Aktion bereitete ihm solche Schmerzen, dass er die Zähne zusammenbeißen musste, bis er richtig saß.

Bei dem Umsteigemanöver fiel dann auch noch seine Reisetasche auf den Boden – ein passendes Bild für seine Würde. Aber während Riley die Tasche wieder aufheben konnte, gestaltete sich das mit seiner Würde schwieriger.

„Sitzen Sie bequem, Sir?“

„Ja, danke.“

Er hatte in der vergangenen Nacht nur zwei Stunden geschlafen, sein Bein tat höllisch weh, er wurde wie ein Krüppel einfach in einen Rollstuhl verfrachtet, und das dann auch noch ausgerechnet von einer Frau wie dieser.

Das alles kam ihm völlig verrückt und falsch vor.

Die Betreuerin löste jetzt die Bremsen seines Rollstuhls und schob ihn die Fluggastbrücke hinauf.

Wenigstens war er endlich aus dem Flieger heraus. Der Weg in dem Bordrollstuhl zur Toilette war so demütigend gewesen. Zwischendurch hatten sich immer wieder Mitpassagiere für seinen Dienst fürs Vaterland bei ihm bedankt und für das Opfer, das er dafür gebracht hatte, aber er wäre jedes Mal am liebsten unter seinen Sitz gekrochen.

Als sie beim Gate ankamen, strich ihm die kühle Zugluft der Klimaanlage über die Haut. Er war wieder daheim – zurück in Maine –, und nur wenige Meter entfernt wartete seine Familie auf ihn. Seine Brüder, seine Tante und Paige. Schon seit Monaten hatte er Sehnsucht nach ihnen, ganz besonders nach Paige.

Aber nicht so.

Ihm war eng um die Brust, und er atmete so schwer, als hätte er gerade einen Marathon absolviert, auch wenn das in nächster Zeit eher unwahrscheinlich war. Er konnte froh sein, wenn er irgendwann wieder humpeln konnte, und selbst das war höchstwahrscheinlich erst nach monatelanger schmerzhafter Physiotherapie möglich. Sein Blick ging hinunter auf seine Beine.

Auf sein Bein.

Das rechte Hosenbein lag schlaff an der Stelle, wo eigentlich sein Knie hätte sein müssen, und das Bein endete in einem grotesken Stumpf, der abwechselnd wehtat und juckte. Die vergangenen drei Wochen waren ein einziger Albtraum gewesen. Erst die Operation und dann die schmerzhafte Genesung. Nicht zu vergessen die Albträume. Psychisch war er ständig am Ende, und düstere Gedanken zogen ihn immer weiter in den Schatten.

Schon das Heimkommen war für ihn eine echte Herausforderung. Er wollte nicht, dass sie ihn so sahen. Wer hätte denn bei seiner Abreise gedacht, dass er nur als halber Mann wieder zurückkehren würde?

Er hielt sich jetzt an den metallenen Armlehnen des Rollstuhls fest, schluckte gegen den Kloß in seinem Hals an, und im Nacken und auf der Stirn brach ihm der Schweiß aus. Seine düsteren Gedanken drohten ihn zu überwältigen, und er kämpfte mit allem, was er hatte, dagegen an.

Improvisieren. Anpassen. Überwinden.

Fünfzehn Monate lang waren ihm diese Worte eingebläut worden und hatten ihm auch tatsächlich geholfen, wirklich schlimme Situationen zu überstehen, doch in diesem Moment halfen sie ihm kaum.

Komm schon, Mann, Kopf hoch. So kannst du ihnen nicht gegenübertreten.

Seine Brüder hatten sich so lange Sorgen um ihn gemacht, und das nur, weil er so blöd gewesen war, sich gleich nach dem Tod ihres Vaters freiwillig zur Army zu melden. Gleich nachdem …

Nein. Daran durfte er jetzt nicht denken. Es genügte zu sagen, dass er aus den falschen Motiven gegangen war, aber das ging niemanden außer ihn etwas an. Seine Familie hatte seinetwegen schon genug durchgemacht.

Der Rollstuhl holperte über eine kleine Erhöhung, sodass sein Bein angestoßen wurde und er vor Schmerz zusammenzuckte. Seine eine Hand lag auf der Hosentasche, in der das Foto von ihr steckte, und sein Herz pochte heftig, als er sich bewusst machte, dass er sie jetzt gleich sehen würde – und nicht nur ein Foto oder ihr Bild über Skype. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, dass er ihr in die meerblauen Augen geschaut, dem femininen Singsang ihrer Stimme gelauscht und ihren süßen, blumigen Duft gerochen hatte.

Unter anderen Umständen hätte er das Wiedersehen mit ihr kaum erwarten können. Er wäre auf seinen zwei Beinen auf sie zumarschiert und hätte ihr wie geplant die Wahrheit gesagt. Aber dann hatte eine Bombe alles verändert. Alles, was er jetzt noch plante, drehte sich darum, zu überlegen, wie er Abstand zu seiner Familie halten konnte, ohne ihre Gefühle zu verletzen.

Bis ich dich endlich lieben darf

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