Читать книгу Fidibus und die Gemme der Venus - Denise Remisberger - Страница 8
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Оглавление«Na, der kommt mir gerade recht», dachte sie, erhob sich und sprach den leicht schwankenden Mönch an, der am Ufer des Alpenrheins innegehalten hatte. «Welch eine wunderbare Fügung, Euch hier in der garstigen Fremde anzutreffen, werter Herr Mönch, einen Diener der Kirche, der mich eventuell auf meinem weiteren schweren Weg begleiten würde?», sprach sie in nettestem Tonfall und schlug die Augen züchtig nieder.
«Wenn die Schutz braucht, fresse ich einen Besen», dachte Fidibus trotz des Rheinweins, den er intus hatte. Dass dieses Mädchen nicht so brav war, wie sie den Anschein erwecken wollte, sagte ihm seine Lebenserfahrung.
«Wo wollt Ihr denn hin, wertes Fräulein Nonne?», war er doch neugierig geworden.
«Nach Münsterlingen ins Kloster. Ich habe eine Botschaft von meiner Äbtissin, die ich persönlich überbringen soll», war ihre Ausrede.
«Aus welchem Kloster seid Ihr denn?»
«Aus der Abtei San Salvatore in Brescia. Das ist in Italien.»
«Gehört das Bistum Brescia nicht zum Erzbistum Mailand?»
«Doch, doch. Ja.» Hoffentlich ging er nicht ins Detail. So wahnsinnig gut kannte sie sich mit der Materie nun auch wieder nicht aus. Nonnenkostüm hin oder her.
«Wie heisst Ihr eigentlich?»
«Lara. Schwester Lara», betonte sie. «Und Ihr?»
«Fidibus. Ich bin der Cellerar des Klosters Sankt Gallen.»
«So, so. Und was tut Ihr hier? Soviel ich gehört habe, liegt dieses Sankt Gallen nicht direkt am Rhein. Nicht mal direkt am Bodensee.»
«Nein. Es liegt in den angrenzenden Hügeln. Eine Tagesreise von hier.»
«Ich könnte einen Abstecher in Euer Sankt Gallen machen, Fidibus. Und später nach Münsterlingen wandern. Meine Äbtissin hatte noch gemeint, dass ich mir mit der Überbringung der Botschaft Zeit lassen könne, um ein paar Eindrücke dieser Gegend hier zu sammeln, auf dass wir in Brescia dann einen schönen Reisebericht verfassen können.»
Lara hatte eine verschwiegene Freundin aus Kindertagen, die in der Abtei San Salvatore Nonne war und die sie vor ihrer Abreise in den Norden besucht hatte, um sich die passenden Kleider auszuleihen. Ihre Freundin wollte gar nicht so genau wissen, wofür Lara das Habit aus schwarzer Schafwolle und den in der Sonne gebleichten Leinenwimpel brauchte. Untergewand, Umhang und Schuhe hatte sie selber. Ihre Freundin gab ihr die Sachen einfach mit und wünschte ihr Glück auf dem Weg. Es war wesentlich einfacher, als Nonne zu reisen. Die Männer hatten sie in Ruhe gelassen und die Frauen hatten sie gerne in ihren Reisetrupp aufgenommen. So hatte sie zusammen mit einer recht grossen Gruppe Pilgerinnen aus der Gegend des Erzbistums Mainz die Alpen überquert, zuerst über den Malojapass, dann über den Julier. Die Frauen hatten sich bereits gestern von ihr verabschiedet, um weiter nach Rorschach am Bodensee zu pilgern, in der Absicht, den grossen See per Schiff zu durchsegeln. Und nun hatte sie sich diesen Fidibus geangelt. So angesäuselt, wie der war, konnte er kein strenger Mensch sein. Er erschien ihr ganz nett. Irgendwie vertrauenswürdig. Sie würde ihn eine ganze Weile lang nicht mehr vom Haken lassen.
«Wieso nicht, Lara. Zuerst müssen wir aber nach Höchst.»
«Triftige Gründe?»
«Oh ja! Sehr triftige Gründe», die er ihr bestimmt nicht auf die Nase binden würde. Dem Kloster Sankt Gallen war über mehrere Umwege zu Ohren gekommen, dass in Höchst im Rheindelta etwas nicht stimmte, und da der Ort dem Kloster Sankt Gallen gehörte, beschloss der leicht ausrastende Abt Craloh, seinen Cellerar Fidibus, den er zwar nicht mochte, der aber dennoch zuständig war, auszuschicken, um nach dem Rechten zu sehen. Nicht, dass der harte Abt irgendwen mochte. Und niemand konnte ihn leiden. Die rechneten dort in Höchst also nicht richtig ab. Ob absichtlich oder unabsichtlich, war noch nicht klar. Auf alle Fälle verschwanden sowohl ein Teil der jeweiligen Ladung als auch mehrere Baumstämme der Flösse selber anscheinend auf Nimmerwiedersehen. Und Fidibus musste nun herausfinden, was oder wer dahintersteckte.
«Und wie kommen wir dahin?»
«Mit dem Floss. Das nächste, das hier von Monstein wieder ablegt, nachdem es einen Teil der Fracht ausgeladen hat, und das in Höchst hält, nehmen wir.»
«Ist das noch heute?»
«Ich geh mich gleich erkundigen, junge Frau. So eilig haben wir es nun auch wieder nicht. Es ist erst Morgen.»
Der Mönch sprach mit den Flössern und Lara setzte sich wieder ans Ufer des Alpenrheins, dessen Wasser in der Junisonne glitzerte und glänzte. Es roch nach einem alten Weinfass, das von einem der Flösse gerollt worden war und in Monstein gelagert werden würde, um dann auf dem Landweg zur Burg eines adeligen Herrn transportiert zu werden, der sich italienischen Wein leisten konnte. Nach einer Weile kehrte ihr neuer Freund mit zwei älteren Flössern zurück, die eine Kiste Mandeln ins Lagerhaus gebracht hatten und nun weiter nach Höchst und danach zum Bodenseehafen Rorschach wollten, wo sie ihr Floss als Bauholz verkaufen konnten. Daraus wurden dann Schiffe gezimmert, die auf dem grossen See Ladungen von den Flössen weitertransportierten oder neue aufnahmen. Fidibus und Lara setzten sich auf die dicht aneinander geketteten Baumstämme und wurden ein Stück weit den Alpenrhein hinuntergetragen. Die Flossfahrt verlief recht zackig, Gischt spritzte auf, die beiden Fahrgäste hielten sich aneinander fest, lachten kreischend und genossen die wilde Fahrt in vollen Zügen. Das Floss sauste geschickt gesteuert in die Rheinschlaufe und kam schliesslich am Höchster Anlegesteg zur Ruhe. Der Mönch und die keinesfalls echte Nonne liefen schwankend auf dem Steg zum Ufer entlang – in ihren Köpfen herrschte immer noch starker Wellengang – und liessen sich auf ein einigermassen festes und trockenes Stück Boden fallen, streckten alle viere von sich und schauten in den Himmel hinauf, der immer wieder von den verschiedensten Vögeln durchschwebt wurde. Auf der schnellen Fahrt hatten sie die Höflichkeitsformen über Bord geworfen.
«Schön ist es hier bei euch oben im Norden», meinte Lara versonnen.
«Denkst du ans Bleiben?»
«Wer weiss?»