Читать книгу Fidibus und die Gemme der Venus - Denise Remisberger - Страница 9
6
ОглавлениеDer Hof Thal gehörte dem Bistum Konstanz, lag eingekuschelt ein Stück landeinwärts zwischen Bodensee und Alpenrhein und beherbergte gerade heute, an diesem unschuldig sonnigen Junimorgen, Bischof Konrad von Konstanz persönlich. Der umtriebige Bischof verdrückte nun schon die zweite Portion mit Honig gesüsste Gerstengrütze und wollte einfach nicht aufhören zu löffeln. Der Meier des Hofes Thal, Baltasar mit Namen und von niederem Adel, starrte auf den mampfenden Bischof und durfte nichts sagen ausser «Wohl bekomm’s, Herr Bischof!», was nicht ganz so freundlich ausfiel wie beabsichtigt und dem genervten Meier einen belustigten Blick von Furdin, dem Ministerialen des Bischofs, der ebenfalls hier in Thal weilte, allerdings wesentlich bescheidenere Mahlzeiten zu sich nahm, einbrachte. Nachdem der werte Konrad endlich fertig gegessen hatte, schickte er Baltasar aus der Stube des grossen Holzhauses und sagte gewichtig: «Furdin! Ich habe da so ein Gerücht gehört. Über Höchst. Das dem Kloster Sankt Gallen gehört, wie du weisst. Wie wenn denen nicht sonst schon genug gehören täte. Am anderen Ufer des Rheins haben sie ihre Finger auch überall drin, diese Äbtischen. Also. Höchst. Es wird gemunkelt, dass dort Sachen abhanden kommen. Und anscheinend lautet eines der Gerüchte, dass wir aus Konstanz etwas damit zu tun hätten.»
«Und, Herr Bischof? Haben wir?»
«Aber nie und nimmer! Obwohl. Wir könnten vielleicht mit den für die Unregelmässigkeiten Verantwortlichen ins Geschäft kommen. Furdin! Finde heraus, was es mit diesen Munkeleien wirklich auf sich hat, und erstatte mir Bericht. Nun geh!» Und damit wurde Furdin, der beste Spion des Bischofs, zum Auskundschaften über den Rhein geschickt. Der junge Mann lief also zügig auf einem recht ausgetretenen Weg zur Anlegestelle Rinegge hinüber, um dort in eine Nussschale einzusteigen, die ihn auf die andere Flussseite nach Gaissau hinüberbefördern würde. Die Überfahrt war eine wackelige und gischtige Angelegenheit. Zuerst wurde der Einmaster vom Ufer aus an einer Leine, die am Mast befestigt war, von einem Pferdeknecht mit seinem kräftigen Tier stromaufwärts getreidelt, bis er ein rechtes Stück oberhalb vom gegenüberliegenden Gaissau die Leine losband, damit der Bootsführer über den Rhein rudern konnte, wobei sie wieder stromabwärts fielen, um dann gekonnt am Ziel anzulanden. Furdin war froh, als er am Anlegesteg Gaissau von Bord gehen durfte. Das Rheindelta war eine weite, von Wasserweglein durchzogene Fläche, die mehr Vögel beherbergte als sonst etwas. Furdin schauderte es ein bisschen bei dem Gedanken, sich in diesem schwammigen Morast zu verlaufen und darum hielt er sich genau an den Fusspfad, der entlang des kurvigen Alpenrheins verlief. Er wanderte also bedächtig von Gaissau nach Höchst und trotz seiner immer feuchter werdenden Schuhe spürte er langsam diese friedliche Ruhe, die hier im Sumpf alles beherrschte und alle Töne einsog, die nicht hierher gehörten. Das Band des Rheins zu seiner Rechten, glitzernde Grasbüschel zu seiner Linken, im Ohr nur das emsige Musizieren der Vogelkolonien, vergass Furdin, wichtiger Beauftragter des Bistums Konstanz, für einen Augenblick oder etwas länger seine Hörigkeit und fühlte sich vollkommen frei.