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Kapitel 4: Schwere Anschuldigung

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Die meisten Kunden kamen während ihrer Mittagspause und brachten ihre ausgeliehenen Filme zurück. Die Arbeit lenkte mich ein wenig von meinen Sorgen über unsere Freunde ab.

„Was denkst du, ist geschehen?“ richtete ich meine Frage an Noah, der uns am Nachmittag nach Hause fuhr.

„Ich weiß es nicht. Eventuell findet die Polizei etwas heraus. Ihnen ist ja besonders an John´s Wohlergehen gelegen.“

Die weitere Fahrt über schwiegen wir. Als wir kurz darauf zuhause ankamen, traute ich meinen Augen nicht: vor der Haustür standen Brenda und Angie!

Sofort riss ich die Wagentür des Jeeps auf und lief hinaus. Meine Freunde sahen überhaupt nicht gut aus. Ihre Frisuren waren durcheinander, ihre Gesichter schmutzig und ihre Kleidung an einigen Stellen zerfetzt.

„Wo wart ihr bloß? Was ist geschehen? Wir haben uns Sorgen gemacht! Wo ist John? Ach, kommt erst mal rein!“

Ich umarmte die beiden nacheinander, Noah öffnete mit irritierter Miene die Tür. Er setzte sich auf den Parkettboden im Wohnzimmer und deutete unseren Freunden an, auf der Plüsch – Couch von Brenda Platz zu nehmen, welche uns inzwischen geliefert worden war. Ich stand in der Küche, rührte in Windeseile mehrere Tassen Kakao an und brachte sie auf einem Tablett ins Wohnzimmer. Bisher hatte niemand etwas gesagt. Meine Freunde schienen Grausames erlebt zu haben – so viel stand fest. Ich reichte jedem eine Tasse und nahm neben meinem Mann Platz. Gemeinsam sahen wir zu unseren Freunden auf.

„Was ist geschehen?“ fragte ich in möglichst ruhigem Tonfall.

Die jungen Frauen schwiegen. Ich sah kurz zu Noah, dessen Gesicht inzwischen Ratlosigkeit ausdrückte.

„Ihr müsst es uns erzählen, wir sind eure Freunde! Bitte!“

„Es... es war so schlimm... Ein wahrer Alptraum!“ begann Angie.

Erst jetzt bemerkte ich, dass die beiden zitterten.

„Erzählt es uns. Wir wollen euch helfen“ bat ich erneut.

„Wir sind fast gestorben“ sagte Brenda leise.

„Was?“ entfuhr es uns aufgeregt.

„Wir waren planmäßig auf dem Weg nach Washington. Wir hatten eine Pause gemacht, um kurz mit John zu sprechen. Dann fuhren wir wieder los, doch irgendwann bemerkte ich im Rückspiegel, dass der weiße Transporter schneller wurde. Und als unser Wagen liegengeblieben war, raste er sogar auf uns zu. John wollte uns töten!“

„Das kann doch nicht dein Ernst sein, Angie“ sagte ich ungläubig.

„Wenn ich es dir doch sage! Wer hat denn in diesem verdammten Wagen gesessen?“ zischte sie.

Ich schluckte. Noch nie hatte ich die sonst so ruhige Einundzwanzigjährige so wütend erlebt.

Brenda fasste ihrer Lebensgefährtin an das Knie, bevor sie mich eindringlich ansah.

„Jake, es stimmt. Wir haben es mit eigenen Augen gesehen. Er muss... durchgedreht sein.“

Ich konnte es nicht glauben.

„John würde niemals jemanden ohne Grund umbringen und schon gar keinen seiner Freunde.“

„Das kann ich mir auch nicht vorstellen. Er ist einfach nicht der Typ für so einen kaltblütigen Mord. Immerhin ist er selbst nach seiner Wahl als Bürgermeister im Herzen noch immer Detective.“

Ich dankte Noah innerlich, dass er zu mir hielt. Noch vor einigen Jahren hätte das in dieser Sache ganz anders ausgesehen.

„Ihr glaubt mir also nicht?“ fragte Brenda empört und stand auf.

„Brenda... ich glaube euch natürlich, dass etwas schreckliches geschehen ist, aber es will nicht in meinen Kopf hinein, dass John etwas damit zu tun hat!“ antwortete ich und deutete ihr an sich wieder zu setzen.

„Aber er saß im Wagen!“ beharrte Angie. „Ich kenne ihn zwar noch nicht so lange wie ihr, aber es war eindeutig ein Mordversuch.“

Nach einer kurzen Pause fragte ich Brenda, was genau passiert war.

„Er fuhr immer schneller. Unser Auto sprang nicht an. Die Türen gingen nicht auf...“

Meine beste Freundin brach in Tränen aus, ihre zitternde Hand umklammerte die warme Tasse. Angie umarmte ihre Lebensgefährtin.

„Da war eine Sperre. So etwas wie eine magische Grenze. Evelyn hatte mir einmal davon erzählt. Dafür kann nur John verantwortlich sein!“

„Das ist verrückt! Weder gehört John Omega an, noch hat er überhaupt solche Fähigkeiten. Brenda, du selbst warst doch bei Evelyn´s Ritual dabei. Du hast gesehen, dass er nur ganz schwache Visionen hatte!“

„Ja, aber einmal hatte er eine starke. Erinnerst du dich? Er sah, dass die Einwohner unserer Stadt tot im Park verstreut lagen. Alles brannte, ein Flugzeug stürzte ab. Das war wohl mehr seine Wunschvorstellung, als eine Vision!“

„Das kann ich nicht glauben“ wiederholte ich kopfschüttelnd und erinnerte mich sogleich an die heftige Reaktion, welche John während des Rituals gezeigt hatte.

Am Anfang verfügte er tatsächlich über keine Fähigkeiten und hatte sich gefragt, ob er deswegen überhaupt zu Sirius gehörte. Doch Evelyn Warner hatte ihn ermutigt, bis er irgendwann diese intensive Vision bekommen hatte. Ich kannte John Jones und wusste, dass er alles andere als ein kaltblütiger Killer war. Gerade wegen der Nutzung seiner Dienstwaffe und der Tatsache, dass er sie das ein oder andere Mal benutzen musste, um uns in letzter Sekunde das Leben zu retten, hatte er doch seine Arbeit als Detective und Leiter des Police Office niedergelegt.

Er war kein Mörder.

Niemals.

„Wo ist John jetzt?“ fragte Noah nach einiger Zeit.

„Wir wissen es nicht“ antwortete Brenda. „Wir hatten es aus dem Wagen geschafft, kurz bevor der Mistkerl uns töten konnte. Wir liefen so schnell wir konnten, ohne zurückzublicken. Auf einer Landstraße nahm uns ein hilfsbereiter Trucker hierher mit.“

„Ist er...?“ fragte ich mit zitternder Stimme.

„Vielleicht“ meinte Angie trocken. „Wäre auf jeden Fall besser.“

Ich schluckte. John war zu einem guten Freund geworden. Ich hoffte, dass sich die Sache schnell als großer Irrtum aufklären und er gefunden werden würde. Wir beließen es erst einmal dabei, da ich sah, dass die beiden Frauen in keinem guten Zustand waren. Ich überzog ihnen unser Bett im Schlafzimmer frisch, in der Zwischenzeit kaufte Noah in der Stadt neue Kleidung ein. Die beiden hatten nur das, was sie am Körper trugen und diese Klamotten waren schmutzig und irreparabel beschädigt. Ihr Hab und Gut sowie einige Bargeldreserven befanden sich im Transporter und in Angie´s Wagen.

Als Noah am Abend zurückkam, hatte ich vegane Pfannkuchen zubereitet, doch die beiden hatten keinen Appetit. Sie gingen früh ins Bett, weswegen wir sie in Ruhe ließen. Noah hatte unsere neue Couch inzwischen in ein einigermaßen gemütliches Nachtlager verwandelt. Wir setzten uns an den Esstisch im Wohnzimmer, wo ich meinem Mann einige der Pfannkuchen servierte. Er beträufelte sie mit einer dünnen Schicht Ahornsirup und aß sie gedankenversunken. Auch ich grübelte. Über das schreckliche Ereignis, welches meine Freunde erlebt haben mussten und über John. Er war zu so etwas nicht in der Lage – davon war ich überzeugt. Der Videothekeninhaber schien sich über die Kalorien keine Gedanken mehr zu machen, denn nach und nach verschwand die süße Mahlzeit in seinem Mund.

Nach dem Essen sah er mich an.

„Das war Omega´s Werk.“

„Ich weiß. John hat damit nichts zu tun.“

„Ich wusste, dass der Orden noch aktiv ist...“

„Omega wird nie aufgeben! Aber gerade geht mir John nicht aus dem Kopf. Denkst du, dass er gestorben ist?“

„Ich hoffe es nicht, Jake! Aber wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen.“

In der Nacht schlief ich sehr unruhig. Immer wieder wälzte ich mich hin und her und dachte an meinen Freund, welcher einen Mordanschlag auf Angie und Brenda verübt haben sollte. Der nächste Morgen war wie eine Qual. Langsam kam die Erinnerung an den gestrigen Tag zurück und brannte sich in mein Gedächtnis.

John wollte uns töten!, hallte Angie´s schwere Anschuldigung in meinem Kopf nach.

Ich drehte mich um und streichelte Noah´s Wange, der daraufhin langsam die Augen öffnete. Anscheinend hatte er genauso viel wie ich über das Gesagte nachgedacht.

„Angenommen, John steckt wirklich dahinter – was ich nach wie vor nicht glaube – dann wäre es doch möglich, dass er unter Omega´s Einfluss stand“ meinte ich.

„Du denkst, dass er ebenfalls eine Stimme hörte, so wie du damals?“

Ich nickte. Immer wieder hatte ich eine verzerrte Stimme in meinem Kopf wahrgenommen, welche sich als meine eigene ausgegeben hatte. Doch es war in Wahrheit die Stimme Winston Lester´s, welcher zu dieser Zeit noch Omega´s Anführer gewesen war. Er hatte mir befohlen, seinen eigenen Sohn zu töten.

Es war Omega gelungen, in meinen Kopf einzudringen und meine Gedanken zu lesen, so hatte er schnell erkannt, dass ich auf Jacob eifersüchtig gewesen war. Evelyn hatte versucht, uns mithilfe eines magischen Getränks abzuschirmen, aber das hatte nur bedingt funktioniert. Nach Winston´s Tod hatte ich keine Stimme mehr vernommen. Offenbar hörte John sie aber nun.

Wenn er überhaupt noch am Leben war...

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