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Und Sie glauben wirklich, dass sich irgendjemand für diese staubtrockenen Themen interessiert?“, fragte Franz Berenbrink seinen Pressesprecher Tobias Heinen ungläubig.

Die beiden saßen nebeneinander auf der Rückbank des silbernen Daimlers mit den Panzerglasscheiben, in dem der Bundesbankchef zu seinen Terminen gefahren wurde. Berenbrink blickte mit miesepetriger Miene auf den 18-seitigen Text der Rede, die er in wenigen Minuten halten sollte. „Downside-Risk, Volatilität, Barwert – kein normaler Mensch hat bei 29 Grad im Schatten Nerven für solch einen Mumpitz“, schimpfte Berenbrink.

„Herr Präsident, Sie sprechen ja auch nicht vor normalen Menschen“, entgegnete ihm sein Sprecher, der es gewohnt war, dass sein Chef vor Pflichtauftritten auf Bankkongressen oder bei Hearings maulig war.

Von seinem Äußeren her passte Berenbrink durchaus in die Rolle des Notenbankers. Sein schlankes, strenges Gesicht und sein gescheiteltes graues Haar verliehen dem immer noch athletisch wirkenden 65-Jährigen Würde und Autorität. Auch brachte Berenbrink die nötige Kondition mit, um selbst schwierige Verhandlungen zu überstehen. Allerdings passten sein lebhaftes Temperament und sein direkter und manchmal frecher Umgangston so gar nicht zur landläufigen Vorstellung eines staatsmännischen Bundesbankers. Als lästige Pflicht empfand er zudem die vielen gesellschaftlichen Auftritte. Berenbrink war ein Mann wahlweise für den Poker im Hinterzimmer oder für das schnelle Bier an der Theke. Aber garantiert nicht für die Gala im Ballsaal. Und ganz sicher passte sein Arbeitsstil nicht zu dem von Behördengesichtern wie Pressesprecher Tobias Heinen, dem die Krawatte regelrecht an den Hals gewachsen war.

„Schwer zu sagen, mit welchen Fragen Sie die Nachrichtenagenturen heute bombardieren werden“, lenkte Heinen das Gespräch auf das, was seinen Chef bei der Ankunft an der Alten Oper erwartete. Wie bei jedem öffentlichen Auftritt Berenbrinks würden ihn auch an diesem Tag die üblichen Verdächtigen bei der Ankunft abfangen: die Reporter der Nachrichtenagenturen. Realtime, Worldnews, apx, dpx und wie sie sonst alle hießen. Viele waren es ja nicht mehr, denn in Zeiten massenweiser, kostenloser Informationen im Internet war es immer schwieriger geworden, mit Nachrichten Geld zu verdienen. Weltbekannte, traditionsreiche Branchengrößen wie Reuters, Bloomberg oder Dow Jones waren unter diesem wirtschaftlichen Druck gezwungen gewesen, Kräfte zu bündeln und Korrespondentenplätze zusammenzufassen. Das Nachrichtengeschäft von Reuters und Dow Jones war schließlich unter dem neuen Markennamen Realtime gebündelt worden, während der Newsticker von Bloomberg in Kombination mit einigen lokalen Anbietern in der Agentur Worldnews aufgegangen war. Die beiden Marktführer – Realtime und Worldnews – waren die mit weitem Abstand größten Anbieter. In mehr als 80 Prozent aller Handelsräume in London, Frankfurt oder Mailand waren ihre Ticker-Bildschirme die wichtigste, häufig sogar die einzige Informationsquelle für die Wertpapierhändler, die sich an den Nachrichten der beiden Großen orientierten.

In der alltäglichen Praxis – wie etwa heute in der Alten Oper – hieß das für die Reporter der zwei großen Finanz-Nachrichtenagenturen, dass sie Ministern, Notenbankern oder Vorstandschefs ständig aufs Neue Zitate aus den Rippen zu leiern hatten. Zitate, in denen möglichst Wörter wie Zinsen, Wechselkurse oder Inflation vorkommen sollten. Oder die aus irgendeinem anderen Grund als Futter für Spekulationen taugten, um Aktienkurse, Anleihenotierungen, Geldmarktsätze oder Devisen in Bewegung zu versetzen. Schließlich leben Banken und Börsen vom ständigen Auf und Ab der Kurse, von Provisionen und Transaktionsgebühren. Ein öffentlicher Satz eines hochrangigen Managers oder eines Notenbankers war da allemal gut genug, um in den Handelsräumen der Profi-Investoren Spekulationen und Gerüchte auszulösen – und damit Käufe und Verkäufe von Wertpapieren. Selbst wenn Berenbrink sich nur wiederholte, konnte das den Euro am Devisenmarkt einen halben Cent nach oben schieben. Oder die Aktienkurse der Bank- und Versicherungstitel in den Keller rasseln lassen. Die Kunst eines Notenbank-Präsidenten bestand deshalb darin, stets so unverbindlich wie möglich zu bleiben, um ja keine turbulenten Kursbewegungen anzustoßen. Oder wie es der Altmeister des Fachs, der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan, einst auf den Punkt brachte: „Ich hoffe, ich habe mich zweideutig genug ausgedrückt.“

„Eigentlich, Herr Präsident“, fuhr Pressesprecher Heinen fort, „gibt es im Moment so gut wie nichts, worauf die Wertpapier-Profis spekulieren können. Keine Zinsfantasien, keine außergewöhnlichen Konjunkturdaten. Ich tippe mal, dass man Sie deshalb auf die angeblichen Liquiditätsprobleme der NordwestLB ansprechen wird.“

„Na, dann raus mit der Sprache, Heinen. Sie wollen doch bestimmt wieder, dass ich irgendeinen blöden Satz sage, über den heute früh ihre halbe Abteilung gebrütet hat?“, fragte der Bundesbankchef.

„Tja. Ja. Ja, das stimmt. Die Kollegen von der Bankenaufsicht haben sich gestern an uns gewandt und uns um den Gefallen gebeten, die Märkte zu massieren“, antwortete Heinen. Die Märkte massieren bedeutete, der Notenbankchef sollte ein paar beschwichtigende Sätze loswerden, um Aufgeregtheit aus dem Markt zu nehmen und die Investoren zu beruhigen.

„Und was genau würden die von der Bankenaufsicht gerne hören?“, fragte der Präsident nach.

„Ich glaube, Herr Präsident, man würde es als hilfreich empfinden, wenn Sie in der aktuellen Lage eine Unbedenklichkeitserklärung für die deutschen Banken abgeben würden. So etwas wie: Kein Anlass zur Sorge. Oder: Unbegründete Spekulationen. Halt irgendetwas, was Vertrauen stiftet.“

„Na gut, Heinen,“ seufzte der Präsident, „wenn es irgendjemanden nutzt, dann stelle ich mich auch auf den Kopf, wackle mit den Beinen und sage, dass es keinen Grund zur Besorgnis gibt“, versicherte Berenbrink.

Sie passierten den Rothschildpark und der Bundesbankchef blickte hinüber zum Hypo-Union-Tower: „Was ist eigentlich heute bei denen los gewesen?“

„Ein Selbstmörder hat sich aus dem obersten Stockwerk gestürzt“, antwortete ihm Heinen, „und bisher weiß man noch nicht viel. Ich glaube sogar nicht einmal den Namen des Opfers.“

Berenbrink blickte dem Bankenturm einen Moment nach. Er stellte sich vor, wie es wohl sei, aus dieser gigantischen Höhe nach unten zu stürzen. Ob es ein lautes Geräusch geben würde, wenn man unten aufschlug? Aus diesen Gedanken wurde er jedoch jäh herausgerissen, weil sie die Vorfahrt zum VIP-Eingang der Alten Oper erreicht hatten.

„Nun denn, auf in den Kampf“, munterte ihn Heinen auf.

Gleich neben der großen Holztür lungerten bereits die Reporter von Worldnews und Realtime sowie einiger Spezialagenturen wie Bondmarket, ETF, afx und dpx. Berenbrink kannte ihre Gesichter auswendig, weil sie ihm zu allen offiziellen Terminen folgten – immer auf der Jagd nach einem Zitat. Berenbrink pflegte einen herzlichen, mitunter sogar lausbubenhaften Umgang mit der „Meute“, wie sich die Agenturreporter selbst nannten.

„Na, ihr alten Blutegel, was zur Hölle soll ich euch denn sagen, was ich nicht schon gesagt habe?“, fragte er in die kleine Runde, nachdem er die Limousine verlassen hatte.

Berenbrink lächelte das halbe Dutzend Presseleute freundlich an und reichte den Reportern nacheinander die Hand zur Begrüßung – eine höfliche Geste, die die Agenturleute längst nicht von allen Prominenten gewohnt waren. „Auf jeden Fall ziehe ich den Hut vor euch, Leute. Ihr schreckt ja wirklich vor gar nichts zurück.“ Der Bundesbankchef setzte eine mitleidsvolle Miene auf und fuhr fort: „Wenn ich das richtig im Kopf habe, dann musstet ihr Bedauernswerten bei diesem Schwimmbad-Wetter ein Grußwort des Oberbürgermeisters ertragen – womöglich sogar in seinem eigenwilligen Englisch … uff.“

„Stimmt“, entgegnete ihm ein breitschultriger Typ mit frecher Stimme. „Aber der eigentliche Härtetest steht noch aus: ein Berenbrink-Vortrag über standardisierte Risikomessung in Banken.“ Es war der Worldnews-Reporter Benjamin Beckmann.

„Vorsicht, Beckmann“, warnte ihn der Bundesbankchef mit gespielter Entrüstung, allerdings mit einem breiten Lächeln. „Vorsicht. Nicht so vorlaut. Und vor allem: nicht so voreilig. Das mit den Standardrisikomaßen mag langweilig klingen. Aber natürlich ist es ungemein wichtig, dass Banken ihre Positionen vernünftig und angemessen bewerten, damit ihnen diese Risiken nicht aus dem Ruder laufen.“

„So wie der NordwestLB?“, hakte Beckmann rasch ein.

„Es gibt keinen Grund für argwöhnische Spekulationen über irgendeine deutsche Bank“, versicherte der Bundesbankchef. „Es gibt nicht den geringsten Zweifel an der Solidität der deutschen Banken.“ Berenbrink blickte seinen Pressesprecher Heinen an, der anerkennend nickte. Der Bundesbankpräsident hatte seine Sätze ordnungsgemäß abgeliefert, sein Pressesprecher war zufrieden – und die Meute war es auch. Die Agenturreporter hatten ihren Stoff. „Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte“, sagte der Notenbanker, „denn ich sehe gerade meinen österreichischen Kollegen – und es wäre unhöflich, ihn nicht zu begrüßen.“

Die Agenturreporter ließen Berenbrink fürs Erste gewähren. Er hatte ihnen genug geliefert, und so wählten sie bereits hastig per Handy ihre Redaktionen an und gaben ihre Eilmeldungen durch.

Tod im Bankenviertel

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