Читать книгу Auf dem Weg durch die Zeit - Detleff Jones - Страница 10

Neue Wege

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Langsam neigte sich meine Zeit beim Bund dem Ende zu. Der „Ernst des Lebens“ hatte sich als die beste Zeit meines Lebens erwiesen – unbeschwert, frei von großer Verantwortung, frei auch sonst und dabei dauernd in der halben, wenn nicht der ganzen Welt unterwegs! Die vielen Reisen hatten mich ziemlich in Beschlag genommen, und ich hatte mir über meinen weiteren Werdegang immer noch nicht allzu große Gedanken gemacht. Ich hatte ja immer noch das Angebot von Lothar Heubel, jederzeit seiner Firma beizutreten. Meine Eltern drängten mich aber, es doch auch anderswo zu versuchen. Für sie war der Import von Antiquitäten – auch noch aus solch unbekannten Ländern wie Indien, China, Afghanistan oder Indonesien – nicht handfest und damit nicht seriös genug. Vielleicht lag ihr Misstrauen einer solchen Laufbahn gegenüber aber auch in der Person von Heubel, der in der Branche keinen allzu guten Ruf genoss, worüber noch zu berichten sein wird. Aus heutiger Sicht wundert es mich, dass ich mich so gar nicht zu einem Studium hingezogen fühlte – interessante Studiengänge hätte es schon gegeben. Vielleicht war ich auch ganz einfach zu faul. Oder aber der Einfluss, den Heubel auf mich hatte, zeigte Wirkung. Aber ich wollte Geld verdienen – unabhängig sein und das so schnell wie möglich. „Schreib‘ doch mal an Ford – die bieten eine sehr solide Ausbildung, und dort könntest du auch Karriere machen“ mit diesen Worten lag mir meine Mutter immer wieder in den Ohren. Und so schrieb ich eines Tages – mehr, um ihr einen Gefallen zu tun, an die Kölner Ford - Werke, wobei ich absichtlich lediglich anfragte, welche Ausbildungsgänge sie anböten, wenn ich mich denn jemals bewerben sollte. Als Antwort erhielt ich schon wenige Tage später eine Einladung in die Hauptverwaltung nach Köln – Deutz. Ich rechnete mit einer Führung oder irgendeiner Informationsveranstaltung. Aber es stellte sich heraus, dass ich an einer regelrechten Aufnahmeprüfung teilnehmen sollte! Mehrere Fächer wurden geprüft – Mathematik, Englisch, und ich musste sogar einen Aufsatz schreiben. Dann gab es ein Essen in der Kantine, und ich konnte wieder gehen. Und ein paar Wochen später – ich hatte diese unfreiwillige Prüfung fast schon vergessen, erhielt ich von der Personalabteilung einen Brief – man beglückwünschte mich zu meiner Aufnahme in die Ford Familie, in der ich mich während der kommenden zwei Jahre auf eine vielversprechende Karriere vorbereiten konnte. Nur hatte ich dabei ein mulmiges Gefühl im Bauch – war doch eine Karriere als Industriekaufmann absolut nicht das, was ich mir von meinem Leben erhofft hatte! Mama hingegen platzte vor Stolz – ihr Sohn war im Begriff, doch noch etwas Solides in seinem Leben anzugehen!

Doch dann flog mir mein Rettungsanker entgegen – Heubel rief mich ein paar Wochen später zu sich. Er habe mir ja schon oft genug gesagt, dass er mich gerne einstellen wolle. Doch mittlerweile habe er konkrete Aufgaben für mich: Er wolle eine Auktionsabteilung gründen, die ich aufbauen und leiten sollte. Das war nun endlich ein ganz konkretes Beschäftigungsfeld und ein sehr interessantes noch dazu! Ich war überglücklich, schrieb an Ford und sagte ab und bekam Ende September 1971 von Lothar Heubel meinen ersten Arbeitsvertrag.

Mein erster Arbeitstag war Freitag, der 1. Oktober 1971. Ich musste nicht groß eingeführt werden – ich kannte die Firma und auch alle Kolleginnen und Kollegen ja aus meinen Ferienjobs bereits bestens. Heubel nahm mich gleich beiseite und sagte mir, dass ich am nächsten Tag, einem Samstag, mitkommen sollte zu einer Anhörung beim Rheinischen Kunsthändlerverband in der Messe Köln. Heubel hatte dort einen Aufnahmeantrag gestellt, der aber negativ beschieden worden war, und gegen diese Ablehnung hatte er sich zur Wehr gesetzt – Heubel wollte diesem Verband unbedingt angehören, weil es sich damals um den einzigen anerkannten und seriösen Verband deutscher Kunsthändler handelte. Und ausschließlich dessen Mitglieder hatten Ausstellungsrecht auf den großen Kunstmessen in Deutschland und Europa, auf denen die finanzstärksten Käufergruppen der Welt einkauften. Um Mitglied zu werden, bedurfte es eigentlich zweier Bürgen und einer Einladung, dem Verband beizutreten, sowie eines ausgewiesenen Fachbereiches, der im Verband noch nicht vertreten war. Es handelte sich also um einen äußerst elitären Verein, der sich sehr erfolgreich nach außen abschottete. Heubel hatte kaum eine der Bedingungen erfüllt, doch man führte andere Gründe an, die dazu geführt hatten, dass er nicht zugelassen werden sollte. Wir waren pünktlich in der Messehalle angekommen. Der Termin fand in einem Besprechungsraum in einer der oberen Etagen statt, wo der Kunsthändlerverband seine Jahresversammlung abhielt. Nach einer geraumen Wartezeit wurden wir vorgelassen. Heubel stellte mich als seinen „Sachbearbeiter für Kunsthändlerfragen“ vor – wobei ich erst auf der Fahrt zur Messe von ihm erfahren hatte, worum es eigentlich gehen sollte. Ich fühlte mich ziemlich fehl am Platz, und meine größte Furcht war, irgendwelche Fragen gestellt zu bekommen und dann bar jeder Ahnung zu sein. Doch diese Furcht sollte unbegründet sein, denn Heubel schaffte es, sich ganz alleine um alle Chancen zu bringen! Er hielt erst einen Vortrag, in dem er Martin Luther King zitierte … „ich hatte einen Traum….“ Die anwesenden Kunsthändler sahen sich verwundert an. Und als sein Vortrag immer ausschweifender zu werden drohte, schnitt ihm der Vorsitzende das Wort ab und meinte „so, das reicht jetzt, Herr Heubel, wir haben genug gehört. Was sagen sie denn zu dem Fall Attendorn?“ Jetzt hatte es meinem Chef offenbar die Sprache verschlagen, denn er stammelte irgendetwas von Missverständnissen, die ohne weiteres ausgeräumt werden könnten. Doch dann ging alles ziemlich schnell. Es wurde mit Handzeichen abgestimmt, und der Antrag auf Aufnahme in den Verband wurde einstimmig abgelehnt. Wie begossene Pudel schlichen wir uns hinaus. Ich wagte Heubel nicht zu fragen, was es mit dem „Fall Attendorn“ auf sich gehabt habe, erfuhr aber später von dritter Seite, dass ein Mann namens Attendorn eine sehr teure Statue von Heubel gekauft hatte, die später von einem französischen Spezialisten als Fälschung identifiziert worden war. Attendorn hatte daraufhin den Kunsthändlerverband hierüber informiert, da Heubel ihm gesagt habe, er sei Mitglied in diesem Verband – offenbar, um mehr Seriosität auszustrahlen. Wie Heubel nach diesem Vorkommnis noch den Nerv besaß, sich um eine offizielle Aufnahme in eben diesen Verband zu bemühen, blieb mir immer schleierhaft.

In den folgenden Wochen ging es dann an die Vorbereitung einer ersten Auktion. Es sollte um antike Waffen gehen – ein Spezialgebiet, das sich Anfang der 1970er Jahre bei Sammlern immer größerer Beliebtheit erfreute. Mit der fachlichen Unterstützung von Heubels Vater, einem „Fachanwalt für Steuerrecht“, formulierte ich die gesetzlichen Versteigerungsbedingungen – ein unheimlich aufwendiger, mir völlig fremder und nicht zuletzt sehr trockener Verwaltungsakt. Es ging letztlich darum, in Worte zu fassen, was das Gesetz verlangte und dabei nicht genau das Gleiche hineinzuschreiben wie andere Versteigerungshäuser, also musste ich eigene Formulierungen verwenden. Ich hasste diese Termine im Haus des Anwalts, zudem war dieser ein sehr schneidender und uncharmanter Herr. Fremden stellte er sich stets als „ich bin der Doktor Heubel“ vor, und er bestand auch immer darauf, mit seinem Titel angesprochen zu werden. Wir saßen uns dann in seiner dunklen, mit mächtigen Gründerzeitmöbeln ausgestatteten und nach abgestandener Luft und kaltem Zigarrenrauch riechenden Kanzlei stundenlang gegenüber – er musste immer das letzte Wort haben – und rangen um Formulierungen. Das heißt, sobald ich etwas halbwegs flüssig hingeschrieben hatte, wollte er alles wieder ändern. Aber irgendwann war das Werk vollendet – und man könnte es übrigens noch heute anwenden, denn es war sozusagen wasserdicht.

Während der folgenden Wochen trafen dann immer mehr alte Waffen ein: Nürnberger Radschlossflinten aus dem 16. Jahrhundert, Steinschloss- und Perkussionswaffen, Rapiere, Degen, Schwerter und Säbel, mittelalterliche Rüstungen sowie ein sehr bedeutendes Paar Dresdner Radschlosspistolen. Nun mussten all diese Objekte katalogisiert werden, und dafür war nun ich verantwortlich. Ich kannte mich damals recht gut mit diesen Dingen aus, aber bei Blankwaffen etwa (alles, was eine Klinge hat), zog ich externe Experten hinzu. Mit meinen Beratern saß ich oft nächtelang über diesen Waffen, wir stöberten in der Fachliteratur, und ich formulierte nach und nach die Beschreibungen auf einem mobilen Diktiergerät. Dieses Medium wurde mit Folien bestückt, die eine Sekretärin am nächsten Tag abhörte und dann das Diktierte zu Papier brachte. Ich kann sagen, dass ich mir in diesen Sitzungen ein enormes Fachwissen aneignete. Noch Jahre später wurde ich von Sammlern aus dem In- und Ausland immer wieder um Rat gebeten. In den folgenden Jahren führten wir so eine Vielzahl an Auktionen durch, die meisten ziemlich erfolgreich. Doch zurück zur ersten Auktion: Fast alle Waffen kamen aus den USA. Dort gab es (und gibt es noch immer!) einen sehr aktiven Sammlermarkt, und an bestimmten Wochenenden fanden sogenannte Gun Shows statt, auf denen Heubel ständiger Gast war.

Zu dieser Zeit war das Waffengesetz in Deutschland noch sehr locker, und unter den Begriff „Sammlerwaffen“ fielen auch Waffen, für die heute zumindest eine Waffenbesitzkarte erforderlich wäre, wenn nicht gar ein Waffenschein. Und den zu bekommen, ist ja hierzulande – zum Glück! – beinahe ausgeschlossen.

Wenn Heubel von einer Einkaufsreise in die USA zurückkam, folgte ihm wenige Tage später immer eine Luftfrachtsendung von mehreren langen und sehr schweren Waffenkoffern. In ihnen steckten Winchester Gewehre, Revolver, Pistolen, Blankwaffen – alles, was das Sammlerherz begehrte, und all dies landete normalerweise in den Vitrinen der Firma, um dann an Sammler verkauft zu werden. Doch diesmal wurden die Waffen im Büro ausgelegt – der Boden war komplett bedeckt, so dass man sich im Büro kaum noch bewegen konnte. Stück für Stück bekam dann in meinen nächtlichen Sitzungen (ich arbeitete an den Katalogbeschreibungen fast ausschließlich nachts, weil ich nur dann Ruhe hatte und nicht abgelenkt wurde) seine Nummer, wurde beschrieben und ging dann wieder zurück in einen der Koffer. Zur Auktion fanden sich auch einige Amerikaner ein – die Besitzer der teuersten und wertvollsten Stücke, die Heubel mit der Aussicht auf einen hohen Erlös bei seiner Auktion geködert hatte. Denn eines war klar – er verfügte zwar immer über einige Mengen an Bargeld – diese Waffen jedoch, vor allem die Radschlosswaffen aus dem 16. Jahrhundert – hätten sein Budget auf jeden Fall überfordert. Es kamen also ein amerikanischer Gebrauchtwagenhändler aus Florida, Marke Mafiosi: weißer Anzug, schwarz-weiße Lackschuhe und Gucci Sonnenbrille, Goldketten am Handgelenk und um den Hals. Aber Eric war ein sehr zuvorkommender und freundlicher Mensch, und er war innerhalb weniger Tage zu sagenhaftem Reichtum gekommen, als nämlich der Goldpreis stark angestiegen war und er ohne eigenes Zutun vom wohlhabenden Mann zum Millionär geworden war. Oder Fred – ebenfalls ein sehr netter Mensch von etwa 60 Jahren, aber entsetzlich schusselig. Fred war früher beim Geheimdienst tätig gewesen – vielleicht aber auch nur im diplomatischen Dienst – vielleicht war es ja auch das Gleiche! Die Asche seiner Zigarette – man sah ihn eigentlich nie ohne Zigarette – verteilte er überall. Und wenn er ein Glas mit einem Drink in der Hand hatte, hielt ihn das keineswegs davon ab, beim Sprechen auch die Hand mit dem Glas zu bewegen, so dass er regelmäßig eine Spur der Verwüstung hinter sich herzog! Von Fred habe ich übrigens meinen Spitznamen – er nannte mich immer „Jonesey“ – und so werde ich noch heute von meiner Frau genannt.

Diese beiden Amis kamen also kurz vor dem Auktionstermin in Köln an. Ich hatte die Ehre, sie am Flughafen abzuholen. Für solche Anlässe durfte ich auch Heubels Rolls Royce fahren – einen älteren Silver Shadow, von dem noch zu erzählen sein wird. Das Auto trug allerdings eher zur halbseidenen Reputation Heubels bei, denn wenn ein Kunde bei uns einkaufte und mitbekam, wem der Schlitten im Hof gehörte, konnte er sich in der Regel sicher sein, zu viel bezahlt zu haben!

Meinem Katalog lag eine Liste mit den Schätzpreisen bei. Diese waren von Heubel persönlich festgesetzt worden, und die Preise waren ziemlich willkürlich angesetzt – und in fast allen Fällen deutlich zu hoch. Doch bei Auktionen gelten ohnehin andere „Gesetze“ – die angegebenen Preise bedeuteten lediglich Richtwerte, und wenn man etwas für deutlich weniger ersteigerte, was in diesem Fall vielleicht immer noch zu teuer gewesen wäre, sollte dem Kunden zumindest das Gefühl vermittelt werden, ein Schnäppchen gemacht zu haben, obwohl der normale Marktwert in aller Regel noch wesentlich unter dem Zuschlagpreis bei der Auktion lag. Die Presse berichtete groß im Vorfeld, und auch während der Auktion waren Fernsehkameras dabei – es war ein echtes Highlight in der Antiquitätenszene, und wir waren mittendrin!

Bis zu dieser Auktion hatte ich ja noch nie eine Versteigerung live und dann auch noch hinter den Kulissen miterlebt. Diese hier hatte ich zwar vorbereitet und in zahllosen Stunden organisiert, ich hatte die Presse eingeladen, die Räume im Intercontinental Hotel an der St. Apern Straße angemietet – praktisch alle Vorbereitungen waren komplett und ausschließlich über mich gelaufen. Und doch musste ich einsehen, dass ich nur ein kleines Rad in Heubels Getriebe war – zumindest aus seiner Sicht. Aber das machte mir nichts aus – ich liebte den Job, und es blieb für alle, die Heubel im Laufe der Jahre um sich scharte, immer ein gefühltes Privileg, für ihn bis zur Selbstaufgabe arbeiten zu dürfen.

Drei Tage vor der Versteigerung wurde die komplette Auktionsware im Intercontinental Hotel in der Kölner Innenstadt ausgestellt, so dass sich potentielle Käufer ein Bild von den zu versteigernden Artikeln machen konnten. Dabei wurden dann auch – wie international üblich – schriftliche Gebote abgegeben – von Interessenten, die nicht selbst zur Auktion kommen konnten - etwa, weil sie verhindert waren. Ein solches schriftliches Gebot nennt immer einen Kaufpreis, zu dem der Käufer bereit ist zu kaufen. Dieser angegebene Kaufpreis darf aber vom Versteigerer nur soweit ausgereizt werden, wie im Saal mitgeboten wird, also jeweils eine Stufe über dem jeweils vorliegenden Gebot. Wenn also jemand etwa 1.000 DM oder heute Euro schriftlich bietet, kann es durchaus sein, dass er den Zuschlag schon für 500 erhält, weil eben niemand im Saal bereit war, mehr als 450 zu bieten. Dies ist die Regel, nach der jedes seriöse Auktionshaus handelt. Der Käufer vertraut dem Versteigerer also sein persönliches Limit an – in der Erwartung, dass dieser es auch nur dann ausschöpft, wenn wirklich ein anderer Bieter erst kurz vor Erreichen dieses Limits aussteigt. Jedoch ist der Versteigerer, also der Auktionator, zu einem gewissen Prozentsatz an jedem Verkauf beteiligt – er verdient also immer mit. Daher lief bei Heubel auch alles etwas anders. Bei der Versteigerung saß ich neben ihm, und ich hatte wie er alle schriftlichen Gebote vor mir liegen. Und ich glaubte meinen Augen und Ohren nicht zu trauen – denn beim ersten schriftlichen Gebot – es war eine Steinschlosspistole mit einem Schätzpreis von etwa 1.500 DM – lag ein schriftliches Gebot von 1.200 DM vor. Doch schon bei 700 DM war offenbar niemand bereit, mehr zu bieten. So sehr sich Heubel auch bemühte – alle Hände blieben unten. Daher hätte er dem schriftlichen Bieter den Zuschlag zu 750 oder bestenfalls 800 DM geben müssen. Doch plötzlich steigerte Heubel weiter – zeigte in den Raum und rief „750, da hinten links 800, rechts habe ich 850….“ – erst bei 1.150 hörte er auf. Wohlgemerkt – niemand hatte da geboten! Er hatte nur das schriftliche Gebot, an dem er schließlich mitverdiente, ausreizen wollen, so gut es eben ging. Er sagte mir später einmal, dass dies normale Praxis bei Auktionshäusern sei – „da bieten die Wandlampen und die Bilder an den Wänden alle mit!“ Ich habe in den vergangenen Jahren selber hin und wieder auf Auktionen gekauft und dort auch schriftlich geboten, und ich kann sagen, dass es durchaus nicht die übliche Praxis ist, Gebote „in den Himmel zu ziehen“, obwohl es hier und da vorkommen mag. Man tut also gut daran, sich als Käufer sein persönliches Limit abzustecken und vor allem – sich seinen Auktionator gut auszusuchen!

Wir hatten vor der Auktion ausgemacht, dass er die erste Hälfte oder auch 2/3 der Auktion leiten würde, dann sollte ich ihn ablösen. Aber er badete im Erfolg und fand offenbar Gefallen daran, im Licht der Scheinwerfer zu stehen und ließ nicht mehr los, was aber verständlich war. Ohnehin – das habe ich ja bereits erwähnt - waren seine Zusagen das Papier nie wert, auf dem sie gemacht worden waren. Heubel war gierig, egozentrisch, und sein Humor hörte immer dann abrupt auf, wenn es um seine Person ging. Dies verstand ich nie, denn von meinem Vater hatte ich immer das genaue Gegenteil gelernt. Nach außen blieb mein Chef aber immer verbindlich, charmant und durchaus vertrauenserweckend. Immerhin so sehr, dass Kunden ihm sehr teure Stücke abkauften und ihm auch größere Summen liehen, um bestimmte Akquisitionen zu tätigen. Jedoch sahen nicht alle ihr Geld wieder. Heute, viele Jahre später, kann ich sagen, dass es ihm immer und ausschließlich um seinen eigenen Vorteil ging und er sich diebisch freute, wenn er ein Geschäft zum Nachteil eines anderen gemacht hatte. Nicht einmal sein engster Freundeskreis war vor seiner Egomanie sicher. Einer seiner besten Freunde war ein sehr angesehener Musiker. Wenn jedoch irgendjemand sich positiv über diesen Mann äußerte, wiegelte Heubel stets ab – das sei doch nur ein ‚armseliger Fiedler‘. ‚Neben mir keine fremden Götter‘ – dies war seine Devise. Und wehe, man folgte ihr nicht!

Doch all diese Erkenntnisse wurden mir erst viel später im Laufe der folgenden Jahre bewusst. An einem Wintertag – ich glaube, es war im Januar 1972 – rief ein Englisch sprechender Ausländer an. Er wollte von der Straßenbahnstelle in Köln-Dünnwald – etwa 3 km von unserem Büro und Lager entfernt - abgeholt werden. In der Nacht hatte es geschneit, und aus einem kalten grauen Himmel grieselte es leicht. Ich nahm ein Auto und fuhr los, um den Anrufer, von dem wir annahmen, dass es ein Kunde sei, abzuholen. Heubel befand sich zu diesem Zeitpunkt in seinem Geschäft in Zürich – er war also nicht im Büro. Ich hielt an der Straßenbahnhaltestelle Ausschau nach einem Mann, der aussehen könnte wie ein Kunde. Doch da war nur ein in einen Kaftan gehüllter Mann mit einem Turban. Seine nackten Füße steckten in Lederpantoffeln, die nach vorne hin spitz und nach oben zuliefen. Ich sprach ihn an – er war der Mann, nach dem ich suchte. Er fror offenbar, seine Hände waren eiskalt und blaugefroren, und er fragte mich ohne viel Umschweife, wer ich sei und wo Heubel sich befinde. Dabei griff er in sein Gewand und zeigte mir einen langen Krummdolch, den er aus seiner Scheide zog. „Ich werde ihn töten!“ Ich war zu Tode erschrocken. Und dann ließ ich den Mann erzählen.

Heubel hatte in Afghanistan eine große Sammlung von Gandhara Statuen aufgetan. Dabei handelte es sich um Steinfiguren aus dem 3. und 4. Jahrhundert, die nach der Gegend benannt werden, in der sie meist hergestellt worden waren. Gandhara ist eine Region unweit von Peschawar im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan. In den ersten Jahrhunderten des Buddhismus wurde sein Namensgeber niemals als Statue dargestellt, sondern als Sonnenrad, oft auch als Rad auf einer Hand. Erst als Alexander d. Gr. auf seinen Eroberungszügen in die Gegend des heutigen Afghanistan und Pakistan kam, folgten ihm mit der Zeit auch Künstler und Bildhauer, die später die ersten menschenhaften Darstellungen von Buddha anfertigten. Da die Künstler meist aus Griechenland kamen, sahen auch ihre Statuen aus wie hellenistische Kunstwerke. Die Gesichter hatten griechische Züge, und auch der Faltenwurf der Gewänder und die Haartracht waren typisch griechisch. Die Sammlung umfasste etwa 80 dieser Statuen, deren Export aus Afghanistan bei hoher Strafandrohung streng verboten war. Doch fand sich dort immer jemand, der das Unmögliche in den Bereich des Möglichen zu ziehen verstand – gegen Geld, versteht sich. Heubel hatte diesen Mann beim afghanischen Zoll gefunden und mit dem Besitzer der Statuen einen Deal gemacht. Die Sammlung sollte 100.000 DM kosten – eine Summe, die auch Heubel nicht hatte. Doch er überzeugte den Verkäufer, dass er in Deutschland einen möglicherweise noch viel höheren Preis würde erzielen können, und bot ihm an, ihn an diesem Verkauf zu beteiligen. Man einigte sich schließlich darauf, dass Heubel nur den Inhalt würde bezahlen müssen, den der afghanische Exporteur deklarieren würde. Der eigentliche Verkaufserlös sollte dann nach erfolgtem Verkauf geteilt werden. Von all dem wussten natürlich nur der Verkäufer und Heubel selbst.

Irgendwann war ein Container bei uns in Köln angekommen. Als wir ihn öffneten, fanden wir erst einmal nur billigste Rattanmöbel, von Würmern zerfressen und offenbar ziemlich wahllos in den Container gestopft. Ausnahmslos alle wanderten auf den hinter dem Haus auf den Pferdewiesen befindlichen Brennplatz, wo wir Abfälle und alte Holzkisten verbrannten. Damals war dies noch durchaus legal, und das Bewusstsein für die Umwelt wurde ja auch erst in den späteren Jahren geschärft.

Doch nachdem wir diesen Rattanmüll ausgeladen hatten, fanden wir im vorderen Teil des Containers eine Menge vernagelter Holzkisten. Und in ihnen befanden sich in Holzwolle verpackt eben jene Gandhara Statuen – wahrscheinlich waren noch niemals irgendwo auf dieser Erde so viele Originale auf einem Haufen gelegen! Eine war schöner als die andere. Im Laufe der folgenden Wochen hatte Heubel bereits den größten Teil dieser Figuren für enorme Beträge verkauft.

Doch zurück zu meinem Afghanen, den ich an der Straßenbahn abgeholt hatte.

Mit vor Kälte blauen Händen und Knöcheln – seine nackten Füße steckten ja in diesen orientalischen Pantoffeln – stieg er zu mir ins Auto. Er sprach gerade so viel Englisch, dass wir uns verständigen konnten, und er erzählte mir, warum er den weiten Weg nach Deutschland unternommen hatte. Er werde sich ins Unglück stürzen, wenn er Heubel umbringen wolle, sagte ich ihm, denn auf ihn werde unweigerlich ein langer Aufenthalt im Gefängnis warten. „Nichts kann so schlimm sein wie das, was mich zu Hause erwartet, wenn ich wieder zurückkomme“ meinte er, und dann erzählte er mir seine Version einer Geschichte, die Heubel immer anders dargestellt hatte. Demnach hatte der Afghane eine sehr bedeutende Sammlung von Gandhara Statuen zusammengetragen. Die wenigsten gehörten ihm – einige waren aus musealen Quellen, die meisten allerdings von privaten Sammlern, die ihm ihre Stücke zum Weiterverkauf anvertraut hatten. Offenbar hatte er in Kabul einen exzellenten Ruf und genoss dort sehr großes Vertrauen. Mit Heubel hatte er ausgemacht, dass er ihm diese Statuen in einem Container schicken werde, dessen Inhalt er als „Rattanmöbel“ und mit einem lächerlich geringen Wert von wenigen hundert Mark deklarieren werde. Dies war auch genauso durchgeführt worden - ohne, dass es irgendwo eine Beanstandung gegeben hätte. Nur mit dem kleinen Haken, dass Heubel sich nach Erhalt der Ware stur stellte und immer behauptete, er habe die Statuen nie erhalten – im Container sei – wie deklariert – nur wertloses Gerümpel gewesen, das er sofort habe verbrennen lassen. Im Gegenteil sei er der Geschädigte, denn er habe ursprünglich viel hochwertigere Möbel bestellt, diese aber nie erhalten. Und demzufolge hatte Heubel diese Statuen auch niemals bezahlt.

Irgendwie haben die beiden sich damals geeinigt. Der Afghane war nach Zürich geflogen und hatte Heubel dort getroffen. Heubel muss ihm damals Versprechungen gemacht haben, die den Verkäufer der Statuen zumindest für den Moment zufriedenstellten. Dass es sich hierbei nicht um ein seriöses Angebot meines Chefs gehandelt haben kann, ist daran zu erkennen, dass wenige Wochen später ein Steckbrief Heubels an allen Grenzen Afghanistans aushing. Kurz zuvor war er noch nach Kabul gereist – offenbar in Verkennung seiner Möglichkeiten, denn dort wurde er sofort mehrere Tage unter Hausarrest gestellt und durfte das Hotel nicht verlassen. Und als er bereits Vorkehrungen für seine Flucht getroffen hatte, bei der er das Land bei Nacht und Nebel über die grüne Grenze nach Pakistan verlassen wollte, wurde er mit einem Beamten der Grenzpolizei am Flughafen zusammengebracht, dem er eine größere Summe bezahlte und der ihn dann im Gegenzug ziehen ließ. Angeblich wurden noch am selben Tag nach Heubels Abreise die Steckbriefe in Auftrag gegeben, und Heubel hat dieses Land nie mehr betreten. Nach Pakistan ist er im Übrigen auch nie mehr gereist, denn auch dort war eine Summe auf seinen Kopf ausgesetzt – wegen unbezahlter Rechnungen.

Etwa zur gleichen Zeit liefen in Deutschland Ermittlungen der Finanzämter gegen ihn. Er hatte es offenbar bei seinen Steuererklärungen nicht so genau genommen und sollte eine Million DM an Steuern nachbezahlen. Er nahm Kredite auf, lieh sich Geld bei Freunden und Verwandten und ging weiter auf Reisen. Diese Reisen dauerten immer 4 – 6 Wochen, manchmal aber auch 2 Monate. Während dieser Zeit tauchte er ab, er blieb spurlos verschwunden, denn es gab damals ja weder Fax, noch Internet – also auch kein Email, und es war extrem schwierig, wenn nicht unmöglich, aus Indien oder Afrika zu telefonieren. Die Geschicke der Firma lagen während dieser Zeit also in den Händen der Mitarbeiter. Offiziell hatte er mich zum Geschäftsführer gemacht. Aber das hieß nicht sehr viel, denn in Vieraugengesprächen beauftragte er fast jeden Mitarbeiter, die Kollegen und deren Arbeitsleistung im Auge zu behalten – also hatte jeder jeden zu kontrollieren. Das bekamen wir natürlich nicht mit – ich erfuhr es erst im Laufe der folgenden Jahre. Aber die Geschäfte liefen damals immer noch sehr gut; es gab so gut wie keine Konkurrenz, und was Heubel an Ware auch anschleppte – sie war offenbar immer sehr großzügig kalkuliert und wurde hervorragend verkauft.

Auf dem Weg durch die Zeit

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