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Tante Luise

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Ich erwähnte schon die gelegentlichen Besuche von Kollegen meines Vaters aus Afrika, Asien und aus dem Nahen und Fernen Osten. Natürlich hatte auch meine Mutter gelegentlich Besuch von alten Freundinnen oder Verwandten. Eine sporadische Besucherin ist mir in besonderer Erinnerung geblieben, denn sie war eine sehr emphatische Frau mit einem Herzen aus Gold und lebte ein in meinen Augen sehr abenteuerliches Leben, aus dem sie gerne und viel und sehr bildhaft erzählte.

Obwohl ich sie relativ selten zu Gesicht bekam, war sie eine meiner Lieblingstanten. Tante Louise war eine Cousine zweiten Grades meiner Mutter und lebte in den frühen 60er Jahren in Rom, später in New York. Sie kam ursprünglich aus Köln, was man ihr immer sehr deutlich anhörte und hatte auf einer Urlaubsreise nach Rom ihren späteren Mann Alberto Marinucci kennengelernt. Tante Luise sah aus wie eine rassige waschechte Italienerin, hatte schwarze Haare und einen Riesenbusen, und sie sprach perfekt Italienisch. Sie war sehr temperamentvoll und sprühte vor Witz und Humor. Als 14- oder 15-jähriger verbrachte ich mal die Winterferien bei ihr in Sillian in Südtirol, wo sie damals für ein paar Jahre mit ihrem zweiten Mann lebte. Ich war dort keinerlei Reglements unterworfen – ich durfte rauchen, Bier und Wein trinken und abends ins Bett gehen, wann ich wollte. Sie hatten keinen Fernseher, aber das vermisste ich auch nicht, denn Tante Luise unterhielt uns abends nach dem Essen bei einem Glas Wein häufig mit Anekdoten aus ihrem schillernden Leben.

Ihr erster Mann Alberto hatte einen sehr angesagten Damenfriseursalon in Rom. Als gelernte Friseurin arbeitete sie dort immer mit und kannte so die meisten der Kundinnen.

Eines Tages fuhr eine schwarze Mercedes Limousine mit einem Kennzeichen des Vatikan vor. Ihr entstiegen ein Kardinal und eine junge Frau. Der Kardinal war in Rom damals offenbar ziemlich bekannt, und Tante Luise begrüßte ihn. „Erfüllen sie meiner Nichte bitte alle Wünsche – die Rechnung geht dann bitte an mich“ meinte der Kardinal, bevor er sich wieder in den Fond des Mercedes fallen ließ und davonrauschte. Die attraktive junge Blondine, die er im Salon zurückgelassen hatte, bekam einen Stuhl zugewiesen. Tante Luise sollte sie behandeln. Auf dem Weg zu ihrer jungen Kundin streifte sie eine Vase, die auf einem Sockel mitten im Salon stand, und die Vase fiel krachend zu Boden, wo sie in tausend Scherben zerbrach.

„Leck misch in der Täsch, nä, dat mir dat passiere muss!“ fluchte Tante Luise in breitem Kölsch. Worauf die Nichte des Kardinals sich erstaunt umdrehte und fragte „Küsste och us Kölle?“ (Kommst du auch aus Köln?) Da hatten sich also zwei kölsche Mädscher gefunden, und sie vertieften sich gleich in eine ausgedehnte Unterhaltung, in deren Verlauf die Nichte meiner Tante erklärte, dass sie keineswegs die Nichte des Kardinals sei, sondern seine Geliebte. Er habe ihr eine Wohnung hier in Rom gemietet, und immer wieder komme sie für ein paar Wochen hierher, wo sie und der Kardinal dann unerkannt wie Mann und Frau zusammenlebten – so gut es eben ging. Ein katholischer Priester – ein Kardinal! – und seine Geliebte! Und diese Kirche wollte dem normalen Bürger Regeln auferlegen, die mit Moral und Sexualität zu tun hatten? Ich hatte nie etwas Verlogeneres gehört! Doch es war auch diese Erzählung meiner Tante, die mein Interesse an der Kirchengeschichte und der des Katholizismus allgemein weckten.

Das ging sogar so weit, dass ich viele Jahre später Religionswissenschaft als eines meiner Studienfächer wählte, was ich niemals bereut habe. Vielleicht auch, weil ich mit einem gewissen Professor Fuhrmanns einen genialen Lehrer hatte – einen Querkopf, der keine Provokation ausließ und den auf Linie zu halten die katholische Kirche ihre liebe Mühe und Not hatte. In seiner ersten Amtshandlung hatte er als junger Priester die Vertretung eines erkrankten Kollegen übernehmen müssen und am 6. Januar, dem Dreikönigstag, im hohen Dom zu Köln die Messe gelesen. Eigenartigerweise ist dieser Tag in NRW – im Gegensatz zu Bayern und Baden-Württemberg – kein Feiertag, sind doch die Gebeine der drei angeblichen Könige in ihrem goldenen Schrein - einem Meisterwerk mittelalterlicher Goldschmiedekunst - im Kölner Dom aufbewahrt. Und die drei Kronen im Kölner Stadtwappen zeugen ja auch von ihrer Anwesenheit in der Domstadt. In seiner Predigt riss Fuhrmanns dann erst einmal alle Tabulinien, die es diesbezüglich in Köln gab: Er erklärte, dass es die drei Könige – so, wie in der Bibel beschrieben, höchstwahrscheinlich nie gegeben habe. Er machte gleich reinen Tisch mit Legenden, Märchen und den Wünschen, die Menschen in sie hineinprojiziert hatten. Doch er desillusionierte natürlich auch die zahllosen Gläubigen, die dieser Messe beiwohnten, darunter viele Schulklassen. Der Skandal war perfekt! Doch eigenartigerweise hatte dieser Einstand Fuhrmanns Karriere nicht sonderlich geschadet, er hatte ihr bestenfalls eine kleine Delle verpasst, was den späteren Professor nicht sonderlich störte. Hier war ein aufrechter Mann, der kein Blatt vor den Mund nahm, der offen kritisierte, was ihm unglaubwürdig oder falsch erschien. Seine Vorlesungen waren immer hoffnungslos überfüllt – es nahmen auch stets viele Studienfremde daran teil. Und zum Schluss gab es fast immer – so wie auch nach seinen Predigten in der Kirche – offenen und lang anhaltenden Applaus. Es war Fuhrmanns, der mich mit den Dogmen der katholischen Kirche konfrontierte, der Unfehlbarkeit der Päpste – eingeführt erst beim 1. Vatikanischen Konzil (1870), der Jungfrauengeburt Mariens – also war nach diesem Glauben Maria auch nach Jesu Geburt noch Jungfrau mit einem intakten Hymen, oder der Auferstehung Mariens mit Leib (!) und Seele, was noch heute vor allem in Südeuropa als der größte Feiertag nach Ostern und Weihnachten mit großem Pomp und Feuerwerk gefeiert wird! Glauben all die vielen Menschen auf der Straße, die die Prozessionswege säumen und ihre Häuser schmücken, an diese in grauer Vorzeit aufgeschriebenen Legenden, die sich auch aus der bunten Folklore Vorderasiens speisten? Oder feiert man, weil man das schon immer gemacht hat, unreflektiert und aus reiner Lust am Feiern und am Pomp, worin die katholische Kirche schon immer unübertrefflich war - man denke nur an die Amtseinführungen der Päpste - während man in Wahrheit eben die Wahrheit zu Grabe trägt? Je tiefer ich später in diese Thematik eintauchte, desto größer wurden meine Zweifel.

Ich will nicht so weit gehen und behaupten, dass mit der Erzählung meiner Tante über den Kardinal und seine Geliebte eine Weiche in meinem Leben gestellt wurde. Aber sie hatte jedenfalls einen sehr nachhaltigen Einfluss auf meine Einstellung zu den Konfessionen dieser Welt!

In den 60er Jahren ließ sich Tante Luise von ihrem Mann Alberto Marinucci scheiden. Das war damals noch ein Tabu – Scheidung! Doch Alberto hatte seine Frau mehrmals verprügelt und sie nach Strich und Faden betrogen. Die Ehe war zerrüttet, und jeder ging seiner Wege, Alberto wanderte mit dem gemeinsamen Sohn Fernando nach New York aus, Tante Luise zog es nach Südtirol, wo sie ihren späteren Mann Hans kennenlernte, bei dem sie allerdings vom Regen in die Traufe geriet. Hans war ein ehemaliger SS Mann, ein Baum von einem Mann, der sich mit den angeblichen Taten, die er im Krieg in Russland begangen hatte, brüstete. Das machte ihn nicht unbedingt sympathischer. Außerdem war er starker Alkoholiker und vom späten Nachmittag an nicht mehr ansprechbar. Er starb einige Jahre vor meiner Tante, die nach seinem Tod in Südtirol blieb.

Als einige Jahre zuvor Alberto in New York einem Schlaganfall zum Opfer gefallen war, war Tante Louise nach Amerika geflogen, um ihrem Sohn Fernando nah zu sein. Es gab eine Menge Erbrechtliches zu klären, und Alberto hatte verfügt, dass er unbedingt in Rom an der Via Appia beigesetzt werden solle. Doch wie sollte Tante Luise seine Asche – noch dazu in einer Urne – unbemerkt außer Landes schaffen und dazu noch nach Italien einführen? Das war damals nämlich verboten – ist es vielleicht auch heute noch. Man setzte sich also zusammen, überlegte und hielt Kriegsrat.

Alberto war ein kleiner, knochiger Mann gewesen, und seine Überreste machten in der vom Beerdigungsinstitut gelieferten Urne nicht allzu viel her. Man beschloss also erst einmal, die Asche in eine kleinere Urne umzufüllen. Aber auch dieses Exemplar konnte natürlich nicht unsichtbar bleiben. Da hatte Tante Luise die rettende Idee. Ich habe schon ihren sehr ausladenden Busen erwähnt, den sie in jüngeren Jahren gehabt hatte. Mittlerweile hatte er an Volumen und Straffheit altersbedingt erheblich eingebüßt. Meiner Mutter hatte sie einmal erzählt, dass sie ihre Brüste morgens immer aufrollte, um sie in einem BH unterbringen zu können. Beim Ausziehen rollten sie dann – der Schwerkraft folgend – wie ein Vorhang herab. Und in New York beschloss sie, die Asche ihres verstorbenen Exmannes sozusagen an ihrem Herzen heimzubringen nach bella Italia! Also setzte sie sich an den Küchentisch und rollte ihre Brüste auf diesem in voller Länge aus. Dann bepuderte sie die beiden Fleischlappen und streute Alberto vorsichtig auf beide Brüste. Diese rollte sie dann wieder zusammen und verstaute sie in ihrem BH. Nichts war zu sehen, und nichts kratzte – vielleicht dank des Puders, den sie vorher aufgetragen hatte. Aber sie meinte, die Asche sei so sanft gewesen wie der Puder selbst.

Ihr Rückflug nach Rom verlief reibungslos, und kein Zöllner wäre auch nur auf die Idee gekommen, den toten Alberto Marinucci oder irgendeine sonst zu deklarierende Ware im BH meiner Tante zu suchen! Tante Luise entsprach dem letzten Willen ihres verblichenen Exmannes und verstreute seine Asche an der Via Appia. Dann trat sie in ihr zweites Leben – wieder in Rom, wo auch ihr wildes erstes begonnen hatte. Aber nun war sie frei.

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