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Weichenstellungen I

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Zu Beginn der 60er Jahre gab es einen Mieterwechsel in unserer Nachbarschaft in Köln Dünnwald. Die Pferdeställe und zwei kleinere Räume hinter dem Haus gingen an einen 27jährigen Mann, der mit Hund und Pferd dort einzog. Der Hund mit Namen Gero war eine graue Bestie von Schäferhund, der eher aussah wie ein Wolf und der auf alles losging, das ihm zu nahe kam. Aber immerhin gehorchte er seinem Herrn aufs Wort. Eigenartigerweise hatte ich nie Angst vor diesem Hund, obwohl er sich einmal von hinten angeschlichen und mich völlig ohne Anlass in den Hintern gebissen hatte. Ich hatte damals einen eigenen Hund, einen kleinen Cockerspaniel, und die beiden waren einander in abgrundtiefem gegenseitigem Hass verbunden. Wenn sie am Zaun, der sie voneinander trennte, aufeinandertrafen, konnte einem angst und bange werden – so furchterregend waren das Zähnefletschen und Geifern und Knurren. Diese Abneigung brachte Gero auch mir entgegen. Ich kann daher auch nicht sagen, dass ich ihn wirklich mochte, denn er war schon ein linker Genosse. Aber er respektierte mich offenbar, und das war die Basis unseres Auskommens miteinander, das über die Jahre immerhin etwas freundlicher wurde.

Ich habe des Öfteren im Leben festgestellt, dass ein vermeintlicher Zufall sich Jahre später als Weichenstellung im Leben auswirkt; es ist mir jedenfalls einige Male so ergangen. Und dass Lothar Heubel unser neuer Nachbar wurde, sollte eine solche Weichenstellung für mich werden. Er war jovial, jugendlich und sehr gewinnend. Und er gab mir in den ersten Jahren regelmäßig Reitunterricht – gegen Bezahlung natürlich. Darüber hinaus unterhielten wir trotz unseres Altersunterschiedes von 15 Jahren ein freundschaftliches Verhältnis. Wie üblich verbrachte ich fast meine gesamte Freizeit in den Pferdeställen und auf den Wiesen hinter dem Haus und hatte dadurch regelmäßigen Kontakt zu Heubel. Der erwies sich als ein sehr umtriebiger Mann. Fast jeden Monat spannte er seinen Pferdeanhänger hinter seinen alten roten Mercedes 190 und fuhr nach Spanien, von wo er dann nach zwei oder drei Wochen voll beladen zurückkam. Er brachte alles Mögliche von dort mit – manchmal war der Anhänger bis unters Dach beladen mit Kupferkesseln und altem Bauerngerät, dann wieder mit Sitzkissen und Taschen aus Leder oder bunten Stoffen und mit Zierrat, den ich noch nie gesehen hatte.

Wie viele meiner Schulfreunde war auch ich immer auf der Suche nach irgendwelchen Jobs. Meine allererste Beschäftigung fand ich auf einer Baustelle, wo ich in den Osterferien für zwei Wochen arbeitete – für DM 2,50 (also € 1,25) die Stunde, was damals recht ordentlich war. Doch bald darauf bot mir Heubel, in dessen aufstrebender Firma ich ja als Nachbar ein- und ausging, die Möglichkeit, bei ihm kleinere Jobs anzunehmen. Bei meinem ersten Job dort sollte ich Knöpfe an marokkanische Strandtaschen fädeln – „nähen“ wäre zu viel gesagt. Es war ein wenig umständlich und erforderte eine gewisse Fingerfertigkeit. Aber er bot mir 6 Pfennig pro Tasche und meinte, da käme ich locker auf vier Mark in der Stunde. Das hörte sich natürlich sehr verlockend an, und ich legte los. Leider kam ich nie auf mehr als DM 1,20 – und das war auch symptomatisch für die kommenden Jahre, denn Lothar Heubel sollte sich als Meister von Versprechungen erweisen, die nie eingehalten wurden.

Aber 1961 – da war ich gerade mal zwölf Jahre alt – sah ich das noch völlig anders. Heubel wurde sehr bald zu meinem Idol – er führte ein Leben, wie ich es mir nicht einmal in meinen kühnsten Träumen vorzustellen wagte, war ständig unterwegs in den fernsten und exotischsten Ländern, wurde bewundert, er war ein glänzender Unterhalter, war charmant und gewinnend und verdiente mit diesem außergewöhnlichen Leben auch noch viel Geld! Ich hatte mittlerweile ein offenes Jobangebot bei ihm und konnte dort jederzeit arbeiten, wann immer ich wollte oder konnte – und für mich war das ziemlich ideal. Ich brauchte nur hinter das Haus zu gehen und fand dann immer eine Beschäftigung, für die ich meine DM 2,50 und in späteren Jahren auch etwas mehr pro Stunde bekam und so mein Taschengeld signifikant aufbessern konnte.

Bald schloss der Gasthof nebenan, und Heubel mietete den ganzen Komplex noch dazu – komplett mit ehemaligem Tanzsaal und einem seit einiger Zeit stillgelegten Hotel. Ich war so etwas wie „Mädchen für alles“ – praktisch immer und überall einsetzbar. Sobald ich aus der Schule und nach Hause kam, ging ich nach nebenan, um Außenwände zu streichen, auf schwankenden, selbstgebauten Gerüsten balancierend, ich restaurierte alte Waffen, packte Pakete, fegte das Lager, half im Büro – es gab nichts, für das ich nicht hätte eingesetzt werden können.

Meine Eltern sahen dies mit einer Mischung aus Einverständnis und Misstrauen. Zum einen freuten sie sich über meinen Fleiß und meine Hingabe an diesen Nebenerwerb, zum anderen trauten sie dem Braten aber nicht so ganz, denn sie befürchteten, dass meine schulischen Leistungen darunter leiden würden. Womit sie nicht ganz unrecht hatten, denn in Mathematik lag ich bald hoffnungslos zurück, ich kapierte es einfach nicht. Und trotz zusätzlicher Arbeitsgruppen, die wir in der Schule organisierten, trotz gemeinsamer Hausaufgaben, die wir mit einem unserer besten Mathematikschüler durchführten und reichte es bei mir nicht mehr, denn ich hatte zu große Lücken bei den Lerninhalten der vergangenen Wochen und Monate. Nachdem ich bereits 1 x sitzengeblieben war, hangelte ich mich in den Folgejahren ohne größere Mühen durch, allerdings ohne ernsthafte Gefahren für ein weiteres Sitzenbleiben, denn durch meine Dauer - Eins in Englisch, die ich gepachtet zu haben schien, hatte ich immer einen Ausgleich, der mich über Wasser hielt, zumal meine Leistungen in den anderen Fächern immer korrekt waren. Es durfte nur keine weitere fünf hinzukommen! Bis auf das Jahr, in dem ich die Klasse wiederholen musste, weil zu der Mathe – Fünf eine weitere in Latein hinzugekommen war, bekam ich das bis zum Abitur hin. Und meine Ambitionen für einen besonders guten Notenschnitt hielten sich ohnehin in Grenzen – es gab ja damals noch keinen Numerus Clausus – ich hätte selbst mit meinem durchschnittlichen Abitur - Ergebnis ohne weiteres Medizin studieren können!

Derweil führten Heubels Reisen immer weiter hinaus in die Welt – erst nach Nordafrika, und auch von dort brachte er seine Einkäufe immer gleich im Mercedes und dem Pferdeanhänger mit. Und schließlich ließ er das Auto zu Hause und flog nach Schwarzafrika, wo er Unmengen von alten und neuen Masken und Figuren einkaufte, säckeweise Amethystdrusen in den herrlichsten Farben und Formen, Fruchtbarkeits- und Regengötter, sowie Jutesäcke voller großer Stränge von bunten Ketten aus Glasperlen. Irgendwann zog es ihn dann in eine andere Gegend dieser Welt – und es folgten die ersten Einkaufsreisen nach Indien, Pakistan, nach Afghanistan, Thailand, nach Tibet und nach Indonesien. Mittlerweile zählen die meisten dieser Länder – wenn man einmal von Pakistan und Afghanistan absieht – zu den beliebtesten Reisezielen, und es ist jedem heutzutage ohne weiteres möglich, eine Reise dorthin zu unternehmen. Das war damals allerdings sehr viel abenteuerlicher. Es gab noch keine Direktflüge, man musste immer mindestens zwei Flug - Unterbrechungen in Kauf nehmen, und in diesen Ländern konnte man auch gar nicht so ohne weiteres einkaufen, weil es diese Art von Export dort gar nicht gab. Und Heubel kaufte einfach alles, was ihm in die Quere kam – und das in unglaublichen Stückzahlen: alte Steinschlossflinten und Perkussionsgewehre aus Afghanistan - mit vielen dieser Waffen hatten die Engländer mit ihrer East India Company im 18. und 19. Jahrhundert ihre Feldzüge unternommen. Die Schlossplatten trugen noch den Stempel des schreitenden Löwen dieser ostindischen Kompanie. Einmal kam im Lager in Köln ein Lastwagen an mit zahllosen enorm schweren Holzkisten, die hoch auf der Ladefläche aufgetürmt waren und die dann von Hand abgeladen werden mussten. Sie enthielten mehr als tausend Gewehre – alles alte Originale mit kunstvoll gearbeiteten und intarsierten Schäften und mit herrlichen Läufen aus feinstem Damast-Stahl.

Alles, was er von dort mitbrachte, bzw. schicken ließ, wurde Heubel in Köln aus der Hand gerissen. Die Kunden lauerten immer schon auf die neu ankommende Ware, und das Geschäft blühte nicht nur - es explodierte geradezu. Heubel, der mittlerweile einen florierenden Handel führte und mehrere Mitarbeiter eingestellt hatte, war für diese ein sehr angenehmer Chef – er hatte immer einen Witz parat, verstand es, Menschen für sich einzunehmen und sie zu motivieren – allerdings auch zu manipulieren. Doch diese und viele andere Seiten sollte ich erst im Laufe der folgenden Jahre kennenlernen. Für mich blieb er erst einmal so etwas wie ein Idol – ich verehrte ihn und war stolz darauf, zum „inneren Kreis“ zu gehören. Denn ich war ja tatsächlich – wenn auch durch Zufall – von der ersten Stunde an mit dabei gewesen. Heubel bot mir auch immer wieder einen Job an – für die Zeit nach meinem Abitur. Er meinte, Studieren sei reine Zeitverschwendung. Er selbst war Bergbauingenieur mit abgeschlossenem Studium, hatte diesen Beruf aber nie ausgeübt. Und er führte sich selbst immer als bestes Beispiel an, wenn er mir erzählte, dass es besser sei, im Leben Gelegenheiten zu ergreifen, sie wahrzunehmen, anstatt Jahre in den Hörsälen der Universitäten zu verbringen. Langsam, aber sicher übernahm ich diese Positionen. Heubel meinte, für mich gebe es immer Platz in seiner Firma, und er könne mir garantieren, dass es kein Land auf der Welt geben werde, das ich nicht in seinem Auftrag bereisen würde. Das war genau das, was ich mir gewünscht hatte – meine Träume schienen in den Gesprächen mit ihm ständig wahr zu werden. Ich sah mich auf dem richtigen Weg – dem für mich richtigen Weg. Allerdings hatte ich in der Firma bisher nur Handlangertätigkeiten ausgeübt, und da war eigentlich nichts, das meinen Talenten oder auch Fähigkeiten auch nur halbwegs entsprochen hätte oder auch intellektuell gepasst hätte – für alles, was ich machte, war ich eigentlich falsch oder überqualifiziert. Das sahen auch meine Eltern so, und sie hingen mir ständig in den Ohren, dass ich etwas „Vernünftiges“ machen solle - etwas, das Hand und Fuß habe und dass ich nicht einem so windigen Menschen wie Heubel auf den Leim gehen dürfe. Nicht nur meine Eltern sahen Heubel als eher unseriös oder windig an. Er kam durch seinen Antiquitätenhandel, der so anders war, als das Bild, das man sich von dieser Branche machte mit ihren Gemälden und antiken Möbeln, mit Statuen und alten Teppichen - offenbar sehr schnell an ziemlich viel Geld, was ja an sich nichts Verwerfliches ist. Aber irgendwie traute man ihm nicht so richtig über den Weg. Er wurde auch mir gegenüber nie konkret, was das Jobangebot anging. Und „immer Platz zu haben in der Firma“ war ja nun eine mehr als vage Jobausschreibung!

Auf dem Weg durch die Zeit

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