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3.4 Lambrecht: Topik-Relation vs. Fokus-Relation

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Was den Topik-Begriff anbelangt, so weist Lambrechts Explikation zunächst deutliche Parallelen zu Gundels Ansatz auf:

A referent is interpreted as topic of a proposition if in a given situation the proposition is construed as being about this referent, i.e. as expressing information which is relevant to and which increases the addressee’s knowledge of this referent. (Lambrecht 1994, 131)

Die Nähe zu Gundels Topik-Bestimmung zeigt sich nicht nur im z.T. gleichen Wortlaut, sondern vor allem darin, dass Lambrecht ebenso wie Gundel für einen Topik-Begriff optiert, der auf den Referenten bezogen ist. Lambrechts Bestimmung gelingt es jedoch, die Unschärfe in Gundels Bestimmung zu vermeiden, indem er Aboutness als Relation zwischen Diskursreferent und Proposition expliziert und so eine ‚Lesarten‘-Deutung nahelegt.

Der entscheidende konzeptionelle Unterschied besteht jedoch im Folgenden: Lambrecht bestimmt die Topik-Kategorie zwar ebenso wie Gundel als Statuskategorie für Diskursreferenten; anders als Gundel deutet er die Aboutness-Relation selbst jedoch nicht als „partition of the semantic/conceptual representation of a sentence into two complementary parts“ (vgl. oben, Gundel/Fretheim 2004, 177). Dies wird deutlich, wenn wir uns Lambrechts Fokus-Definition anschauen, die – anders als seine Topik-Bestimmung – explizit nicht-referentiell formuliert ist: Lambrecht bestimmt Fokus intensional als „the semantic component of a pragmatically structured proposition whereby the assertion differs from the presupposition“ (Lambrecht 1994, 213). Hieraus ergibt sich der wesentliche Unterschied zu Gundels Ansatz, denn das, was innerhalb der „pragmatically structured proposition“ die Komplementär-Komponente zur „pragmatic assertion“ bildet, ist nicht das Topik, sondern die „pragmatic presupposition“ (vgl. Lambrecht 1994, 52).

Insofern ist Gundels Verständnis der relationalen Version ihrer Given/New-Unterscheidung als „partition of the semantic/conceptual representation of a sentence into two complementary parts“ eher mit Lambrechts Aufgliederung der „pragmatically structured proposition“ in „pragmatic presupposition“ und „pragmatic assertion“ vergleichbar, und nicht mit seiner Topik/Fokus-Unterscheidung. Topik und Fokus stellen für Lambrecht keine Komplementärkategorien dar, sondern bilden jeweils eigenständige Relationen aus, die nicht miteinander deckungsgleich sind: Die Topik-Relation ist als Relation zwischen Topik-Referent und Proposition im Sinne der Aboutness definiert. Die Fokus-Relation ist demgegenüber propositionsintern verortet und erwächst aus der Differenz zwischen „pragmatic presupposition“ und „pragmatic assertion“. Ebendies ist der Grund dafür, dass Lambrecht Topik und Fokus nicht als Komplementärkategorien konzipiert. Fokus steht nicht in Relation zum Topik, sondern – ebenso wie das Topik – in Relation zur Proposition:

Thus when we say that [a] phrase […] is the focus [of a sentence] what we mean is that the denotatum of this phrase stands in a pragmatically construed relation to the proposition such that its addition makes the utterance of the sentence a piece of new information. (Lambrecht 1994, 210)1

Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Die Aboutness-Relation – bzw. in Lambrechts Terminologie: die Topik-Relation – gilt lediglich für einen bestimmten Typ „pragmatischer Gliederungen“ (pragmatic articulations), der von anderen, davon abgrenzbaren Typen zu unterscheiden ist. Lambrecht erläutert die verschiedenen Typen anhand des Beispielsatzes „Die Kinder sind in die Schule gegangen“ (vgl. Lambrecht 1994, 121ff.). Wenn der Satz etwa als Antwort auf die Frage danach fungiert, was die Kinder getan haben, liegt eine sogenannte Topik/Kommentar-Gliederung vor: Die Kinder sind aktuelles „center of interest“ im Sinne Strawsons und stehen in Aboutness-Relation zu der durch den Satz ausgedrückten Proposition, dass sie in die Schule gegangen sind.2 Eine solche Frage-Antwort-Konstellation ist zu unterscheiden von dem Fall, in dem der Satz eine Antwort auf die Frage darstellt, wer in die Schule gegangen ist. Den dieser Konstellation zugeordneten Typ nennt Lambrecht Argumentfokus-Gliederung.3 In diesem Fall sind die Kinder nicht Topik, sondern die auf die Kinder referierende NP die Kinder bildet den Argumentfokus-Ausdruck und gehört zur ‚pragmatic assertion‘, die sich abgrenzen lässt von der hier zugrundeliegenden ‚pragmatic presupposition‘, dass jemand in die Schule gegangen ist.4

Der Unterschied zur Topik/Kommentar-Gliederung besteht nicht nur darin, dass die Kinder keinen Topikstatus haben; Lambrecht stellt heraus, dass der Satz innerhalb einer solchen Frage-Antwort-Konstellation überhaupt kein Topik hat, da sich das hier präsupponierte Hörer-Wissen, dass jemand in die Schule gegangen ist, im Rahmen der Argumentfokus-Gliederung nicht als ‚Gegenstand‘ des Diskurses im Sinne der Aboutness begreifen lässt, d.h. als Gegenstand, über den ausgesagt wird, dass die Kinder es sind, die in die Schule gegangen sind.5

Dieser Punkt berührt den wesentlichen Unterschied zu den anderen diskutierten Deutungen der Aboutness-Relation: Dadurch, dass Lambrecht die Topik/Kommentar-Gliederung als einen spezifischen Typ begreift, der von anderen Typen pragmatischer Gliederungen zu unterscheiden ist, geht die Aboutness-Relation nicht mehr in der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion auf. Das heißt, das Verhältnis des Präsupponierten zum Assertierten lässt sich dann nicht mehr allgemein im Sinne der Aboutness-Relation deuten – so wie es etwa bei Strawson der Fall ist, dessen Verhältnis von ‚ignorance-presumption‘ und ‚knowledge-presumption‘ allgemein auf ein bestimmtes aktuelles ‚center of interest‘ abzielt, oder wie es Gundel macht, wenn sie Topik und Fokus als allgemein geltende „partition of the semantic/conceptual representation of a sentence into two complementary parts“ begreift, die zueinander in einer Aboutness-Relation stehen.

Mit Lambrechts Entscheidung für die Annahme verschiedener Gliederungstypen stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von ‚pragmatic presupposition‘ und ‚pragmatic assertion‘ somit erneut: Wie lässt sich dieses Verhältnis charakterisieren, wenn es sich dabei nicht – so wie es die traditionelle Sichtweise nahelegt – um eine Relation der Aboutness handelt? Wir werden uns der Antwort auf diese Frage nähern, indem wir uns anschauen, wie sich Reinharts Beispiel mithilfe der Lambrecht’schen Topik- und Fokus-Konzeption analysieren lässt. Hier noch einmal das Beispiel:

(4) A: Who did Felix praise?
B: Felix praised HIMSELF.

Zunächst zur Topik-Relation: Durch die vorangestellte Frage ist Felix als derjenige Diskursgegenstand ausgewiesen, über den Informationen erbeten werden, sodass er in der anschließenden Antwort auf die Rolle desjenigen festgelegt ist, über den Informationen mitgeteilt werden, die im Hinblick auf ihn relevant sind und das hörerseitige Wissen über ihn erhöhen. Die für diesen Satz geltende Topik-Relation können wir dann folgendermaßen formulieren: Der Diskursreferent Felix ist Topik im Sinne eines ‚center of current interest‘ (Strawson) und steht in einer Relation der Aboutness zu der durch den Satz ausgedrückten Proposition, dass er sich selbst gelobt hat.

Nun zur Fokus-Relation: Fokus ist nach Lambrecht die semantische Komponente einer pragmatisch strukturierten Proposition „whereby the assertion differs from the presupposition“. Versuchen wir, Lambrechts Explikation auf Reinharts Beispiel anzuwenden. Hierfür müssen wir angeben, wodurch sich in der Antwort von B das Assertierte vom Präsupponierten unterscheidet. Nach Lambrecht lässt sich ein Antwortsatz wie der vorliegende im Hinblick darauf analysieren, was im Vollzug seiner Äußerung präsupponiert und was assertiert wird. Beides lässt sich, wie schon erwähnt wurde, mittels Propositionen explizit machen. Da die vorausgehende Frage darauf abzielt, wen Felix gelobt hat, kann die der Antwort zugrundeliegende Präsupposition folgendermaßen wiedergegeben werden:

 Pragmatische Präsupposition: Es wird präsupponiert, dass Felix jemanden gelobt hat.

Entsprechend lässt sich die durch den Satz ausgedrückte Assertion durch die folgende Proposition wiedergeben:

 Pragmatische Assertion: Es wird assertiert, dass Felix sich gelobt hat.

Der Ausdruck himself ist es also, der die durch den Satz ausgedrückte Assertion von seiner Präsupposition unterscheidbar und zu einem „piece of new information“ macht (Lambrecht 1994, 210). An anderer Stelle heißt es bei Lambrecht:

The pragmatic assertion expressed by a sentence can be thought of as the effect the utterance of the sentence has on a hearer’s knowledge or belief state. The focus of a proposition […] is that denotatum whose presence in the sentence makes the utterance into an assertion, that is, makes it possible for the sentence to convey new information to the addressee. (Lambrecht 2001, 474)6

In diesem Abschnitt findet sich die Antwort auf die oben aufgeworfene Frage, wie sich das Verhältnis von ‚pragmatic presupposition‘ und ‚pragmatic assertion‘ allgemein charakterisieren lässt. Der „Effekt“ der ‚pragmatic assertion‘ ist nach Lambrechts Überzeugung nicht darin zu sehen, dass der Hörer etwas über einen (für ihn zugänglichen) Diskursgegenstand erfährt, das er noch nicht weiß. Der Effekt der pragmatic assertion ist vielmehr darin zu sehen, dass die Äußerung für den Hörer überhaupt informativ ist. Genau hierin besteht die Funktion des Fokus: Der Fokus ‚macht‘ den geäußerten Satz informativ, d.h. der Fokus „makes it possible for the sentence to convey new information to the addressee“ (s.o.). Wenn man also mit Lambrecht sagt, dass ein Satz dadurch informativ ist, dass sich die Assertion von der Präsupposition unterscheidet, so ist dies insofern eine allgemeinere und grundsätzlichere Charakterisierung, als die Anforderung, informativ zu sein, nicht nur für Sätze gilt, die dem Topik/Kommentar-Typ zuzuordnen sind, sondern auch für Sätze, die zum Argumentfokus- bzw. zum Satzfokus-Typ gehören.

Aus dem Umstand, dass Lambrecht Topik und Fokus als eigenständige Relationen konzipiert, die sich beide auf die durch den Satz ausgedrückte Proposition beziehen, und die darum unabhängig voneinander zu betrachten sind, ergibt sich auch die Lösung für das Problem, das Reinharts Beispiel aufwirft. Die Lösung besteht darin, dass bei der Frage nach dem Topik bzw. nach dem Fokus einer durch einen Satz ausgedrückten Proposition zwei verschiedene Perspektiven impliziert sind, die auf unterschiedliche Ebenen abzielen. Während die Frage nach dem Topik darauf abzielt, welcher Diskursgegenstand aktuell in Aboutness-Relation zur ausgedrückten Proposition steht, zielt die Frage nach dem Fokus darauf ab, welcher Teil der durch den Satz ausgedrückten Proposition die Informativität der Äußerung bewirkt. Darum ist es unproblematisch – und führt auch nicht zu Widersprüchen –, wenn der Referent des Fokus-Ausdrucks in Reinharts Beispiel aktuell Topikstatus hat; denn schließlich ist es nicht der Referent, der die Äußerung informativ macht, sondern der Fokus-Ausdruck, dessen „presence in the sentence“ es möglich macht „to convey new information to the addressee“ (s.o.). Dass der Ausdruck himself dies in Reinharts Beispiel leisten kann, ist also nicht davon abhängig, dass für seinen Referenten gelten muss, dass er nicht vorerwähnt ist oder dass seinem Referenten aktuell kein Topikstatus zukommt, sondern ist auf die Rolle zurückzuführen, die der Ausdruck in der Äußerung spielt und die darin besteht, die durch den Fragekontext präsupponierte „offene Proposition“ (vgl. Lambrecht 1994, 210) ‚Felix praised X‘ zu füllen.

Lambrechts Konzept der Fokus-Relation, das auf der Unterscheidung von ‚pragmatic presupposition‘ und ‚pragmatic assertion‘ beruht, hat wesentliche Konsequenzen für das Verständnis von Topikalität. Eine Konsequenz ist der schon erwähnte Umstand, dass die Topik-Relation nicht mehr in der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion aufgeht, d.h. dass sich das Verhältnis des Präsupponierten zum Assertierten nicht mehr allgemein im Sinne der Aboutness deuten lässt. Hieraus folgt, gewissermaßen als Komplementär-Konsequenz, dass sich aus der Antwort auf die Frage, was durch eine Äußerung assertiert wird, weder allgemein ableiten lässt, worüber die Äußerung etwas assertiert, noch, dass die Äußerung überhaupt ein Topik hat, über das sie etwas assertiert. Und hiermit entfällt eine entscheidende Prämisse, von der einer der klassischen heuristischen Tests zur Identifizierung von Satztopiks – der sogenannte Fragetest – ausgeht: nämlich dass sich aus der Angabe dessen, was durch eine Behauptungsäußerung assertiert wurde, immer auch der Gegenstand der Assertion ableiten lässt.7

Wenn also die Aboutness-Relation nicht mehr in der Unterscheidung von Präsupposition und Assertion aufgeht, stellt sich auch die Frage nach dem Verhältnis der Topik-Kategorie zum pragmatisch Präsupponierten neu: Wie ist dieses Verhältnis gestaltet? Geht im Fall der Topik/Kommentar-Gliederung das Topik vollständig in der pragmatic presupposition auf oder ist es lediglich Bestandteil derselben? Was genau ist dann damit gemeint, wenn man – wie Lambrecht – der Auffassung ist, dass Topiks präsupponiert sind? Diesen Fragen werde ich mich im folgenden Kapitel zuwenden.

Pragmatische Bedingungen der Topikalität

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