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Kapitel 4

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Zunächst hieß es für Berger und Paulsen weiterhin Ruhe zu bewahren und abzuwarten. Auch wenn es ihnen schwerfiel. Niemand wusste, was in den nächsten Minuten passieren würde. Ärzte, Sanitäter, Bereitschaftspolizisten und hunderte von Menschen, die sich an den Absperrungen aufhielten, gerieten in Aufruhr. Personen, vermutlich Angehörige der Gäste im Theater, hatten sich eingefunden, um vor Ort genauestens informiert zu sein. Sie wollten ihre Lieben bald unbeschadet in die Arme nehmen. Berger saß wie angewurzelt auf seinem Sitz im Dienstwagen und verkrampfte seine feuchten Hände am Lenkrad. Paulsen trank einen Schluck Wasser nach dem anderen. Sie beobachteten die Präzisionsschützen auf dem Museumsdach, die regungslos durch ihre Zielfernrohre den Theaterhaupteingang anvisierten. Vorerst tat sich nichts. Auch im Einsatzwagen des SEK-Chefs herrschte Stille. Es waren keine Maßnahmen zu verzeichnen. Alle warteten auf Informationen aus dem Gebäude.

Das SEK durchlief schnellstmöglich das Schweriner Theater. Lagepläne, die in den Köpfen der Männer abgespeichert waren, wurden im Eiltempo systematisch abgearbeitet. Die Beamten erhielten über ihre Headsets im Sekundentakt Informationen zur Gesamtlage vor Ort.

Plötzlich liefen mehrere Ärzte und Sanitäter mit Tragen und Rucksäcken zum Theatereingang. Sie wurden dort von Beamten des SEK erwartet und hineingelassen. Die Präzisionsschützen auf dem Dach standen auf, packten ihre Gewehre in Waffenkoffer und zogen sich unbemerkt zurück. Die Lage schien sich allmählich zu entspannen.

Erste Informationen des SEK und der Personenschützer der Ministerpräsidentin und des Innenministers, die als Begleitung ebenfalls unter den Gästen weilten, gelangten ins Lagezentrum des Innenministeriums und zu den Einsatzkräften der Schweriner Polizei.

Berger und Paulsen hörten den Bericht der Einsatzführung in ihrem Dienstwagen: »Die Lage im Theater ist unter Kontrolle. Es wurden keine verdächtigen Zielpersonen ausfindig gemacht. Zwei Explosionen wurden registriert. Eine Explosion ohne verletzte Personen in einer Herrentoilette. Die zweite im Zuschauerraum. Wir haben ein weibliches Todesopfer und zwei schwer verletzte männliche Opfer feststellen können. Des Weiteren gibt es mehrere Personen, die unter Schock stehen und sich nicht bewegen können. Das Sprengstoffkommando hat seine Arbeit aufgenommen. Es konnten durch die Suchhunde bisher keine weiteren Sprengstoffkörper gefunden werden. Die Stimmung unter den Gästen ist äußerst angespannt. Die Schutzpersonen der Ministerpräsidentin und des Innenministers sind unverletzt. Die Freilassung aller Personen erfolgt in Kürze. Der Einsatz des SEK ist vorerst beendet. Der Katastrophendienst kann mit seiner Arbeit unverzüglich beginnen.«

»… keine verdächtigen Personen im Theater?«, stutzte Berger. »Das kann doch nicht sein. Irgendwo muss doch jemand sein, dem wir diese Tragödie zu verdanken haben.« Er schrieb seiner Frau schnell eine Kurznachricht: Alles okay mit mir, die Lage im Theater ist unter Kontrolle. Bis später. Kuss Thomas.

Paulsen schraubte seine leere Wasserflasche zu. »Dann ist das alles von außen inszeniert worden! Unsere Arbeit kann endlich beginnen. Wir haben eine tote Frau. Ich ruf unseren Rechtsmediziner an. Wer weiß, was von ihr noch übrig geblieben ist. Bestimmt kein schöner Anblick. Das wird wieder ein harter Job für unseren Doktor!«

»Die Seelsorger bekommen auch ordentlich zu tun«, erwiderte Berger. Er sah, wie die wartende Menge hinter den Absperrungen immer unruhiger wurde und teilweise um Durchlass flehte. Sie hatte mitbekommen, dass das SEK abfuhr und die akute Gefahr vermutlich vorüber war. Selbst ein Polizeihubschrauber, der seit längerer Zeit über dem Alten Garten kreiste, drehte ab und flog in Richtung Norden davon. Der Polizeisprecher wurde von Medienvertretern umzingelt und mit Fragen bombardiert, die er vorerst nicht beantworten konnte. Die Absperrung zur aufgewühlten Menschengruppe wurde nicht aufgehoben. Die Bürgerinnen und Bürger wurden freundlich gebeten, sich weiter an die Anweisungen der Polizei zu halten, um nicht bei den weiteren Ermittlungsarbeiten zu stören.

Endlich öffneten sich die drei großen, in klassizistischem Stil erbauten Eingangstore des Theaters. Eine Menschenmasse auf der Flucht in die Freiheit. Einige Personen rannten, andere bewegten sich langsam und monoton in der Masse mit. Jedem war der Schreck ins Gesicht geschrieben. Ein Reporter wollte erste Interviews aufzeichnen. Die noch unter Schock stehenden Menschen wiesen den Mann kopfschüttelnd und mit eindeutig zu verstehenden Handbewegungen ab. Jeder wollte den Theaterbereich umgehend verlassen. Erste Menschen durchbrachen nun doch die Absperrung und liefen auf ihre Angehörigen zu. Sie nahmen sich in die Arme, Tränen der Erleichterung liefen vielen über die Wangen. Einige Menschen waren unfähig zu sprechen und atmeten tief durch.

Eine Frau hatte deutliche Flecken im Schrittbereich ihres Kleides. Sie hatte ihren Urin in Stunden von Todesangst nicht halten können. Sie ging mit kleinen Schritten aufgrund des enggeschnittenen Kleides, am liebsten wäre sie wahrscheinlich eher davongelaufen. Es war ihr sichtlich peinlich. Ihrem Mann schien das egal zu sein. Er war erleichtert, dass beide das Theater lebend verlassen hatten. Er legte seinen Arm um ihre Schulter und gab ihr liebevoll Halt. Blass im Gesicht senkte er kraftlos seinen Kopf, als er die Medienvertreter mit ihren Kameras sah. Es spielten sich herzzerreißende Szenen ab, als hätten sich einige Menschen jahrelang nicht gesehen.

Ministerinnen und Minister der Landesregierung versammelten sich rechts neben dem Theater und werteten die Tragödie kopfschüttelnd aus. Sie nahmen sich in die Arme. Man diskutierte, ob es einen terroristischen Hintergrund gäbe oder wer auf so eine abartige Idee gekommen war, jemanden mit einer Bombe zu töten und viele weitere Menschenleben zu riskieren. Sie bedauerten zutiefst, dass man der jungen Frau nicht hatte helfen können und sie durch die Detonation ums Leben gekommen war.

Ein wunderschöner Abend in der Schweriner Landeshauptstadt war zu einem unvorstellbaren Drama geworden. Schwerin auf dem Weg zum Weltkulturerbe. Es wurde eine Nacht, die die Bevölkerung niemals vergessen würde.

Ganz abgesehen von den materiellen Schäden, die von Architekten und Bauingenieuren später inspiziert werden mussten, konnte Hauptkommissar Berger sich nicht vorstellen, dass irgendjemand in Kürze das Theater, das durch dieses Verbrechen in Verruf geraten war, freiwillig betreten würde.

Berger und Paulsen saßen immer noch in ihrem Auto und warteten geduldig ab, bis die letzten Gäste das Theater im Beisein der Sanitäter, Ärzte oder Psychologen verlassen hatten. Nun begann die polizeiliche Ermittlungsarbeit. Spurensicherer, Rechtsmediziner, Sprengstoffermittler – es betraten fast so viele Menschen das Gebäude, wie vor einer halben Stunde herausgekommen waren. Nur war Bergers und Paulsens Motivation eine deutlich andere. Sie wollten schnellstmöglich herauszufinden, wer diese Tragödie zu verantworten hatte.

Mörderisches Schwerin

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