Читать книгу Die vielen Aspekte unserer Persönlichkeit - Die (d.i. Mira Alfassa) Mutter - Страница 6

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Yoga wird allgemein mit bestimmten festgelegten Übungen wie Yoga-Körperstellungen, Atemübungen, mit Meditation und dergleichen in Verbindung gebracht. Zusätzlich wird Yoga so verstanden, dass er aus bestimmten Verhaltensregeln und Normen besteht, die sich auf Aspekte des äußeren Lebenswandels beziehen, wie die Ernährungsweise, die Lebensführung und sonstige Gewohnheiten. Sri Aurobindo lehrt hingegen, dass Yoga aus einer inneren psychologischen Arbeit besteht, die eine Änderung und Transformation des Bewusstseins anvisiert. Er erklärt: „Yoga ist nichts anderes als angewandte praktische Psychologie“1; „...die gesamte Methode des Yoga ist psychologisch; man könnte sie fast als die umfassende praktische Anwendung eines perfekten psychologischen Wissens bezeichnen.“2

Dieses Buch, das eher für den allgemeinen spirituellen Sucher gedacht ist als für den Praktizierenden des Integralen Yoga von Sri Aurobindo, beschäftigt sich nur mit den ersten vorbereitenden Schritten bis zu der radikalen Änderung des Bewusstseins, die der Integrale Yoga anvisiert. Diese anfänglichen Auf gaben für ein psychisch-spirituelles Wachstum sind: aufzusteigen aus dem unbewussten Zustand, in dem man mehr oder weniger ein mit der kollektiven Masse verschmolzener Teil ist als ein unabhängiges Individuum, um das zu werden: „der wirklich mentale Mensch, der für sich selbst denkt, der frei ist von allen äußeren Einflüssen, der eine Individualität besitzt, die in ihrer Realität bestehen kann.“ Dazu gehört auch, ein zunehmend tieferes Verständnis seiner selbst zu entwickeln, das sich mehr und mehr der Komplexität des eigenen Wesens bewusst wird, um die Ursprünge des eigenen Handelns zu unterscheiden, die in den verschiedenen Teilen unserer Persönlichkeit entstehen und so Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung ausüben zu können, die Harmonie und Ordnung in den unterschiedlichen Teilen unseres Wesens schafft, die normalerweise in einem Zustand von Unordnung sind und in Konflikt miteinander geraten. Daraus erfolgt die Entdeckung der Einheit unseres eigentlichen wahren inneren Selbst, das alle Teile unseres Wesens anleitet und organisiert, die sonst durch Teilung und Uneinigkeit charakterisiert sind.

Der Leser wird bemerken, dass die Mehrzahl der Passagen in diesem Buch den Werken der Mutter entnommen sind, denn ihre Schriften bestehen überwiegend aus den Gesprächen, die sie mit den jungen Schülern der Ashram-Schule führte, denen sie die praktische Anleitung für die vorbereitende Arbeit für das innere Wachstum lehrte, wie wir sie oben besprochen haben.

Sich selbst zu verstehen, ist der erste Schritt auf diesem Weg. Wie die Mutter bemerkt:

„Lerne dich zuerst gründlich selbst kennen und dann, dich zu kontrollieren.“3

„Um vollkommen zu sein, muss man sich zuerst seiner selbst bewusst werden.“4

„Die besondere Eigenschaft des Menschen ist seine mentale Natur“5, sagt Sri Aurobindo. Deswegen versteht sich der Mensch natürlich zuerst durch das Nachdenken über sich selbst. Das mentale Selbstverständnis beruht darauf, intellektuell die vielen unterschiedlichen und komplexen Teile seines eigenen Wesens zu unterscheiden. Das erfordert „ein langes Training und eine lange Disziplin des Selbst-Studiums und der Selbst-Beobachtung“6, um die jeweiligen Ursprünge seiner Gedanken, Gefühle, Handlungen und Stimmungen zu erkennen. Es bedeutet, dass man fähig ist, den verschiedenen Seiten unserer Veranlagung, die die vielen Teile unserer Persönlichkeit ausmachen, eine Bezeichnung geben zu können. Für viele Menschen ist der Begriff „Etikett“ oder „etwas mit einem Etikett versehen“ negativ besetzt, weil er mit einem rein mentalen oder intellektuellen Prozess assoziiert wird, der ein wirkliches Verstehen der so bezeichneten Sache vermissen lässt und ein Hindernis für ein echtes Verständnis darstellt. Ein mentales Verständnis ist jedoch nicht notwendigerweise ein Nachteil. Im Gegenteil, es kann eine große Hilfe und ein Schritt zu einem tieferen Erkennen sein. Alles mentale oder intellektuelle Begreifen als reines „Etikettieren“ abzulehnen, ignoriert die oben genannte Tatsache, dass der besondere Charakter des Menschen seine denkende Wesensart ist, und deswegen ist es nur natürlich, mit einem mentalen Verständnis zu beginnen und stufenweise eine tiefer gehende Erkenntnis zu entwickeln. Es gibt nur selten Individuen, die so eine tiefe Selbst-Erkenntnis besitzen, dass sie die verschiedenen inneren Beweggründe der vielen Teile ihres Selbst unterscheiden können, ohne vorher gelernt zu haben, diese mental zu bezeichnen. Wie die Mutter einmal zu den Kindern der Ashram-Schule sagte:

„... Wenn dich nie jemand gelehrt hat, was das psychische oder das vitale Wesen ist, kannst du keine Auffassung der Sache besitzen. Du kannst nur sagen: ,,Heute fühle ich mich gut, gestern nicht.“ Bis ich 24 Jahre alt war, wusste ich nichts über all diese Dinge, und doch konnte ich sehr gut meine inneren Beweggründe unterscheiden. Ich habe zwar nicht diese Bezeichnungen benützt, weil sie mich nie jemand gelehrt und ich nichts darüber gelesen hatte, aber ich konnte in bestimmten Momenten sehr deutlich den Unterschied der Ursprünge meines Wesens erkennen und in welchem Bewusstseinszustand ich mich gerade befand.

Aber weil ihr hier (im Ashram) seid und nach allem, was ihr darüber gehört und gelesen habt und was ich euch gelehrt habe, solltet ihr mit allen Beweggründen in euch selbst vertraut sein und fähig, ihnen ein kleines Etikett zu geben: dieses Motiv ist so begründet und kommt aus diesem Teil meines Wesens, das ist ein anderes usw.“7

Sri Aurobindo erklärt, dass es nicht nur um der intellektuellen Klarheit willen notwendig ist, die verschiedenen Teile seines Wesens deutlich unterscheiden zu können, sondern auch, um in den Erfahrungen in der Sadhana Verwirrung zu vermeiden.8 Zum Beispiel im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen dem individuellen Selbst (Jivatman) – das ein einzelnes Zentrum der Vielfalt des Göttlichen darstellt – und dem alles umfassenden Göttlichen Selbst, bemerkt Sri Aurobindo: „Es ist wichtig diese Unterscheidung zu treffen; denn sonst, wenn man nur den geringsten vitalen Egoismus besitzt, könnte man sich selbst für einen Avatar halten...“9

Ein anderes Beispiel für Konfusion betrifft den Unterschied zwischen dem psychischen Wesen oder der Seele und den mentalen und emotionalen Teilen des Wesens, die nur unter dem Einfluss des psychischen Wesens stehen, aber oft mit ihm verwechselt werden.

Was die Wichtigkeit einer solchen Unterscheidung angeht, schreibt Sri Aurobindo:

„Es gibt das wahre Psychische, das immer gut ist, und es gibt die psychische Öffnung in die mentalen, vitalen und andere Welten hinein, die alle möglichen Dinge enthalten, gute und schlechte, neutrale, wahre, falsche oder halbwahre, Gedanken, Suggestionen aller Art und auch alle möglichen Botschaften. Es ist nötig, dass du dich all dem nicht unvoreingenommen und unparteiisch auslieferst, sondern ausreichend Wissen, Erfahrung und genügend Unterscheidungsvermögen entwickelst, um dein Gleichgewicht zu halten und die Falschheit, Halbwahrheiten und Vermischungen auszusortieren. Die Notwendigkeit zur Unterscheidung sollte man nicht ungeduldig ablehnen mit der Begründung, das sei reiner Intellektualismus. Die Unterscheidung muss nicht intellektuell sein, obwohl auch das etwas ist, was man nicht verachten darf.“10

Also ist auch eine rein intellektuelle Unterscheidung, die sich noch nicht auf Erfahrung gründet, wertvoll und „nicht etwas, was man verachten darf.“

Eine wesentliche Unterscheidung, die man auf dem spirituellen Weg machen muss, ist die zwischen „psychisch“ und „spirituell“. Aufgrund ungenügenden Wissens über yogische Psychologie werden psychische Phänomene, die zum inneren oder subliminalen Bewusstsein gehören, das gleichzeitig ein Bereich von Dunkelheit wie von Licht ist, oft mit spirituellen Erfahrungen verwechselt, die zu dem höheren Bewusstsein gehören. Zu der ungenauen und verschwommenen Weise, wie der Begriff „spirituell“ nicht nur in der gängigen Literatur verwendet wird, bemerkt die Mutter:

„... Philosophische, yogische und andere Systeme verwenden das Wort „spirituell“ auf sehr lockere und unklare Weise. Was auch immer nicht physisch ist, ist spirituell! Im Vergleich mit der physischen Welt sind alle anderen Welten spirituell! Alle Gedanken, alle Bestrebungen, die nicht auf das Materielle ausgerichtet sind, werden als spirituelle Bemühung bezeichnet. Jede Absicht, die nicht ausschließlich egoistisch oder humanistisch ist, wird als spirituelle Orientierung bezeichnet. Dieses Wort passt zu allem.“11

Die Unterscheidung zwischen dem inneren oder supraphysischen Bewusstsein und dem höheren spirituellen Bewusstsein ist einer der wertvollsten Aspekte yogischer Psychologie, um das Verständnis des eigenen Selbst des spirituell Suchenden zu fördern.

Sich selbst zu verstehen, muss zur Selbstmeisterung führen. Wie die Mutter den Satz: „Sich zu kennen und zu kontrollieren“, erklärt:

„Das bedeutet, sich seiner inneren Wahrheit bewusst zu sein, die verschiedenen Teile seines Wesens und ihre entsprechenden Funktionen zu kennen. Du musst wissen, warum du dies oder das tust, du musst deine Gedanken und Gefühle kennen, all deine Handlungen, deine Beweggründe, wozu du fähig bist usw. Und es genügt nicht, sich selbst zu kennen: dieses Wissen muss eine bewusste Kontrolle mit sich bringen. Man muss sich selbst vollständig kennen, um sich vollkommen unter Kontrolle zu haben.“12

Diese Aussagen beinhalten, dass ein Verständnis der verschiedenen Teile unseres Wesens, die unseren unterschiedlichen Selbstausdruck ausmachen, zu Selbstkontrolle und Selbstmeisterschaft führen müssen, wenn das mentale Verstehen zu einer wahren Selbst-Erkenntnis werden soll. Aber wahre Selbst-Meisterung kann nur zustande kommen, wenn die verschiedenen Teile des Wesens – die normalerweise voneinander getrennt und im Konflikt miteinander sind – vom innersten Zentrum unseres Wesens, der Seele oder dem psychischen Wesen, geeint und angeleitet werden. Wie die Mutter bemerkt: „Diese Vereinigung ist unerlässlich, wenn man innerlich Meister seines Wesens und all seiner Handlungen sein möchte.“13

Traditionell wurde der Begriff „Yoga“ – der wörtlich Vereinigung mit dem Göttlichen bedeutet – allgemein als ein Weg verstanden, der die Vereinigung des individuellen Selbst mit dem universalen Selbst anstrebt, um die Befreiung von der Ignoranz und dem Leiden des Lebens auf der Erde zu erreichen. In Sri Aurobindos Yoga, der sich nicht nur die Befreiung der individuellen Seele zum Ziel macht, sondern auch die Umwandlung des irdischen Lebens, bedeutet Yoga nicht nur die Vereinigung der individuellen Seele mit dem Göttlichen, sondern auch die Vereinigung der äußeren Persönlichkeit mit der Seele und die Einigung unseres Wesens um die Seele herum, denn nach Sri Aurobindo und der Mutter kann sich das Göttliche nur durch diese Einigung unseres Wesens manifestieren und das irdische Leben transformieren.

A.S.D.

1 Sri Aurobindo, The Synthesis of Yoga, CWSA, Band 23-24, Seite 39.

2 Sri Aurobindo, The Synthesis of Yoga, CWSA, Band 23-24, Seite 517.

3 Die Mutter, Words o/The Mother, CWM, Band 14, Seite 272.

4 Die Mutter, Questions and Answers 1950-51, CWM, Band 4, Seite 33.

5 Sri Aurobindo, The Synthesis of Yoga, CWSA, Band 20, Seite 73.

6 Die Mutter, Questions and Answers 1957-58, CWM, Band 9, Seite 308.

7 Die Mutter, Questions and Answers 1954, CWM, Band 6, Seite 7.

8 Sri Aurobindo, Letters on Himself and the Ashram, CWSA, Band 35, Seite 128.

9 Sri Aurobindo, Letters on Himself and the Ashram, CWSA, Band 35, Seite 266.

10 Sri Aurobindo, Autobiographical Notes, CWSA, Band 36, Seite 371.

11 Die Mutter, Questions and Answers 1950-51, CWM, Band 4, Seite 226.

12 Die Mutter, Questions and Answers 1950-51, CWM, Band 4, Seite 34.

13 Die Mutter, Some Answers from The Mother, CWM Band 16, Seite 396.

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