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MEIN NAME IST HASE

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heitere Kurzgeschichte

diese Geschichte mit ähnlichem Inhalt ist in einer

hessischen Version in meinem Buch

VERZÄHL MER WAS

erschienen


Man konnte die Beziehungen, die Familie Berninger zu ihrem Nachbarn hegte, nicht gerade als freundschaftlich bezeichnen. Gut, man grüßte sich, wenn man sich traf, und wechselte auch hin und wieder das eine oder andere Wort über den gemeinschaftlichen Gartenzaun hinweg. Mehr war nicht, und das hatte seinen guten Grund:

Hubert Renz, der Nachbar, war ein Choleriker. Die Fliege an der Wand ärgerte ihn. Oder Kinder, die auf der Straße herumtobten und dabei fröhlich schrieen. Und auch Hunde, die nachts ab und zu bellten.

Die Berningers hatten zwei Kinder; die zehnjährige Cathrin und den achtjährigen Andreas. Im Prinzip waren sie wohlerzogen, aber Engel waren sie halt nicht. Da konnte es schon einmal passieren, dass ein Ball auf das Nachbargrundstück hinüber flog und in ein sorgsam gepflegtes und gehütetes Blumenbeet platschte; für Renz eine Katastrophe größeren Ausmaßes. Seine Reaktion war dann entsprechend und meistens sehr lautstark.

Die Berningers hatten auch einen Hund. Er hieß Tassilo, war ein dreijähriger Setter und im Prinzip ebenfalls wohlerzogen. Dennoch war er es, der für eine riesengroße Aufregung sorgte und damit Thomas und Karin Berninger an den Rand eines Herzinfarktes brachte.

An einem Samstagabend war es. Die Berningers hatten sich angesehen, was die Flimmerkiste zu bieten hatte oder auch nicht, hatten ein Fläschchen Wein, das wesentlich besser als das Fernsehprogramm war, dabei geleert und Salzstangen und Erdnüsse geknabbert.

Vor den Spätnachrichten jagten sie Tassilo in den Garten, damit er dort seine letzten Vorbereitungen für die Nacht treffen konnte. Für gewöhnlich brauchte er dafür eine Viertelstunde. Dann meldete er sich mit einem knurrigen Wuff zurück und kratzte an der Tür.

Diesmal war alles anders. Eine Viertelstunde verstrich, zwanzig Minuten, fünfundzwanzig - und von Tassilo keine Spur.

"Sieh halt mal nach ihm", bat Karin ihren Mann. "Ich bin müde und möchte in mein Bett."

Also wälzte sich Thomas aus seinem Sessel, begab sich zur Haustür und pfiff seinem Hund.

Nichts!

"Tassilo", rief Thomas mit unterdrückter Stimme, um den lieben Nachbarn nicht in seinem Schlaf zu stören. "Tassilo, bei Fuß."

Es dauerte weitere fünf Minuten, bis der Hund sich endlich dazu herabließ, bei seinem Herrchen zu erscheinen. Dafür hatte er ihm etwas mitgebracht: Ein totes Kaninchen nämlich, das er stolz vor Thomas Füße legte.

Nun muss man wissen, dass Hubert Renz Mitglied im örtlichen Kaninchenzuchtverein war und schon so manchen Preis für seine prachtvollen Zuchtergebnisse eingeheimst hatte. Und dieses tote Kaninchen, das Tassilo angeschleppt hatte, stammte zweifelsohne aus einem der Ställe des cholerischen Nachbarn.

Thomas erschrak fast zu Tode, als er den Jagderfolg seines Hundes erkannte. Statt Tassilo zu loben, wie dieser es offenbar erwartet hatte, scheuchte er ihn ins Haus, nahm das Kaninchen, dessen weißes Fell vor Schmutz nur so strotzte, vorsichtig an den Löffeln hoch und begab sich damit zu seiner Frau.

"Iiiiihhhh!", machte diese und hob abwehrend ihre Hände. "Was schleppst du mir denn da an?"

"Ein totes Karnickel", knurrte Thomas und verzog grimmig das Gesicht. "Tassilo, dieser idiotische Köter, hat es auf dem Gewissen. Es gehört Renz. Irgendwie scheint es aus seinem Stall entwichen zu sein, und der Hund hat es erwischt und tot gebissen."

"Ach, du meine Güte!", stöhnte Karin. "Und was jetzt? Renz geht senkrecht in die Luft, wenn er erfährt, dass unser Hund einen seiner kleinen Lieblinge gemordet hat. Ein Theater wird das wieder geben. Vielleicht legt er sogar Gift für Tassilo aus."

"Oder er erwürgt ihn mit den bloßen Händen", befürchtete Thomas, während er den Hasen näher in Augenschein nahm. "Man kann keine Bisswunden erkennen. Bluten tut er auch nicht. Hmmmm."

"Vielleicht hat er vor Schreck einen Herzschlag bekommen, als Tassilo ihn erwischte", meinte Karin.

"Egal", sagte Thomas. "Tot ist tot. Aber vielleicht könnten wir ....?"

Karin schaute ihren Mann verständnislos an.

"Vielleicht könnten wir den Hasen ein wenig herrichten", fuhr Thomas fort. "Und dann schleiche ich hinüber und lege ihn wieder in seinen Stall. Auf diese Weise würde Renz niemals erfahren, was wirklich passiert ist. Er wird annehmen, das Kaninchen wäre einfach so eingegangen."

"Glaubst du wirklich?"

Thomas war von seiner Idee, die er für eine göttliche Eingebung hielt, begeistert. Er brachte den Hasen ins Bad, legte ihn in die Duschwanne und brauste ihn gründlich ab. Anschließend fönte er sein Fell und striegelte es sogar mit Tassilos Bürste. Als er fertig war, sah das tote Kaninchen wieder wie neu aus. Lebendig war es halt nicht mehr.

"Lass dich bloß nicht erwischen", mahnte Karin, als ihr Gatte sich auf den Weg zum Nachbargrundstück machte. "Das würde nämlich gerade noch fehlen, wenn er dich auf frischer Tat ertappen würde."

Aber Thomas hatte Glück. Kein Mensch bemerkte ihn, als er sich wie Winnetou zwo zu den Hasenställen schlich, dort auch eine leere Box fand und das tote Karnickel hineinlegte. Kurze Zeit später war er wieder bei seiner Frau.

"Alles klar", verkündete er und ließ sich aufatmend in seinen Sessel fallen. "Aber jetzt brauche ich erst noch einen Cognac, bevor ich ins Bett gehe. Ich könnte vor innerer Erregung eh nicht einschlafen."

Karin pflichtete ihrem Mann bei, holte die Flasche und zwei Gläser aus der kleinen Hausbar im Wohnzimmerschrank und goss ein.

"Auf unser nächtliches Abenteuer", sagte sie und prostete Thomas zu, "und dass Renz niemals dahinterkommen möge, was in Wahrheit passiert ist."


*


"Stellen Sie sich das mal vor", sagte Hubert Renz am nächsten Morgen zu Thomas, als sie sich zufällig im Garten trafen, und machte dabei einen reichlich verstörten Eindruck. "Da geht mir doch vorgestern eines meiner Kaninchen ein, ich vergrabe es hinten im Garten, und heute Morgen liegt es wieder in seinem Stall. Ich habe es schon immer vermutet: Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als wir alle miteinander denken."

"Bestimmt, Herr Renz", erwiderte Thomas. "Ganz bestimmt."

Dann machte er, dass er in sein Haus zurückkam. Er konnte ein befreites Lachen nicht länger unterdrücken.

Herz, Schmerz und Gänsehaut

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