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EIN WEIHNACHTSTRAUM

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besinnliche Weihnachtsgeschichte

erstmals in einer hessischen Version in meinem Buch

HESSISCHES ADVENTSKALENNERBUCH

Mundartverlag Naumann, Hanau

erschienen


"Es ist wieder einmal Weihnachten, Elisabeth", sagte der alte Mann, während er mit zitternden Händen die Kerzen am kleinen Christbaum anzündete, der auf dem schneebedeckten Grabhügel stand. "Fünf Jahre muss ich dieses Fest nun schon ohne dich feiern, und es macht mir immer weniger Freude. Du fehlst mir halt, Elisabeth. An allen Ecken und Enden fehlst du mir.

Klaus ist mit seiner Familie wieder nach Teneriffa geflogen, um die Feiertage dort zu verbringen. Ich sollte mitkommen, Elisabeth. Angeboten hat es mir unser Sohn. Vielleicht hat er's sogar ehrlich gemeint. Was weiß ich?

Aber was soll ich alter Bock auf Teneriffa? Völlig fehl am Platz käme ich mir vor. Als fünftes Rad am Wagen würde ich mich fühlen.

Außerdem kann ich dich ja auch nicht allein lassen; gerade an Weihnachten nicht. Wer außer mir sollte dich am Heiligen Abend besuchen? Ich denke, es war besser so, dass ich nicht mitgeflogen bin."

Der alte Mann hatte seine Arbeit beendet. Alle Kerzen am Baum brannten und tauchten den Grabhügel in ein feierliches Licht. Irgendwo begannen Glocken zu läuten. Der alte Mann lauschte für einen Moment, nickte nachdenklich und trat zurück.

"Früher sind wir um diese Zeit gemeinsam zur Christmette gegangen", erinnerte er sich. "Du, unser Sohn und ich. Anschließend haben wir dann beschert und unter dem Christbaum all die schönen Weihnachtslieder gesungen." Der alte Mann kicherte. "Du konntest zwar nicht schön singen, Elisabeth, aber du tatest es mit einer Inbrunst und Andacht, die rührend war und die die schiefen Töne vergessen ließ.

Mein Gott, wie lange ist das her? Jahre? Jahrzehnte? Jahrhunderte? Geradeso kommt es mir vor.

Klaus hat inzwischen selbst Kinder. Vierzehn und zwölf sind sie mittlerweile, der Tommy und die Katrin. Wie du in deinen Mädchenjahren sieht die Kleine aus; und der Junge ein bisschen wie ich, behaupten die Leute.

Wahrscheinlich werden sie heute unter keinem Christbaum singen, unser Sohn, seine Frau und unsere Enkelkinder. Wer singt heutzutage noch selber? Man lässt singen; mit zweimal hundert Watt und in Stereo. Und vielleicht gibt es auf Teneriffa auch gar keinen Christbaum? Ich kenne die dortigen Bräuche nicht."

Der alte Mann trat zu einer Bank, die in der Nähe des Grabes stand, wischte mit der Hand den Schnee herunter und ließ sich nieder.

"Ich bleibe noch ein Weilchen bei dir", sagte er. "Was soll ich zu Hause? Vermissen tut mich eh keiner. Die Decke würde mir nur wieder auf den Kopf fallen. Sollen sie das Friedhofstor halt zuschließen. Mich stört das nicht. Ich bin auch im vergangenen Jahr über die Mauer geklettert. War zwar ganz schön anstrengend für meine steifen Knochen, aber geschafft habe ich es. Man wird halt nicht jünger, Elisabeth. Die Jahre gehen nun mal nicht spurlos an einem vorbei. Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Ich wollte, ich könnte es; ein einziges Mal nur, Elisabeth, nur ein einziges Mal."

Es hatte wieder zu schneien begonnen. Wie Millionen kleiner Schmetterlinge tanzten die Flocken um den alten Mann herum. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, beobachtete, wie die Kerzen am Weihnachtsbäumchen langsam herunterbrannten, und lächelte versonnen vor sich hin.

"Komm mit", hörte er eine leise Stimme hinter sich, und er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer ihn ansprach. "Einen Wunsch darf ich dir heute erfüllen; einen einzigen nur, aber es ist dein größter. Schließe deine Augen, Kurt, und lass dich von mir in das Reich deiner Träume führen."

Und plötzlich war ein verzaubertes Singen um ihn her und erfüllte sein Herz mit einer Woge nie gekannten Glücks. Auf einer Wolke schien er schweben, die ihn emporhob und in ein weit, weit entferntes Land trug.

"Jetzt kannst du deine Augen wieder öffnen", sagte die Stimme. "Frohe Weihnachten, Kurt!"

In einer Straße mit zerbombten Häusern fand er sich wieder. Der Krieg war vor einem guten halben Jahr zu Ende gegangen. Einen zerschlissenen Wehrmachtsmantel trug er, die Reste seiner Uniform und Stiefel, die ihren Namen nicht mehr verdienten. Von vorn näherte sich ein Mädchen, schaute ihn mit gefurchter Stirn an und blieb, als es ihn zu erkennen schien, stehen.

"Kurt?", fragte sie zögernd. "Sind Sie... bist du nicht der Kurt Johannsen?"

"Der bin ich in der Tat", erwiderte er. "Und Sie sind... du bist die Elisabeth Wegener, gelt?"

Das Mädchen nickte. "Ja", sagte sie. "Das, was von mir übrig geblieben ist. Besonders attraktiv ist das weiß Gott nicht mehr."

"Kommt es darauf an?", entgegnete er leise. "Die Hauptsache ist doch, dass wir überlebt haben. Irgendwie wird es schon weitergehen."

"Diese Zuversicht habe ich auch", sagte sie. "Frohe Weihnachten übrigens."

"Weihnachten?" Kurt sah das Mädchen verwirrt an. "Heute ist Weihnachten? Du, daran habe ich wirklich nicht gedacht. In einer Zeit wie der jetzigen vergisst man die Zeit."

"Woher kommst du?", erkundigte sich Elisabeth. "Und wohin willst du?"

"Ich komme aus amerikanischer Gefangenschaft", erklärte Kurt, "und suche meine Eltern. Hast du eine Ahnung, was aus ihnen geworden ist? Von unserem Haus ist ja nicht viel übrig geblieben; genau wie von eurem nebenan."

Elisabeth senkte den Kopf. "Von unseren Eltern auch nicht", wisperte sie. "Du und ich - wir sind die beiden letzten unserer Familien. Tut mir leid, dir das gerade an Weihnachten mitteilen zu müssen."

"Ich habe es geahnt, als ich von den schweren Angriffen auf unsere Stadt hörte", sagte Kurt müde. "Aber ein Funke Hoffnung bleibt wohl immer in einem."

"Was wirst du jetzt tun, Kurt?", wollte das Mädchen wissen.

Der junge Mann zuckte die Achseln.

"Wenn du willst, kannst du mit zu mir kommen", schlug Elisabeth vor. "Ich habe es mir in einem Keller, der heil geblieben ist, einigermaßen wohnlich eingerichtet. Du bist gerne eingeladen. Luxus darfst du natürlich keinen erwarten, aber besser als nichts ist es schon. Sogar eine Tasse Kaffee kann ich dir anbieten."

"Also doch Luxus", lächelte Kurt. "Ich nehme deine Einladung dankend an. Wohin sollte ich auch sonst gehen?"

Es war ein winziger Keller, in dem Elisabeth hauste. Vor die Fenster hatte sie Bretter genagelt und die Ritze mit Lumpen abgedichtet, um so der Kälte wenigstens ein bisschen Herr zu werden, die selbst ein mit Holz befeuerter alter Küchenherd nicht abhalten konnte.

Eingerichtet war der Keller mit Überresten von Möbeln, die sie auf den umliegenden Trümmergrundstücken zusammengesucht hatte. Sogar ein Sofa, das ihr offensichtlich als Bett diente, hatte sie herbeigeschleift. Beleuchtet wurde der Raum von Kerzenstummeln, da die Glühbirne, die an der Decke baumelte, gestern - wie sie erzählte - ihren Geist aufgegeben hatte.

Und es gab sogar einen kleinen Tannenbaum, den sie in einer Ecke auf einer Kiste aufgebaut und mit den unmöglichsten Dingen wie Papierschnitzeln, Metallspänen und Glassplittern geschmückt hatte.

"Mehr kann ich dir leider nicht bieten", entschuldigte sie sich, nachdem sie ihn eintreten und auf dem Sofa hatte Platz nehmen lassen.

"Es ist mehr, als ich erwartet hatte", erwiderte er. "Mein Gott, Elisabeth, was ist bloß aus uns geworden?"

"Ein Volk von Maulwürfen, das unter der Erde sein bisschen Leben zu erhalten sucht", sagte sie. "Wir ernten, was wir gesät haben. Aber lass uns jetzt nicht mehr davon sprechen. Es ist Weihnachten, und ich bin froh, dass du bei mir bist. Weißt du eigentlich, dass ich einmal sehr in dich verliebt war? Vierzehn oder fünfzehn muss ich damals wohl gewesen sein."

"Nein, davon weiß ich nichts", bekannte er.

"Kein Wunder", lächelte sie. "Als flotter Soldat hattest du natürlich andere Interessen als mich junges, unterentwickeltes Ding ohne Busen und so."

"...aus dem inzwischen eine bezaubernde junge Dame geworden ist", ergänzte er und bemerkte, wie sie bis zu den Haarwurzeln errötete.

"Ich möchte wissen, was an mir noch bezaubernd sein soll", meinte sie. "Als Vogelscheuche könnte man mich in einen Baum setzen. Kein Spatz würde es wagen, auch nur eine Kirsche zu stehlen."

"Nun untertreibe mal nicht", sagte er. "Die Fassade ist zwar leicht lädiert, aber man kann immer noch erkennen, was daraus werden wird, wenn sie erst einmal wieder renoviert worden ist."

"Du musst mir keine Komplimente machen", versetzte sie verlegen.

"Es sind keine Komplimente", entgegnete er. "Ich meine es ernst, Elisabeth. Du bist ein wunderschönes Mädchen. Ich muss blind gewesen sein, dass ich das nicht längst entdeckt habe."

"Wir haben uns lange nicht gesehen, Kurt", sagte Elisabeth.

"Viel zu lange, Elisabeth", erwiderte er nachdenklich. "Unsere Jugend haben sie uns genommen, oder zumindest einen Großteil davon. Wir werden uns beeilen müssen, sie nachzuholen."

Es wurde trotz der Umstände, in denen sie ihn verbrachten, der schönste Weihnachtsabend ihres Lebens. Sogar ein Fläschchen Wein hatte Elisabeth aus besseren Zeiten in die heutige hinübergerettet, das sie gemeinsam und jeden Schluck genüsslich auskostend, leerten.

Irgendwann küssten sie sich, und es war wie selbst verständlich, dass sie dann auch miteinander schliefen.

"Was wirst du jetzt von mir denken?", sagte sie, als sie später auf dem alten Sofa lagen und ihre erhitzten Körper nicht allein der Kälte wegen in inniger Umarmung aneinanderpressten. "Gibt sich dem ersten Mann hin, der ihr über den Weg läuft. Und du warst der erste, das kannst du mir ruhig glauben."

"Ich weiß", erwiderte er und küsste ihr zärtlich zwei Tränen von den Augen, die sich bei ihren Worten dorthin verirrt hatten. "Und ich bin dankbar dafür, dass ich es sein durfte; denn nun weiß ich wieder, wohin ich gehöre. Wie ein Licht bist du aus dem Dunkel zu mir getreten, neue Hoffnung hast du mir ins Herz gesenkt. Dafür liebe ich dich, mein kleines, süßes Mädchen. Gemeinsam werden wir uns an den Aufbau machen, und gemeinsam werden wir es auch schaffen."

Und so war es denn auch. Wie ein wunderschöner Film liefen die folgenden Stationen ihres gemeinsamen Lebens noch einmal an Kurts Augen vorbei:

Als strahlende Braut, in einem geliehenen Kleid zwar und auch noch ein wenig mager, sah er sie; den Tag, an dem sie ihm seinen Sohn geschenkt hatte, durfte er erleben; bei Klaus' Taufe und seinem ersten Schultag war er dabei; er baute noch einmal sein Häuschen im Grünen, von dem sie immer geträumt hatten; alle schönen Stunden kehrten einmal noch zu ihm zurück.

"Das war es, Kurt", sagte die Stimme endlich. "Hat dir mein Weihnachtsgeschenk gefallen?"

"Oh ja", erwiderte Kurt. "Es war herrlich. Könnten wir es nicht noch einmal wiederholen?"

"Leider nein", bedauerte die Stimme. "Aber ich sagte dir ja schon zu Beginn, dass es ein einmaliges Geschenk ist."

"Schade", sagte Kurt. "Aber trotzdem vielen Dank. Du hast mir eine sehr große Freude bereitet."

"Dazu bin ich, und dazu ist das Weihnachtsfest da", versetzte die Stimme, und dann war es still um Kurt; still wie in einem Dom. - - -

"Sieh mal dort drüben auf der Bank", sagte eine Friedhofsbesucherin am nächsten Morgen zu ihrem Mann. "Da sitzt ja einer. Völlig eingeschneit ist er. Mein Gott, der scheint tot zu sein!"

Sie traten näher und stellten fest, dass sie es tatsächlich mit einem Toten zu tun hatten.

"Schau dir sein Gesicht an", sagte der Mann bewegt. "Dieser Friede, dieser Ausdruck höchsten Glücks, der auf ihm liegt."

"Ja", erwiderte die Frau. "Er scheint mit einem wunderschönen Traum im Herzen gestorben zu sein; als ob er dabei in den Himmel gesehen hätte."


EIN UNVERHOFFTES WIEDERSEHEN

Eine Liebesgeschichte


Helga Jansen war auf alles, das zur Gattung Mann zählte, sauer. Schuld an dieser betrüblichen Tatsache war ihr eigener. Nach zehnjähriger Ehe hatte er darauf bestanden, ihren obligatorischen Osterurlaub getrennt verbringen zu wollen. Als Frischzellenkur für ihre Liebe, die zur Gewohnheit zu erstarren drohe, hatte er es bezeichnet. Neuen Spaß im Bett hatte er ihr prophezeit, wenn sie mal für eine Weile verschiedener Wege gingen. Aus einmal in der Woche würde vielleicht wieder zwei- oder gar dreimal werden; die hohen Feiertage nicht mitgerechnet und demnach also noch zusätzlich....!

Meine Güte, was für rosige Aussichten!

Nach längerem Hin und Her hatte sie sich darauf eingelassen und war, während er ins Ötztal zum Skifahren abdampfte, nach Maspalomas auf Gran Canaria geflogen.

Nun hockte sie allein auf der Trauminsel herum und tat, was den meisten, die sich hier aufhielten, nie in den Sinn gekommen wäre: Sie langweilte sich fast zu Tode.

Natürlich hätte sie sich amüsieren können, wenn sie gewollt hätte. Tausend Gelegenheiten dafür hätte es gegeben. Auch Männerbekanntschaften hätte sie machen können. Die hungrigen Augen, mit denen die hier anwesenden Herren der Schöpfung ihren wohlproportionierten Körper verschlangen, sprachen Bände, nein, ganze Bibliotheken. Aber sie hatte, wie man so schön auf Neu-deutsch sagt, keinen Bock darauf, fremdzugehen; denn erstens wollte sie ihrem Göttergatten als verheiratete Frau die Treue bewahren, auch wenn sie sich nicht ganz sicher war, ob er es ebenfalls tat, und zweitens entsprach keiner der anwesenden Strandcasanovas ihrem Ideal. Und dem Alter, nur um zu, fühlte sie sich mit ihren zweiunddreißig Jahren eigentlich entwachsen.

Bis zu dem Tag, an dem überraschend Frank auftauchte. Er war der Mann, nach dem sich jede Faser ihres Herzens sehnte. Er war ihr Ideal.

Sie trafen sich am dritten Tag nach ihrer Ankunft auf Gran Canaria an der Bar ihres Hotels.

"Hallo, du", sagte er mit einschmeichelnder Stimme und legte, als wäre dies die selbstverständlichste Sache der Welt, den Arm um ihre Schultern. "Kennen wir uns nicht von irgendwoher?"

"Und ob", erwiderte sie matt und starrte ihn wie eine Geistererscheinung an. Ausgerechnet ihn hier zu treffen, ließ sie fast an ihrem Verstand zweifeln. Einen lange nicht mehr gekannten Stich in der Herzgegend verspürte sie, der darauf hindeutete, dass ihr dieser Mann vom ersten Moment an nicht ganz gleichgültig war.

"Es ist lange her", sagte er und hauchte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange. "Viel zu lange. Wie geht es dir?"

"Beschissen", versetzte sie wahrheitsgemäß. "Ich bin die einsamste Frau der Welt."

"Warum das?", wollte er wissen.

"Weil mein Mann, der Trottel, unbedingt darauf bestand, allein verreisen zu wollen", erklärte sie. "Und nun sitze ich hier herum und weiß nicht, was ich mit mir anfangen soll."

"Jetzt bin ich da", sagte Frank. "Deine erste große Liebe. Die war ich doch - oder?"

"Ja, die warst du", bestätigte sie leise.

"Man behauptet, eine Frau könne ihre erste große Liebe niemals vergessen", sagte er. "Wie ist es bei dir?"

"Nicht anders", erwiderte sie. "Besonders dann nicht, wenn er derjenige welcher war. Und das warst du nun mal."

"Es war himmlisch", begann er zu träumen.

"Na ja", schwächte sie ab. "Sooo himmlisch war es nun auch wieder nicht. Mir hat es anfangs ganz schön weh getan, dieses erste Mal. Und besonders peinlich wurde es, als deine Eltern uns dabei überraschten."

"Das Gesicht meiner Mutter könnte ich dir heute noch malen", schmunzelte er.

"Und dein Vater wusste nicht so recht, ob er lachen oder brüllen sollte", erinnerte sie ihn. "Ich hätte vor Scham im Erdboden versinken mögen."

"Lang, lang ist's her", wiederholte er. "Aber schön war's doch."

"Sehr schön", pflichtete sie ihm bei. "Und was für ein Zufall, dass wir uns ausgerechnet hier in Maspalomas wiedertreffen. Bist du allein hier?"

"Selbstverständlich", beteuerte er. "Nach dir hat es nie mehr eine andere Frau für mich gegeben."

"Jetzt hör aber auf", lachte sie. "Ich weiß doch, dass du verheiratet bist."

"Na und?" winkte er ab. "Du bist es auch."

"Ja", erwiderte sie leise. "Mit einem Mann, der glaubt, mit unserer Liebe wäre es nicht mehr weit her."

"Und?", fragte Frank. "Hat er recht?"

Sie wiegte den Kopf. "Möglich", gab sie zu. "Besonders aufregend war unser Liebesleben in letzter Zeit nicht mehr. Du kennst das aus deiner eigenen Ehe wahrscheinlich genauso - oder? Irgendwann flacht alles ab."

"Und woran liegt das?"

"Keine Ahnung." Sie zuckte mit den Schultern. "Vermutlich mangelt es irgendwann an der erforderlichen Phantasie, aus der Sache wieder mehr zu machen. Küsschen hier, Küsschen da, fummel fummel und dann rauf auf die Mutter - auf Dauer wird das langweilig."

"Bei mir ist das genauso", räumte er ein. "Deshalb sind meine Frau und ich diesmal auch getrennt in den Urlaub gefahren."

"Und was versprecht ihr euch davon?"

"Neue Erkenntnisse", sagte er.

"Wollt ihr anderweitig neue Erfahrungen sammeln?"

"Vielleicht", meinte er. "Zum Beispiel mit einer Frau wie dir."

"Aber ich bin doch auch nur eine alte Ehefrau", versetzte sie verlegen. "Viel Neues weiß ich nicht. Außerdem habe ich mir geschworen, meinem Mann treu zu bleiben."

"Das hatte ich mir ebenfalls geschworen", sagte er. "Bis ich dich wiedertraf. Nun habe ich all meine guten Vorsätze vergessen."

"Wenn ich ganz ehrlich sein soll....", flüsterte sie errötend. "...ich auch."

"Dein Mann muss es ja nie erfahren", sagte er und küsste sie, während er sanft seine Fingerkuppen über ihren Rücken gleiten ließ, zärtlich aufs Ohr.

Helga erschauerte ob dieser schon so lange entbehrten Streicheleinheiten. Heiß wurde es ihr in ihrem Schoß. Nur mühsam konnte sie ein wohliges Stöhnen unterdrücken.

"Lass uns noch ein bisschen Zeit", bat sie ihn tonlos. "Wir wollen nichts überstürzen."

"Nun gut", sagte er nüchtern. "Dann gehen wir jetzt erst einmal zusammen essen. Später sehen wir dann weiter. Einverstanden?"

Hätte sie widersprechen sollen? Für keine Sekunde kam es ihr, da sie jetzt schon lichterloh brannte, in den Sinn. Nur umziehen wollte sie sich noch, und das gestand er ihr zu.

In einem kleinen spanischen Restaurant aßen sie zu Abend. Paella bestellten sie und dazu einen süffigen Rotwein. Frank plauderte mit ihr, wie ihr Mann das nur in seinen besten Jahren getan hatte. Sie lachten und scherzten miteinander und fühlten sich - drücken wir es profan aus - sauwohl.

"Weißt du eigentlich, dass du die entzückendste Frau bist, die ich kenne", sagte er irgendwann zu ihr, nahm ihre Hände zwischen seine und führte sie an seine Lippen. "Schade, dass du verheiratet bist. Ich würde dich sonst auf der Stelle bitten, meine Frau zu werden."

"Du bist ebenfalls verheiratet", erinnerte sie ihn an die Tatsachen.

"Das stimmt", seufzte er. "Und ich wollte, meine Frau wäre in letzter Zeit einmal so zu mir gewesen, wie du heute Abend zu mir bist."

"Lag es nur an ihr, dass sie es nicht war?"

Sie sah ihn plötzlich mit ernsten Augen an.

"Nein", gab er mit einem hilflosen Lächeln zu. "An ihr allein lag das wohl nicht."

"Na, siehst du", sagte sie. "Bevor man einen anderen verurteilt, sollte man erst an die eigene Brust klopfen. Ich tue das mittlerweile unentwegt; weil ich einzusehen beginne, dass ich in meiner Ehe vieles falsch gemacht habe."

"Ich auch", räumte er ein. "Man hat eben im normalen Alltag viel zu wenig Zeit füreinander. Der Beruf, das Streben nach immer mehr frisst dich auf und verschließt dir die Augen vor den schönen Dingen des Lebens."

"Aber das müsste nicht sein?"

"Nein, bestimmt nicht", sagte er nachdenklich. "Ein bisschen Zeit füreinander sollte man sich schon nehmen."

"Vergiss es nicht, wenn du wieder zu Hause bist", ermahnte sie ihn. "Und ich will ebenfalls daran denken."

Später gingen sie am Strand von Maspalomas spazieren. Wie eine silberne Scheibe hing der Mond am samtblauen, wolkenlosen Himmel. Leise rauschte das Meer. Von irgendwoher drang schwermütige Gitarrenmusik an ihr Ohr. Eine laue Nacht war es, trotz der frühen Jahreszeit. Aber auf Gran Canaria herrschen nun mal andere Temperaturen als zu Hause. Dort hätte man sich bei einem nächtlichen Osterspaziergang vermutlich einen abgefroren. Hier nicht. Hier konnte man sogar schon im Meer baden.

"Ich liebe dich", sagte Frank unvermittelt. Er blieb stehen, legte seine Hände auf ihre Schultern und schaute ihr tief in die Augen. "Ich liebe dich so sehr."

"Aber doch nicht hier", protestierte sie errötend.

"Und warum nicht hier?", wollte er wissen. "In den Dünen wären wir ungestört."

"Wir sind keine Teenager mehr", erinnerte sie ihn, aber ihre Stimme verriet, dass sie seinen unseriösen Vorschlag eigentlich gar nicht so übel fand.

"Wir sind aber auch noch keine Greise", meinte er. "Warum sollten wir uns also nicht mal über das Übliche hinwegsetzen und uns unter freiem Himmel lieben? Wollten wir in diesem Urlaub nicht neue Erfahrungen sammeln? Warum beginnen wir nicht einfach damit?"

Er nahm die immer noch etwas zögernde Frau bei der Hand und zog sie sanft in die grandiose Dünenlandschaft, deren meterhohe Sandhügel der Wind aus Afrika herübergeweht hatte. Ihre Schuhe mussten sie ausziehen, sonst hätte sie ihnen der Sand irgendwann von den Füßen gezerrt. Bis über die Knöchel sanken sie ein.

"Hier", sagte Frank endlich, nachdem sie einige der sanften Hügel und Täler hinter sich gebracht hatten. "Hier sind wir ungestört."

Er nahm Helga in seine Arme und küsste sie, wie sie schon lange nicht mehr geküsst worden war. Ein wohliges Beben durchlief ihren Körper und breitete sich von den Haarspitzen bis zu ihrem Schoß aus. Und während seine Zunge ihren Mund erforschte und mit der ihren ein neckisches Spielchen trieb, begann er sie zu entkleiden.

"Wie schön du bist", flüsterte er heiser, als er sie nackt in den Armen hielt. "Wie wunderschön."

Als Antwort half sie ihm, sich ebenfalls seiner Kleidung zu entledigen, die sie samt ihrer als eine Art Decke über den warmen Sand ausbreiteten.

"Komm", wisperte er und zog sie auf das so geschaffene Liebeslager hinunter.

Jeden Zentimeter ihres erhitzten Körpers streichelten seine Lippen. Und sie vergalt ihm jede Zärtlichkeit mit einer ähnlichen. Kaum erwarten konnten es beide, bis sich ihre Leidenschaft in einer gewaltigen Explosion entlud.

"Und dazu mussten wir extra nach Gran Canaria fliegen", sagte sie schwer atmend, nachdem sich der Sturm ihrer ersten Erregung gelegt hatte, und sie glücklich aneinandergeschmiegt im Sand lagen und hinauf zu den Sternen blickten. "Weshalb bist du mir überhaupt gefolgt?"

"Weil ich es im Ötztal ohne dich nicht ausgehalten habe", gestand er. "Und weil ich nicht wollte, dass du das, was wir eben zusammen erleben durften, vielleicht mit einem anderen erlebt hättest."

"Wärst du heute nicht zu mir gekommen", sagte sie "wäre ich dir spätestens morgen nachgereist. Ganz so schlimm scheint es um unsere Liebe also doch noch nicht bestellt zu sein."

"Im Gegenteil", versetzte er. "Und wenn wir beherzigen, was wir uns vorgenommen haben, wird das auch nie der Fall sein."

"An mir soll es bestimmt nicht liegen", seufzte sie selig, denn er begann, als wolle er ihr gegenseitiges Versprechen damit besiegeln, das schönste aller Spiele gerade aufs Neue.

Und das tiefblaue Meer von Maspalomas sang dazu sein ewiges Lied


HILFE, ICH LIEBE MEINEN CHEF!

erotische Liebesgeschichte


Bei Tina hatte der berühmte Blitz eingeschlagen: Am ersten Tag schon, als sie bei der bekannten Werbeagentur Fresenius & Co. zu arbeiten begonnen hatte, hatte sie sich in ihren neuen Chef verliebt; unsterblich, um es ganz profan auszudrücken. Aber ein anderes Wort gab es nicht, um ihre Gefühle für ihn zu beschreiben. Er war der Mittelpunkt ihrer Träume, erfüllte in diesen all ihre Wünsche und gab ihr alles, wonach eine Frau sich sehnte; leider nur in ihren Träumen, denn die Sache hatte einen Haken:

Claus Fresenius war verheiratet, hatte zwei goldige Kinder und schien offensichtlich eine sehr glückliche Ehe zu führen. Tina hatte es beobachten können, wenn seine Frau ihn hin und wieder besuchte. Da gab es Küsschen hier und Küsschen da und auch sonst...

Tina beschloss, ihre Liebe zu Claus in ihrem Herzen zu vergraben und ihn nie merken zu lassen, was sie für ihn empfand. Es wäre ihre nie in den Sinn gekommen, eine Ehe zu zerstören. Lieber wollte sie auf ein eigenes Glück verzichten. So sehr liebte sie ihn.

Aber auch Claus ließ nie erkennen, dass er mehr in ihr sah als eine begabte Mitarbeiterin, die für ihren Beruf lebte und oft mit geistreichen Ideen zur Belebung des Geschäftes beitrug.

All das änderte sich, als der Betriebsausflug ins Haus stand und sie mit einem kleinen Bus eine Rheintour unternahmen.

Ein merkwürdiges Interesse, das sie selbst am meisten überraschte, bekundete er da plötzlich an ihr. Unbedingt neben ihr sitzen wollte er während der Fahrt, und wenn ihre Blicke sich trafen, war es, als wolle er sie mit den Augen entkleiden. Tina wusste keine Erklärung dafür.

Der Betriebsausflug endete am Abend in Rüdesheim in der weltbekannten Drosselgasse. Sie hatten sich in einem malerischen Weinkeller Plätze reservieren lassen, speisten vorzüglich und ließen sich schließlich von der allgemeinen Stimmung anstecken, die ein Musikantentrio verbreitete, und zu dessen flotten Klängen man auch tanzen konnte.

"Ich tanze mit dir in den Himmel hinein", sang ihr Claus leise ins Ohr, als er zu eben dieser Melodie mit ihr über die Tanzfläche schwebte, presste sie noch ein wenig fester an sich und ließ sie erahnen, dass ihn ihr enges Zusammensein nicht ganz unbeeindruckt ließ. "In den siebenten Himmel der Liebe."

Tina dachte, dass es vermutlich nicht sein Haustürschlüssel war, den sie in der Nähe ihres Schoßes verspürte, und ging ein wenig auf Abstand. Er rückte sofort wieder nach.

"Dass Sie dieses Lied überhaupt kennen", murmelte sie verwirrt. "Es ist doch uralt."

"Aber immer noch gut", erwiderte er. "Besser jedenfalls als die modernen Plastikrhythmen. Bei denen kann sich ein Paar doch gar nicht mehr näherkommen. Jeder tanzt allein für sich. Finden Sie das schön?"

"Ich mag moderne Musik", stellte Tina klar.

"Ich eigentlich auch", versetzte Claus. "Aber heute liebe ich halt diese. Besonders mit Ihnen."

Er schob sich erneut etwas näher heran. Der Haustürschlüssel - oder was immer es war - wurde immer größer. Werden Haustürschlüssel das?

Tina wurde langsam nervös. Dieser Haustürschlüssel - oder was? - ließ ihren Schoß erglühen. Ein wohliger Schauer nach dem anderen lief ihr den Rücken hinunter. Wenn er jetzt...! Aber sie durfte doch nicht! Und er durfte erst recht nicht...!

"Warum haben Sie eigentlich nicht Ihre Frau mitgenommen?", fragte sie.

"Zu einem Betriebsausflug?" Er lachte. "Aber dabei haben Ehefrauen doch nichts verloren. Wenigstens einmal im Jahr muss man sich mal so richtig austoben dürfen."

"Finden Sie das gut?"

"Sehr gut." Claus lachte wieder. "Und wenn man dann noch mit einer Frau wie Ihnen zusammen ist, vergisst man ohnehin alles."

"Ich erkenne Sie nicht wieder", sagte Tina abweisend. "Bis heute waren Sie der unnahbare Chef für mich, der kaum - wenn überhaupt - bemerkt hat, dass ich eine Frau bin. Wie darf ich das also verstehen? Suchen Sie ein Abenteuer? Dafür bin ich mir zu schade."

"Selbstverständlich", versicherte Claus. "Aber ich meine es wirklich ernst mit Ihnen. Sie sind genau die Frau, von der ich immer geträumt habe."

"Herr Fresenius!" beschwerte sich Tina empört und löste sich aus seinen Armen. "Sie sind verheiratet."

"Mehr oder weniger", seufzte Claus. "Ich möchte heute Abend nicht davon sprechen."

"Egal wie", entgegnete Tina entschieden. "Ich lasse mich nicht mit verheirateten Männern ein. Das widerspricht meinen Prinzipien."

"Und wenn ich nicht verheiratet wäre?"

"Dann..." Tina unterbrach sich, senkte den Blick und biss sich auf die Unterlippe. "Sie sind es aber nun mal", fuhr sie endlich leise fort.

"Wer weiß." Claus lächelte hintergründig. "Vielleicht bin ich es schon sehr bald nicht mehr."

"Erzählen Sie mir doch bitte keine Märchen", versetzte Tina ärgerlich. "Ich nehme Ihnen das eh nicht ab. Soweit ich das in dem halben Jahr, seit ich für Sie arbeite, beobachten konnte, vergöttern Sie Ihre Familie und denken gar nicht daran, sich von ihr zu trennen. Darf ich mich dann setzen? Ich mag nicht mehr tanzen."

Ein paar Gläser Wein später forderte er sie erneut auf. Wieder tanzte er auf Tuchfühlung, wieder überhäufte er sie mit zärtlichen Komplimenten und Anspielungen.

Und Tina, die sich unterdessen wegen ihres Seelenschmerzes einen herrlichen Schwips angedudelt hatte, genoss es plötzlich, von ihm auf so eindeutige Weise umworben zu werden.

"Was wäre, wenn ich...?", überlegte sie. "Wenigstens ein einziges Mal. Ich sehne mich doch so sehr danach. Seine Frau würde bestimmt nie etwas davon erfahren."

"Was halten Sie davon?", mischte er sich flüsternd in ihre unschamhaften Gedanken, und als seine Lippen dabei flüchtig ihr Ohr streiften, durchzuckte es sie wie ein Stromschlag. "Wollen wir uns nicht abseilen?"

"Aber wir können doch nicht...", widersprach sie matt. "Was würden die anderen von uns denken?"

"Von denen können die meisten sowieso kaum noch denken", meinte er. "Außerdem ist es mir egal. Ich bin schließlich der Chef und kann tun und lassen, was ich möchte; sogar von hier verschwinden, wenn ich die Schnauze voll habe."

"Und wenn Ihre Frau davon erfährt?"

"Ach was", winkte er ab. "Die werden sich hüten, mich zu verpetzen. Gutbezahlte Arbeitsplätze sind rar. Ich mache mir deswegen keine Sorgen."

"Nun", wisperte Tina, "wenn Sie sich keine Sorgen machen, sollte ich es eigentlich erst recht nicht tun. Verschwinden wir also."

Sie nahmen sich ein Taxi, ließen sich gemeinsam auf dem Rücksitz nieder und nannten dem Fahrer ihre Heimatadresse.

"Ganz schön weit", meinte der Fahrer. "Das wird nicht ganz billig."

"Halten Sie mich für zahlungsunfähig?", fragte Claus unwillig.

Der Fahrer schwieg und konzentrierte sich auf den Verkehr.

Claus konzentrierte sich auf Tina. Er legte seinen Arm um ihre Schultern und zog sie zärtlich an sich.

"Schön", flüsterte er. "Davon habe ich den ganzen Tag über geträumt."

"Wovon?"

Sie hob ihr Gesicht zu ihm empor und schaute ihn mit verhangenen Augen an.

"Davon!"

Er nahm behutsam ihren Kopf zwischen seine Hände und küsste sie.

Für Tina war es, als öffne sich das Tor zum Siebenten Himmel für sie, und sie erwiderte seine Küsse, die immer stürmischer und fordernder wurden, mit der gleichen Leidenschaft.

"Bitte nicht", hauchte sie, als er an ihrer Bluse zu nesteln begann. "Der Fahrer!"

"Ach, der!", versuchte Claus ihre Bedenken zu zerstreuen. "Der ist so etwas gewöhnt. Der sieht das schon gar nicht mehr."

Endlich war er an das Ziel seiner Wünsche gelangt und konnte erfreut feststellen, dass er nicht auch noch einen störenden BH zur Seite räumen musste. Mit geübten Fingern begann er sie zu streicheln und liebevoll zu kneten. Leise aufstöhnend ließ ihn Tina gewähren und vergalt ihm seine Zärtlichkeiten, indem sie ihre Hand auf jene Stelle legte, hinter der sich mit einiger Gewissheit nicht sein Haustürschlüssel verbarg.

Dies wiederum animierte ihn, noch kühner zu werden. Er ließ seine Hand nach unten gleiten und...

"Wir sind da", verkündete der Taxifahrer. "Macht zweihundertsechsundfünfzig Mark und achtzig Pfennige."

"Das ging aber schnell", brummte Claus, während er ihn entlöhnte und Tina sich, tiefrot wie eine Tomate, die Bluse zuknöpfte. "Sind Sie geflogen?"

"Nein", erwiderte der Fahrer. "Aber wenn man liebt, vergisst man halt Zeit und Raum. Viel Spaß noch, die Herrschaften."

Es war wie selbstverständlich, dass Claus das Mädchen in dessen Wohnung begleitete. Ein hübsches Einzimmerappartement mit Küche und Bad war es, in dem sie seit einem halben Jahr allein lebte.

Und es war auch wie selbstverständlich, dass sie hier fortsetzten, was im Taxi so aufregend und wunderschön begonnen hatte. Bis zum frühen Morgen liebten sie sich und ließen erst voneinander, als die Sonne ihre ersten Strahlen ins Zimmer sandte.


*

"Danke!", stand auf dem Zettel, den Tina, als sie gegen Mittag erwachte, auf dem Tisch fand. "Du warst ein Erlebnis. Wir werden es bald und so oft es geht wiederholen."

Nein, dachte Tina und schüttelte heftig den Kopf. Das musst du dir abschminken, mein lieber Claus. Was heute Nacht geschehen ist, war eine einmalige Sache und wird sich bestimmt nicht wiederholen. Ich muss von allen guten Geister verlassen worden sein, dass ich mich überhaupt darauf eingelassen habe.

Ihr schlechtes Gewissen trieb ihr die Tränen in die Augen. Aufschluchzend warf sie sich auf das von ihren heißen Liebeskämpfen zerwühlte Bett, presste ihr glühendes Gesicht ins Kissen, das noch einen leichten Geruch nach seinem herben Rasierwasser verströmte, und weinte bitterlich.

Im Laufe des Tages reifte ein Entschluss in ihr, der sie zwar ebenfalls schmerzte, aber an dem wohl kaum etwas zu ändern war.

Am Montagmorgen bat sie Claus um eine Unterredung und begab sich, als dieser zustimmte, mit klopfendem Herzen in dessen Büro.

Er saß hinter seinem Schreibtisch, erhob sich, als sie eintrat, und kam ihr mit ausgestreckter Hand entgegen. Durch nichts ließ er erkennen, ob ihm diese Begegnung irgendwie peinlich war. Freundlich, aber dennoch zurückhaltend wie immer, benahm er sich.

"Na, Fräulein Becker, haben Sie den Betriebsausflug gut überstanden?", fragte er lächelnd. "War sehr nett, nicht wahr?"

"Nett?" Tina glaubte nicht recht zu hören und starrte ihren Chef fassungslos an. "Na also, ich weiß nicht. Jedenfalls möchte ich fristlos kündigen."

"Sie wollen kündigen?" Claus hob erstaunt die Augenbrauen. "Das verstehe ich nun wirklich nicht. Ist Ihnen denn jemand zu nahe getreten während des Ausflugs? Seien Sie bitte offen zu mir. Ich werde den Entsprechenden dann schon zur Rechenschaft ziehen."

"Claus, also das geht nun wirklich etwas zu weit" rief Tina und funkelte ihren Chef empört an. "Du spielst das Unschuldslamm, obwohl du genau weißt, weshalb ich gehen möchte. Ich finde das charakterlos von dir und beschämend für mich."

"O Gott!", stöhnte Claus. "Ich ahne Fürchterliches. Deshalb will ich Ihnen ein Geständnis ablegen."

"Das brauchst du nicht", entgegnete Tina. "Mir ist schon klar, dass du nur deine Frau liebst und mich nur zu einem flüchtigen Abenteuer benutzt hast."

"Eben darum geht es", erklärte Claus. "Ich habe nämlich gar nicht am Betriebsausflug teilgenommen, weil mir solche Festivitäten zuwider sind und ich außerdem etwas anderes mit meiner Familie vorhatte."

"Das wird ja immer toller", fauchte Tina. "Willst du mir jetzt einreden, dass ich das alles nur geträumt, und ich nicht mit dir im Bett gelegen habe?"

"Hast du auch nicht", kam eine andere Stimme von der Tür her, die sich unbemerkt geöffnet hatte. "Der Lümmel, der dich verführt hat, war ich!"

Tina fuhr herum und begann plötzlich an ihrem Verstand zu zweifeln. An der Tür stand eine zweite Ausgabe von Claus, die sie fröhlich angrinste.

"Gestatte, dass ich mich vorstelle", flötete der zweite Claus und kam langsam auf sie zu. "Ich heiße Harald und bin der Zwillingsbruder dieses schrecklichen Menschen da. Ich habe schon öfters für ihn an Betriebsausflügen teilnehmen müssen, weil er keine Lust hatte. So schön wie dieser war aber noch keiner. Bist du mir sehr böse?"

"Eigentlich müsste ich's sein", schmollte Tina. "Mich so hinters Licht zu führen. Mein schlechtes Gewissen hat mich gestern fast umgebracht. Warum hast du mir bloß nicht die Wahrheit gesagt?"

"Ich kam einfach nicht dazu", erklärte er schmunzelnd. "Wir waren schließlich laufend mit anderen Dingen beschäftigt. Und als ich dann fort musste, hast du so süß geschlafen, dass ich es nicht übers Herz brachte, dich zu wecken."

"Du hättest dich später noch einmal melden können", tadelte sie ihn.

"Da habe ich geschlafen", verriet er, "und bin erst spät am Abend wieder zu mir gekommen. Aber jetzt bin ich ja da und möchte dich hiermit in aller Form um Verzeihung bitten."

"Nun küss sie schon", munterte Claus seinen Zwillingsbruder auf. "Merkst du denn nicht, wie sehr sie darauf wartet? Ich habe übrigens für eine gute Stunde auswärts zu tun und werde draußen Anweisung geben, euch nicht zu stören. Tschüs, ihr zwei."

Er nickte ihnen freundlich zu und verließ das Zimmer.

"Ein lieber Mensch, mein Bruder, nicht wahr?", befand Harald.

"Oh ja", bestätigte Tina. "Aber den anderen mag ich trotzdem lieber. Hoffentlich ist er nicht auch verheiratet?"

"Er wird es demnächst sein", sagte Harald und nahm sie in seine Arme. "Nachdem die Generalprobe so phantastisch verlaufen ist."

"Wir können sie gern noch einmal wiederholen", versetzte Tina und lächelte glücklich. "Damit es später auf der Bühne des Lebens auch immer klappt."

Herz, Schmerz und Gänsehaut

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