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Tödliche Klänge unter der roten Laterne

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Kurzkrimi

erstmals erschienen in ECHO DER FRAU

Die Bar hieß Pussy Cat und lag im finstersten Winkel des Frankfurter Bahnhofsviertel. Von außen sah sie wie eine Müllhalde aus, die man mit schreienden Leuchtreklamen versehen hatte. Innen konnte man kaum etwas sehen, denn erstens sorgten die roten Lampen, die an den Wänden hingen, kaum für Licht und zweitens war die Luft in der Kneipe derart verräuchert, dass einem ein Nebeltag über London fast wie ein strahlender Frühlingsmorgen erscheinen konnte.

(Anm.: Als diese Geschichte geschrieben wurde, gab es in den Kneipen noch kein Rauchverbot)

Das Pussy Cat war Haupttreffpunkt von Prostituierten, Zuhältern und anderen zwielichtigen Gestalten, die das helle Tageslicht und bürgerliche Arbeit scheuten und sich - sprechen wir es ruhig aus - in diesem Stall sauwohl fühlten.

Für die andere Seite, in diesen Kreisen abfällig Bullen oder noch schlimmer genannt, war das Pussy Cat ein rotes Tuch. Selbst die Polizeihunde scheuten, wenn sie in die Nähe des verrufenen Ladens kamen. Ihre Herrchen gingen grundsätzlich mindestens zu zweit, wenn sie bei ihrer allabendlichen Streife mal einen Blick hineinwerfen mussten. Man konnte ja nie wissen...!

Obwohl die Kneipe in einschlägigen Kreisen als Hauptumschlagplatz für Rauschgift aller Art galt, hatte die Polizei bisher niemals mit Erfolg eingreifen können. Blitzrazzien blieben ergebnislos.

Erschienen die Beamten, saßen alle mit braven Gesichtern auf ihren Stühlen und machten den Eindruck, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Dabei hockten hier, legt man einen Schnitt von hundert Besuchern am Abend zugrunde, mindestens achttausend Jahre Zuchthaus zusammen. Aber ohne Beweise...?

Seit etwa acht Tagen spielte auf der winzigen Bühne, die im Hintergrunde des Lokals lag, eine Rockgruppe, die ihre Zuhörer in einen wahren Begeisterungstaumel versetzte. Die vier langhaarigen, verwegen aussehenden Typen verstanden ihr Handwerk. Das musste ihnen der Neid lassen. Durch ihre Benehmen und ihre Art, sich mit den Leuten zu unterhalten, passten sie genau in dieses Milieu. Tiefste Gosse. Der Wirt hatte einen guten Griff mit ihnen getan und dachte bereits daran, ihren Vertrag um etliche Wochen zu verlängern. Man war seinen Gästen schließlich etwas schuldig.

Heute Abend wirkte die Gruppe allerdings ein wenig müde. Die Jungs zogen Gesichter, als sei ihnen der alte Belzebub persönlich über den Weg gelaufen.

Ihre Breaks und Riffs klangen kraft- und saftlos und konnten die Zuhörer nicht überzeugen. Dementsprechend war der Applaus und der Umsatz. In einer Pause winkte der Wirt, dem das nicht entgangen war, seine Musiker in ein Hinterzimmer.

"Verdammt, ihr spielt heute Abend wie saure Gurken", fuhr er sie an. "Da kann ich mir ja auch gleich die Heilsarmee auf die Bühne stellen. Was ist nur los mit euch? Kriegt ihr nicht genug zu trinken oder braucht ihr vielleicht etwas anderes...?

"Mann, bleib uns mit Frauen vom Hals - wenn du das meinst", erwiderte der Leadgitarrist, ein spindeldürrer Kerl. Er trug ein paar hautenge Jeans, die zur Zeit Napoleons einmal neu gewesen sein mochten, dazu ein verfilztes T-Shirt mit dem Aufdruck Bullen sind doof. Durch´s rechte Ohr hatte er sich eine Sicherheitsnadel gezogen, seine Arme waren mit unsittlichen Bildern tätowiert. Kurz - ein Bild von einem Mann!

"Und dein billiges Gesöff kannst du selbst saufen", fuhr er fort. "Was wir brauchen ist Stoff. Verstehst du? Wir sind auf Turkey, wenn du weißt, was das bedeutet. Besorg uns einen kleinen Druck und unsere Musik wird wie früher sein. Ohne Dope läuft nichts mehr, Alter."

Er hob bedauernd seine Schultern und wandte sich an seine Kollegen, die abgeschlafft in ihrer Ecke hingen und Gesichter zogen, als würde sie im nächsten Moment ausflippen. Kutti, der Schlagzeuger, verdrehte schon die Augen und zitterte am ganzen Körper.

"Ist es nicht so?", fragte der Leadgitarrist, der auf den schönen Namen Bodo hörte.

Die Musiker bestätigten es mit finsteren Mienen. Keinen Ton würden sie bald mehr spielen können, wenn Otto, der Wirt, nicht bald ein paar Gramm Koks organisieren würde. Sie wären gar nicht mehr fähig dazu. Ihr Körper verlangte das gewohnte Recht.

"Aber Jungs, ihr bringt mich in Teufels Küche", jammerte Otto. "Wo soll ich denn jetzt Stoff herbekommen? Ich will mit so etwas nichts zu tun haben.

Bodo, der Leadgitarrist, lachte verächtlich und legte seinen unendlich langen Arm vertrauensvoll um die Schultern des Wirtes.

"Mensch, warum glaubst du wohl, dass wir für diese lächerliche Gage hier bei dir spielen?", fragte er spöttisch. "Man hat uns geflüstert, dass wir bei dir immer genügend Dope bekommen können. Zum Personalpreis. Und jetzt spielst du die keusche Jungfrau, die von überhaupt nichts weiß. Kommt, Jungs, wir packen unseren Kram zusammen und halten nach etwas anderem Ausschau."

"Aber ihr habt einen Vertrag, den ihr erfüllen müsst", beeilte sich der Wirt einzuwenden. "So einfach könnt ihr nicht abhauen!"

„Scheiß auf den Vertrag!" erwiderte Bodo geringschätzig. "Wenn wir deinen Leuten draußen sagen, worum es geht, werden sie vollstes Verständnis für uns haben und deinen Laden vollständig auseinandernehmen. Dann können wir ohnehin nicht mehr hier spielen."

"Jetzt macht mal keinen Terror!", rief Otto beschwichtigend. "Ich hoffe ja, dass ihr euer Maul halten könnt?"

"Sehen wir so aus, als gingen wir zu den Bullen zwitschern?", knurrte Bodo beleidigt. "Jetzt rück schon deinen Stoff heraus. Du kannst es uns ja von der Gage abziehen."

"Ich geb´s euch für den halben Preis", sagte Otto. "Bester Koks aus der Türkei. Aber ich verstehe euch wirklich nicht: Müsst ihr dieses Teufelszeug denn nehmen? Ihr macht euch doch kaputt damit."

"Quatsch keine Litaneien, Junge!", rief Kutti, der Drummer, ungeduldig. "Ist ja wohl unser Bier, was wir mit unserem Körper machen - oder? Du säufst dir schließlich auch jeden Abend die Hucke voll. Haben wir schon einmal ´was dagegen gesagt?" Der Wirt schüttelte den Kopf. "Na siehste, Opa, dann sei jetzt auch so lieb und gib uns endlich unsere Dope. Lange halte ich‘s nämlich nicht mehr aus. Dann geh ich die Wände hoch wie ein Orang-Utan. Haste mich verstanden?"

"Du kriegst auch nachher eine Musik von uns geliefert, dass die Fünfzig-Mark-Scheine deiner Gäste von allein in deine Kasse tanzen", versprach Bodo.

"Na, dann kommt mal mit, Jungs", lachte der Wirt selbstgefällig. "Wir wollen unser kleines Geschäftchen doch nicht in aller Öffentlichkeit abwickeln, nicht wahr? Es könnte doch sein, dass die Bullen wieder mal Sehnsucht nach meinem Laden bekommen und herumschnüffeln."

Er führte die Musiker in den Keller, in dem allerlei Gerümpel herumstand. Ein Sperrmüllfledderer hätte sicher seinen Spaß daran gehabt. Das Mauerwerk, offenbar noch im 19. Jahrhundert oder davor erbaut, war unverputzt geblieben. Außerdem stank es hier bestialisch nach verfaultem Fisch.

"Hier könnste ja auch wieder mal aufräumen", meinte Bodo und verzog angewidert das Gesicht. "Das hältste ja im Kopp nicht aus!"

Der Wirt zuckte nur vielsagend mit den Schultern, räumte eine verschlissene Couch beiseite und drückte einen versteckten Knopf. Wie durch Geisterhand schwang eine schmale Tür im Mauerwerk auf, deren Umrisse man sonst wegen der Fugen und Risse nicht erkennen konnte.

Bodo pfiff anerkennend durch die Zähne, als sie den Raum betraten, der hinter dem schmutzigen Keller lag. Hier blitzte es förmlich vor Sauberkeit. In Regalen und auf Tischen lag alles, was eines Rauschgiftsüchtigen Herz höher schlagen ließ: Haschisch, Marihuana, Heroin, Kokain... Alles fein säuberlich in kleine Portionen verpackt. Ein Millionenvermögen!

"Na, wie gefällt euch meine kleine Schatzkammer?", fragte Otto stolz. "Diese Scheintür hat mich zwar ein Vermögen gekostet, aber sie hat sich längst amortisiert."

"Das glaube ich dir unbesehen ", entgegnete Bodo beeindruckt. "Da können die Bullen natürlich lang suchen."

"Was glaubst du, warum es draußen so entsetzlich nach Fisch stinkt?", grinste der Wirt. "Da streikt die Nase des besten Spürhundes."

"Und wo kriegst du das ganze Zeug her?", erkundigte sich Kutte. "Gehört dir da alles allein?"

Otto winkte ab.

"Das könnte ich gar nicht bezahlen", meinte er. "Nein, ich habe selbstverständlich einen Partner." Er nannte einen Namen.

"Nee, nie gehört", machte Bodo uninteressiert. "Ist das eine Bildungslücke?"

Otto schüttelte äußerst amüsiert den Kopf.

"Wenn die Bullen wüssten, was der in seinen Konservendosen für seine Landsleute importiert! Na, ihr könnt ja schweigen, Jungs. Wie viel braucht ihr?“

Kurze Zeit später ließ sie der Wirt allein, damit sie sich ihre Spritze setzen bzw. schnüffeln konnten. Er konnte kein Blut sehen.

*


Am nächsten Abend wurde in einem Handstreich das Pussy Cat umstellt. Die Rockband, heute wieder groß in Form, spielte gerade ein Stück von Jimmy Hendrix, der so elendig an Rauschgift verreckt war.

Dieses Mal fanden die Beamten den versteckten Keller. Sie nahmen Otto und einige Leute, die als Rauschgiftsüchtige bekannt waren, mit. Auch die Musiker der Rockgruppe mussten dran glauben. Ihnen sah man schließlich schon von weitem an, dass sie fixten.

Seltsamerweise saßen alle vier eine knappe Stunde später in gemütlicher Runde bei Kommissar Jäger und tranken Kaffee.

„Gut gemacht, Jungs!“, sagte der Kommissar zufrieden. „Auch den Partner haben wir inzwischen hochgehen lassen. Ihr habt ganze Arbeit geleistet. Ich glaube, eurer Beförderung dürfte nichts mehr im Wege stehen!"

Herz, Schmerz und Gänsehaut

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